„Die Griechen kommen!“ ins Werkstattkino

Griechenland hat sich zum jüngsten Wunderland des Kinos entwickelt. Dabei präsentiert sich diese Kinematografie der Ränder und Grenzen vielgestaltiger als die meisten anderen nationalen Filmkulturen, die in den letzten Jahren Aufsehen erregten. Die Filme erzählen alle mal mehr, mal weniger direkt von denselben Problemen: Das Land ist wirtschaftlich tot, seine Politik ein einziges Miasma. Dazu kommt eine Xenophobie, die selbst in der Festung Europa monströs wirkt. Das 20. Jahrhundert war zwar kurz, hat Griechenland aber gründlich verwüstet. Und das sieht man in den Filmen. (Olaf Möller)
__________________________________________________________________________
Münchner Erstaufführung
10. – 23.5.2012, 20.30 Uhr

ATTENBERG

Griechenland 2010. Regie & Buch: Athina Rachel Tsangari. Kamera: Thimios Bakatakis.
Mit Ariane Labed, Vangelis Mourikis, Evangelia Randou, Yorgos Lanthimos.
HD Digital. Farbe. 95 Minuten. Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
ATTENBERG beginnt mit einem ungelenken Zungenkuss zwischen zwei jungen Frauen vor weißer Wand. Die eine findet es eklig, den Speichel und alles, die andere versucht ihr beizubringen, wie weit sie den Mund öffnen muss und wie man trotzdem Spaß haben kann. Es endet aber nicht etwa in einer lesbischen Liebesszene, sondern eher in einem Kleinmädchenspiel, bei dem die beiden sich anfauchen wie Katzen. Und so ist der ganze Film von Athina Rachel Tsangari: Die bildhübsche Heldin ist unentschlossen, ob sie Männlein oder Weiblein oder eher gar nichts begehrt, und versucht, die Liebe so zu lernen, während ihr Vater gerade an Krebs stirbt.
Aber schon sein Sterben wird auf eine so unsentimentale, fast verspielte Weise gezeigt, die alles unterläuft, was man an trüben Erwartungen mitbringt. Und die tristen Kleinmädchenbilder aus dem maroden griechischen Hafenort werden unterschnitten mit Einlagen der jungen Frauen, die eher in einem Musical oder Pippilotti Rist-Video Platz haben als im griechischen Sozialelend, so dass man geradezu beschwingt aus dieser parallel gewobenen Erweckungs- und Sterbechoreografie geht. Lange neonbeleuchtete Krankenhausgänge und Deflorationsphantasien zusammenzubringen, ohne dass es erzwungen erscheint, ist schon eine Leistung.
(Michael Althen)


Der Tag wird kommen / An dem meine Seele / Nicht mehr voll Schmerz ist /
Der Tag an dem / Auch ich jemanden habe / Der mich liebt. (Francoise Hardy)

17.-20.5.2012, 22.30 Uhr
DOGTOOTH
(Kynodontas) Griechenland 2009. Regie: Yorgos Lanthimos.
Buch: Efthymis Filippou, Yorgos Lanthimos. Kamera: Thimios Bakatakis.
Mit Christos Stergioglou, Michele Valley, Angeliki Papoulia, Mary Tsoni, Christos Passalis.
HD Digital. Farbe. 94 Minuten. Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
Ein Ehepaar mit drei Kindern lebt in einer Villa mit Freiluftschwimmbecken und weiten Rasenflächen; um das Gelände herum verläuft eine hohe Mauer. Die Kinder waren noch nie jenseits der Mauer – dorthin dürfen sie erst, sagen ihnen die Eltern, wenn sie einen Hundezahn verloren haben. Sie sprechen miteinander Griechisch, doch bezeichnen die Wörter stets etwas anderes: Zombie meint ein gelbes Blümchen, Tastatur das weibliche Geschlecht etc. Der einzige Mensch aus der Welt jenseits der Mauer, den die Kinder zu sehen bekommen, ist Christina, die als Objektschützerin in der Firma des Vaters arbeitet und nebenbei aber auch den Lendendruck des Sohnes abbaut. Die Dinge werden kompliziert, als sich Christina mit der älteren Tochter einlässt und sich diese dafür zwei Videos, JAWS und ROCKY, geben lässt. Letzterer macht mächtig Eindruck auf sie…
21.-23.5.2012, 22.30 Uhr
AM RANDE DER STADT
(Apo tin akri tis polis) Griechenland 1998.
Regie & Buch: Konstantinos Giannaris.
Kamera: Giorgos Argyoiliopoulos. Musik: Akis Daoutis.
Mit Stathis Papadopoulos, Kostas Kotsianidis, Panagiotis Chartomatzidis, Theodora Tzimou.
35mm. Farbe. 94 Minuten. Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
Sie hängen in den Clubs herum, klappern die Bordelle ab, düsen im Cabriolet durch die nächtlichen Straßen; sie leben von kleinen Diebstählen und lesen am Omonia-Platz Freier auf. Das sind die zumindest offensichtlichen Eigenschaften, die die Mitglieder einer Gruppe von jungen Pontoi miteinander verbindet – Grekorussen, Mainstream-Griechenlands zweitverhassteste Minderheit, die von der Schwarzmeerküste stammen und jetzt in Menidi leben, einem verarmten, heruntergekommenen Viertel am westlichen Stadtrand Athens. „Giannaris‘ totales, so rasend-rauschhaftes wie hellsichtig-analytisches Kino stellt sich quer zu allen Konventionen des Filmemachens – damit auch zu einer Gesellschaft, die sich immer stärker durch Teilungen, Ab- und Ausgrenzungen definiert.“ (Olaf Möller)

Werkstattkino | Fraunhoferstr. 9 | 80469 München | 089 260 72 50