„Eine schreiende Ungerechtigkeit“, „katastrophal“, „eine gefährliche Geisterfahrt“, ein „Mühlstein“ um den Hals des Standorts, „fahrlässig“, „schlichtweg Wahnsinn“, „Note: ungenügend (6)“ – kaum liegen die „GroKo-Rentenpläne“ auf dem Tisch, schon rollt in der Republik eine „Wutwelle“ heran. Die Aufregung entzündet sich vor allem an der „Rente mit 63“: Ein „sozialpolitischer Amoklauf“ sei das, „Betrug an der jungen Generation“ bzw. eine „Verschwörung“ gegen sie. Altkanzler Schröder wirft seinen sozialdemokratischen Erben vor, ein „völlig falsches Signal“ zu senden, während der Vater der Rente mit 67, Franz Müntefering, die neue Reform schlicht für „bizarr“ und „systemfremd“ hält. Die Vizefraktionschefin der Grünen wirft Arbeitsministerin Nahles eine „Spaltung der Gesellschaft“ vor; fürchtet eine „Spaltung der Nation“ und die SZ einen „Verlust an Glaubwürdigkeit in Europa“. EU-Wirtschaftskommissar Olli Rehn erwägt sogar ein Verfahren gegen Deutschland… Gestandene Demokraten aller Couleur sind sich da einig: Bei so viel Unvernunft und „politischer Realitätsverweigerung“ kann es sich nur um „Wahlgeschenke“ handeln, um die verwerfliche Bedienung der jeweiligen „Wählerklientel“ und den anrüchigen Versuch, das eigene „soziale Profil“ zu schärfen.
Die laufende Reform: Weniger Rente für alle in der Zukunft – und ein paar SPD-Trostpflaster für den Übergang …
Wie dem auch sei: Es ist schon bemerkenswert, wie wenig eine Partei tun muss, um in den offenbar gar nicht guten Ruf zu kommen, als Sozialpolitiker „lauter Wohltaten“ ans Volk zu verteilen. Denn was die Sache angeht, hat das Rentenpaket eher weniger mit einem Geschenk zu tun. Es handelt sich nämlich um Folgendes:
„Infolge des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes wird die Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung stufenweise auf das vollendete 67. Lebensjahr angehoben. Mit dem Gesetz wurde gleichzeitig eine neue abschlagsfreie Altersrente ab 65 Jahren für besonders langjährig Versicherte geschaffen. Die langjährige Beitragszahlung wird zum einen durch eine zeitlich befristete Erweiterung dieser Altersrente für Versicherte, die die Voraussetzungen hierfür bereits vor dem vollendeten 65. Lebensjahr erfüllen, besonders berücksichtigt…Jedoch können auch für den besonders langjährig versicherten Personenkreis die demographischen Entwicklungen, die Grundlage für die Anhebung der Regelaltersgrenze waren, nicht unbeachtet bleiben. Daher ist auch bei der Sonderregelung für besonders langjährig Versicherte ein stufenweiser Anstieg des Eintrittsalters in diese Rentenart auf die derzeit geltende Altersgrenze von 65 Jahren vorgesehen. Mit dem Geburtsjahrgang 1964 ist die Anhebung der Altersgrenze auf 65 Jahre abgeschlossen.“ (Aus dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, 27.1.14)
Im Klartext: Es geht um eine vorübergehende, nur einen engen Personenkreis betreffende Ausnahme- bzw. Übergangsregelung bei der Einführung der Rente mit 67. An der Zielrichtung und dem Resultat der alten Reform, der großflächigen Rentensenkung, wird nichts zurückgenommen, daran lassen die politischen Initiatoren keinen Zweifel. Das ergänzende „Rentenpaket“ der großen Koalition – das neben der „Rente mit 63“ auch eine „Mütterrente“ und die Bremsung des in den letzten zehn Jahren herbeigeeilten Verfalls der „Erwerbsminderungsrente“ enthält, stellt nur eine „sinn- und maßvolle, übergangsweise Ergänzung“ – so die SPD – einer absoluten Rentensenkung für alle dar. Die wird fortgeschrieben, versehen mit einigen schäbigen Trostpflastern für einige Ausnahmen, die es besonders ‚verdient‘ haben. Im Fall der „Rente mit 63“ sind das nach SPD-Auskunft „Menschen, die jahrzehntelang malocht haben, als der Arbeitsschutz noch in den Kinderschuhen steckte… Wir reden von einem Anteil, der überdurchschnittliche Beitragsjahre gezahlt hat.“ (SPD-Generalsekretärin Fahimi), also entsprechend wenige, die zu den paar berechtigten Jahrgängen gehören und es auch noch auf die erforderlichen 45 rentenpflichtigen Arbeitsjahre bringen. So kommt das Rentensenkungsprogramm voran, und zugleich werden „Gerechtigkeitslücken“ geschlossen, die das soziale Profil einer modernen sozialdemokratischen Partei verunzieren. Dafür gönnt sich Arbeitsministerin Nahles sogar „einen ganz, ganz kleinen Moment des Stolzes“, zeigt sich doch damit für sie „die Menschlichkeit einer Gesellschaft im Umgang mit Schwachen … wenn sie alt und wenn sie krank sind.“
… die die Rentengerechtigkeit gefährden!
Und schon steht besagte Gesellschaft auf der Matte, um Frau Nahles klarzumachen, was Gerechtigkeit wirklich ist und erfordert:
„Was, zum Beispiel, ist gerecht daran, dass die Babyboomer ihr Studium für die Rente von einem Tag auf den anderen nicht mehr angerechnet bekommen? Was hat es mit Gerechtigkeit zu tun, dass die nach 1960 Geborenen keinen Anspruch mehr auf die alte Berufsunfähigkeitsrente haben? … Wieso dürfen finanziell ohnehin üppig und oft mit Betriebsrenten ausgestattete Facharbeiter nach störungsfreiem Berufsleben nun auch noch zwei Jahre früher abschlagsfrei in Rente gehen, während Pechvögel mit gebrochener Erwerbsbiographie als Rentner ein zweites Mal in die Röhre gucken? Wie gerecht ist es, dass Arbeitslose, die nach einem gut bezahlten Päuschen flott wieder in Lohn und Brot kamen, die Dauer ihrer Arbeitslosigkeit bei der Rente mit 63 nun voll anerkannt bekommen und Hartz-IV-Empfänger, die es viel nötiger hätten, nicht? Und wieso haben sich die Jüngeren in Zukunft mit kleineren Renten zu begnügen – obwohl sie doch länger gearbeitet haben als ihre Altvorderen?“ (Der Tagesspiegel, 20.1.)
Unübersehbar handelt es sich nicht um ein Plädoyer des Journalisten, das „Geschenk“ der Bundesregierung auf die vielen Betroffenen auszuweiten, die solche Vergünstigungen genauso, wenn nicht noch mehr verdient hätten. Gerechtigkeit geht anders! Die Auflistung der Opfer, die durch das Rentenwesen und seine Reform geschädigt werden, dient dazu, die vergleichsweise Besserstellung der vorgesehenen Sonderfälle zu verwerfen und auf einer allgemeinen, ausnahmelosen Schlechterstellung zu bestehen. Die kleinste auch nur zeitweilige Ausnahme von den Härten einer Rentenreform, die für alle ihre Lebensrechnung verschlechtert, qualifiziert diesen Personenkreis, der glatt 45 Jahre volles Arbeitsleben zustande gebracht und überstanden hat, als schon beinah unerträglich Privilegierte – und die Übergangsregelung für diese paar zehntausend Altfälle als Generalangriff auf das eherne Prinzip einer Rentengerechtigkeit: Die verlangt gebieterisch die Schädigung aller ohne Ausnahme! Andernfalls leistet sich die Politik unverdiente Wohltaten – und untergräbt damit ihr ganzes Rentensystem: „Die große Koalition zeigt sich entschlossen, die eigenen Wähler zu bedienen… Statt ihre Mehrheit für nachhaltige Generationenpolitik zu nutzen, besteht der große Konsens der großen Koalition nun wieder darin, sich zu sozialpolitischen Zwecken aus der Rentenkasse zu bedienen – und die eigenen Wählergruppen zu bedienen.“ Gerecht wäre dagegen nur, „die wichtigsten Prinzipien zu wahren … Es muss sich ‚lohnen‘, möglichst lange gesetzlich versichert zu sein.“ (ebd.) Der Autor wird wohl wissen, warum er zu Gänsefüßchen greift; zu den „wichtigsten Prinzipien“ eines gerechten Rentensystems, das sich ‚lohnt‘ gehört es, mit dem finanziellen Verlust im Falle eines früheren Renteneintritts einen unwiderstehlichen Anreiz zu schaffen, dass sich das Arbeitsvolk dem Verschleiß des Arbeitslebens möglichst lange aussetzt.
So viele hätten bessere Renten verdient – also soll sie keiner bekommen!
In demselben Geist finden sich andere Anwälte für alle möglichen Opfer des sozialstaatlichen Rentensystems.
– Der Chef der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU, Carsten Linnemann, erhebt Protest im Namen all der Beitragszahler, die überdurchschnittliche Beitragsjahre auf dem Buckel haben, aber in ihrer großen Mehrheit durch die Reform nicht besser gestellt werden: „Die fühlen sich jetzt alle betrogen!“ – wo sie doch ein unveräußerliches Recht darauf hätten, mit einer ehrliche Schlechterstellung auch anderer belohnt zu werden.
– Gerhard Schröder bricht eine Lanze für die Frauen und wundert sich, dass sie sich nicht längst zu Wort gemeldet haben: „Der männliche Facharbeiter, relativ gut verdienend, wird das nutzen können, Frauen eher weniger, weil die gar nicht auf die 45 Beitragsjahre kommen.“ Dass Frauen mit ihrer Doppelrolle als Frau bzw. Mutter und Arbeitskraft nach allen Regeln lohnender kapitalistischer Beschäftigung und staatlicher Rentensystematik es weder zu einem tauglichen Lohnarbeiterleben noch zu einer durchschnittlichen Rentenbiographie bringen, das spricht nicht gegen diese Zustände, sondern schon wieder nur gegen ‚Rente mit 63′ für die paar dazu Berechtigten. Wenn man noch weitere solche Ausgabenorgien veranstaltet, „dann wird es wieder neue, schmerzhafte Rentenreformen geben müssen, damit die Rentenbeiträge für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber bezahlbar bleiben. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.“ Dieser Sachzwang, auf den sich Schröder beruft, ist nämlich im staatlichen Rentenwesen beschlossen, das alle einschlägigen Ausgaben dem Arbeitsvolk als seine Kosten aufbürdet.
– Die Süddeutsche Zeitung tritt ein für die armen Alten, die jetzt und künftig noch mehr – da macht sich die SZ nichts vor – anfallen. Deren Elend stellt nicht das Rentensystem bloß, sondern die, die vergleichsweise etwas besser gestellt sind: „Das alles hat mit dem Kampf gegen die zunehmende Altersarmut leider nichts zu tun…Die Rente mit 63 privilegiert vor allem die deutsche Facharbeiterelite, die verglichen mit dem Durchschnittsrentner ohnehin höhere Rentenansprüche erworben hat.“ (SZ, 17.1.) Die Süddeutsche bekommt dabei Schützenhilfe; Die Zeit führt ihren Lesern vor, wie vergleichsweise luxuriös es sich als langjährige Facharbeiterelite lebt: „Wer 45 Beitragsjahre nachweisen kann, muss in der Regel sein Mittagessen nicht aus der Suppenküche holen.“ (28.11.13)
– Wer denkt da an die wirklich armen Rentner? Die Grünen tun es: „Sicher ist jetzt schon, dass in Zukunft das Rentenniveau noch geringer ausfallen wird als ohne Reform. Das trifft alle Rentnerinnen und Rentner – auch solche mit sehr kleinen Renten. Haben sie das verdient?“ (Vizefraktionschefin Kerstin Andreae in Die Welt, 3.3.14) Nein, verdient hätten sie vielmehr eine Regierung, die von der „prall gefüllten“ Rentenkasse erst gar nichts herschenkt, sondern „Vorsorge für die Zukunft“ trifft. Doch „stattdessen gilt, wie so oft, auch jetzt wieder: Die Rentenkasse füllt sich, der Staat bedient sich!“ (ebd.)
– Und wenn man die schäbige Logik, dass jede Schädigung des Arbeitsvolks durch Kapital und Staat an einer Stelle für mehr Rücksichtslosigkeit gegenüber demselben Volk an anderer Stelle spricht, noch etwas allgemeiner anwendet, dann zeigt sich erst die ganze Tragweite des Rentenskandals: Die Regierung ist mit ihrer Sorge um die Alten überhaupt an der falschen Stelle, weil „Armut im Alter seltener ist als im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung. Nur knapp 3 Prozent der heutigen Rentnerinnen und Rentner erhielten 2011 eine ergänzende Grundsicherung. Im Durchschnitt der Gesamtbevölkerung bezogen hingegen knapp 9 Prozent ergänzende Leistungen.“ (Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, Januar 2014) Ein paar Durchschnittsprozent weniger offiziell registrierte Armut bei den Rentnern, bzw. eine wachsende Masse im Volk, die am offiziell definierten Existenzminimum herumkrebst, das spricht dafür, dass es den Alten überhaupt und insgesamt gut geht. Und das haben sich die Alten nicht mit ihren Rentenzahlungen verdient, sondern damit schädigen sie nach Meinung der Wortführer der öffentlichen Beschwerden, für die die Logik des staatlichen Umlagesystems so eisern gilt wie das Amen in der Kirche, die kommenden Generationen, und zwar gleich doppelt: als Beitragszahler, die mehr belastet werden, und als spätere Rentner, denen die Renten gekürzt werden müssen – eine schreiende Ungerechtigkeit, die wieder ganz auf die Nutznießer der ‚Rente mit 63‘ und der anderen Regelungen des geplanten Rentenpakets der Regierung zurückfällt. Durch die Bank wird darauf verwiesen, dass wenn jetzt gemäß den Regierungsplänen mehr ausgezahlt wird, die Rente nach allen als selbstverständlich gebilligten Regeln staatlicher Rentenpolitik in Zukunft „noch geringer“ ausfallen wird. Haben etwa die kommenden Generationen einen zusätzlichen Abzugs auf ihre ohnehin bis 2030 um fünfzehn Prozent gesunkene Rente verdient? Nein, den einen rentenmathematisch ausgerechneten Prozentpunkt für die geplanten ‚Wohltaten‘ keinesfalls, die anderen fünfzehn aber immer.
Die wirklichen Leidtragenden
Schließlich kommt auch die Notlage der größten Betroffenen zu Wort, die „der Wirtschaft“ und des staatlichen Haushalts. Mit dieser Reform begeht die Bundesregierung nämlich nicht bloß einen „Betrug am Bürger“ (Verband der jungen Unternehmer), sondern sie schafft auch die Möglichkeit eines groß angelegten Betrugs durch den Bürger. Und schon die kleinste Möglichkeit ist bei dieser Materie mehr als das, nämlich ein riesiger drohender Missstand. Die Bundesagentur für Arbeit kennt da ihre Pappenheimer:
„Die BA rechnet mit weiteren beträchtlichen Kosten für den Staat, sollte die Rente mit 63 wie geplant umgesetzt werden. Hintergrund sind Befürchtungen, dass Arbeitnehmer sich künftig mit 61 arbeitslos melden könnten, um dann mit 63 abschlagsfrei in Rente zu gehen. Das wäre womöglich für solche Beschäftigte lukrativ, denen der Arbeitgeber einen Teil des Verdienstausfalls ersetzt.“ (SZ, 27.2.)
Dass Arbeitnehmer – auch noch gefördert durch ihre Anwender – selbst derart frei mit ihrer Arbeit und ihrem Verdienst kalkulieren könnten, geht in einem freiheitlichen Sozialstaat schon mal gar nicht. Zumal sie schon als die Facharbeiter eingeplant sind, auf die „die Wirtschaft“ keineswegs verzichten kann und die das staatliche Ausbildungswesen ihr sowieso viel zu wenig frei Haus liefert, so dass Unternehmen glatt in die Not geraten könnten, eventuell Arbeitskräften fürs Weiterarbeiten extra Angebote machen zu müssen:
„In der Ausbildung versagt der Staat schon lange, und jetzt kommt noch der Renten-Hammer hinzu. Es werden wieder die Unternehmen sein, die kreative Lösungen finden müsse, um möglichst vielen Arbeitnehmern das Weiterarbeiten trotz Rentenpaket des Staates schmackhaft zu machen.“ (FAZ, 4.3.)
Und wenn dieselben Unternehmer doch ihr Alteisen billig los werden wollen und mit einem etwas versüßten frühzeitigen Abschied in die Arbeitslosigkeit auch los werden, dann ist am Ende der Staat mit ’seiner Rentenkasse‘ das Opfer der Kumpanei von Arbeitnehmern und Arbeitgebern. Dagegen verspricht bzw. droht Frau Nahles allerdings längst, ihre eigene Kreativität einzusetzen: „Eine solche Frühverrentung sei politisch nicht gewollt. Sie denke deshalb ‚intensiv darüber nach, wie man das noch unattraktiver machen kann.‘“ (Die Welt, 29.1.) Arbeiter sind zum Arbeiten und zum Beitragszahlen da!
Was in jedem Fall gegen mehr Rente spricht: Das Geld und die deutsche Autorität in Europa!
Dass Gerechtigkeit im Rentensystem nur durch konsequente und ausnahmslose Schlechterstellung der Alten und Jungen zu verwirklichen ist, das scheint inzwischen so absolut zu gelten, dass es am Ende gar keiner besonderen Begründungen mehr bedarf. Da reichen letztlich die zwei Generaleinwänden, die bei vorgestellter sozialer Freigiebigkeit des Staats immer zählen: Schon die kleinste Abweichung vom ehernen Prinzip staatlicher Sparsamkeit beim Arbeitsvolk kostet erstens Geld, das einfach nicht da ist – das wissen die, die eben noch genau wussten, wie der Staat die Rentenkasse finanziert: „Als ob in Deutschland Euro-Scheine vom Himmel regnen würden!“, wundert sich die SZ. „Welches Heu wollen Sie eigentlich zu Gold spinnen, um das am Ende bezahlen zu können?“, fragt die Grünen-Fraktionsvorsitzende. „Vollständige Gerechtigkeit gibt es auf Erden nicht – und sie ist im Sozialstaat auch nicht finanzierbar!“, mahnt Norbert Blüm. Und zweitens: Schon die kleinste Abweichung vom ehernen Prinzip staatlicher Sparsamkeit beim Arbeitsvolk untergräbt die Autorität, mit der Deutschland gegenüber seinen europäischen Partnern auftritt. Das sagt nicht nur der Chef des BDI: „Wenn Deutschland anderen Euroländern rate, das Rentenalter zu erhöhen, und selbst das Gegenteil tue, koste das Glaubwürdigkeit.“ (Ulrich Grillo, BDI am 16.1.) Das sagt auch Ex-Kanzler Schröder, der vor dem Regierungsvorhaben warnt – „gerade mit Blick auf unsere europäischen Partner, von denen wir ja zu Recht Strukturreformen einfordern.“ (Die Welt, 29.1.) Auch der deutsche Imperialismus definiert eben mit, was Rentengerechtigkeit ist.
Anlaesslich einer neuen Untersuchung zur Armut im Alter – April 2016:
Zu den Heucheleien und Zynismen der Rentnerarmutsdebatte 2016
Eine neuere Untersuchung legt offen, dass in ein paar Jahren/Jahrzehnten ein Grossteil der Rentner
trotz jahrzehntelanger Beitragseinzahlungen unter den offiziellen Armutssatz der Sozialhilfe zu lie-
gen kommt.
Die daran anknuepfende oeffentliche Debatte wird von nichts als zynischen und heuchlerischen
Stellungnahmen bestimmt:
1.
Armut bei aelterer Bevoelkerung erregt erst dann Aufmerksamkeit, wenn ein signifikanter Anteil an
der jeweiligen Rentnergeneration unter Sozialhilfeniveau landet – wiewohl die jahrelange Renten-
senkungspolitik des Staates systematisch fuer dieses Ergebnis sorgt. Zudem: dass das gesetzliche
Rentensystem von seiner Grundkonzeption her auf die Erzwingung von Armutsrenten deutlich unter
irgendwelchen Netto-Durchschnittsarbeitseinkommen des ehedem aktiven Arbeitslebens angelegt
ist, die fuer sich bereits den Status gesellschaftlicher Armut durch Lohnarbeit fuer fremden Kapital-
reichtum erfuellen, ist doch genereller demokratischer Konsens. Richtige Armut entdecken die oef-
fentlichen Macher und Beobachter erst unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, definiert entlang des
jeweils zugestandenen Existenzminimums. Also:
2.
Von Armut koenne eigentlich nicht mehr die Rede sein, wenn Rentner wenigstens das Grundsi-
cherungslevel erreichen.
3.
An der Rentensenkungspolitik mit dem Einbau der beruechtigten Rentensenkungsfaktoren werde
grundsaetzlich nichts geaendert. – Allenfalls die „Stabilisierung“ auf dem erreichten bzw. bis 2030
festgeschriebenen niedrigen Niveau duerfe in Aussicht gestellt werden – welch eine Konzession?!
4.
Statt dessen sollen die kuenftigen Rentner wie bisher oder sogar vermehrt in die Pflicht genommen
werden, die staatlich verfuegte Absenkung des Rentenniveaus selber „aufzufangen“, u.a. dadurch,
dass der Fokus weiterhin auf private und betriebliche Zusatzversicherungen zu legen waere,
gemaess dem Zynismus: die erhoehte Verarmung im Arbeitsleben durch Abzwacken von Beitraegen
fuer Zusatzversicherungen soll das Mittel sein, der Altersarmut beizukommen.
Desweiteren habe das „Auffangen“ von Altersarmut durch Erhoehung des Renteneintrittsalters zu
erfolgen, also durch den Zwang zur Lohnarbeit bis zur Naehe des Endes der Lebenszeit ueberhaupt
– Arbeiten fuer die Bereicherung des Kapitals bis heranreichend an den Todeszeitpunkt wird als
probater rentenpolitischer Weg propagiert und in die Tat umgesetzt, der Armut im Alter zu begeg-
nen, also in einem Lebensabschnitt, wo dann die Alten so gut wie nichts mehr davon haben.
Grundlage des Vorstehenden sind Aussagen diverser Rentenpolitiker aus dem Regierungslager
und anderer „Rentenexperten“ in verschiedenen Medien.
Andererseits soll/will die Regierung die desastroese Lage der Rentner zum Anlass fuer eine neue
oder sogar „grosse“ Rentenreform nehmen. Da kann man ja in Anbetracht des oben Ausgefuehr-
ten nur allzu gespannt sein darauf, was da davon Abweichendes herauskommen soll.
Nachtrag – 20./21.4.16 (nach Meldungen von NDR-Info,Deutschlandfunk,Radio Bremen 1)
Inzwischen gab es erste Reaktionen der Regierungsoffiziellen. Slogan der zustaendigen Sozial-
ministerin Nahles:
Trotz der desolaten Lage der Rentner mit Riester & Co.: noch mehr Riesterei bitte schoen!
Die vernichtende Diagnose von Studien ueber die Lage der Rentner trotz und mit Riester & Co.
kontert die SPD-Ministerin damit, dass sich die in Riester und sonstige Zusatzversicherungen ge-
setzte „Erwartungen“ nicht erfuellt haetten, zu Wenige geriestert haetten.
Also: dass bei dem Gros der Leute deren armselige Einkommen fuer lfd. Notwendigkeiten drauf-
gehen, deshalb von Zusatzversicherungen eher absehen, zudem die Riesterei fuer diese nichts an
deren Altersarmut trotz angeblich grosszuegiger Staatszulagen etwas aendert, das soll den
Armen egal sein und trotzdem frohen Mutes lustig weiterriestern.
Ein Finanzminister Schaeuble setzt noch einen drauf und bringt den alten Kalauer von weiterer
Heraufsetzung des Renteneintrittsalters bis 70 ins Spiel; es soll eine Koppelung von Lebenserwar-
tung und Rentenbeginn her nach dem Motto: je hoeher die durchschnittliche Lebenserwartung,
desto mehr koennten die Leute ihre Knochen hinhalten im Arbeitsprozess.
Wie Politiker es auch drehen und wenden: ihre gemeinen Einfaelle sind von der einzigen Sorge
getragen: wie halsen wir den Leuten auf, den Unterhalt von aus dem Arbeitsleben Ausscheiden-
den fuer Staat und kapitalistische Wirtschaft moeglichst billig zu gestalten.
Ein SPD-Lauterbach vermeldet ueber Radio Bremen/ 21.4.16, man koenne das Rentenproblem
(das auch dieser Herr im Prinzip ein dem abhaengigen Volk Aufzuhalsendes ansieht! – Anm.
der Red.) nicht darueber loesen, dass die Leute die Rente nicht mehr erleben wuerden, was
wohl als Retourkutsche auf die Befuerworter der Anhebung des Rentenalters gemeint ist.
Dies ist garantiert kein Einspruch gegen die rentenpolitische Brutalitaet, dass Heraufsetzung
des Renteneintrittsalters, die die SPD bisher mitgetragen hat, eine anerkannte Kalkulations-
groesse, Stellschraube ist hinsichtlich der nationalwirtschaftlichen Entlastungswirkung bei den
Rentenausgaben. Aber muss es denn bis 70 oder darueber hinausgehen, bis ohne Rentenab-
schlaege regulaere Altersbezuege bezogen werden koennen?
Ganz schlaue Manager des „Rentenproblems“ empfehlen jetzt Aktienfonds oder gemischte Fonds
als neue Rentenversicherung privater Art: Gelder, die nichts als den Charakter von Notgroschen
fuers Alter an sich haben, sollen sich die Armen wie eine veritable Kapitalanlage einleuchten
lassen; die Micker-Ertraege auf Micker-Einzahlungen in Kapitalfonds sollen Vehikel dafuer sein,
der Rentnerarmut ein Schnippchen zu schlagen – vorausgesetzt, der Fonds hat nicht saemtliche
Einlagen in haltloser Spekuliererei mit diesen verpulvert.
© 2016
by Projekt Kritische Politik- und
Sozialstaatsanalyse
Zu den Heucheleien und Zynismen der Rentnerarmutsdebatte 2016
Eine neuere Untersuchung legt offen, dass in ein paar Jahren/Jahrzehnten ein Grossteil der Rentner
trotz jahrzehntelanger Beitragseinzahlungen unter den offiziellen Armutssatz der Sozialhilfe zu lie-
gen kommt.
Die daran anknuepfende oeffentliche Debatte wird von nichts als zynischen und heuchlerischen
Stellungnahmen bestimmt:
1.
Armut bei aelterer Bevoelkerung erregt erst dann Aufmerksamkeit, wenn ein signifikanter Anteil an
der jeweiligen Rentnergeneration unter Sozialhilfeniveau landet – wiewohl die jahrelange Renten-
senkungspolitik des Staates systematisch fuer dieses Ergebnis sorgt. Zudem: dass das gesetzliche
Rentensystem von seiner Grundkonzeption her auf die Erzwingung von Armutsrenten deutlich unter
irgendwelchen Netto-Durchschnittsarbeitseinkommen des ehedem aktiven Arbeitslebens angelegt
ist, die fuer sich bereits den Status gesellschaftlicher Armut durch Lohnarbeit fuer fremden Kapital-
reichtum erfuellen, ist doch genereller demokratischer Konsens. Richtige Armut entdecken die oef-
fentlichen Macher und Beobachter erst unterhalb der offiziellen Armutsgrenze, definiert entlang des
jeweils zugestandenen Existenzminimums. Also:
2.
Von Armut koenne eigentlich nicht mehr die Rede sein, wenn Rentner wenigstens das Grundsi-
cherungslevel erreichen.
3.
An der Rentensenkungspolitik mit dem Einbau der beruechtigten Rentensenkungsfaktoren werde
grundsaetzlich nichts geaendert. – Allenfalls die „Stabilisierung“ auf dem erreichten bzw. bis 2030
festgeschriebenen niedrigen Niveau duerfe in Aussicht gestellt werden – welch eine Konzession?!
4.
Statt dessen sollen die kuenftigen Rentner wie bisher oder sogar vermehrt in die Pflicht genommen
werden, die staatlich verfuegte Absenkung des Rentenniveaus selber „aufzufangen“, u.a. dadurch,
dass der Fokus weiterhin auf private und betriebliche Zusatzversicherungen zu legen waere,
gemaess dem Zynismus: die erhoehte Verarmung im Arbeitsleben durch Abzwacken von Beitraegen
fuer Zusatzversicherungen soll das Mittel sein, der Altersarmut beizukommen.
Desweiteren habe das „Auffangen“ von Altersarmut durch Erhoehung des Renteneintrittsalters zu
erfolgen, also durch den Zwang zur Lohnarbeit bis zur Naehe des Endes der Lebenszeit ueberhaupt
– Arbeiten fuer die Bereicherung des Kapitals bis heranreichend an den Todeszeitpunkt wird als
probater rentenpolitischer Weg propagiert und in die Tat umgesetzt, der Armut im Alter zu begeg-
nen, also in einem Lebensabschnitt, wo dann die Alten so gut wie nichts mehr davon haben.
Grundlage des Vorstehenden sind Aussagen diverser Rentenpolitiker aus dem Regierungslager
und anderer „Rentenexperten“ in verschiedenen Medien.
Andererseits soll/will die Regierung die desastroese Lage der Rentner zum Anlass fuer eine neue
oder sogar „grosse“ Rentenreform nehmen. Da kann man ja in Anbetracht des oben Ausgefuehr-
ten nur allzu gespannt sein darauf, was da davon Abweichendes herauskommen soll.
Nachtrag – 20./21.4.16 (nach Meldungen von NDR-Info,Deutschlandfunk,Radio Bremen 1)
Inzwischen gab es erste Reaktionen der Regierungsoffiziellen. Slogan der zustaendigen Sozial-
ministerin Nahles:
Trotz der desolaten Lage der Rentner mit Riester & Co.: noch mehr Riesterei bitte schoen!
Die vernichtende Diagnose von Studien ueber die Lage der Rentner trotz und mit Riester & Co.
kontert die SPD-Ministerin damit, dass sich die in Riester und sonstige Zusatzversicherungen ge-
setzte „Erwartungen“ nicht erfuellt haetten, zu Wenige geriestert haetten.
Also: dass bei dem Gros der Leute deren armselige Einkommen fuer lfd. Notwendigkeiten drauf-
gehen, deshalb von Zusatzversicherungen eher absehen, zudem die Riesterei fuer diese nichts an
deren Altersarmut trotz angeblich grosszuegiger Staatszulagen etwas aendert, das soll den
Armen egal sein und trotzdem frohen Mutes lustig weiterriestern.
Ein Finanzminister Schaeuble setzt noch einen drauf und bringt den alten Kalauer von weiterer
Heraufsetzung des Renteneintrittsalters bis 70 ins Spiel; es soll eine Koppelung von Lebenserwar-
tung und Rentenbeginn her nach dem Motto: je hoeher die durchschnittliche Lebenserwartung,
desto mehr koennten die Leute ihre Knochen hinhalten im Arbeitsprozess.
Wie Politiker es auch drehen und wenden: ihre gemeinen Einfaelle sind von der einzigen Sorge
getragen: wie halsen wir den Leuten auf, den Unterhalt von aus dem Arbeitsleben Ausscheiden-
den fuer Staat und kapitalistische Wirtschaft moeglichst billig zu gestalten.
Ein SPD-Lauterbach vermeldet ueber Radio Bremen/ 21.4.16, man koenne das Rentenproblem
(das auch dieser Herr im Prinzip ein dem abhaengigen Volk Aufzuhalsendes ansieht! – Anm.
der Red.) nicht darueber loesen, dass die Leute die Rente nicht mehr erleben wuerden, was
wohl als Retourkutsche auf die Befuerworter der Anhebung des Rentenalters gemeint ist.
Dies ist garantiert kein Einspruch gegen die rentenpolitische Brutalitaet, dass Heraufsetzung
des Renteneintrittsalters, die die SPD bisher mitgetragen hat, eine anerkannte Kalkulations-
groesse, Stellschraube ist hinsichtlich der nationalwirtschaftlichen Entlastungswirkung bei den
Rentenausgaben. Aber muss es denn bis 70 oder darueber hinausgehen, bis ohne Rentenab-
schlaege regulaere Altersbezuege bezogen werden koennen?
Ganz schlaue Manager des „Rentenproblems“ empfehlen jetzt Aktienfonds oder gemischte Fonds
als neue Rentenversicherung privater Art: Gelder, die nichts als den Charakter von Notgroschen
fuers Alter an sich haben, sollen sich die Armen wie eine veritable Kapitalanlage einleuchten
lassen; die Micker-Ertraege auf Micker-Einzahlungen in Kapitalfonds sollen Vehikel dafuer sein,
der Rentnerarmut ein Schnippchen zu schlagen – vorausgesetzt, der Fonds hat nicht saemtliche
Einlagen in haltloser Spekuliererei mit diesen verpulvert.
© 2016
by Projekt Kritische Politik- und
Sozialstaatsanalyse