Der „Christopher Street Day“ wird 2011 nicht „Christina Street Day“ heißen

Nach Kontroverse um „Christina Street Day“: Münchner CSD bleibt „Christopher Street Day“
Pressemitteilung des CSD München vom 11. März 2011

„Der Münchner CSD macht in diesem Jahr die Sichtbarkeit von lesbischen Frauen zum Thema. Deshalb sollte der CSD einmalig einen weiblichen Vornamen tragen. In der lesbisch-schwulen Szene hat diese Aktion für hitzige Debatten gesorgt. Die Veranstalter wollen die Polemik um den Namen „Christina Street Day“ jetzt entschärfen und kehren zu „Christopher Street Day“ zurück. Der lesbische Schwerpunkt soll über ein neues Motto und Veranstaltungen transportiert werden.
München, 11. März 2011 – Seit Jahrzehnten treten Lesben und Schwule in München gemeinsam für ihre Rechte ein. Seit 15 Jahren veranstalten sie gemeinsam den Münchner Christopher Street Day. Das wollten die Organisatoren öffentlichkeitswirksam  in Szene setzen; einmalig sollte der CSD Christina Street Day heißen. Doch vor allem innerhalb der schwulen Szene traf die Aktion auf großen Widerstand.
Die Veranstalter – Sub, LeTRa, Münchner Aids-Hilfe und Rosa Liste- wollen die Diskussion jetzt versachlichen, der CSD soll wieder Christopher Street Day heißen.
In der Veranstaltungswoche CSD-Pride-Week wurde im letzten Jahr von der Lesbenberatungsstelle LeTRa eine Studie vorgestellt, die untersuchte, wie die Münchener Lokalpresse über Schwule und Lesben berichtet. Im Zusammenhang mit dem CSD war das Ergebnis wenig überraschend, auch wenn der Münchner CSD seit Jahren gemeinsam von Schwulen und Lesben veranstaltet wird.
In den Medien ist immer wieder von der „Schwulenparade“ die Rede, die durchs „Schwulenviertel“ zieht. Auch bei politischen Themen, die Lesben und Schwule gemeinsam betreffen, ist das so: Die Redakteure schreiben über die „Schwulenehe“ oder darüber, dass Schwule nicht adoptieren dürfen. Lesben werden meistens ignoriert.
So wurde die Idee geboren: Jemand schlug vor, übrigens ein schwuler Mann, den CSD als „Christina Street Day“ auszuschreiben, um die Öffentlichkeit charmant und provokant auf dieses Ungleichgewicht hinzuweisen. Das wurde in den Vordiskussionen zum CSD 2011 aufgegriffen. Die Veranstalter sowie sämtliche Organisationen und Vereine, die am „Münchner Szenestammtisch“ teilnehmen, einigten sich auf diese Umbenennung mit dem Motto: „Gemeinsam für uns alle“.
Der „Etikettenwechsel“ nur für dieses Jahr hat dann aber neben Zustimmung und sachlich konstruktiver Kritik auch zu heftigen Diskussionen und offener Ablehnung in der Szene geführt – auf unterschiedlichem Niveau und bei bedenklicher Aggressivität, vor allem auf Facebook und auf queer.de. Die Veranstalter haben sich nun damit in großer Runde auseinandergesetzt.
Das Ergebnis fasst Thomas Niederbühl, politischer Sprecher des CSD München und Stadtrat der Rosa Liste zusammen: „Durch die Diskussionen konnten wir erfreut zur Kenntnis nehmen, dass die historischen Stonewall-Unruhen und der Christopher Street Day für viele immer noch enorm identitätsstiftend sind. Die einmalige Umbenennung ist deshalb nicht vermittelbar. Es macht keinen Sinn, sich weiter um einen Namen zu streiten, Grabenkämpfe zu führen und die Szene zu entzweien. Schließlich sind wir in München doch mit der schwul-lesbischen Zusammenarbeit, die jetzt mancher Kritiker in Frage stellt, schon viel weiter.“
Bereits beim ersten CSD in München 1980 waren unter den 100 Leuten, die auf die Straße gingen, ein Dutzend Lesben dabei. Seit 15 Jahren tritt der CSD ausdrücklich als schwul-lesbisch auf. Die Eurogames 2004 waren ein vielbeachtetes schwul-lesbisches Großereignis. Seit zehn Jahren arbeiten Schwule, Lesben und Transgender gemeinsam an der Organisation des CSD. Sie marschieren bei der Parade miteinander, viele teilnehmende Vereine wie die Sportvereine oder das Jugendzentrum sind schwul-lesbisch. Lesben, Schwule und Transgender machen das Bühnenprogramm zusammen und feiern beim Rathaus-Clubbing gemeinsam.
„Natürlich gibt es soziale Unterschiede zwischen Schwulen und Lesben – und manchmal Kommunikationsprobleme“, räumt Niederbühl ein, „aber die gemeinsame Arbeit hat sich hervorragend entwickelt. Umso mehr hat es uns erschreckt, wie die Debatte um den Namen auch mit massiver verbaler Gewalt, Abwertung, persönlichen Angriffen und großer Lesbenfeindlichkeit geführt wurde. Denn gerade die gemeinsame Münchner Erfolgsgeschichte zeigt doch, dass es beim CSD nicht darum geht, nebeneinander – oder gar gegeneinander – zu marschieren, zu feiern und zu fordern. Es geht seit Jahren auch um ein Miteinander und Füreinander. Wir wollen nicht nur für Eigeninteressen eintreten, sondern durch ein solidarisches Miteinander gesellschaftliche Gleichstellung und Fortschritte erreichen, die Schwule, Lesben, Bisexuelle und Transgender gemeinsam betreffen. Deshalb muss, gerade nach dieser Debatte, lesbische Sichtbarkeit auf jeden Fall Schwerpunktthema des diesjährigen CSD bleiben und sich auch in einem neuen Motto ausdrücken. Die CSD-Veranstaltungen in der Pride Week sind dann eine gute Gelegenheit, gemeinsam über unsere Community und schwul-lesbische Solidarität nachzudenken – gerade mit denen, für die diese nicht selbstverständlich ist.““

Quelle: www.rosaliste.de

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Informationen

Blues in rosé – Steffi List Bilder vom CSD 2010 in Köln
Christina Street Day: Solidarität mit Lesben gefordert Interview mit Thomas Niederbühl am 3. März 2011 auf www.queer.de
Facebook-Gruppe gegen Christina Street Day am 5. März 2001 auf www.queer.de
Die Wahrheit – Der homosexuelle Mann …
… hat immer wieder Schwierigkeiten mit seinen gleichgeschlechtlichen Bündnispartnerinnen. Wie viel haben Lesben und Schwule gemein?
am 9. März 2011 in der taz
LORA-Redaktion Uferlos zitiert am 9. März 2011 die „völlig alberne Geschichtsklitterung“ und beruft sich auf den Namen der Straße, in der die Stonewall Riot‘s begannen
CSD München: Die ungeliebte Christina am 10. März 2011 auf www.queer.de
CSD München bleibt „Christopher Street Day“ am 11. März 2011 auf www.queer.de

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Reaktionen

Schwule Szene empört über Christina-Street-Day am 9. März 2011 auf www.missetaeter.info
„Scheiss Emanzen!“ – Zur Kontroverse um den Christina Street Day am 11. März 2011 auf http://allophilia.blogsport.de

3 Kommentare

  1. Dieser feige Rückzug des CSD-Titels ist ein Schlag ins Gesicht von Lesben! Er bringt klar zum Ausdruck, wie wenig Haltung und tatsächliche politische Überzeugung hinter der Umbenennung des CSDs in „Christina-Street-Day“ steckte. Wo bleibt denn eure GLAUBWÜRDIGKEIT, ihr CSD-VeranstalterInnen?? Gerade einem Politiker wie Thomas Niederbühl sollte doch (verbaler) Gegenwind nichts Fremdes sein! Aber seine Abkehr (und als Stadtrat der Rosa Liste und gleichzeitigem Vorstand der Aids-Hilfe sehe ich ihn besonders in der Verantwortung) zeigt mir eins: Er weiß, dass seine Wähler (zumeist) schwule Männer und eben KEINE lesbischen Frauen sind. Um diese Stimmen hat er jetzt -berechtigte!- Angst. Fazit: Thomas Niederbühl und die Rosa Liste vertreten lesbische Interessen nur soweit es keinen Widerstand gibt – und keinen Zentimeter weiter. Ergo ist dieser Mann für mich als Lesbe nicht mehr wählbar.
    Noch eins: Wo leben die CSD-VeranstalterInnen eigentlich? Anscheinend nicht im Internet, denn mit „massiver verbaler Gewalt, Abwertung, persönlichen Angriffen“ müssen sich Feministinnen auf Seiten und Blogs wie z.B. Mädchenmannschaft, diestandard.at schon seit Jahren auseinandersetzen. Machen sie deshalb einen auf Kuschelkurs oder kehren sie sich von ihren Überzeugungen ab? – Nein, natürlich nicht! Scharfe, meist anonyme (!) Kommentare im Netz (mensch lese sich bitte einmal die Kommentare zu einem beliebigen Zeitungs-Artikel im Netz durch: dort herrscht fast immer ein äußerst rauer Ton) können also tatsächlich Sub, Letra, Aids-Hilfe und Rosa Liste in die Knie zwingen. – Ich möchte nicht wissen, wie diese reagieren würden, wenn einmal mehr als eine symbolische Umbenennung auf dem Spiel steht! Die Kommentatoren von queer.de lachen sich jetzt sicher ins Fäustchen.

  2. Ich bin pro Christina gewesen aber gegen diktatur und billige symbolik.
    Statt ein offener Diskussion über ein evtl. kontroverse Thema zu erlauben gab’s eine Top Down pseudo demokratische Entscheidung. Und das ist jetzt nach hintern gegangen. Die Schwule Einheitspartei Deutschlands aka Rosa Liste hat grosse Mist gebaut und wir sind jetzt alle verlierer. 🙁

  3. Schon irgendwie doof da einzuknicken 🙁
    Aber wenigstens muss mensch sich wohl keine vor Selbstherrlichkeit, Ignoranz
    und Dummheit triefende Diskussionsbeiträge homonormativer Schwuler mehr
    …pressen… Da darf sich gerne jedeR angesprochen fühlen dem der Schuh passt 🙂

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