Diskussionsveranstaltung:
Die GDL legt den Zugverkehr weitgehend lahm – »nur« für eine Machtfrage?
Zeit: Donnerstag, 11.12.2014, 19.30 Uhr
Ort: EineWeltHaus, Schwanthalerstr. 80 RGB, Raum 211/212, U-Bahnhaltestelle Theresienwiese (U 4/5)
Da erlebt die Gesellschaft ausnahmsweise einmal, was eine Gewerkschaft kann, wenn sie ihre Mitglieder hinter sich hat und entschlossen ist, ihre Interessen gegen ihren Arbeitgeber, in dem Fall die Deutsche Bahn, auch durchzusetzen. Dann ist der Schienenverkehr tagelang ziemlich flächendeckend lahmgelegt; Pendler kommen nicht zur Arbeit und Güter nicht in die Werkshallen. Die GDL weiß: sie muss streiken, um ihren Forderungen Gehör zu verschaffen. So lange sie nicht durch kollektive Arbeitsverweigerung zur Geltung gebracht werden, zählen die Interessen ihrer Mitglieder nichts. Und was fällt der Öffentlichkeit zu dieser Offenbarung über die Marktwirtschaft ein? Nichts als die Frage, ob die Gewerkschafter für diese „Störung“ des Betriebsablaufs eine Genehmigung vorweisen können – und die entsprechende Antwort: Natürlich nicht! Gleichgültig gegen Grund und Zweck des Streiks beharren die Kommentatoren in Presse und Fernsehen darauf, dass die Lokführer gefälligst ihren Dienst für die Allgemeinheit zu leisten hätten, anstatt „Millionen“ (der Spiegel), eigentlich „ein ganzes Land“ (Wirtschaftswoche) und „seine tragende Säule, den Mittelstand“ (FAZ) „in Geiselhaft“ zu nehmen. Ein Streik, den sie nicht billigen, kann gar nichts anderes als ein „sinnloser Machtkampf“ sein, geführt zur Befriedigung der „Machtgelüste“ eines „Größen-Bahnsinnigen“ (Bild) in Gestalt des GDL-Chefs Weselsky.
Die Politik, die tatsächlich darüber befindet, was Arbeiter dürfen und was nicht, gibt der allseitigen Empörung Recht. Zwar ist „das Streikrecht ein zentrales Grundrecht, ein Eckpfeiler unserer Demokratie.“ (Arbeitsministerin Nahles) Kaum aber wird das Recht wahrgenommen, liegt ganz offensichtlich ein Anschlag auf den Sinn dieses Rechts vor: „Hier scheint das Prinzip vorzuherrschen: Wenige schauen nur auf sich. Dass einige Spartengewerkschaften für ihre Partikularinteressen vitale Funktionen unseres gesamten Landes lahmlegen, ist nicht in Ordnung.“ (ebenda) Kaum orientiert sich eine Gewerkschaft beim Fordern nicht wie die großen DGB-Gewerkschaften von vorneherein an den Interessen der Arbeitgeber und „unseres gesamten Landes“, muss ein „Gesetz zur Tarifeinheit“ her, das dem Auftreten von kämpferischen Gewerkschaften rechtlich den Boden entzieht.
Warum die GDL so viele Feinde hat, warum es in dieser Gesellschaft erstens ein kollektives Streikrecht braucht, das zweitens gegen seinen Gebrauch gleichzeitig per Gesetz geschützt werden muss, soll Gegenstand der Diskussion im EineWelthaus sein.
Nur zwei Bemerkungen:
1. Wie begründet ihr denn die Behauptung, „die großen DGB-Gewerkschaften [orientieren sich] von vorneherein an den Interessen der Arbeitgeber“ unter dem Hintergrund, dass die EVG insgesamt bessere Abschlüsse (laut „gewerkschaftsfreundlichem“ Handelsblatt) unterschrieben hat? Desweiteren hat die EVG mit der Bahn einen 150 Mio € schweren Demographietarifvertrag unterzeichnet, der Arbeitszeitverkürzungen, Weiterbildung, Eltern-Kind-Regelungen, Entschleunigung, personenorientierte Arbeit regelt, kurz alle notwendigen zeitgemäßen Anforderungen. Dies wurde von der GDL trotz Vorlage ohne Not nicht mitunterschrieben und jetzt wird versucht, dieser Notstand, der übrigens für alle Lokführer gilt, egal wo sie Mitglied sind, als kämpferisches Element um bessere Arbeitsbedingungen und Arbeitszeitverkürzung zu verkaufen.
2. Die GDL kämpft ums Überleben, weil sie mit ihren 30.000 Mitgliedern auf Dauer keinen Stich macht und will deshalb ihre Marktanteile erweitern. Das nennt man Marktwirtschaft und ist genau das Gegenteil einer Solidargemeinschaft, welche allen Beschäftigten zu Gute kommt. Wie kommt es denn zur Hochstilisierung dieses Umstandes als soziale Vorreiterschaft?
Hallo Joschek,
falls du in oder bei München wohnst könntest du ja auf der Veranstaltung vorbeischaun und deine Einwände dort vorbringen.
Ansonsten zwei Gegenfragen:
1. Warum hältst du es für einen Einwand gegen die Behauptung, die meisten Gewerkschaften orientierten sich an den Arbeitgeberinteressen, wenn ein Abschluss auch mal eine minimale Verbesserung bewirkt?
2. Wo liest du das mit der Hochstilisierung?
Hallo jds,
ich bin viel zu weit weg von München um mal vorbeizuschauen.
Ich bin etwas verwundert über eine Diskussion, wo als Antwort nur Gegenfragen kommen. Schließlich zitiere ich euren Text, wie soll ich meine Anfrage mit noch einer Frage versehen? Keine Antwort ist auch eine Antwort. Und darin sehe ich auch die ‚Hochstilisierung‘: Wenn man die Spaltergewerkschaft GDL zur Kampffrontorganisation gegen Staat und Kapital erklärt.
Die Gegenfragen waren schon ernst gemeint. Aus deiner Bemerkung geht schließlich nicht hervor, mit welcher Begründung du die Behauptung ablehnst, dass sich die DGB-Gewerkschaften grundsätzlich am Interesse ihrer Gegenseite orientieren. Oberstes Prinzip jener ist ja schließlich seit jeher die „Sozialpartnerschaft“, also der grundsätzlichen Vereinbarkeit von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen. Genau dieser Kurs hat doch zu der Misere geführt, die jetzt Ausgangslage des Tarifstreits ist, also der Kurs, die Profitkalkulationen der DB auf keinen Fall zu durchkreuzen.
Wenn die GDL sich mit diesen Zuständen grade ein wenig anlegt, behauptet doch keiner, die wären sowas wie die Vorfront eines antikapitalistischen Kampfes. Wenn überhaupt eine einheitliche Front aufgemacht wird, dann doch von ihren Gegnern: Den Konkurrenzgewerkschaften, die eine Abweichung von ihrem angepassten Kurs nicht mitmachen wollen, der Bahn, die über ihren heiligen Zweck der Proftimaximierung eh nix kommen lässt, und einer Politik, die ihre Gewalt dafür einsetzt, das sowas in Zukunft möglichst nicht mehr vorkommt.
P.S.: Der Gegenstandpunkt hat grad einen Artikel dazu online gestellt:
http://www.gegenstandpunkt.com/gs/2014/4/gs20144033h1.html