In jeder Krise braucht man gute Freunde, die die Dinge für einen machen, die man selbst nicht machen will. Für die Bundesregierung ist die Türkei ein guter Freund geworden. Ein verlässlicher Partner in der Flüchtlingskrise. Und weil man über Freunde nicht zu schlecht reden sollte, werden Artikel über die aktuelle Lage in der Türkei, häufig nicht mehr auf den Titelseiten gebracht. Allerdings bleibt die Situation angespannt. Wir sprachen mit dem stellvertretenden Parteivorsitzenden der Linkspartei, Tobias Pflüger. Als Erstes wollten wir von ihm wissen, was eigentlich gerade im Südosten der Türkei los ist.
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Aus Anlass der Wahlen in der Tuerkei 2015 – Nov. 2015:
Erdogans Partei AKP sieht ihren Wahlsieg als
Freibrief fuer die Fortsetzung der Law- und
Order-Politik nach innen und der Kriegspolitik
gegen die Kurden-PKK und Deutschland ruft
zur „Maessigung“ einer Politik auf, derem
obersten Einpeitscher Erdogan BRD-Merkel
gerade die Aufwartung gemacht hat.
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Der oberste Tuerke Erdogan gewinnt mit seiner Partei die absolute Mehrheit und nimmt dies
als Bestaetigung für seine quasi-autokratische Politik des Durchgreifen gegen oppositionelle
Demokratieanhaenger und gegen die Kurden-PKK (Politik der „Stabilitaet“ lt. E.), und die
deutsche Politik ruft zur Zurueckhaltung auf – und das angesichts dessen, wo Merkel mit
ihrem Staatsbesuch gerade zur Aufwertung Erdogans als fuer Europa brauchbare Figur
aktuell zur Bewaeltigung der Fluechtlingsfrage beigetragen hat. Auch wenn dies nicht mit
ausdruecklicher Billigung der selbstherrlichen Brutalitaeten erdoganischer Politik einhergeht:
ein entschiedener praktischer Einspruch wie in anderen Faellen (siehe Russlands „Bestra-
fung“ mit Wirtschafts-, diplomatischen, politischen Sanktionen und Schaerfung des gegen
Russland in Stellung gebrachten militaerischen Drohpotentials wegen dessen Aufbegehren
gegen die weitere Entmachtung durch den Westen, durchgezogen am Beispiel Ukraine und
Krim) liegt auch nicht vor. Und dann zur „Maessigung“ Erdogans aufzurufen, der die laue,
matte Absetzung von dessen autokratischen Herrschaftsusancen, seine Einstufung als
wichtiger Pfeiler Europas, dessen geostrategischer Partner in der Sicherheit wiegen laesst,
die Politik der „harten Hand“ fortzusetzen oder sogar zu verschaerfen, ist nicht nur eine
Dummheit, sondern ziemliche Gehaessigkeit gegenueber den Opfern der autoritaeren Ma-
chenschaften des Obertuerken gegen Widerstaendler.
2015
by Projekt Kritische Politik- und
Sozialstaatsanalyse
In Ergänzung zum vorstehenden Kommentar anlässlich der Türkeiwahlen Nov. 2015
und zur Ausräumung von Missverständnissen/Abgrenzung von den Freunden der
imperialistischen Demokratien des Westen folgende wichtige Anmerkung:
Vorstehendes ist nichts aus der Sichtweise eines Parteigaengers westlicher Demokratie
Hervorgehendes, dem es fernliegt, sich Rechenschaft darueber abzulegen, aus welchen
Gruenden die Herrschaftsgepflogenheiten eines Erdogans zur nationalen Verfasstheit
der tuerkischen Gesellschaft passen, sondern am Masstab des unerschuetterlichen Da-
fuerseins fuer die buergerliche Demokratie als „beste aller Herrschaften“ sollen davon
abweichende Regierungsstile polit-moralisch blamiert werden.
Deswegen Folgendes zu diesen Demokratiefans, die der Bundesregierung zynische poli-
tische Berechnungen vorwerfen nach dem Motto: „Tausch“ Einspannung der Tuerkei
als Helfershelfer der EU-Fluechtlingsverstauuungspolitik gegen Duldung der rauhen Herr-
schaftsmethoden Erdogans. An der Haltung der dt. Regierung kann man vielmehr ein-
mal mehr studieren, dass Demokratie westlicher Provenienz nie der Zweck von Herr-
schenden ist, hierzulande probate Herrschaftsweise zur schlagkraeftigen Organisie-
rung einer kapitalistischen Produktionsweise und auf der Grundlage Mittel des Herbei-
regierens nationalen Machtgewinns ist – woanders eben nicht aufgrund anderer polit-
oekonomischer Voraussetzungen, liegend im Verhaeltnis von Obrigkeit und Brauchbar-
keit des Volkes fuer diese und umgekehrt: liegend darin, inwieweit das Volk auf den
Staat als positives Mittel seiner Existenzweise, die Dienerschaft an einer nationalen
Reichtumsproduktion ist, angewiesen ist.
Staatliche Kritik aus dem Westen an anderen Staaten wg. mangelnder oder fehlender
Demokratie zielt nie auf diese Herrschaftsusance an und fuer sich, sondern gegen die
Herrschaftszwecke anderer Staaten, die zu „unseren nationalen Interessen“ querlaegen.
2016
by Projekt Kritische Politik- und
Sozialstaatsanalyse
E r g ä n z e n d es – B e r i c h t i g e n d e s zum Türkei-Kommentar v. 8.4.16
Das im Kommentar v. 8.4.16 festgehaltene Allgemeine zum
Verhaeltnis von Staat und arbeitenden Volk und inwieweit letz-
teres im Rahmen flaechendeckenden kapitalistischen Benutzungswesen die Monopolge-
walt als positive Bedingung braucht und verlangt und der Staat die nationalweite
Freisetzung des Privatmaterialismus und dessen Funktionalisierung fuer eine kapita-
listische Nationalwirtschaft zur Grundlage einer „‚Rueckversicherung“ in Gestalt von
Prozeduren des Einvernehmens des Volkes mit seiner Herrschaft hernimmt (daraus er-
wachsen dann die viel gepriesenen Formen demokratischer Herrschaftsbraeuche,
die nichts anderes organisieren als ein Verhaeltnis der Unterordnung eines Volkes
von Benutzten und Ausgenutzten genau unter die oekonomische Herrschaft des Ka-
pitals und den staatlichen Patron ueber dieses buergerliche Nationalgebilde) –
dies hat den Mangel, dass es fuer die Klaerung der Besonderheiten der Entwicklung
in der Tuerkei dergestalt wenig hilfreich ist. Deswegen hier nur andeutungsweise:
die Tuerkei unter Erdogan ist dabei, ein andere, zu deren bisherigen Verfassung
gegenlaeufige Staatsraeson durchzusetzen. Was bisher als Inseln kapitalistischer
Bereicherung in Symbiose mit dem Militaer eingerichtet ist/war und die bisherige Aus-
richtung der ganzen Staatsfuehrung und ihrer Unterabteilungen (Stichwort: Laizis-
mus) will E. zugunsten einer grossdimensionierten kapitalistischen Erschliesung
des Landes und Nutzbarmachung des frommen Volkes dafuer abloesen. Fuer die-
ses innernationale Kampfprogramm und dessen erfolgreiche Durchsetzung erschei-
nen irgendwelche demokratische Verfahren als hinderliche Umstaendlichkeiten zur
Entzweiung der neuen nationalen Fuehrung mit dem Volk. Daraus erklaert sich
auch, dass AKP und E. alles Abweichende, selbst aus irgendwelchen tuerkischen
Redaktionsstuben, als national unzuerlaessig bis staatsfeindlich einstufen und ver-
folgen, dagegen entsprechend rabiat einschreiten.
Das Verkehrte und Heuchlerische dazu bzgl. der Demokratiefans hierzulande ist,
dass diese unbekuemmert um den innerstaatlichen grundlegenden Machtkampf
um eine Neujustierung der tuerkischen Nation letzterer die aus fertiger buergerlicher
Demokratie bekannten demokratischen Usancen ueberstuelpen wollen bzw. gegen
diese einfordern – als ob nicht auch gestandene Demokratien des Westens ganz
schnell die beruehmten buergerlichen Freiheiten ausser Kraft setzen oder jedenfalls
einschraenken, wenn die unumschraenkte Geltung der Staatsmacht infrage ge-
stellt wird. – An den Anschlaegen in Paris Nov. ’16 kann man gewahr werden,
dass bereits ohne jeden Anhaltspunkt fuer eine tatsaechliche Gefaehrdung des
staatlichen Gewaltmonopols durch ein paar Sprengstoffanschlaege des IS der
franzoesische Staat dies zum Anlass nimmt, auf Dauer angelegte Tatbestaende
nationalen Ausnahmezu-/Notstandes in Kraft und damit bislang gewohnte zivile Um-
gangsformen im Verhaeltnis Staat-Buerger ausser Kraft zu setzen.