Die Parolen des DGB zum 1. Mai 2013 – sie kommen einem bekannt vor. Und auch der Aufruf unterscheidet sich wenig von denen der Vorjahre:
„Aus sicheren Arbeitsplätzen wurden oft unsichere Jobs … im Niedriglohnsektor. Immer mehr Beschäftigte leiden unter schlechten Arbeitsbedingungen und Stress…“.
So klagt der DGB nicht erst heuer, sondern seit der Agenda 2010 der früheren rot-grünen Regierung, deren Programm die seitherigen Regierungskoalitionen mit welchen Parteifarben auch immer Punkt für Punkt umgesetzt haben.
Warum aber ändert sich nicht nur nichts an den beklagten Zuständen, warum werden sie immer schlimmer, und zwar für immer mehr Beschäftigte, obwohl der DGB alle Jahre am 1. Mai fordert, jetzt müsse endlich mal Schluss sein damit?
Dass Parolen, Demos und Kundgebungen am 1. Mai 2013 wenig gegen diese Zustände in deutschen Unternehmen und gegen die Verschlechterungen der Sozialversicherungen ausrichten, liegt auf der Hand. Feiertagsreden und aufmärsche beeindrucken Unternehmen und Politik wenig. Aber was tun eigentlich die DGB-Gewerkschaften vom 2. Mai bis zum 30. April des nächsten Jahres gegen „schlechte Arbeitsbedingungen und Stress“, gegen Leiharbeit und Niedriglöhne, gegen Rentenkürzungen und Verlängerung der Lebensarbeitszeit zu Lasten der Rentner? In diesen 52 Wochen produzieren die Arbeiter und Angestellten in den Betrieben die Gewinne der Unternehmer zu Bedingungen, die den Beschäftigten nicht von oben aufgezwungen, sondern von den Gewerkschaften mit den „Arbeitgebern“ vereinbart werden. Weil dafür Arbeitskräfte gebraucht werden, hätten diese doch in der Gewerkschaft das Mittel, ihren Dienst zu verweigern, wenn sie Arbeitslöhne und Arbeitsbedingungen für unzumutbar halten – hätten, wenn sie wollten; und wenn die Gewerkschaft das wollte. Aber genau an diesem Willen fehlt es dem DGB und seinen Mitgliedsgewerkschaften, darunter der „mächtigsten Gewerkschaft der Welt“, der Industriegewerkschaft Metall.
Warum er das für genau die richtige Strategie hält, damit hält deren Vorsitzender Berthold Huber auch keineswegs hinter dem Berg: Er erklärt, warum die deutschen Gewerkschaften das ganze Arbeitsjahr über nichts gegen all das tun wollen, was er und seine Vorsitzenden-Kollegen als Redner am 1. Mai als „unsoziale Missstände“ anprangern. Im TV-Sender Phoenix warf er am 14. Oktober letzten Jahres spanischen Gewerkschaften vor, dass sie für die Verteidigung der nicht gerade üppigen spanischen Reallöhne gegen Inflationsverluste gekämpft haben. Das nannte er eine „Fehlentwicklung“:
„Die spanischen Metallgewerkschaften haben in erster Linie den Reallohnausgleich als Sinn und Zweck ihrer Tarifpolitik gesehen. Wir hatten in Spanien ja in der Tat zwischen 4–7 % Inflationsraten. Damit haben die spanischen Gewerkschaften ihren Vorteil verspielt, dass sie nämlich billiger als die deutsche Industrie waren.“
Er wirft den spanischen Kollegen also vor, sie hätten mit ihrem Beharren auf Inflationsausgleich eine schöne Chance zur automatischen Lohnsenkung durch die relativ hohe Inflation in Spanien verpasst. Dabei hätten sie doch die Lohnkosten für ihre Kapitalisten im internationalen Vergleich erheblich verbilligen können, wenn sie einfach die Inflationsverluste hingenommen hätten. Eine erstaunliche Kritik eines Gewerkschaftsvorsitzenden an anderen Gewerkschaften! Seit wann haben es denn die Arbeiter so dick, dass sie für den Erfolg ihrer Kapitalisten großzügig auf einen Teil ihres Lebensstandards verzichten können? Den Gürtel können sie wohl beliebig enger schnallen?!
Wozu bekennt sich Huber damit? Zu Löhnen, die offenbar nicht in erster Linie dazu da sind, dass die Beschäftigten damit bezahlen können, was sie zum Leben brauchen. Sondern vor allem dazu, dass sie die Konkurrenzerfolge der Kapitalisten sicherstellen – auf Kosten ihrer Arbeitskräfte. Zugleich gibt er damit an, wie „klug“ die IGM unter seiner Führung ihre Chance genutzt hat. Sie hat die Inflationsrate in Deutschland seit der Finanzkrise mit ihren Lohnabschlüssen nicht ausgeglichen und damit eine Verbilligung ihrer Leute bewirkt, die für die deutschen Konzerne und den deutschen Standort äußerst vorteilhaft ist.
Am deutschen Lohnsenkungs-Vorbild sollen sich die europäischen Kollegen nun ein Beispiel nehmen! Was aber kommt heraus, wenn alle Gewerkschaften in Spanien und in ganz Europa Hubers Rezept befolgen? Nicht genug damit, dass die „Arbeitgeber“ seit Jahren die Lohnspirale durch die Erpressung ihrer Belegschaften mit Arbeitsplatzverlust nach unten drehen. Nicht genug damit, dass der deutsche Staat mit der Agenda 2010 in Deutschland einen Niedriglohnsektor eingerichtet hat: Huber tritt dafür ein, dass die Gewerkschaften zusätzlich von sich aus den Kapitalisten ihres Standorts niedrigere Löhne zugestehen sollen. Er organisiert eine Unterbietungskonkurrenz in Sachen Lohn gegen die europäischen Nachbarn, damit die in Deutschland beheimateten Kapitale ihre europäischen Konkurrenten mit geringeren Lohnstückkosten unterbieten und fertig machen können. Die IG Metall trägt damit als selbstbewusste Co-Managerin der Senkung des nationalen Lohnniveaus ihr Teil zum Verdrängungswettbewerb auf dem Weltmarkt bei.
Haben denn die Arbeiter die Gewerkschaften nicht einmal für den umgekehrten Zweck erfunden? Wollten sie nicht einstmals durch ihren Zusammenschluss den Kapitalisten Löhne und Arbeitsbedingungen aufzwingen, an die sich alle Unternehmer halten müssen, damit die nicht reihum ihre Belegschaften mit dem Hinweis auf niedrigere Löhne bei Konkurrenten zu Lohnsenkungen erpressen können? – Der heutige IGM-Vorsitzende und der DGB sehen das anders: Sie wissen zwar, dass sich das kapitalistische System mit den Lebensnotwendigkeiten von Lohnabhängigen nicht verträgt. Wenn aber für die Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen, also deren Gewinninteresse, auf Arbeiterseite Verzicht nötig ist, ist der für die IG Metall alternativlos. Daher tut sie nichts dagegen, wenn die Kapitalisten Lohnsenkungen usw. mit „Konkurrenzfähigkeit“ begründen. Sie steuert sogar noch etwas dazu bei, wie Huber die spanischen Kollegen belehrt. Und an jedem 1.Mai kommt der DGB dann daher und beklagt den Schaden für die Lohnabhängigen – einen Schaden, an dem er doch selbst kräftig mitgewirkt hat. Praktisch folgt daraus nur, dass es so weitergeht.
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Damit ist auch klar, was die IG Metall in der anlaufenden Tarifrunde anstrebt. Der „faire Anteil am Aufschwung“ darfden erfolgreichen deutschen Unternehmen nicht die „Konkurrenzvorteile“ gegen die ausländische Konkurrenz wegnehmen, die sie sich mit der Senkung der deutschen Lohnstückkosten verschafft haben. So hilft die IG Metall, Arbeitslosigkeit in die anderen Ländern Europas zu „exportieren“.
Und was fällt dem Ersten Vorsitzenden der IG Metall am 1. Mai dazu ein? „Ein soziales Europa“!
Auch das passt zum 1. Mai: Vom 2. Mai bis zum 30. April müssen sich die Beschäftigten in die nationale Konkurrenz um europäische Standortvorteile einspannen lassen. Und am Jahrestag der Arbeit beschwört der DGB wegen der schädlichen Folgen dieser Konkurrenz soziale Korrekturen. Die Staaten Europas sollen ihren Werktätigen ein bisschen soziales Europa schenken, damit die weiter ihre Konkurrenz um Standortvorteile gegeneinander aushalten. Warum aber sollten das in dieser Konkurrenz erfolgreiche Staaten wie Deutschland tun? So wie diese die Konkurrenz ihrer Völker betreiben, fahren sie doch bestens!
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Nachtrag des DGB in seinem Aufruf zum 1. Mai 2013:
„2013 ist kein Jahr wie jedes andere. Am 2. Mai vor achtzig Jahren wurde die freie deutsche Gewerkschaftsbewegung durch die Nationalsozialisten zerschlagen. Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter wurden von den Nazis verhaftet, verschleppt, gefoltert und ermordet. Unsere Geschichte verpflichtet uns zum Handeln gegen Rassismus, Antisemitismus und Intoleranz. Der 1. Mai ist unser Fest der Solidarität und kein Ort für Nazis.“
Ist der DGB wirklich so vergesslich, wie der erste bezahlte Mai-Feiertag damals wirklich ablief: Am 1. Mai vor 80 Jahren feierte die Vorgängerorganisation, der Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB), zusammen mit der neuen Reichsregierung den ersten „Feiertag der nationalen Arbeit“: An den Gewerkschaftshäusern der freien Gewerkschaften (des ADGB) wurden schwarz-weiß-rote Flaggen aufgezogen. Die Führungen dieser Gewerkschaften beteiligten sich an den von der NSDAP organisierten Aufmärschen. Ihnen leuchtete ein, dass das deutsche Proletariat seinen Teil zum „nationalen Aufbruch“ des beginnenden „Dritten Reichs“ beitragen sollten. Was vielen von ihnen nicht einleuchtete, war, dass sie diesen Beitrag nicht autonom mitorganisieren durften, dass die Reichsregierung am 2. Mai den ADGB auflöste und in die neu gegründete „Deutsche Arbeitsfront“ eingliederte. (Und dann alle, die damit nicht einverstanden waren, mit aller Staatsgewalt verfolgte – ohne dass der ADGB dagegen auch nur einen Finger rührte…)
Das ist in der demokratischen Bundesrepublik gaaaanz anders: In ihr machen freie Gewerkschaften wie die IG Metall in aller Freiheit mit den deutschen Kapitalisten der Metall- und Elektroindustrie gemeinsam Front gegen die ausländische Konkurrenz… Und der Bundesregierung würde im Traum nicht einfallen, diesen freiwilligen Beitrag der Gewerkschaft zum deutschen Erfolg in der Konkurrenz durch eine Zwangsverpflichtung zu ersetzen.