Die erste Hälfte des DOK.fest München war äußerst erfolgreich: Zu den Highlights zählten die Film- und Werkstattgespräche mit dem legendären Georg Stefan Troller.
Der 95-jährige Dokumentarfilmer und Journalist bot den Gästen einen Einblick in sein großes Schaffen. Der in Paris lebende Troller diskutierte mit dem Publikum nicht nur über seine Filme, sondern auch über die politische Situation in Frankreich. Das Virtual Reality Pop Up Kino im Loftcube an der Pinakothek der Moderne wird vom Münchner Publikum rege besucht. Erstmals war das DOK.fest München in der Bayerischen Staatsoper zu Gast: Hier sahen 1.500 Gäste die Premiere von GANZ GROSSE OPER. Insgesamt besuchten mehr Zuschauer das DOK.fest als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Und auch für die Filmwirtschaft wird das Festival immer wichtiger: 320 Filmschaffende nahmen am Marktplatz des DOK.forum teil. Hier stellen Filmemacher ihre Projekte potenziellen Finanzierungspartnern vor.
Erst spät richtet der akribische Beobachter Georg Stefan Troller, der für das Fernsehen unzählige Menschen vor die Kamera holte, den Blick auf seine eigene – von ironischen Zufällen durchzogene – Geschichte. In Österreich als Kind jüdischer Eltern geboren, entgeht er mit 17 Jahren nur knapp der Deportation. Kurz vor Kriegsende kehrt er als Soldat aus Amerika zurück und erhält die erste Gelegenheit, seine Menschenkenntnis zu schulen – bei der Vernehmung deutscher Kriegsgefangener, die in ihm den Besatzer sehen.
Ab den 60er Jahren berichtet Troller im PARISER JOURNAL aus der “einzigen Metropole“ und bringt im Anschluss für das ZDF über zwanzig Jahre lang die berühmten PERSONENBESCHREIBUNGEN heraus. Sein radikal subjektiver Interviewstil und ein Interesse an widersprüchlichen Charakteren sind erst umstritten, dann stilprägend für das junge Medium Fernsehen. Im Mittelpunkt der Porträts und Reportagen steht dabei bis zuletzt: das Individuum als Selbstdarsteller, Maskenträger, leidvoll Verstrickter und Glücksuchender.
Mit messerscharfen Fragen seziert der Interviewer seine Protagonisten und schält Schicht um Schicht ihre Wahrheit heraus, ohne jemals das innerste Geheimnis der Person, ihre Würde, preiszugeben. Dabei ist dem Beobachter bewusst: Es ist das eigene Gesicht, das das Gegenüber vor der Kamera zurückspiegelt. In seinen besten Momenten verwandelt sich das Frage-Antwort-Spiel zum tiefempfundenen “Beichtgespräch” und zur “Selbsttherapie”. Als “Menschenfresser” hat sich Troller selbst einmal bezeichnet und damit doch immer auch den Liebenden gemeint.
Unter seinen Protagonisten finden sich radikale Einzelkämpfer (MUHAMMAD ALI – DER LANGE WEG ZURÜCK), Menschen, die von der Gesellschaft zu Außenseitern gemacht wurden (RON KOVIC – WARUM VERSCHWINDEST DU NICHT?) oder solche, die sich selbst ins Abseits katapultiert haben (AMOK!). Der Hunger nach Geschichten führt den Journalisten auf die Straßen seiner Pariser Wahlheimat (TAGE UND NÄCHTE IN PARIS) und zu den Mördern und Schwererziehbaren ins Gefängnis (MORD AUS LIEBE, BEGEGNUNG IM KNAST).
Erst im Jahr 2001 konfrontiert sich der knapp 80-Jährige in seinem Film SELBSTBESCHREIBUNG vor der Kamera mit der eigenen Vergangenheit, der Kindheit in Wien und dem Trauma der Migration. Bis zuletzt bewahrt sich Troller dabei die hintergründige Ironie, wenn er dem Zuschauer das eigene Schicksal so offenlegt, dass der vor dem Bildschirm nicht umhin kommt, auszurufen: “Das bin ja ich!”
Georg Stefan Troller wird ausgewählte Filme seiner Werkschau persönlich vorstellen.
SELBSTBESCHREIBUNG, DE 2001, 80 Min.
TAGE UND NÄCHTE IN PARIS, DE 2004, 60 Min.