TTIP: Konkurrenz um eine neue Weltwirtschaftsordnung

Veranstaltung der Gruppe Gegenargumente

TTIP: Konkurrenz um eine neue Weltwirtschaftsordnung
Mehr Freiheiten für das Kapital im Dienste der führenden Weltwirtschaftsmächte

Referent: Ein Redakteur des GegenStandpunkt-Verlags

Zeit: Mittwoch, 17.09.2014, 19:00 – 22:00 Uhr

Ort: EineWelt-Haus München, Schwanthalerstr. 80 RGB

Großer Saal E01, U-Bahn-Haltestelle Theresienwiese U4/5

Die Geheimnistuerei, die Kritiker den USA und der EU bezüglich ihres neuen Wirtschaftsabkommens (TTIP: „Transatlantic Trade and Investment Partnership“) vorwerfen, hat offenbar nicht gut geklappt – wenn es sie überhaupt je gab. Jedenfalls sind genug Details des projektierten, von den Regierungschefs beider Seiten für unverzichtbar erklärten Vertrages bekannt, um zu wissen, was man als betroffener Bürger davon zu erwarten hat: noch mehr Freiheit für das Geschäft, uneingeschränkte Konkurrenz der Konzerne über den Atlantik hinweg, neue Rechte für ihre Kalkulationen, bis zum Anspruch, nationale Regierungen vor internationalen, keiner nationalen Rechtsprechung verpflichteten Schiedsgerichten auf Schadenersatz zu verklagen, wenn dessen politische Beschlüsse den Gewinn schmälern, mit dem der Investor aus dem transatlantischen Partnerland beim Investieren gerechnet hatte. „Liberalisierung“ in ganz großem Stil eben, die man aus Erfahrung als Rücksichtslosigkeit gegen die eigenen Lebensbedürfnisse kennt. Und die diesbezüglichen Befürchtungen, dass es zu einer Verschlechterung der Lage für Arbeitnehmerrechte kommen wird, gewohnte Sicherheiten und Schutzrechte verloren gehen, von der Medizin bis zum Wohnen, die Umwelt betreffend usw., sind sicher nicht aus der Luft gegriffen. Um wessen Freiheit es geht, wenn die Losung „Liberalisierung“ lautet, ist Befürwortern wie Kritikern des TTIP nämlich klar: um die Freiheit einer kleinen radikalen Minderheit von Nutznießern, auch „die Wirtschaft“ genannt, die ihr Interesse an möglichst immer wachsenden Gewinnen möglichst ohne jede einschränkende Bedingung über jede staatliche Grenze hinweg betätigen sollen.

Die Befürworter und Protagonisten von TTIP verheimlichen das auch keineswegs, sondern verweisen, wenn sie bei den Bürgern auf Zustimmung zu diesem Projekt dringen, auf eine Tatsache, die ja tatsächlich nicht zu leugnen ist: Vom Erfolg des nie abschließend zu befriedigenden Profitinteresses kapitalistischer Unternehmen hängen alle andere Interessen in der Gesellschaft ab. Nämlich und vor allem: Nur wenn die Unternehmen Gewinne machen und dafür in immer wachsendem Maße auch fremde Märkte und Standorte ausnutzen, können sie hierzulande – als ob das ihr Zweck wäre! – „Arbeitsplätze schaffen und erhalten“, können also die vielen Leute wenigstens irgendwie leben, die alternativlos von Einkommen aus Arbeit abhängen.

In was für einem Land leben wir eigentlich, wo das private Interesse einiger vermögender ökonomischer Subjekte das gesamte gesellschaftliche Produzieren und Verteilen bestimmt? Wie kommt es, dass ausgerechnet die Produktion eines immer größeren Reichtums für die Mehrheit nur aushaltbar ist, wenn sie – als Arbeitnehmer, als Verbraucher … – vor denjenigen geschützt werden, die das Wirtschaften bestimmen? Woher bezieht dieses partikulare Interesse eigentlich seine gesellschaftliche Macht, mit der es alle anderen von sich abhängig macht und sie benutzt? Warum braucht die nationale Marktwirtschaft so dringlich immer größere Teile des Globus, und warum kann man sich sicher sein, dass sie ihn ruiniert, sobald sie ihn benutzt? Warum bedeutet eine globale Marktwirtschaft eigentlich automatisch, dass die Nationen sich den weltweit wachsenden Reichtum streitig machen, bis dahin, dass Nationen, die nicht zu den wenigen Weltwirtschaftsmächten gehören, reihenweise ökonomisch ruiniert werden?

Leider stellen sich die Kritiker von TTIP solche Fragen nicht. Den keineswegs selbstverständlichen Umstand, dass die freie und grenzüberschreitende Betätigung der herrschenden ökonomischen Kalkulationen den Schaden für die Betroffenen und Abhängigen sicher mit einschließt, haken sie ab – und rufen den Staat an, der das Profitinteresse der Unternehmen machtvoll in die Schranken weisen soll. Ein Argument präsentieren sie nicht für ihre Vorstellung, ausgerechnet die politischen Führer ihrer Nation hätten dafür zu sorgen, dass nicht ein paar Konzerne mit ihrem Gewinnstreben den ganzen Rest der Gesellschaft beherrschen und beschädigen. Ohne jede Prüfung übersetzen sie die eigene Ohnmacht gegenüber dem herrschenden Profitinteresse in den guten Glauben an die wohltuende Macht der Mächtigen und deren gute Absichten. Nicht einmal die brutale EU-Sanierungspolitik in Südeuropa belehrt sie darüber, dass demokratisch gewählte Politiker ihre Zuständigkeit exakt darin sehen, dem kapitalistischen Gewinnemachen auf die Sprünge zu helfen, auch wenn dafür der Lebensstandard ganzer Völker geopfert werden muss. Gerade am grandiosen „europäischen Einigungswerk“ könnte man studieren, dass für die Inhaber nationalstaatlicher Hoheit die nationalen Souveränitätsrechte offenbar sehr weitreichend austauschbar sind gegen die Beteiligung an einem supranationalen Markt, um dessen ungleich größere Erträge sie konkurrieren wollen. Und wenn die europäischen Politiker in aller Freiheit und im selben Geist daran arbeiten, ihren europäischen Binnenmarkt um nicht weniger als den ökonomischen Zugriff auf die größte Nationalökonomie der Welt zu ergänzen? Dann warnen die Kritiker sie vor dem Ausverkauf europäischer Demokratie und Souveränität! Aus irgendeinem Grunde beschleicht sie auch hier nicht der Verdacht, dass das Abkommen mitsamt den befürchteten Konsequenzen im hoheitlichen Interesse der verhandelnden Staaten liegt, die daran Berechnungen knüpfen, in denen die betroffenen Völker genau so vorkommen, wie sie es befürchten, aber doch immer nicht glauben wollen.

Welche Interessen das sind, worauf und wogegen sie sich richten – darum soll es auf der Veranstaltung gehen.