Neue Hilfen für den badischen Chemiearbeiter „zu seinem Unterhalt und zur Fortpflanzung seiner Rasse“:
Work-Life-Balance bei BASF
BASF, einer von Deutschlands internationalen Vorzeige-Konzernen, eröffnet Ende 2013 unter viel öffentlichem Hallo in Ludwigshafen ein „Mitarbeiterzentrum für Work-Life-Management“. Die Verantwortlichen der Firma haben nämlich ein allgemein verbreitetes Phänomen entdeckt: „Beruf und Familie miteinander zu vereinbaren, ist eine große Aufgabe und Herausforderung.“ (Info-Broschüre) Und zwar ausdrücklich nicht nur für die werten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, sondern auch für das Unternehmen, dass gut daran tut, sich um Angebote für die Bewältigung dieser Herausforderung zu kümmern. Denn: „Beide Seiten profitieren davon, wenn es gelingt… Nur so können wir alle gemeinsam das beste Team bilden – zum Erfolg unseres Unternehmens.“ Das Geheimnis liegt den BASF-eigenen Experten zufolge in der richtigen Balance zwischen beiden Seiten: „Die Balance zwischen Arbeit und Privatleben ist die entscheidende Grundlage für Zufriedenheit und Leistungsfähigkeit. Davon profitieren Beschäftigte und Unternehmen gleichermaßen.“
Wenn nun schon über die positive Wirkung einer gelungenen Work-Life-Balance für alle Beteiligten keinerlei Zweifel bestehen – „Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter erhalten, Arbeitssicherheit erhöhen, Fehlzeiten senken“ – bleibt nur noch die Frage, worin die offenbar immerzu prekäre Balance von Arbeit und Privatleben nach Auffassung der BASF eigentlich besteht und wie man sie am besten herstellt.
Work
Auf der Seite Work gibt es zunächst ganz viel, an dem im Sinne der Balance einfach nichts zu ändern ist. Hier heißt der Zweck nicht „Balance“, sondern laut offenherziger Auskunft der Firma „Unternehmenserfolg“ = wachsender Profit, und von dem aus definiert allein die Firma, was die Leute zu leisten haben. Dass das nicht wenig, sondern viel und immer mehr ist, versteht sich von selbst. Denn der Erfolgsmaßstab des Unternehmens ist der eines Weltmarktführers:
„Um überall auf der Welt Chancen auf profitables Wachstum zu nutzen, ist die BASF in mehr als achtzig Ländern mit Gesellschaften vertreten und liefert Produkte an eine Vielzahl von Geschäfts- partnern nahezu überall auf der Welt.“ „BASF will ihre Position als weltweit führendes Chemieunternehmen weiter ausbauen. Wir bauen damit auf den erfolgreichen vergangenen Jahren auf und haben ehrgeizige Ziele für die Zukunft definiert.“
Entsprechend haben die Mitarbeiter von BASF nicht nur viel Arbeit; letztere hat zunehmend auch die Eigenschaft „dicht“ – und das bleibt nicht ohne Folgen: „Tatsächlich habe die Verdichtung der Arbeit Probleme mit sich gebracht, die neu sind.“ (FAZ, 9.11.13)
Auf dieser Grundlage können die Mitarbeiter sich in dem Zentrum dann beraten lassen, wie sie auf dieser Seite der Waage umschichten können. Bei aller Unverrückbarkeit des Firmenzwecks und seiner Sachnotwendigkeiten findet sich nämlich doch einiges, was geht. So kann die Firma ihren Mitarbeitern z.B. folgende schöne Entdeckung über die Handhabbarkeit des Arbeitsortes unterbreiten:
„Nicht alle Aufgaben Ihres Arbeitsalltags erfordern unbedingt die Anwesenheit am Arbeitsplatz. Durch Teilearbeit können Sie Ihre Aufgaben ganz oder teilweise von zuhause aus erledigen und erhalten auf diese Weise wertvolle Flexibilität für die Einteilung Ihrer Arbeit.“ (Broschüre)
Wie schön, dass nicht jeder jederzeit das Büro mit sich vollstellen muss, wenn er die anfallende Arbeit auch außerhalb des Büros erledigen kann – um auf diese Weise sich und der Firma den Gefallen zu tun, seine „wertvolle Flexibilität“ zu steigern.
Ähnliches geht auch in Sachen Arbeitszeit. Wenn die schon von immer weiterer „Verdichtung“ geprägt ist, dann steht das Mitarbeiterzentrum z.B. dafür bereit zu prüfen, ob und wie sie sich – in Kombination mit einer Flexibilisierung des Arbeitsortes – in kleine und immer kleinere Einheiten zerstückeln und im Rahmen von Gleit-, Teil- und sonstigen Arbeitszeitmodellen hin und her verschieben lässt. Sodass Work wirklich nur so viel, wie auch echt produktiv ist, von der Zeit für Life auffrisst. Und letzteres hat es ja seinerseits in sich:
Life
Der Zweck der Firma ist gesetzt, sein Erfolg unterstellt – das ist Work. Dem unterziehen sich die Mitarbeiter wegen ihres Zwecks – Life. Dafür, fürs geschätzte Privatleben, legen sie sich ins Zeug und in der Firma krumm. Was sie mit dem Geld, das ihnen der Job bringt, und der Zeit, die er ihnen lässt, anstellen, ist denn auch ihre private Angelegenheit, geht also die Firma erst einmal überhaupt nichts an. Wie überhaupt niemand anderen. Das ist ja der Sinn von „Privatleben“ – einerseits.
Was an dem privat ist und was nicht – darüber macht sich zumindest die BASF andererseits überhaupt nichts vor.
„Egal ob Lebenskrise, Pflegefall, finanzielle Schwierigkeiten, Konflikte am Arbeitsplatz, Probleme mit Suchtmitteln oder Depression – das LuCare-Team, zusammengesetzt aus Experten der BASF-Sozialberatung, steht den Ratsuchenden zur Seite. Jede Lebensphase hat ihre eigenen Themen. Als Unternehmen liegt uns viel daran, unsere Mitarbeiter mit diesen Themen und damit verbundenen Herausforderungen nicht allein zu lassen, sondern sie zu begleiten und zu unterstützen.“
In der Form der Aufzählung von „Lebensphasen“ und den jeweils dazu gehörenden „Themen“ reden die Zuständigen von BASF ziemlich abgeklärt darüber, wie wenig individuell, bunt und frei ausgesucht es zugeht, wenn „unsere Mitarbeiter“ das Werkstor Richtung Freizeit hinter sich lassen:
Erstens weiß der fürsorgliche badische Arbeitgeber – Stichwort „finanzielle Schwierigkeiten“ –, dass das Privatleben, in das er seine Leute nach Dienstschluss entlässt, nicht unwesentlich von der Finanzausstattung geprägt, heißt: schwierig gemacht ist, die er ihnen dafür mitgibt. Seine Lohnfindung orientiert sich nun einmal nicht an den individuellen Bedürfnissen und Vorlieben der Empfänger, sondern am „profitablen Wachstum“ von BASF; wie umgekehrt die Preise, die die BASFler davon bezahlen müssen, das – schon wieder – „profitable Wachstum“ derer befördern sollen, die die Preise verlangen, also ganz sicher nicht danach gestaltet werden, wie gut das Gehaltskonto der Konsumenten ausgestattet ist.
Zweitens ist der Konzern mit seinen „Experten der BASF-Sozialberatung“ genauso wie mit Angeboten zur Kinderbetreuung, zur Hilfe bei der Bewältigung von Pflegefällen usw. darauf eingestellt, dass das Privatleben seiner Arbeitskräfte nicht nur durch die finanzielle und zeitliche Grundausstattung, die es ihnen zukommen lässt, in deutliche Schranken gewiesen, sondern auch seinem Inhalt nach einigermaßen fremdbestimmt ist: Wenig ist zu sehen von frei gewähltem und ausgestaltetem Familienglück, aber viel von familiären Notwendigkeiten, die den Einzelnen offensichtlich regelmäßig überfordern. Von der Kindererziehung bis zur Pflege alter Angehöriger, überall in seinem Alltag trifft der Privatmensch auf Anforderungen teils gesetzlicher, teils allgemein sittlicher Art, die ihm das Leben schwer machen; auf gesellschaftliche Einrichtungen, die nicht danach funktionieren, wie es die Betroffenen am leichtesten oder überhaupt nur am erträglichsten fänden, sondern Sachzwänge dafür stiften, dass sie funktionieren.
Zu den modernen Sitten und Gebräuchen, die das private Glücksstreben so stereotyp und in so vorhersehbarer Weise zu einem privaten Lebenskampf machen, gehört schließlich drittens eine äußerst fatale Manier, mit den Widrigkeiten und Gemeinheiten des Alltagslebens umzugehen. So nämlich, dass die freie Privatperson sich in die Pflicht nimmt, mit allen „Herausforderungen“ fertig zu werden – äußerst bequem, diese Manier, für das gesellschaftliche System, das seinen Reichtum für bessere Sachen verwendet als für ein leichtes Leben seines Fußvolks; nur sehr strapaziös und nicht selten seelisch ruinös für die Leute, die eigentlich nichts weiter als von ihrem Leben etwas haben wollen. Die werden dann gerne depressiv; ihren Lebensgenuss verschaffen sie sich per Suchtmittel; und das ist für das große Ganze dann doch nicht so bequem. Denn dann funktionieren sie nicht mehr so recht; Aufgaben, die die Gesellschaft von ihren Privatleuten erledigt haben will, bleiben liegen; und am Ende leidet auch noch die Arbeit, weil Leute sie tun, um sich ein schönes Leben zu machen, und dazu irgendwann keine Lust mehr haben.
Das ist es dann, das Life: Eine Ansammlung von Lasten, kleinen Schwierigkeiten bis großen Katastrophen, so stereotyp, so vorhersehbar, dass die BASF für alles garantiert einen Experten parat hat, wenn die „Ratsuchenden“ kommen. Wie das Arbeitsleben von hinten bis vorn auf einen Zweck hin durchgetaktet ist, der vollständig bei der Firma und ihrem Profit liegt, so ist die gefeierte private Gegenwelt dazu letztlich nur die zweite Hälfte einer Existenz, die durchgehend bestimmt ist von dem gesellschaftlichen System des Geldverdienens und der sozialen Verpflichtung auf Brauchbarkeit und reibungsloses Funktionieren. Das macht so manchen unbrauchbar. Nicht bloß fürs private Glück, sondern auch noch für den Job. Und dabei will die Firma es nicht belassen. Sie kümmert sich um die
Balance
– um eine Lebenshilfe für Werksangehörige, die punktuell oder generell, psychisch oder sonstwie, befristet oder überhaupt, das Funktionieren nicht mehr hinkriegen.
Eine interessante Gunst.
Was die menschenfreundliche Firma nicht ruhen lässt, das sind der Sache nach notwendige Konsequenzen eines gesellschaftlichen Systems, zu dessen Säulen und Nutznießern sie gehört. Mit der Hochglanz-Angeberei in Sachen Wachstum seiner hier und in aller Welt produzierten und realisierten Gewinne führt der Konzern sich stolz als Profiteur der herrschenden Verhältnisse vor, in denen alles aufs Geld ankommt. Konfrontiert ist er damit, dass diese Verhältnisse auch für seine Belange ein paar Schattenseiten produzieren: in Form von Mitarbeitern, deren Belastbarkeit für das „work“ im wunderbaren Anilin- und Soda-„Team“, für das die Firma sie bezahlt, zu wünschen übrig lässt. Den Widerspruch will BASF aus„balancieren“. Und zwar auf die einzige Art und Weise, wie das systemgemäß und systemgerecht zu machen ist: an den Betroffenen. Wer sie braucht, kriegt Lebenshilfe dafür, an sich selbst die Balance zwischen der Last des Jobs und den Drangsalen privater Daseinsbewältigung so hinzukriegen, dass „es“ klappt. Wenn Arbeit und Privatleben zwei jeweils für sich nach Ansprüchen und Bedingungen komplett definierte Sphären des Lebens und damit nun einmal so sind, wie sie sind, und wenn sie als solche einander in die Quere kommen, dann muss der Mensch sich so herrichten, dass alles aufgeht, was es an Ansprüchen beider Sphären an ihn gibt.
Wie die Hilfe aussieht, ist damit auch klar. Wo die Zeit nicht reicht, um alle Verpflichtungen abzuarbeiten, nimmt die Firma ihren Angestellten die Kinder schon mal ab oder richtet das kompensatorische Krafttraining gleich neben der Werkshalle resp. im Büroturm ein oder schickt einen Sozialarbeiter vorbei. Und wo’s grundsätzlich wird, da spendiert sie eine Runde „Sozialberatung“, die dem Mandanten Angebote macht, wie er für sich einen Weg aus seinem Lebensunglück findet, dessen mangelnde Bewältigung ihn sonst womöglich auch noch sein Lebensmittel, den Job, kosten könnte: Angebote, sich als „Balance“-Problem zu definieren, um selber wieder „ins Gleichgewicht“ zu kommen.
Wie schön für den Chemieriesen, dass viele Betroffene dieses Angebot dankbar als Hilfe annehmen. Der Wille, brauchbar zu bleiben und dafür Belastungen auszuhalten, ist anscheinend ziemlich belastbar; und brauchbar sowieso. Dass es BASF allein darum geht, dass das „Work“ flutscht, das müssen ihre Helfer noch nicht einmal verschweigen.