Die Sache mit der Leitkultur
Leitkultur – das ist ein Begriff den sich konservative Politiker zusammengebastelt haben um nicht von „deutscher Kultur“ sprechen zu müssen und somit nicht wie Björn Höcke zu klingen. Und natürlich wird die „Leitkultur“ allem voran in Bayern seit längerem hochgehalten, nicht zuletzt ist sie im Bayrischen Integrationsgesetz festgehalten. Aber ohne genauere Definition, denn genau das ist das verbindende Element. So können sich nämlich alle Stammtisch-Bazis darauf einigen, dass sie schon wissen, dass „der Araber“ sich eben nicht an die Leitkultur hält.
Da ist es dann auch ganz egal ob dieser „Araber“ Professor für Germanistik ist, seine Habilitation über Goethe geschrieben hat und seit 40 Jahren in Deutschland lebt. Die klassische bayrische Leitkultur ist eben: „Mia san mia und sagn dir, wer du bist!“
Und so wird man entweder akzeptiert, egal wo man herkommt, oder eben nicht. Hier ist nur an Joachim Herrmanns: „Roberto Blanco war immer ein wunderbarer Neger“ (Originalzitat im Beitrag) zu erinnern.
Ein schwammig definierter Leitkultur-Begriff ist eben dafür da der Mehrheitsbevölkerung das Gefühl zu geben die Zügel in der Hand zu halten und zu bestimmen was richtig und was falsch ist. Aber nicht in der Politik, sondern an den Einwanderern. Deshalb sollte das jedem und jeder zu denken geben, wenn sich der Bundesinnenminister aufschwingt und solche Regeln postuliert. Es bleibt doch die Frage ob sich die Regierungen in Berlin und München selbst an eine mögliche Leitkultur halten. Denn wenn es so etwas wirklich gibt, dann sollte die Leitkultur in erster Linie die Politik führen.
Legt man dabei das Grundgesetz als Grundlage einer solchen Leitkultur an, was wohl unstrittig sein dürfte, so kommt man recht schnell zum Fazit:
„Nein, die Regierungsparteien halten sich nicht an die Leitkultur.“ Immer wieder werden Gesetze vor dem Bundesverfassungsgericht behandelt und zur Überarbeitung an den Gesetzgeber zurückgeschickt. Am Dienstag ist am Bayrischen Verfassungsgericht die Klage gegen das Bayrische Integrationsgesetz eingereicht worden und einer der wichtigen Klagepunkte ist eben der schwammige Begriff der Leitkultur.
Aber auch wenn man de Maizieres 10 Punkte-Sammlung durchgeht, kommt man relativ schnell darauf, dass die Regierungen sich scheinbar nicht an die Leitkultur halten. Gehen wir es mal schnell durch:
1. De Maiziére meint, das Gesicht zeigen und Namen nennen zum demokratischen Miteinander gehört und spricht in diesem Zusammenhang das Vermummungsverbot bei Demonstrationen an. Dies gilt aber anscheinend nicht für Mitglieder der Exekutive, wie sonst ließe sich sonst erklären, dass dieser wichtige Teil der Leitkultur nicht auch auf Polizisten auf Demonstrationen ausweiten lässt. Wer hier berechtigt nach Namen fragt oder nur die Zurechenbarkeit von polizeilichem Handeln fordert, wird ignoriert und vom Gesetzgeber im Stich gelassen.
2. De Maiziére meint, dass Bildung und Erziehung als Wert und nicht als Instrument gesehen werden. In Bayern scheint nach langem Schlingerkurs jetzt das G9 wieder zu kommen, dennoch hatte die Regierung kein Problem an dem hohen Wert der Bildung herumzuexperimentieren. Auch scheint die Bildung von Kindern aus schlechter gestellten Familien keinen so hohen Wert wie die Bildung für Akademiker-Kinder zu haben. Und nicht zuletzt das Betreuungsgeld erscheint vor diesem Hintergrund mehr als überprüfbar.
3. De Maiziére meint, dass in Deutschland Leistung gewürdigt werde. Das klingt wie Hohn für all diejenigen, die in der Pflege arbeiten, egal ob sie für ihre eigenen Verwandten oder für die von anderen da sind. Und nicht nur für sie. Viele Menschen können in Deutschland nicht von ihrem 40-Stundenjob leben, alleinerziehende Mütter sind aufgrund ihrer Leistungen als Mutter in der Gesellschaft schlechter gestellt. Leistungslose Einkommen sind hingegen gering besteuert. Leistung lohnt sich weniger als Erben oder Geld haben. Von den Cum-Ex-Geschäften mit denen sich Multimillionäre Steuerrückerstattungen vom Staat ohne Steuern gezahlt zu haben. Und glauben sie nicht, dass die Bundesregierung das nicht wüsste. Sie hat, wie auch die Vorgängerregierungen alles dafür getan, dass es nicht nachträglich strafrechtlich verfolgt werden kann, selbst wenn es demnächst verboten werden sollte.
4. De Maiziére meint wir seien Erben unserer Geschichte mit allen ihren Höhen und Tiefen. Wenn er das ernst meinen würde, dürfte ihm wohl bewusst sein, dass „wir“ uns es verbitten, wenn ein amtierendes Mitglied der Regierung für uns den Volkskörper und seinen Willen beschreibt.
5. De Maiziére sieht Deutschland als Kulturnation und will das auch so erhalten. Das ist schön und gut so, allerdings bleibt zu fragen, ob das eine konstante Kostensteigerung für Kulturstätten rechtfertigt. Darüber hinaus sollte ihm auch bewusst sein, dass zwar jede Gemeinde auf ihre Musikschule stolz ist, wie er sagt, aber dennoch sich etliche Kinder dank Hartz 4 keinen Musikunterricht leisten können.
6. De Maiziére sieht in Deutschland die Religion als Kitt und nicht als Keil der Gesellschaft. Wie das mit seinem prägnanten Satz: „Wir sind nicht Burka“ zusammenpasst, bleibt ein Rätsel. So spaltet er anhand eines in Deutschland wirklich marginal vorhandenem Symbol der Religionsausübung und auch der Unterdrückung der Frau, diejenigen die sich zu „Uns“ zugehörig fühlen dürfen und welche nicht.
7. De Maiziére verteidigt die Kompromissfindung in Deutschland als ein Prinzip der Konfliktausübung. Damit liegt er richtig, allerdings gilt auch hier wieder für die Regierung, wer andere Anliegen ausblendet kann sich einen passenden Kompromiss schustern. Betrachtet man die Pläne zur Privatisierung der Autobahnen, so scheint der Partner zur Kompromissfindung in den Versicherungsgesellschaften und Banken gefunden worden zu sein.
8. Für de Maiziére sind wir aufgeklärte Patrioten. Schön und gut, ein Verantwortungsgefühl gegenüber dem Grund und Boden auf dem man lebt und der Gemeinschaft in der man lebt sind unabdingbar. In so fern wäre der Patriotismus sozusagen die Triebfeder das Land als Gemeinschaftsprojekt zu sehen und die eigene Verantwortung bei Wahlen und im täglichen Miteinander wahrzunehmen. Allerdings ist Patriotismus zumeist nichts anderes als Heimelei oder Deutschtümelei, bei der man zwar gemeinsam gewinnt, aber nicht verliert. Die aufgeklärten Patrioten sind viel mehr in der Zivilgesellschaft zu suchen, wo Menschen tagtäglich daran arbeiten ihre Werte in die Gesellschaft einzubringen und etwas zu erschaffen oder zu bewahren worauf sie stolz sein können. Nur in seinem Vorgarten zu sitzen, Bier zu trinken, die Deutschlandfahne zu hissen und dabei niemanden anderen zu hassen, ist der Biedermeier und hat nichts mit Aufklärung zu tun.
9. De Maiziére sieht die politische Zugehörigkeit zum Westen, der Nato und der EU als Teil der Leitkultur an. Damit zeigt sich auch wieder die Ausgrenzungstendenz des Begriffs. Wer nicht meint, dass die NATO Deutschland schützt passt nicht mehr unter den Begriff der Leitkultur, kurz, er oder sie ist „undeutsch“.
10. De Maiziére beschreibt das kollektive Gedächtnis als Teil der Leitkultur. So sieht er den Gewinn der Fußballweltmeisterschaft, aber auch den 9. November und das Brandenburger Tor als Teil solcher Erinnerungen. Nun ist es so, dass auch eine Schulklasse ein kollektives Gedächtnis haben kann oder auch die ganze westliche Welt, wie man am Beispiel des 11. Septembers erkennt. Als eine solche kollektive Erinnerung hätte er auch seine Aussage: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern.“ wählen können. Schon damals zeigte sich de Maizieres fester Glaube die Bevölkerung zu verstehen.
Was lässt sich also aus der Debatte um die Leitkultur mitnehmen, die de Maiziére so befeuert hat? Zu allererst gilt mal eins: In Deutschland sollten amtierende Amtsträger der Regierung sich nicht zum Volkskörper oder Volksgeist äußern, egal ob sie es Leitkultur oder „deutsche Werte“ nennen. Zum anderen ist die Zivilgesellschaft in der Pflicht für sich selbst herauszufinden was die grundsätzlichen Werte sind, nach denen das Zusammenleben organisiert werden soll.
Vor allem ist das eine wichtige Frage, weil diese Werte die Politik leiten sollten. Das bauchpinselnde Gerede der Politiker von einer Leitkultur lenkt von den tatsächlichen Problemen ab und schürt nur Stimmungen. Es geht darum sich zusammenzusetzen, eigene Werte erkennen und sie zu übertragen. Vor Ort mit Menschen. Und nicht in 1000 Kurznachrichten über die verschiedenen Kanäle, bei denen sich jeder nur über destruktive Kritik profiliert.
Demokratie ist Zusammenarbeit auf allen Ebenen und Vermittlung von Werten. Wenn man das berücksichtigt, dann wird schnell klar, dass die Leitkultur-Debatte nichts anderes ist als der Versuch sich in ein schwammig definiertes Wohlfühl-Deutschland zurückzuziehen, das es so nie gab. Außer vielleicht in den Zeiten, als die Mächtigen sich die Macht zurückeroberten und die Bürger aus der Politik verdrängten. Das war die Zeit des Biedermeier und der Restauration.