Das Café DeCentral in Innsbruck strahlt in Bordeaux- und Violett-Tönen. Es strahlt zu allererst, weil die Menschen, die dort politische, kulturelle und Kaffeehausarbeit betreiben, strahlen. Sie sind stolz. Völlig zurecht stolz auf das, was sie geschafft haben. Am 15. Oktober 2010 konnten die DeCentralist_innen nach vielen Wochen der Renovierung und des Umbaus ihr Cafè in der Innsbrucker Hallerstraße mit einer rauschenden Eröffnungsparty feiern.
Das Café DeCentral steht für eine Form der politischen Organisation, die ohne zentrale Befehls- und Kontrollgewalt von der Vielfalt der beteiligten Personen und ihren Vorstellungen getragen wird.
Das Lokal entsteht aus der Notwendigkeit, in Innsbruck einen Raum zu schaffen, der es Menschen unabhängig von Geschlecht, Herkunft, Einkommen, sexueller Identität, Alter, Schicht, etc. ermöglicht, in gemütlicher Atmosphäre zusammen zu sitzen, sich auszutauschen, zu diskutieren, gute Zeitungen zu lesen und zu feiern. So soll im Kleinen herrschaftsfreie Praxis entwickelt werden.
Ein solcher Ort ist in Innsbruck nicht vorhanden, es ist in der Innenstadt kaum mehr möglich, sich hinzusetzen, ohne konsumieren zu müssen oder kontrolliert und vertrieben zu werden. Die neue Maria-Theresienstraße, die „Verbots“- und „Schutzzonen“ um Bahnhof, Landhausplatz, Rapoldipark und Bogenmeile sind Beispiele für die Entwicklung, die Innsbruck in den letzten Jahren durchgemacht hat, die in Verbindung mit den hohen Miet- und Lebenserhaltungskosten in der Stadt viele Menschen ausschließt.
Das Café DeCentral soll dem Rückzug in die eigenen vier Wände oder dem Konsumzwang in dem nächsten auf Gewinn ausgerichteten Lokal entgegenwirken. Die DeCentral-Menschen wollen Raum für kollektive Erfahrung schaffen, der Kaffeehausbetrieb mit politischen Vorträgen, Diskussionen, Filmabenden, und Festen verbindet und die Erfahrung der Herrschaftsfreiheit in andere Bereiche der Gesellschaft trägt.
Das DeCentral-Kollektiv will unabhängig bleiben, sowohl was Politik als auch Finanzierung des Cafés anbelangt. Deshalb finanziert sich das Café DeCentral aus Mitgliedsbeiträgen, weil so Preise gestaltet werden können, die nicht nach der Logik des Marktes funktionieren müssen.
Alles ist neu und frisch und so ganz anders als in anderen autonomen Begegnungsstätten dieser Welt. Die eigentlich kitschigen Bilderrahmen eines skandinavischen Inneneinrichters wurden golden angestrichen und geben mit den politischen Bildern einen bizarren Ausdruck. Die Lampen sind aus Schenkungen und Flohmarkt-Fundstücken zusammengebastelt. Es darf geraucht werden. Und es gibt veganes Essen.
Auf der Eröffnungsparty des DeCentral sprach ein begeisterter Gast in einer altertümlich anmutenden lila Latzhose über den Inn, der sich direkt vor der Tür des DeCentral teile, um dann weiter nach Europa und in die weite Welt hinaus zu eilen.
Thomas E., Student des Studiengangs Kritische Männlichkeitsforschung an der Universität Innsbruck, erzählt mit glänzenden Augen, dass sie die großen Fensterscheiben des Cafés nicht mit Plakten bekleben werden. Der Blick auf die Berge sei so großartig und dürfe nicht zugehängt werden.
Am 19. Oktober 2010 ist das Aktionsbündnis ProChoice aus München für eine Mobilisierungs-Veranstaltung zu Besuch im DeCentral. Am 30. Oktober 2010 wird ab 11 Uhr am Münchener Rindermarkt eine Kundgebung gegen Abtreibungsgegner_innen stattfinden. Motto: „Abtreibung ist Frauenrecht“. Für denselben Tag haben die „Lebensschützer“ ihren „Tausend-Kreuze-Marsch“ durch München angekündigt.
Mitten im Vortrag über die Situationen von schwangeren Frauen in Deutschland und Österreich piept eine SMS: „Das Audimax ist besetzt!“
„Studiengang Kritische Männlichkeitsforschung“?
Wenn es das nur schon zu meiner Zeit gegeben hätte … dann hätte ich nicht 24 Semester mit Komparativer Weiblichkeitsforschung vertan.