Russland schließt sich die Krim an

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Für Russland ist diese Missachtung seiner Interessen unannehmbar. Es sieht seine sämtlichen Einsprüche gegen die Assoziationspolitik übergangen und lässt sich nicht einfach vor vollendete Tatsachen stellen. Daher nimmt es sich das Recht, seinerseits Fakten zu schaffen, und sichert seine Interessen durch den Einsatz von Militär und Änderung der Landkarte. Die Inszenierung der Annexion als in jeder Hinsicht rechtmäßiger Akt fällt Russland auch nicht schwerer als dem Westen die Legitimation des gewaltsam herbeigeführten Machtwechsels in der Ukraine: Auf der Krim kopiert man den Maidan, hier schützt Russland das Selbstbestimmungsrecht des Volks und liefert mit der reibungslosen Übernahme der Macht samt Volksbegeisterung auf der Krim und in Russland einen Beweis seiner diesbezüglichen Fähigkeiten.

Über seine Sicht der Dinge lässt Russland die Welt nicht im Unklaren. Man hat registriert, dass die EU die Assoziierung der Ukraine für prinzipiell unvereinbar erklärt hat mit ihrer Teilnahme an der östlichen Zollunion. Der Weigerung, sich mit Russland darüber zu verständigen, hat man in Moskau entnommen, dass die Assoziierung offenbar auch genau so gemeint ist: Das Land soll russischem Einfluss entzogen werden. Und das in einem Fall, in dem vitale Interessen Russlands auf dem Spiel stehen: Die Anstrengungen der USA, die Ukraine in die Nato hinüberzuziehen, würden Russland in eine katastrophale strategische Lage versetzen.

Putin weiß, dass die Behandlung, die Russland widerfährt, sich in die lange Reihe von Fällen einordnet, in denen der Westen, die USA im Verein mit der EU oder auch ohne sie, unter Missachtung russischer Interessen Weltordnungsfragen entschieden hat; eben als letzte und schwerwiegendste Etappe einer großangelegten westlichen Schwächungspolitik gegenüber Russland. Russland hat versucht, sich als kooperative Weltmacht mit den ehemaligen Gegnern ins Benehmen zu setzen, um sich als kapitalistische Macht neu aufzubauen, hat dabei aber immer wieder erfahren müssen, dass seine Interessen zurückgewiesen worden sind, dass es aus der Regelung ausgemischt worden ist, während der Westen seine strategische Übermacht rücksichtslos weiter ausgebaut hat. Stichwort: Ausbau des Raketenabwehrsystems an der russischen Grenze.

Russland hat aus all dem den Schluss gezogen, dass es dieser Eindämmungspolitik Einhalt gebieten muss. Es hat damit eine Wende vollzogen, weil es sich genötigt sieht, seine vitalen Interessen zu sichern; mit den dann fälligen Mitteln, also militärisch. Es spricht damit sich – in ungleich bescheidenerem Ausmaß, aber in Analogie zum Auftreten der USA – das Recht zu, als autonome Macht Fakten zu schaffen, die die Staatenwelt anzuerkennen hat. Das hat man im Kreml in all den Jahren gelernt: dass man sich als respektable Macht in dieser Ordnung nur behaupten kann, wenn man zur gewaltsamen Durchsetzung seiner Interessen und Wahrung seiner Rechte bereit ist.

Putin legt sehr viel Wert auf die Klarstellung, dass sich Russland zu diesem Übergang gezwungen sieht und ihn nicht leichtfertig vollzieht. Er legt Wert auf die Feststellung, dass es die andere Seite, vornehmlich die amerikanische Gewalt ist, die Russland zu diesem Schritt regelrecht nötigt. Der von seinem Land vollzogene Übergang soll also nicht als Absage an die Kooperation mit dem Westen verstanden werden, sondern als die Ansage, dass Russland die Anerkennung seiner substanziellen Interessen zur Bedingung für den einvernehmlichen Umgang mit den westlichen ‚Partnern‘ macht. Schließlich will man mit denen ja auch im Geschäft bleiben.

Russland stellt eigene Forderungen: Es besteht auf der Zusage, dass kein Eintritt der Ukraine in die Nato angestrebt wird, sowie auf einer Föderalisierung des Landes. Das soll sicherstellen, dass die Ostukraine einerseits an der Bestimmung der nationalen Politik mitwirken kann und andererseits genügend Selbstbestimmungsrechte eingeräumt bekommt, um selber über die ihr zuträglichen nützlichen Beziehungen zu Russland entscheiden zu können.

Die USA erklären Russland zum Störfall ihrer Weltordnung

Amerika hebt die russische Intervention umgehend auf die höchste Ebene der Gewaltverhältnisse: Es sieht sich herausgefordert als rechtmäßiger Sachwalter der Weltordnung. Es definiert das russische Vorgehen auf der Krim als Verstoß gegen dieses allerhöchste Gut. Dabei werden gar nicht erst groß irgendwelche anderen Instanzen befragt. Amerika tritt vielmehr als Ankläger, Richter und Exekutor in einem auf und zieht daraus die Konsequenz: Wenn Russland die Schäden nicht hinnimmt, die man ihm am Material der Ukraine bereitet, sich nicht in die neue Lage fügt und sich weigert, die verlangte Anerkennung der Ukraine als Besitzstand der Westmächte zu leisten, dann ist es selber der Problemfall, den es zu bereinigen gilt. Die Weltmacht macht sich daran, den politischen Willen, der sich gegen ihre Oberhoheit aufstellt, unter ihre Ordnung zu beugen. Ab sofort ist es nicht mehr damit getan, Russland die Ukraine wegzunehmen und das eigene Regime auf dem Schauplatz Ukraine durchzukämpfen; es geht auch nicht mehr darum, Russland die Anerkennung des damit eingetretenen Verlusts eines strategischen Besitzstandes aufzunötigen, sondern Russland ist unmittelbar selbst als Macht zu treffen. Es gibt deswegen auch nichts zu verhandeln in diesem Fall, sondern nur eines – Russland muss bestraft werden.

Damit beenden die USA ein ganzes weltpolitisches Kapitel: Sie entziehen Russland die Anerkennung als irgendwie berechtigter Mitmacher der Weltordnung. Damit verabschieden sie die Doppelgleisigkeit ihres bisherigen Umgangs mit Russland, die darin bestanden hat, ihm für die Entmachtung, die es sich gefallen hat lassen, ein Stück Anerkennung als respektables Mitglied der Völkerfamilie und die Mitsprache in diversen internationalen Gremien zu gewähren. Mit dieser eigentümlichen Strategie ist Amerika nach seinem Sieg im Kalten Krieg gegen das Ärgernis vorgegangen, das die freiwillige Kapitulation der Sowjetunion hinterlassen hatte. Nach dem Verschwinden des Systemgegners war dann eben doch nicht der ewige Friede ausgebrochen, vielmehr galt es die neue Aufgabe zu bewältigen, Russland, eine mit seinen ererbten Mitteln immer noch beachtliche Macht, in die amerikanische Weltordnung einzubinden. Der russische Wille zur Eingliederung in den Weltmarkt und die dazugehörige Weltordnung war dafür in Anspruch zu nehmen, seine Macht nurmehr konstruktiv im Sinne der Führungsmacht zu gebrauchen und seine Machtmittel auf ein irgendwie funktionelles Maß hinunter zustufen. Russland wird die formelle Anerkennung als Partner in Weltordnungsfragen gewährt, die Erweiterung der G7 zur G8, die Gründung eines Nato-Russland-Rats etc.. Damit will man sich seine Mitwirkung sichern bei den gleichzeitigen Anstrengungen, es für Dienste an der amerikanischen Weltordnung zu instrumentalisieren, seinen Einfluss einzudämmen und seine Machtmittel zu beschneiden.

Ehemalige Bündnispartner Russlands im europäischen Osten werden in die westlichen Bündnisse EU und Nato überführt. Mit verschiedenen Kriegen werden mehr oder weniger eng mit Russland verbundene Staaten erledigt, Jugoslawien, der Irak, Libyen. Syrien ist noch in Arbeit. Unter dem Titel des Anti-Terror-Kriegs in Afghanistan haben sich die USA als strategische Macht in Zentralasien niedergelassen, an der Südgrenze Russlands betreiben sie ihre Politik der Einkreisung und ökonomischen Strangulierung gegenüber dem Iran, inkl. der Konkurrenz um die benachbarten Staaten in der GUS.

Also: Die USA haben Russland in ihre Weltordnungsaffären einbezogen und ihm insoweit eine Mitzuständigkeit für die Weltordnung zugestanden, um ihm gleichzeitig Einflusssphären, Bündnispartner und strategische Positionen streitig zu machen. Mit all diesen Weltordnungsaktionen und -kriegen war immerzu Russland gemeint und immer auch der Betroffene, aber abgewickelt worden sind alle Fälle so, als würden sie Russland über die für es vorgesehene Rolle als Mitmacher hinaus eigentlich gar nicht betreffen. Das richtet sich nicht gegen euch, hat man ständig beteuert. Dieser absurde Handel mit dem Inhalt: Anerkennung gegen die Aufgabe von Machtpositionen, diese Strategie, russische Macht Stück um Stück mit seinem Willen und seiner Zustimmung zu demontieren, hat funktioniert – und zwar weil und solange, wie sich Russland darauf eingelassen hat und sich davon überzeugen hat lassen, dass es die kriegerischen Aktionen und das Hineinwirken in seinen Machtbereich nicht unmittelbar als Angriff auf sich zu nehmen hat.

Geändert hat sich das Verhältnis, weil der Westen mit dieser Strategie so außerordentlich weit gekommen ist. Mit der Übernahme der Ukraine steht Russland nicht weniger als die Demontage seines strategischen Status als in Weltordnungsfragen zu berücksichtigende Macht ins Haus. Darüber machen sich beide Seiten nichts vor. Weder die amerikanische, die hier die Gelegenheit zu einer wirklich substanziellen Schwächung der russischen Macht sieht. Wie der US-Sicherheitsberater Brzezinski sagt: „Die Ukraine… ist ein geopolitischer Dreh- und Angelpunkt… Ohne die Ukraine ist Russland kein eurasisches Reich mehr.“ Noch macht sich Russland was vor: Hier ist eine Grenze erreicht , wo es an die Substanz geht und die deswegen nicht überschritten werden darf. Die Ukraine ist ökonomisch und strategisch einfach zu wichtig für Russland. Der seltsame Deal, bei dem ein Stück Demontage russischer Macht gegen ein Stück Anerkennung derselben zu haben war, hat hier deswegen für beide Seiten sein Ende gefunden. Russland ist in diesem Fall nicht mehr bereit, für einen weiterhin einvernehmlichen Verkehr mit dem Westen seine Interessen zurückzustellen. Und Amerika, das sein Containment der russischen Macht fortsetzt, kündigt den Deal auf seine Weise. Es geht dazu über, Russland unmittelbar selber zum Objekt seines Angriffs zu machen: Für Amerika ist ein weltpolitischer Einfluss Russlands nicht hinzunehmen; das Maß an Anerkennung, mit dem es bislang versucht hat, Russland in seine Weltordnung einzubauen und als relevante Größe aus der Mächtekonkurrenz zu entfernen, wird von der Führung in Washington wie ein nicht länger tragbares Zugeständnis an den weltpolitischen Rivalen aus dem Verkehr gezogen.