Im Kafe Marat fand im September 2012 eine Lesung mit Texten des rumänischen Schriftstellers Mihail Sebastian statt. Zusammengestellt hatten die Texte Thomas Ebermann und Berthold Brunner. Gelesen hatte der Schauspieler Robert Stadlober. Genannt haben sie ihren Abend „Mihail Sebastians Tagebücher (1935 bis 1944). Voller Entsetzen, aber nicht verzweifelt.“
Ganz kurz nach dem Kriegsende vor 70 Jahren starb Mihail Sebastian im Sommer 1945.
Mihail Sebastian war Jude, ein Senkrechtstarter im Milieu der Intellektuellen und KünstlerInnen, von unglaublichem schriftstellerischen Talent und konnte es mit den Pariser Vorbildern der literarischen Moderne aufnehmen. Naiv war er nicht, den rumänischen Antisemitismus hatte er seit seiner Kindheit zu spüren bekommen. Dass nationalistische StudentInnen am Nationalfeiertag Jüdinnen und Juden verprügelten, war zur Routine geworden. Er wusste das, beschrieb es akribisch und war erschrocken. Und will doch nicht, dass das sein ganzes Leben bestimmt. Sein Leben sollte lustvoll sein, nicht gerade moralisch einwandfrei und auch nicht unbedingt heroisch. Dann schon lieber über die eigenen Macken, Schwächen und Kaputtheiten selbstentblößend und witzig schreiben und zugeben, wie einem der Erfolg seines Theaterstückes umtreibt, wie man von Karriere träumt, wie gekränkt man ist, wenn man nicht der einzige Liebhaber der schönsten Bukaresterin ist. Schamlos sein wie André Gide!
Die erst vor wenigen Jahren veröffentlichten Tagebücher von Mihail Sebastian erhielten begeisterte Kritiken. Sebastian schildert eindrucksvoll die politischen Verhältnisse der 1930er und 1940er Jahre in Rumänien.
Als Journalist, Literaturkritiker und Übersetzer in der KünstlerInnenszene von Bukarest erlebt er die Zuspitzung der antisemitischen Propaganda und den Terror der faschistischen „Eisernen Garde“. Einige seiner engen FreundInnen werden zu überzeugten AnhängerInnen des Faschismus. Mihail Sebastian beschreibt die sich steigernden antisemitischen Maßnahmen der Regierung des Marschalls Antonescu minutiös, von der Erhöhung der Mieten für Jüdinnen und Juden und der Beschlagnahme seiner geliebten Ski und des Radiogeräts, bis zu den Razzien und Deportationen. Die Tagebücher bieten einen Blick in den Alltag aus Diskriminierung und Furcht, aber auch in Momente der Hoffnung und literarischer Leidenschaft.
Thomas Ebermann (Foto 1) und Robert Stadlober (Foto 2) haben aus den Tagebüchern eine szenische Lesung erstellt.
Die Soziale Welt sendet am Mittwoch, den 13. Mai 2015 ab 17 Uhr ein Interview mit Thomas Ebermann und Ausschnitte aus der Lesung mit Robert Stadlober.
Fotos: Felicitas Hübner