Der Medien-GAU von Odessa
Ukraine-Konflikt Stell dir vor, 40 Menschen werden abgefackelt und die freie Presse sieht weg. Wie das geht, haben die deutschen Medien am Wochenende vorgeführt. Der Bericht zum Info-GAU.
Odessa: der Gewaltexzess
Am »Tag danach«, passend zum Tag der Pressefreiheit, legte sich die Nacht über die deutsche Presselandschaft. Die sogenannten Qualitätsmedien glänzten in Sachen Odessa-Berichterstattung durch eine Nicht-Berichterstattung, die selbst in Anbetracht ihrer bekannten parteiischen Haltung bemerkenswert ist. Die Fakten: Eine proukrainisch-nationalistische Demonstration, darunter zahlreiche Parteigänger des rechten Sektors sowie Fußball-Ultras, wurden – so der Tenor der verfügbaren Infos – von prorussischen Aktivisten attackiert. Binnen Stunden eskalierten die Auseinandersetzungen zu den schwersten Straßenkrawallen seit den Maidan-Ereignissen im Februar – Schusswaffen-Gebrauch und mehrere Tote inklusive. Am Abend schließlich belagerte ein proukrainischer Lynchmob prorussische Aktivisten, welche sich in das – als Rückzugsrefugium dienende – Gewerkschaftshaus zurückgezogen hatten und attackierte die dort Schutzsuchenden mit allem, was zur Verfügung stand – darunter auch Brandsätzen und Molotow-Cocktails. Das (bislang) bekannte Ergebnis: über 40 prorussische Aktivisten verbrannten oder stürzten bei dem Versuch, sich zu retten, in den Tod. Die anwesende ukrainische Polizei griff großteils nicht oder zu spät ein; wie viele Pro-Russen außerhalb des Gebäudes getötet wurden, ist derzeit noch unklar.
Deutschland: die Totschweigemedien
Dem blutigen Gewaltexzess unmittelbar auf dem Fuß folgte die Totschweigefront der deutschen Leitmedien. Falsche Täter, falsche Opfer: Wer sich über die neue Bürgerkriegsfront in der südukrainischen Hafenmetropole informieren will, ist auch heute – zwei Tage nach der Katastrophe – fast vollends auf Blogs, russische Medien sowie Live-Clips bei der Video-Plattform YouTube-Clips zurückgeworfen. Informative Hintergrundartikel brachten lediglich zwei Ausnahmen: Spiegel Online sowie das – vom qualitätsbewußten Journalismus eher als randständig abgetane – Onlinemagazin Telepolis. Der Rest: bis dato Totalausfall. Die Mehrzahl der deutschen Leitmedien versteckte die Vorfälle in der obligatorischen Ticker-Berichterstattung, also unter »ferner liefen«. Die Online-Ausgabe der Süddeutschen brachte zwar die Basic-Facts, vermied dabei allerdings jegliche Hinweise auf Verursacher und Opfer. Bei der Berliner Zeitung rangierte Odessa ebenfalls unter »nachrangig«. Welt und Focus behandelten die Ereignisse in einem oberflächlich-allgemein gehaltenen Clip mit teils identischen Bildern. Zugeknöpft-wortkarg gab sich auch die FAZ. Die Zeit schließlich versteckte das Massaker in dem obligatorischen Newsticker-Salat und konzentrierte sich stattdessen – garniert mit den üblichen Schuldzuweisungen in Richtung Russland – auf die neuesten diplomatischen Entwicklungen.
Bemerkenswert an der skizzierten Berichterstattung ist, dass einerseits zwar alles dafür getan wurde, die Benennung von Ross und Reiter zu vermeiden. Andererseits wollte – Blood sells – kaum ein Qualitäts-Leitmedium auf knackige Bilder vom Brand-Schauplatz verzichten. Ein nachgerade absurder Zustand, der auch den Lesern sicher nicht entgangen sein wird. Noch desaströser fiel der Informations-Eiertanz bei den Öffentlich-Rechtlichen aus. tagesschau.de brachte am 3. Mai einen Artikel, der sich in seiner Zugeknöpftheit bruchlos in die beschriebene Berichterstattung einreihte. Zu wenig Infos aus erster Hand? Keinesfalls. Schlechte Leute vor Ort? Nicht wahr. Das Problem der derzeitigen ARD-Ukrainekorrespondentin Golineh Atai scheint eher darin zu bestehen, dass die von ihr gelieferten Infos entweder schlecht platziert oder aber direkt ausgebremst werden. Beispiel: ein TV-Feature über proukrainische (!!) Milizen in der Ostukraine von Ende April. Wohl irgendwann mal versendet, aber anschließend – anders als andere, »wichtigere« Beiträge – ohne Hinweis-Link im Online-Archiv endgelagert. Ein negatives Highlight lieferte die tagesthemen-Berichterstattung am Abend des 2. Mai. Moderator Thomas Roth würgte die mit Hintergrundinfos aufwartende Kollegin Atai vor laufender Kamera ab und leitete abrupt-kommentarlos zum derzeit bevorzugten Medien-Spin in Sachen Ukraine über: das Schicksal der festgesetzten, zwischenzeitlich jedoch freigelassenen und glücklich in der Heimat befindlichen OSZE-Militärbeobachter.
Den Eindruck eines auf informeller Ebene abgesprochenen Nachrichtenstopps erweckte auch die Berichterstattung des ZDF. Das Online-Portal der Mainzer offeriert die gängige Ticker-Berichterstattung zwischenzeitlich unter der Labelbezeichnung »Ukrainisches Tagebuch«. Schon von der Form her ist das dort an den Mann und die Frau gebrachte Infotainment nichts weiter als ein mediales Sparbrötchen mit kaum Info, dafür jedoch hip klingendem Etikett. Im konkreten Fall lieferte das »Tagebuch« komplett sinnbefreiten Bullshit: das bereits beschriebene business-as-usual-wir-machen-weiter-als-ob-nichts-wäre, gepaart mit Betroffenheits-Plattitüden sowie den obligatorischen – an der Stelle besonders deplatzierten – Schuldzuschreibungen. Vorteil: Via Format hat sich das ZDF-Nachrichtenportal der im Metier gängigen Faktenorientierung selbst quasi entledigt und kann – wie im konkreten Fall »Tagebuch«-Autorin Kathrin Eigendorf – den eigenen Vorurteilen entsprechend gegen Russland hetzen, dass das Leder nur so kracht.
Einseitige Berichterstattung in der Kritik
Was ist los? Die – bereits zuvor breit kritisierte – Schieflage der Ukraine-Berichterstattung hat mit dem faktischen Nachrichtenstopp in Sachen Odessa einen neuen traurigen Höhepunkt erreicht. Der Verdacht, dass die deutschen Leitmedien längst als Transmissionsriemen eingespannt sind zum Verkaufen der aktuellen Eskalationspolitik, ist nicht neu. Neu ist, dass ein Massaker, das politisch nicht in den Kram passt, gezielt totgeschwiegen, bagatellisiert und in den Hintergrund gespielt wird. Noch bizarrer wirkt der GAU der deutschen Qualitätsmedien vor dem Hintergrund der Affaire um die zeitweilige Festsetzung einer Gruppe von OSZE-Militärbeobachtern. Das Thema war nicht nur von Anfang an hochgehypt. Der Hype wurde selbst zu dem Zeitpunkt stur weiter hochgehalten, als sich die Geschichte mit der angeblichen OSZE-Mission zunehmend in Luft auflöste. Nichtsdestotrotz hielten die deutschen Leitmedien an ihrer selbstgestrickten Heldenstory fest: gut – keine OSZE-Mission, aber, immerhin: OSZE-Beobachter. Einerseits wird sich der ein oder andere fragen, wieso Beobachter im Auftrag der ukrainischen Regierung keine Kombattanten sein sollen (zumindest in der Sicht einer in Kampfhandlungen involvierten Miliz). Wesentlicher Punkt ist allerdings die Frage, ob das Aufrechterhalten dieses Spins angemessen ist im Angesicht einer eskalierten Situation. Anders gefragt: Wieso diese – vergleichsweise harm- und vor allen Dingen ziemlich belanglose – Homestory bis zur glücklichen Landung in Deutschland (und den demnächst folgenden Auftritten bei Anne Will & Co.) selbst dann krampfhaft in den Fokus gerückt werden muss, wenn anderswo Menschen im Dutzend sterben, verbrennen und in der Ukraine sozusagen der Bär steppt.
Kamera auch mal weghalten, unangenehme Nachrichten verschweigen, eigene Spins hingegen hypen. Hinzukommend die obligatorische Dauerberieselung aus Propaganda und Feindbildpflege: Bereits seit Monaten gerät die Einseitigkeit, mit der die maßgeblichen Leitmedien über den Ukraine-Konflikt berichten, zunehmend zum Ärgernis. Deutliche Kritik formulierte unter anderem die langjährige ARD-Russlandkorrespondentin Gabriele Krone-Schmalz. Kritikpunkte gegenüber dem NDR-Medienmagazin ZAPP: Die Medien hätten es – erster Kardinalfehler – komplett versäumt, ihr Publikum auf die Brisanz des geplanten Assoziierungsabkommens hinzuweisen – insbesondere Paragraph 7, der eine militärische Zusammenarbeit beinhalte. Weitere Kritikpunkte: Interessen würden seitens der Medien nicht beim Namen genannt; vielmehr würden die Interessen des Westens schöngemalt, Russland und Putin hingegen dämonisiert. Darüber hinaus habe sich in der Konflikt-Berichterstattung zunehmend ein Vokabular der Häme etabliert, wie beispielsweise »prorussischer Mob« – ein Attribut, das auf der anderen Seite selbstverständlich nie zur Anwendung käme. Hinzu kämen mangelhafte Backgroundinfos: beispielsweise über die konfliktentscheidenden Ost-West-Gegensätze in der Ukraine. Über die sei, so Krone-Schmalz, zunächst ebensowenig aufgeklärt worden wie später über die Grundlagen des Krim-Referendums. Vielmehr habe man doppelte Standards – zu begrüßende Separationen wie etwa im Fall des Kosowo oder etwa Montegrino hier, zu verurteilende Separationen wie im Fall der Krim da – auf unrefklektierte Weise als Fakten hingestellt. Die allgemeine Russland-Berichterstattung entspreche ebenfalls nicht dem Kriterium der Ausgewogenheit. So würden die Medien Errungenschaften der Ära Putin wie zum Beispiel der Anstieg des allgemeinen Lebensstandards notorisch unter den Teppich kehren. Kritik an der Medien-Berichterstattung schließlich, so Gabriele Krone-Schmalz, würde vorschnell als Antiamerikanismus abgetan.
Mit ihrer Kritik steht die langjährige Auslandskorrespondentin nicht allein. Prominentester Kollege derzeit: der renommierte Ex-ARD-Korrespondent und Buchautor Peter Scholl-Latour. Aber auch im medien- und gesellschaftswissenschaftlichen Mittelbau macht sich zunehmend Unbehagen breit angesichts der unreflektierten, einseitigen Pro-NATO-Berichterstattung. Uwe Kröger, Medienwissenschaftler an der Uni Leipzig, hat die Berichterstattung der Öffentlich-Rechtlichen mittels einer Fallstudie untersucht. Ergebnis, laut Zapp vom 16. April: Achtzig Prozent derjenigen, die während der Maidan-Ereignisse zu Wort kamen, seien Regimegegner gewesen. Hinzugekommen seien, so Kröger, fatale Einschätzungsfehler. In Verkennung der Lage hätten die deutschen Medien total auf Vitalij Klitschko gesetzt – einen Akteur, der in der Ukraine lediglich unter »ferner liefen« rangiert habe. Eine einseitige Berichterstattung konzediert auch Hanno Gundert vom Network für Osteuropa-Berichterstattung. Die Maidan-Berichterstattung sei von einseitigen Schwarz–Weiß-Schuldzuschreibungen geprägt gewesen. Die rechtsextreme Swoboda-Partei etwa sei erst nach dem Regierungswechsel in der Berichterstattung aufgetaucht. Zeitweilig habe sich in der Folge dann das Blatt gewendet hin zu einer kritischeren Berichterstattung. Spätestens mit dem Referendum auf der Krim allerdings sei das Pegel erneut umgeschlagen – hin zu den aktuellen antirussischen Attacken.
Talkshows: Putin – Russland – Krieg
Ein spezieller Fall im medialen Ukraine-Potpourri sind die fünf führenden Talkshows. Lapidar auf den Punkt gebracht: Ohne Dämonisierung lief hier überhaupt nichts. Anne Will war mit dem Thema gleich fünfmal auf Sendung. Titel der Sendungen: Putins Kampf um die Krim – Wie hilflos ist der Westen? (5. März), Putin weiter auf dem Vormarsch – Ist die Krim erst der Anfang? (12. März), Wandel durch Abschreckung – Zwingt der Westen Putin so in die Knie? (26. März), Chaos in der Ukraine – Treibt Russland das Land in den Bürgerkrieg? (16. April) und schließlich Geiseln, Terror, Kriegsgefahr – Ist die Ost-Ukraine außer Kontrolle? (30. April). In den Themenstellungen bei Günther Jauch war der Bösewicht ebenfalls klar ausgemacht. Die Sendetitel: Putins Kampf um die Krim – Wie hilflos ist der Westen? (5. März), Putin weiter auf dem Vormarsch – Ist die Krim erst der Anfang? (12. März) und schließlich – als ob Wladimir Putin das Odessaer Gewerkschaftshaus abgefackelt hätte und nicht die neuen Freunde des Westens – Kriegsgefahr in Europa – ist Putin noch zu stoppen? Auf die magischen Schlüsselbegriffe Putin, Russland und Krieg mochten auch die Kollegen Plasberg sowie Illner vom ZDF nicht verzichten. Lediglich Sandra Maischberger befleissigte sich in ihrem Talk am 18. März einer etwas zurückgenommenen Sprache.
Schlimm? Nicht ganz. Allerdings: Dass im Gros der aufgeführten Sendungen relativ kontrovers diskutiert wurde, lag weniger an den feindbildbefördernden Sendungstiteln, sondern vielmehr an den Geschäftsgrundlagen der beteiligten Formate. Zum einen funktionieren diese Talks nach dem Prinzip Kontroverse. Was heißt: Es muß mindestens einer dabei sein, der eine abweichende Meinung hat. Zum anderen ist die Kritik an der Politik des stetigen Eskalierens mittlerweile recht breit aufgestellt. Kritisch in den aufgeführten Sendungen aus sprachen sich unter anderem: die ehemaligen Auslandskorrespondenten Gabriele Krone Schmalz und Peter Scholl-Latour, der ehemalige Hamburger OB Klaus von Dohnanyi, Ex-SPD-Ministerpräsident Matthias Platzeck, der Historiker Guido Knopp, die Entspannungspolitik-Urgesteine Erhard Eppler, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher, der Journalist und ehemalige Kohl-Berater Horst Teltschik, der Linke-Politiker Gregor Gysi, die aus der Ukraine stammende Piratin Marina Weisband, der Wirtschaftsvertreter Eckhard Cordes sowie Freitag-Herausgeber Jakob Augstein.
Kritik? Pah! Weiter wie gehabt
Zwischenzeitlich scheint die Medienkritik auch bei den Medien angekommen zu sein. Wie damit umgehen? Der Deutschlandfunk war einer der wenigen, die mittels Transparenz und Dialog in die Offensive gingen. Ressortchef Friedbert Meurer etwa zeigte sich in der ZAPP-Sendung angesichts der Kritik betroffen. Auch unabhängig von dem Shitstorm, der durch den umstrittenen Anonymous-Aufruf ausgelöst worden war, habe, so Meurer, die Kritik an der Berichterstattung deutlich wahrnehmbar zugenommen. Das Verhältnis zwischen Zustimmung und Ablehnung bewege sich mittlerweile im Bereich eins zu zehn. Trotz eines zum Teil unakzeptablen Tonfalls könne man natürlich nicht alle Kritiker als Spinner abtun. Meurers Einschätzung der Stimmungslage: »Da brodelt etwas links und rechts in der Republik.« Warum berichten Journalisten so, wie sie berichten? Vielleicht liegt es einfach an der unterschiedlichen Biografie. Meurer räumt ein, dass der Großteil der maßgeblichen Journalisten dezidiert westlich, sozusagen atlantisch sozialisiert sei. Diskrepanzen zwischen Medienmachern und Medienkonsumenten sieht auch Bernd Ulrich, stellvertretender Chefredakteur der Zeit. In einem Kommentar skizzierte er die Lager wie folgt: zwei Drittel der Bürger gegen vier Fünftel von politischer Klasse und Medienelite. Schuld an der verfahrenen Situation: der Spalter Wladimir Putin.
Kriegsunwillige Bevölkerung versus kriegsgeiler Alphajournalismus? Noch deutlicher benennt ein Artikel im Onlineportal Huffington Post mögliche Ursachen. Der Beitrag von Sebastian Christ erklärt die Diskrepanz zwischen Bevölkerungs-Meinung und Journalisten-Meinung ebenfalls mit dem elitären Sozialhabitus von Journalisten. Zwei Drittel von ihnen entstammten gut abgesicherten, bürgerlich geprägten Beamtenhaushalten, nur 9 Prozent kämen dagegen aus Arbeiterfamilien. Liegts letztlich nur an den ungleich verteilten Chancen, heil den sicheren Atombunker zu erreichen? Möglicherweise könnte der seltsame Gleichschritt zwischen erster und vierter Gewalt jedoch weitere Gründe haben – nackten, profanen Lobbyismus. So deckte ein Autor der Freitag-Community auf, dass das ZDF Teile seiner Ukraine-Berichterstattung direkt von der PR-Organisation Ukrainian Crisis Media bezieht, ein pro-ukrainisches, unter anderem von dem US-Milliardär George Soros gefördertes Netzwerk. Im Zuge dieser Connection führte das ZDF unter anderem auch ein Interview mit dem Führer der rechtsextremen Swoboda-Partei, Oleh Tjahnybok – unter demokratischen Aspekten eigentlich ein No-Go.
Lobbybestrahlt ist allerdings nicht nur das ZDF. Fast die komplette Führungsgarde des deutschen Leitmedien-Journalismus ist auf das Engste mit hochrangigen Stiftungen sowie sonstigen Lobbyorganisationen verbandelt. Bei Zeit-Herausgeber Josef Joffe nehmen die außerjournalistischen Aktivitäten einen kompletten Wikipedia-Absatz in Beschlag. Dabei, unter anderem: die Atlantik-Brücke sowie die Beiräte der Trilateralen Kommission, der Goldman Sachs Foundation sowie – aufgemerkt, hier wird es außenpolitisch – der Münchner Sicherheitskonferenz. Auch bei den anderen Hochkarätern des Gewerbes sieht das Bild nicht anders aus. Problem bei dieser Lobby-Verflechtung ist – wir leben schließlich in einer freien Marktwirtschaft – weniger der pekuniäre Aspekt. Gift für die freie Presseberichterstattung sind vielmehr die daraus resultierenden Interessenskonflikte. Beispielsweise dann, wenn Gremium A (und damit auch Journalist A) an der Richtlinienentwicklung für eine bestimmte Politik mitbeteiligt ist. Verkürzt auf den Punkt gebracht: Journalist A schreibt potenziell über eine Politik, die er als Akteur selber maßgeblich mitentwickelt hat.
Dass bei derlei Konstellationen (denen im transatlantischen Herzland, den USA, übrigens ein gesetzlicher Riegel vorgeschoben ist) wenig kritische Töne aufkommen mögen, liegt auf der Hand. Zurück zu den Adressaten dieser Politik, den Leserinnen und Leser. Volkes Stimme ist in der Ukraine-Frage ziemlich einhellig. Gängigen Umfragen zufolge ist die Meinung Pro und Contra Russland ungefähr gleich verteilt. Noch deutlicher fällt das Votum im Hinblick auf Sanktionen aus. Eine Eskalation der derzeitigen Situation befürwortet lediglich eine Minderheit. Selbst bei der vergleichweise moderat anmutenden Frage Wirtschaftssanktionen schlägt das Pegel eher zur Eher-nicht-Seite aus. Auf die Berichterstattung schlägt sich die mangelnde Kriegsbegeisterung der breiten Bevölkerung allerdings nicht um. Auch der vergleichsweise dialogbereite Deutschlandfunk-Ressortleiter Meurer findet summa summarum, dass sein Sender in der Krise »einen guten Job« gemacht habe. Die Medienschelte sei sachlich gesehen unzutreffend. Andere – Beispiel: der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder (»Bloodlands«) – halten die westliche Berichterstattung für noch zu ukrainekritisch und Putins imperialistische Absichten verkennend. Trotzige »weiter so«-Parolen sind auch hierzulande zu vernehmen. Christian Neef vom Spiegel etwa befürwortet in einem Essay zur Lage ein Durchstarten notfalls auch gegen die Leserschaft und propagiert ein Schlussmachen mit fehlgeleiteter Russland-Romantik.
Medien unfreiwillige Beförderer der Friedensbewegung?
Fazit: Augen zu und durch. Angesichts der aktuellen Entwicklung bleibt nur zu konstatieren: Aus welchen Gründen auch immer scheinen die großen Medien entschlossen, notfalls auch gegen ihre Leserschaft voll durchzustarten. Seit dem Wochenende jedenfalls hat die Pro-Kriegs-Berichterstattung ein neues Level erreicht. Der Unterschied zu den Vormonaten: Auch das Unterschlagen von Nachrichten sowie das Halten von Spins selbst dann, wenn sie sich als Rohrkrepierer erwiesen, ist mittlerweile fester Bestandteil der Leitmedien-Berichterstattung. Auch im absehbaren Fall, dass (aufgrund mangelnder Aussichtschancen) niemand Beschwerde beim Presserat einlegt wegen der fortwährenden Manipulation, wird das Konsequenzen haben. Im ein oder anderen Fall ist das schade. Beispielsweise der ARD-Korrespondentin Golineh Atai, die durchaus auch nicht-mainstreamförmige Berichte abgeliefert hat, wegen der Politik ihres Senders nunmehr jedoch glaubwürdigkeitstechnisch verbrannt ist. »Glauben« ist letzten Endes das Schlüsselwort. Da ARD, ZDF und der Rest der Leitmedien mit ihrer selektiven, propagandahaften Berichterstattung fortfahren als ob nichts gewesen wäre (und auch am »Tag zwei« nach den albtraumhaften Ereignissen in Odessa gibt es keinen Grund, hier Hoffnung zu haben) – welchen Grund sollte es geben, diesen Medien überhaupt noch irgendwas zu glauben? Glaubwürdigkeitstechnisch sind ARD, ZDF und ihre privatwirtschaftlichen Äquivalente mittlerweile auf Ground Zero angelangt – nämlich beim Uhrzeit-Level. Oder einfach mal nachgefragt: Wäre diese Headline vom 4. Mai auf dem Titel von tageschau.de gelandet, wenn die abgebildeten Polizeiattackierer nicht pro-russisch gewesen wären, sondern pro-ukrainisch? – Na also.
Wie wird es weitergehen? Ungefähr so: Die Demokratie geht weiter kaputt; die Bevölkerung wird sich weiter auspolarisieren. Wo Reden nicht hilft, hat es sich mit dem Reden irgendwann gehabt – siehe das leuchtende Vorbild, die Ukraine. In Sachen Friedensbewegung wird die Entwicklung vermutlich ähnlich verlaufen. Interessante, in Sachen Organisationsfrage durchaus differenzierte Stellungnahmen, findet man mittlerweile zuhauf. Beispielsweise von dem Liedermacher Konstantin Wecker oder dem politisch engagierten HipHop-Musiker Kaveh.
Lapidares Fazit so: Sollen die Kriegshetzer ihren Riemen halt weiter durchziehen. Man kann sich anders informieren. Im Sommer, Frühherbst spätestens, wird sie in voller Pracht stehen: die Friedensbewegung.
Quelle: DER FREITAG v. 4.Mai 2014/