Wählen ist ganz einfach!
Es wieder soweit. Der Wähler ist gefragt. Der ‚Volkssouverän‘ darf und soll sich zu Wort melden. Da hat er eine große Verantwortung. Davon hängt schließlich ab, wer regiert. Allerdings wird ihm das Wählen denkbar leicht gemacht.
Denn der Mensch hat beim Wählen ja alle Freiheit. Zugleich wird er mit seiner Freiheit nicht alleingelassen. Wie regiert werden soll, wie es mit Steuern, Mietpreisanstieg, Renten, Niedriglohn und überhaupt Deutschland weitergehen soll, darüber geben ihm Parteien und Kandidaten ausreichend Auskunft. Und das gleich in mehrfacher Ausführung. Er muss sich selbst nichts ausdenken, sondern kann sich frei aussuchen, was ihm da am ehesten zusagt. Er muss deren Ansagen bloß mit seinen Vorstellungen vergleichen, was er sich so von denen erwartet, die über seine Lebensumstände bestimmen – und noch nicht einmal das muss er.
Der Wähler kann es sich natürlich schwer machen und die Programme studieren. Er kann sich viele Vorschläge und Änderungen ausdenken und darüber hinwegsehen, dass man die seinem Kreuz gar nicht ansieht. Er kann es sich aber auch ganz leicht machen und sich nur daran halten, was er so von der einen oder anderen Partei an leicht verständlichen Parolen mitgekriegt hat, die die einem tagtäglich ja zuhauf liefern – ob die jeweilige Partei mehr für den kleinen Mann, fürs Soziale oder mehr für die Wirtschaft oder überhaupt für das große nationale Wir eintreten. Irgendwie sind die ja letztlich sowieso alle für das alles, und für Deutschland schon gleich. Also kann der Wähler auch ganz durchblickerisch davon ausgehen, dass sich die entscheidenden Parteien im Prinzip ohnehin nicht groß unterscheiden.
Ob er eher der Merkel-Partei zuneigt, weil die mit ihrem Regieren für Deutschland so zufrieden ist, sich von der SPD sagen lässt, dass die mit Merkel ganz unzufrieden ist, weil die nur ‚Stillstand‘ in Deutschland produziert hat, das ist ganz in sein Belieben gestellt. Er kann für einen mehr programmatischen politischen Standpunkt – links oder rechts – Partei ergreifen.E r kann den großen Parteien seine Stimme geben, weil die sowieso wieder an die Macht kommen. Er kann wechseln; er kann auch eine kleine Partei wählen, weil die ‚unverbraucht‘ ist. Er kann den Regierenden einen ‚Denkzettel‘ verpassen. Ja er kann sogar Protest einlegen, einfach dadurch, dass er seine Stimme einer anderen Partei gibt. Er kann sich aber auch auf den Standpunkt stellen, dass die jetzt noch streitenden wesentlichen Parteien am Ende ohnehin koalieren, um an die Macht zu kommen, kann sich also in deren Konkurrenzberechnungen und Koalitionsüberlegungen kennerisch hineindenken. All das ist ihm überlassen. Die Gewählten machen dann schon unter sich aus, wer regiert, wer mitregiert und wer am Ende die Rolle der Opposition spielt.
Als freier Wähler kann man sich auch gleich – noch einfacher – ans Personal halten. Dafür, dass die alle ausgezeichnete Führungsfiguren sind und gewählt zu werden verdienen, dafür bieten sich die Kandidaten dem Wähler ja zu Genüge mit ihren Auftritten und der öffentlichen Zurschaustellung ihrer werten Persönlichkeit an. Da kann er seinem Geschmack freien Lauf lassen, wen er für ‚besser‘, ’sympathischer‘, ‚kompetenter‘ und ‚glaubwürdiger‘ oder einfach mit seinem Äußerlichen und mit seinem Gehabe ansprechender findet, wem er also vertrauen, wem misstrauen will. Er kann sich mehr an das Selbstlob einer solchen Figur halten oder dem Konkurrenten recht geben, der die Führungsqualitäten seines Gegenübers nach Kräften schlecht macht. Er kann sogar deren Maschen durchschauen und sie zugleich goutieren.
Als gefragter und geplagter Wähler kann man die ganze öffentliche Bemühung um die eigene Stimme auch für ‚Zirkus‘ und langweilig halten. Man kann sich umgekehrt aber auch umworben fühlen und das mit seiner Stimme honorieren; man kann sich einbilden, dass man die ausgesuchten Kandidaten mit seiner Stimmabgabe zu dem beauftragt, was die als ihr Regierungsprogramm ankündigen. Man kann sich aber auch schon vorab denken, dass die hinterher ohnehin nicht halten, was sie versprochen haben. Darauf, wie die dann Politik machen, hat man ja ohnehin keinen Einfluss. Das machen die dann ganz unter sich aus.
Man kann also informiert oder uninformiert, distanziert oder engagiert, nach ‚reiflicher Überlegung‘ oder je nach Stimmungslage wählen gehen – oder auch nur, weil gerade mal wieder Wahl ist und man seine staatsbürgerliche Pflicht tut. Alles taugt gleichermaßen und hilft für die eigene Entscheidung, wem man seine Stimme schenken will. Alles ist unterm Strich gleich gültig, nämlich gleichgültig. Man muss ja bloß ein Kreuz machen – und schon hat man seinen ganzen Willen geäußert.
Ja, der Wähler muss noch nicht einmal das, wenn er nicht will: Er kann das Wählen auch lassen – ohne damit dem Zweck der Veranstaltung irgendwie zu schaden. Stimmenthaltung ändert ja nichts daran, dass man hinterher wieder genauso regiert wird, wie alle anderen.
Was er sich so alles denkt beim Wählen, bleibt ohnehin ganz seine Sache. Die Wahl ist schließlich geheim. Seine Entscheidung darf der Wähler ganz für sich treffen und behalten. Da kann ihm keiner reinreden. Und er muss auch mit keinem reden, womit er und andere sich unter den gegebenen Verhältnissen so rumschlagen und was er von den Regierenden hält und an denen kritisiert. Er muss sich schon gleich keine eigenen Gedanken machen, wie es ihm und anderen besser gehen und wie sie gemeinsam ihre Lebensverhältnisse besser einrichten könnten – das wäre völlig sinnlos. Was er sich beim Wählen denkt, kriegt ja sowieso keiner mit. Und die Regierungsanwärter sind schon gleich nicht auf die Anmeldung von Bedürfnisse, Einwänden oder Kritik seinerseits aus – sondern auf seine Wahl’Stimme‘. Und der sieht man von seinen Überlegungen garantiert nichts mehr an. Egal, welche er sich gemacht haben mag, komplizierte oder einfache, politisch versierte oder so schlichte wie: Merkel soll weiterregieren oder Steinbrück sollte es lieber mache. Es zählt nur das Votum für den einen oder anderen Anwärter aufs Regieren.
Diese Stimme zählt dann aber auch genau wie jeder andere. Denn in der Wahl ist endlich einmal jeder gleich, egal ob er im täglichen Leben Hartz IVler, normalverdienender Facharbeiter, besserverdienender Beamter, Unternehmer, Unter-, Mittel- oder Oberschichtler ist. Wann hat der Normalbürger sonst schon einmal soviel zu melden wie die Spitzen der Gesellschaft – nur bei der Bestellung des Regierungspersonals! Da gilt anders als sonst im Leben jeder mit seinem Urteil gleich viel. Und keine Stimme geht verloren; im amtlichen Endergebnis ist sie aufgehoben – als Beitrag zur Regierungsmehrheit oder Oppositionsminderheit.
Und das Entscheidende ist: Was dieses Endergebnis angeht – auch da kann er nichts verkehrt machen. Die Last der Verantwortung für alle entscheidenden Belange ist ihm längst abgenommen. Was seine Stimme bedeutet, was der ‚Volkswille‘ ist, wozu sich die Gewählten also beauftragt sehen, das wird ihm hinterher von denen, die die Mehrheit haben, schon gesagt. Die sind dann an der Regierung und entscheiden von Amts wegen mit ihrer Macht darüber, wie es um ihn als Beschäftigten, Arbeitslosen, Rentner oder sonstigen Bürger steht und mit ihm weitergeht. Also ist er zwar seine Sorgen nicht los, aber die, wie er regiert wird, die ist er mit einem einzigen Wahlkreuz – oder auch ohne – los.
Nach der Wahl ist er dann schon wieder ganz frei – frei zu meckern darüber, was die Gewählten ihm wieder alles an Lebensumständen herbeikommandieren. Daneben kann er sich wieder ganz darum kümmern, damit zurechtzukommen. Da hat er genug zu tun.
Der Wähler kann also gar nichts verkehrt machen beim Wählen –
Wählen ist ganz einfach verkehrt!
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Liebe Gegenstandpunktler, seit 40 Jahren kommt von Euch derselbe Sermon.
Wenn ihr irgendwann einmal angefangen hättet, was Nützliches zu tun, was wirklich Emanzipatorisches, etwas was euch selbst und andere dazu anregt, etwas zu gestalten – dann hättet ihr was vorzuweisen.
Jetzt seid ihr nur die alten Gegenstandpunktspießer geworden. Weniger schlau als ihr meint.