Zur Erinnerung an Christine Dombrowsky
von Günther Gerstenberg
Christine starb am 20. Juli 2010 im Alter von 59 Jahren. Wir, die wir hier in München uns zur alternativen und subkulturellen Szene rechnen, ahnten, nachdem Christine sich in der letzten Zeit Schritt für Schritt aus der Öffentlichkeit zurückzog, dass der Abschied bevor stand, und waren trotzdem zunächst sprachlos.
Bewusster Sprachverzicht ist oft eine Eigenschaft derer, die mit Büchern umgehen. Wie lästig sind Floskeln, redundante Wortkaskaden und Nonstopgebrabbel, wie eindrucksvoll sind dagegen Texte, die in gebotener Kürze Zusammenhänge auf den Punkt bringen. Christine meinte, es sei uninteressant, eigene Vergangenheiten auszubreiten: „Ich will so unauffällig gehen wie ich gekommen bin.“ Einmal tat sie uns doch den Gefallen und notierte Erinnerungen:
Augsburg 1968
Notizen einer Provinzbuchhändlerin
Ich begann eine Lehre als Buchhändlerin. In einer der größten Buchhandlungen der Stadt mit überwiegend katholischem Sortiment und entsprechendem Publikum. Dem Augsburger Klerus also.
Im ersten Lehrjahr verdiente ich 123 Mark. Es regte mich nicht weiter auf. Immer hatte ich gehört, der Buchhandel sei was für höhere Töchter. Ich wohnte noch bei meinen Eltern – so ging es irgendwie. Im übrigen war ich froh, einigermaßen unbeschädigt das Gymnasium überstanden zu haben. Gelesen habe ich Heinrich Böll, James Baldwin und viel über den Nationalsozialismus.
Diakonisse wollte ich werden. Ich war in einer Gruppe kritischer Christen. Wir waren begeistert von Dorothee Sölles politischen Nachtgebeten,den Arbeiterpriestern in Frankreich, der Befreiungstheologie in der Dritten Welt.
Mit Elan und Überzeugungsdrall fing ich an in dieser Buchhandlung. Im ersten Jahr arbeitete ich fast nur im Packraum – wickelte Pakete aus, andere ein, brachte Bücher zur Post, wurde immer unzufriedener, bekam häufig Krach mit meinen Eltern, die fanden, eine schlechte Lehrstelle sei besser als keine. In dieser Zeit gab es noch Kleiderordnungen im Buchhandel. Wir durften keine Hosen tragen – es galt als anzüglich. Die Begründung, falls es überhaupt eine gab, habe ich vergessen. Aber … jeden Morgen kletterten wir auf eine fünf Meter hohe Leiter, um das Taschenbuchsortiment aufzufüllen, und die Kunden – der Augsburger Klerus eben – kuckten interessiert und ausdauernd nach oben.
Wir waren fünf oder sechs Lehrlinge. Die Buchhandlung finanzierte sich so. Wir wurden immer unruhiger, schlechtgelaunter und hörten, dass Lehrlinge anderer Betriebe, mit denen wir glaubten, nichts zu tun zu haben – Metaller – ein „Kehr-In“ auf dem größten Platz in Augsburg veranstalten wollten. Teilgenommen haben wir nicht. Wir fühlten uns ja noch immer als höhere Töchter. Was gingen uns Lohnabhängige an. Dies sollte sich bald ändern.
Wir lasen von einer Gruppe, die sich „Literaturproduzenten“ nannte. Kritische Lektoren und Verlagsangestellte: Frank Benseler, Walter Boehlich, Dieter Lattmann, Hannes Schwenger, Peter Weismann. Sie forderten eine IG Kultur. Wir fielen aus allen Wolken. Mit Proleten sollten wir uns zusammentun?
Das nächste Treffen dieser Gruppe fand in München statt, und wir fuhren hin. Gesprochen wurde über Lohnarbeit, schlechte Bezahlung, Abhängigkeit Und: „Auch wir müssen uns endlich gewerkschaftlich organisieren, Tarifverhandlungen sollen her!“ Es regte uns ziemlich auf. Dann wählten wir unsere Vertreter. Stimmrecht hatte, wer anwesend war.
Nie zuvor hatte es im Buchhandel Tarifverhandlungen gegeben. Die Unternehmer, die sich als solche überhaupt erst definieren mussten, waren zutiefst erschrocken und gelähmt. Später wurde geschrieen. Auch bei der ersten Tarifverhandlung, die unter lautem Gebrüll begann. Als einer unserer Vertreter zu einem Unternehmer meinte: „Das können Sie nur so lange sagen, wie Ihnen der Betrieb noch gehört“, musste die Verhandlung für längere Zeit unterbrochen werden. Der angesprochene Herr war in Ohnmacht gefallen. Ihm gehörte die älteste deutsche Buchhandlung.
Die Tarifverhandlungen dauerten. Wir traten in die Gewerkschaft ein. Denen waren wir nicht geheuer – unser elitäres und anarchisches Auftreten irritierte sie. Irgendwann wurde es mir zu langweilig in der Gewerkschaft. So hatte ich mir das nicht vorgestellt. Mir war’s zu brav.
1971 beendete ich meine Lehre. Ich verließ Augsburg. Einen Arbeitsplatz im Buchhandel hätte ich nicht gefunden. Mein Chef hatte seine Kollegen über meine Aktivitäten informiert.Geschichte quer.
Zeitschrift der bayerischen Geschichtswerkstätten 7/1999,
Aschaffenburg, Seite 49
Christine Dombrowsky kam 1972 nach München und schuftete ein Jahr im Akkord in der Fräserei bei Siemens. Dann zog sie beim Trikont-Verlag ein und arbeitete dort.
1967 hatten Mitglieder der Außerparlamentarischen Opposition den Verlag gegründet, der bis 1986 existierte. Namensgeber war die Tricontinentale, eine ständige Konferenz der Befreiungsbewegungen der sogenannten Dritten Welt, die in den sechziger Jahren auf Cuba tagte. Der Münchner Verlag wurde durch die Veröffentlichungen der Texte von Fidel Castro, Che Guevara, Regis Debray und Ho Chi Minh in den ersten drei Jahren seines Bestehens einer der wichtigsten Verlage der Neuen Linken und initiierte und förderte die Entstehung neuer sozialer Bewegungen.
In den 70er Jahren erschienen u.a. Texte aus den USA, Nordirland, Italien und Beiträge zur Frauenbewegung, Imperialismustheorie, Judenfrage und Kapitalismus. Und Trikont wurde zum Ausgangspunkt des ersten autonomen feministischen Verlags in der Bundesrepublik.
Christine hatte Freundinnen, unter ihnen Gertraud Will. Gertraud wurde verhaftet, weil sie ihrem Verlobten Roland Otto zur Flucht verholfen haben soll. Christine erinnerte sich:
… Und dann war noch irgendwas mit einer Reisetasche, in der theoretische Schriften der RAF und eine Knarre lagen …
„Kurz danach durfte ich Gertraud besuchen. Nie zuvor hatte ich ein Gefängnis von innen gesehen. Ich wusste nichts von Anstaltsordnungen, Besuchsregeln, Wächtern. Es war auch egal. Gertraud wurde nicht als gewöhnliche Gefangene behandelt, sie war eine „Politische“ und ihre Haftbedingungen entsprechend: ohne Kontakt zu Mitgefangenen, allein in der Zelle, keine Geräusche von außen, Zeit hatte jede Bedeutung verloren, denn ständig brannte eine Neonröhre. Die Isolationsfolter empfand sie so und litt monatelang unter rasenden Kopfschmerzen, bis der Anstaltsarzt ihr endlich Medikamente gab. Ähnlich langwierig war der Kampf um eine Wolldecke, da sie immer fror.
Immerhin – wir durften sie besuchen, wenn auch unter würdelosen Bedingungen. Vor jedem Besuch musste ich mich nackt ausziehen. Es regte mich unerhört auf, ich fühlte mich ohnmächtig und sehr einsam. Alle unsere Besuche wurden von zwei Beamten des Landeskriminalamtes überwacht. Sie schrieben eifrig und protestierten, wenn wir zu leise sprachen. Wir sagten dann gar nichts mehr und fassten uns einfach nur an – Trennscheiben gab es noch nicht – so konnten wir uns wenigstens spüren.
In dieser Zeit war ich der bewaffneten Linken ziemlich nah. Wer bei Trikont arbeitete, war gewöhnt, alle zu Wort kommen zu lassen, die sonst keine Stimme haben. Dass plötzlich verknöpfte Intellektuelle, unsere schwierigsten Autoren, die wir am meisten liebten, bewaffnet im Verlag erschienen, wunderte mich doch.
Und Gertraud? Nach zwei Jahren Untersuchungshaft kam es endlich zum Prozess. Ich erinnere mich, dass Du mir fröhlich und souverän erklärtest: „Ich bin sicher, nach dem Prozess ist sie frei.“ So war es, und meine Besuche bei Dir hörten auf …aus einem Brief an Rechtsanwalt Hartmut Wächtler vom November 1994
Mitte der 70er löste Bommi Baumanns „Wie alles anfing“ Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen aus. Beinahe 400 Personen, Verlage, Buchhandlungen, Druckereien und Institutionen erklärten sich mit Bommi und Trikont solidarisch. Der Prozess gegen die erste Herausgabe des Buches endete nach drei Jahren mit einem Freispruch … Dies sind nur vereinzelte Schlaglichter auf die Geschichte des Verlags und der Münchner APO.
Christine arbeitete bei Trikont bis 1978 und dann noch einmal 1981, engagierte sich dann in anderen Projekten (u.a. in der Basis-Buchhandlung, in der Nymphenburger-Verlagsanstalt, im Deutschen Bucharchiv, über vier Jahre in einer Anwaltskanzlei mit dem Schwerpunkt Asyl- und Ausländerrecht, im Archiv des Münchner Freidenkerverbandes) und begann 1991 alles, was den Trikont-Verlag im Umfeld der sozialen Bewegungen betraf, zu sammeln und zu archivieren.
Wie passte das zusammen: Die 68er und ein Archiv aus den Beständen des Trikont- und dianus/trikont-Verlags? Passte auch nicht, so eine Archivordnung, wo doch eine Unordnung die formierte Gesellschaft durchschüttelte, passte aber dann doch wieder, denn Christine lief nicht zwischen versifften Archivschachteln herum und ordnete; na ja, manchmal schon, aber viel häufiger diskutierte sie mit jüngeren Genossinnen und Genossen und unterstütze deren Projekte wie Ausstellungen, Vorträge, Buchpublikationen, Magister- und Doktorarbeiten …
Ihr Archiv 451, um das sich eine Gruppe von Freundinnen und Freunden scharte, nannte sich nach Ray Bradburys Roman „Fahrenheit 451“. Fahrenheit 451 – 232 Grad Celsius, der Hitzegrad, bei dem Bücherpapier Feuer fängt und verbrennt.
In den Beständen des Archivs 451 finden sich unter anderem
- Sämtliche Buchpublikationen, Autorenverträge und Korrespondenz des Verlags,
- Zeitschriften: Autonomie – Materialien gegen die Fabrikgesellschaft, WWA – Wir wollen alles, Frauenoffensive-Journal, Blatt – Stadt-Zeitung für München, Stadtratte München etc.,
- Graues Material: Sammlung Franz Gans (Plakate ab Mitte der 60er Jahre), Raubdrucksammlung Steffi M. Black (Basis-Buchhandlung und -Antiquariat), Dokumente des Hochschulkampfs seit 1967, Zeitungsausschnittsammlung Peter Schult, Amateurfilme über die Aktivitäten der multinationalen Gruppe Arbeitersache Anfang der siebziger Jahre, Flugblätter der Arbeitersache und der Lotta Continua, Materialien der Siemens-Frauengruppe und der Projektgruppe Technologie München sowie der (anarchistischen) Roten Hilfe …
Das Archiv 451 geht über in das Archiv der Münchner Arbeiterbewegung, Ebenböckstraße 11, 81241 München.
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Mehr
Der Nachruf ihres Bruders Ulrich Dombrowsky auf www.boersenblatt.net
„Die Seele des Archivs 451 ist gestorben“ auf blogs.taz.de
Die 68erInnen – „Wir sind Frauen – Wir sind viele – Wir haben die Schnauze voll!“
Ein Gespräch mit Christine Dombrowsky, Barbara Tedeski und Petra Finsterle im Club Voltaire München
im Juli 2008
Zur Erinnerung an Christine Dombrowsky auf dem BlattBlog
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Links
Die Erfindung des Stadtmagazins: Spiegel Online über das Blatt – Stadtzeitung für München