Das social Distel-Ding – eine Kolumne aus dem social distancing

Unregelmäßig erscheinende Kolumne von Fabian Ekstedt. Zuerst im aktuellen LORA Magazin zu hören. Passt auf euch auf.

Teil 72 – Erschöpfung (Mittwoch, 18.08.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 18.08.2021 – 5:27 Min.

Ja, die Impfung hat eine Entwicklung im social Distel-Ding ausgelöst. Doch weder die physische Distanz, das Maskentragen noch die Kontaktnachverfolgung sind zurückgegangen. Nein, das social Distel-Ding lebt weiter, maskiert, in einiger Entfernung und mit aufrechterhaltener Vorsicht. Aber was anders wurde, als direkte Impffolge: ein Erschöpfungszustand trat ein.

Und nein, bevor jetzt gleich von einer Impfnebenwirkung die Rede ist, nein, es ist nichts körperliches, keine Genveränderung und auch keine Krankheit. Es ist einfach nur eine Erschöpfung die daher kommt, dass das social Distel-Ding jetzt auch nichts mehr tun kann. Mehr als Abstand halten, Masken tragen, Vorsicht walten und sich impfen lassen geht halt nicht. Das Soll ist also erfüllt, nur die Situation bleibt – genauer: die Pandemie-Situation bleibt.

Noch immer ist sich dieses social Distel-Ding nicht sicher.

Nicht sicher ob nicht im Herbst Mutanten und exponentielle Verbreitung die Gefahren und die Maßnahmen wieder stärker spürbar machen. Nicht sicher, ob diese verfluchte Krankheit und ihre Langzeitfolgen nicht doch noch ihren Weg in das eigene direkte Umfeld finden könnte. Nicht sicher, ob der Impfschutz des verimpften Impfstoffs wirklich gut hält und wann eine Nachimpfung notwendig wird. Nicht sicher, ob jetzt dann bald mal irgendwann der Spuk vorbei ist. Nicht sicher, woran wir das festmachen sollten und welche Expert*innen da die verantwortungsvollste Entscheidung treffen können. Einfach nicht sicher, ob es sich wirklich lohnt heute schon Pläne für die Zukunft zu schmieden.

Dieser andauernde Unsicherheitsfaktor ist schon erschöpfend. Wer dann aber noch ein wenig die Nachrichten verfolgt und mit ein wenig Voraussicht ausgestattet ist, dem wird das Aufstehen aus dem Bett an manchen Tagen zur sportlichen Höchst-Leistung.

Die Lage in Afghanistan ist mit Ansage so schlimm, so beschämend, so unerträglich geworden, dass dieses social Distel-Ding nicht darüber sprechen kann, ohne dass es ihm die Kehle zuschnürt. Dass Menschenleben so schnell an Wert und Werte so schnell an Bedeutung verlieren, ist immer wieder erschreckend.

Der Klimawandel, von dem so lange die Rede war, lässt jetzt unmaskiert seine Auswirkungen beobachten, als beinahe unberechenbarer Terrorist, der wahllos Menschen tötet und Infrastruktur zerstört. Gleichzeitig brennen Wälder und taut der Permafrostboden auf und der Weltklimarat stellt klar: Egal was wir heute tun, die nächsten 10 Jahre wird es erst einmal rasant schlimmer, bevor wir irgendwie mit größter Hoffnung eine Verlangsamung der Verschlimmerung erreichen können.

Und diese größte Hoffnung, dass nämlich politisch endlich diese Herausforderung vernünftig angegangen wird, zerschellt aktuell am zu beobachtenden Wahlkampf und der wählenden Bevölkerung. Eine Nebelkerze nach der anderen lenkt die Aufmerksamkeit weg von tatsächlichen Themen, hin zu der Grundaussage:

„Du bist gut, lieber Wähler, wir lenken dich ab von der Realität, die du verdrängen willst!“

Und so ist es auch. Statt Konzepte für schnelle humanitäre Hilfe vorzulegen, geht es darum die Sorgen zu nehmen, dass sich 2015 wiederholt. Statt Konzepte für einen schnellen Umbau der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität zu diskutieren, geht es um günstige Flüge nach Mallorca, die Klimabilanz von E-Autos, mögliche Erfindungen und nicht zuletzt um Wohlstanderhalt.

Und, besonders perfide, statt darüber zu sprechen, wie diejenigen, die in der Krise reicher geworden sind, weil sie davor schon Geld und Immobilien hatten, an den Kosten der Pandemie beteiligt werden können, werden diejenigen, die bisher noch nicht geimpft wurden, in einen unangenehmen Fokus gerückt. Mit Druck und notfalls Zwang sollen sie jetzt gefälligst ihren Arm hergeben.

Und die Debatte funktioniert, sie strahlt aus in die Freundeskreise, sie entsolidarisiert und gibt den social Distel-Dingern noch etwas an die Hand, was sie nach ihrer Impfung tun können: Andere von einer Impfung überzeugen! Denn, so das Versprechen, wenn dann alle mal geimpft sind, ist die Pandemie vorbei – konzentriert euch darauf!

Vergessen ist dann plötzlich, dass weltweit erst ca. 23,8 % der Menschen geimpft sind und dass eine Pandemie nun mal ein globales Problem ist. Hauptsache es gibt etwas zu tun.

Vergessen ist darüber aber auch, dass die Kosten der Pandemie nicht mit den Gewinnen der Pandemie verrechnet werden. Wer sich mit denjenigen streitet, die sich nicht zum Impfen zwingen lassen möchten, dem mag nicht auffallen, dass in München mittlerweile viel mehr Bentleys rumfahren. Aber während die social Distel-Dinger sich an jeden Strohhalm klammern, der irgendwie einen Weg raus aus der Pandemie verspricht, ist die Umverteilung im vollen Gange. Der beobachtbare Reichtum auf den Straßen der Städte hat deutlich zugenommen, nicht zuletzt auch dank staatlich subventionierter Dividenden großer Konzerne.

Aber das ist natürlich kein Thema für einen Wahlkampf. Der Weg raus aus der Pandemie muss natürlich aus dem Individuum heraus passieren. Genauso wie wir nur alle Menschen in unserem Umfeld zur Mülltrennung und zum Fleischverzicht bringen müssen um den Klimawandel aufzuhalten.

Nur ist diese selbst auferlegte Verantwortung auf Dauer eines: Erschöpfend!

Teil 71 – Tag 441, Tag der Impfung (Mittwoch, 09.06.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 09.06.2021 – 5:11 Min.

Heute ist es soweit. Heute wird dieses social Distel-Ding geimpft, gleich ist soweit. Nach geschätzten 8 PCR-Tests, 6 betreuten Schnelltests und mehr als 12 Selbsttests, kommt es nun mit der schärfsten Waffe gegen die Pandemie in Berührung: Der Nadel.

Als sich vor genau 63 Wochen die ersten Stachel bildeten, damit die Klopapier-Hamster an der Kasse auf Abstand gehalten werden, war dieser Schritt noch sehr weit weg. Gut damals war alles weit weg. Allem voran die Vorstellung, dass sich die Pandemie noch über mehr als 441 Tage hinziehen sollte. Dass 10 584 Stunden folgen sollten in denen das Distel-Ding in der eigenen Wohnung sitzen und sich Sorgen machen durfte: Sorgen um die Gesundheit der eigenen Lieben, Sorgen sich und andere anzustecken, Sorgen vor dem Wahnsinn, der nach zu langer Zeit aus dem Fernseher zu schreien schien…

All diese Sorgen bis zu dem Moment, in dem ein kleiner Einstich das Versprechen mit sich bringt, sich absehbar aus diesem verrückten Zustand herauszählen zu dürfen. Offiziell als „Immunisiert“ ausgezeichnet, sollen dann weitergehende Befreiungen gelten, die dennoch noch nicht an die grundgesetzlich verbrieften Freiheiten heranreichen, die in einer gesunden Welt galten. Es erwarten das social Distel-Ding eben nicht mehr Rechte, sondern nur weniger Einschränkungen als vor der Impfung.

Das Risiko schwer zu erkranken, das Risiko die Krankheit Covid-19 weiterzugeben, das uns weltweit umgebende Risiko, es sinkt für diejenigen, die geimpft sind. Und da wir einander das größte Risiko sind, sinkt das allgemeine Risiko im Umfeld mit jeder geimpften Person.

Gute Gründe für eine Impfung, die Ratio ist allerdings nicht alles was das Distel-Ding beschäftigt. Denn während all diese Argumente schon für alle anderen Impfungen vorher gegolten haben, gelten die Gefühle der letzten 63 Wochen auch für die Corona-Impfung: Verunsicherung und Sorge.

Nichts genaues weiß das social Distel-Ding wirklich nicht. Alle Informationen über die Vektor- und mRNA-Impfstoffe die es in den letzten Monaten aufsaugen konnte, sind im besten Fall der Versuch einen laienhaften Einblick zu bekommen. Ähnlich wie es ungefähr weiß wie ein Motor funktioniert, was ein Keilriemen ist und wie der in ungefähr zu reparieren bzw. auszutauschen wäre, zieht es die Einschätzung und Behandlung durch eine Expertin vor, als sich darauf zu verlassen, dass der laienhafte Einblick weit trägt.

Das heißt leider nicht, dass es einfach ist, darauf zu vertrauen, dass alles gut wird. Nebenwirkungen, Impfschäden, all das ist möglich, wenn auch sehr unwahrscheinlich. Hirnvenenthrombose heißt das Schreckgespenst, dem sich dieses social Distel-Ding stellt. Ähnlich wahrscheinlich wie ein explodierender Motor nach einem Ölwechsel, aber eben furchterregend. In der Abgeschiedenheit der letzten Monate konnten die Gedanken, was ein in kürzester Zeit entwickeltes Mittel, das langfristigen Einfluss auf die eigene Imunantwort hat, so alles anrichten kann, frei drehen. Vertrauen in die Pharmaindustrie, die die USA zu einem Land der Heroin-Abhängigen gemacht hat, ist nicht so einfach. Vertrauen in ein System, in dem die Rettung der Menschheit vor einer Pandemie als wunderbares Geschäftsmodell gesehen wird, erscheint widersinnig.

Und doch ist das Vertrauen da. Das Vertrauen in die Masse an Menschen, die in die Entscheidungen integriert sind. Das Vertrauen in die Masse an Forscher*innen, die die Studien und die Wissenschaft hinter den Impfstoffen überprüft haben. Mit diesem Vertrauen macht sich dieses Distel-Ding jetzt auf, die Nadel zu empfangen.

Picks, Au, brennen, warten, heimgehen, geimpft sein. So schnell geht das. Jetzt bleibt nur noch die Bekämpfung des inneren Hypochonders, der jeder kleinen Gefühlsregung, jedem Rülpsen und jeder Verspannung auf ein Anzeichen des nahenden Todes nachfühlt und dann… Dann ist die Pandemie zwar noch nicht beendet, die Welt noch nicht sicher und das was wir mal Normal genannt haben noch nicht wieder hergestellt. Aber vielleicht ist dieses social Distel-Ding dann auf dem besten Weg raus aus seinem Zustand, können endlich die Stacheln abgestriffen werden, kann die Rückentwicklung zum Menschen, zum sozialen Wesen, in Angriff genommen werden. Und all das, dank einer kleinen Spritze mit einem Stoff, der gerade relativ wenige immunisiert, noch viel wenigere reich macht, während die Pandemie sich global weiter entwickeln darf.

Wir werden sehen was da kommt. Für sich kann dieses social Distel-Ding zumindest sagen: Frisch geimpft sieht es erstmals seit 63 Wochen so aus, als wäre da ein Silberstreifen am Horizont – Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und jetzt wartet es erstmal die Reaktion ab und nimmt sich Zeit die Impfung zu verdauen.

Teil 70 – Im Auge des Orkans (Mittwoch, 19.05.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 19.05.2021 – 6:03 Min.

Fear of missing out. Das war vor nicht allzu langer Zeit mal der Begriff für ein Phänomen das diejenigen erfasst hat, die nicht ins Bett gehen wollten und sich stattdessen die Nächte um die Ohren schlugen. Die Angst, etwas zu verpassen, die Überforderung in der Flut aus begehrlichen Angeboten, das Stressempfinden beim Versuch das Leben wirklich in vollen Zügen zu erleben, bei einem Überangebot an ständig verfügbaren Möglichkeiten. Immer gesteigert dadurch, dass wir einander mit Fotos und Videos neidisch machten und in den asozialen Medien unser Erleben teilten ohne uns auf das wirkliche Erleben zu konzentrieren.

Und jetzt? Jetzt ist klar: Wir haben viel verpasst. Konzerte, Theater, Partys, Festivals, Spieleabende und Urlaube.

Jetzt haben wir die Fotos und Videos von damals und können immer wieder in der Erinnerung schwelgen, wenn uns nicht unwohl wird, bei der Betrachtung der hemmungs-, masken- und abstandlos Feiernden.

Die Fear of missing out ersetzten wir mit einer schon vor der Pandemie bekannten Gegenbewegung zum ständigen Aktionsdrang, die damals unter dem Hashtag #grannystyle verbreitet wurde. Statt jugendlichem Aktionsdrang wurde der „Style“ der Großmütter gefeiert. Es sich zuhause heimelig machen, Füße hoch und häckeln, mit Katzen kuscheln, langsam spazieren gehen, Kochen und Backen, die schnelle Welt vorbeirauschen lassen. Und eben das Blättern in Fotoalben, in Erinnerung an eine vergangene Zeit in der Mensch selbst noch aktiv sein wollte und konnte.

Nun sind die „Grannys“ geimpft, die Grenzen machen wieder auf, die Welt scheint vorsichtig aber stetig zu erwachen und sogar die als Spielverderber der Nation gescholtenen Expert*innen trauen sich von einem guten Sommer zu sprechen. Und dieses social Distel-Ding spürt die Verpassensangst wieder auftauchen…

Da ist dieses kleine Zeitfenster, dieser Moment, in dem die gesammelten aufgeschobenen Anforderungen an uns noch nicht wirklich eingefordert werden können und wir uns dennoch mit gutem Gewissen glauben wieder etwas mobiler bewegen zu können. Vielleicht ein paar Tage, die gedacht sein könnten, sich um uns, um unser eigenes Empfinden zu bemühen. Tage in denen wir kurzfristig verschont sein könnten von den andauernden Sorgen. Verschnaufen, Wunden lecken, die Belastung abfallen lassen, den harten Schutzpanzer abwerfen und ohne Angst nachfühlen, was in der letzten Zeit in uns alles kaputt gegangen ist.

Gefühlt ist es wirklich nur ein kleines Zeitfenster, das sich wohl anfühlt, wie ein Blick in den Himmel im Auge eines Orkans. Um einen herum wirbelt es, wütet die Zerstörung und ist nichts mehr sicher, aber dieser eine Moment, der Sonnenstrahl in der Mitte des Sturms, lässt es kurzzeitig vergessen, gibt Hoffnung.

So oder so ähnlich starten demnächst die Pfingstferien, öffnen die Grenzen, wird wieder vom Urlaub gesprochen, werden wieder Pläne geschmiedet. Und hier greift die Fear of missing out… Was, wenn dieses Zeitfenster verpasst wird? Es folgen: Wahlkampf, Klimawandel, Mutanten, wirtschaftlicher Abschwung, Inflation, verteuerte Lebensmittelpreise, weil zu Pfingsten nochmal Neuschnee kommen soll? Hier bringt es die FDP mit ihrem Programmentwurf auf den Punkt und erhöht gleich den Stress: „Nie gab es mehr zu tun“

Ja, nie gab es mehr zu tun, nie gab es mehr nachzuholen. Freundinnen und Freunde müssen wieder umarmt werden, Trauernde und Verzweifelte müssen besucht werden, Feste müssen gefeiert werden, wichtigen Menschen muss persönlich gedankt werden, Kinder müssen sich austoben dürfen und und und. Aber das meint die FDP natürlich nicht.

Stattdessen soll dieser Slogan wohl ein Mutmacher sein, der sich bewusst mehr wie die Aussage eines Chefs anhört, der sich mit einem „Hopp hopp“ in den Golf-Urlaub verabschiedet, als das Merkelsche „Wir schaffen das“.

Denn die FDP will keine Steuererhöhungen oder neue Staatsverschuldung. Das heißt: Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt – ohne einen Blick dafür zu haben, dass vielen die Hände noch nass von ihren Tränen sind. Das heißt auch, dass der Orkan, den wir um uns herum in diesem kleinen Zeitfenster brausen hören, nicht nur aus den gesammelten Herausforderungen dieser ungewissen Zeit eines sich beschleunigenden Klimawandels und einer fortbestehend unklaren Pandemiesituation besteht.

Nein, viel mehr soll die Last des wirtschaftlichen Einbruchs auch weiterhin auf den Schultern aller verteilt werden, ganz egal ob die Pandemie wenige viel reicher und viele viel ärmer gemacht hat. Raus aus der Kurzarbeit, rein in die Überarbeitung. Raus aus der dröhnenden Stille der Einsamkeit im Home Office, rein in die Besprechungsräume, in denen Kennzahlen den Wert eines Menschen ausmachen.

Natürlich hat das Wahlprogramm der FDP nur einen kleinen Anteil an den kommenden Entwicklungen. Die Stoßrichtung die es einnimmt, ist allerdings eine die vielen social Distel-Dingern die Angst einflößen dürfte, den kurzen Moment des Aufatmens zu verpassen, bevor sie wieder die Zähne zusammenbeißen und noch mehr arbeiten sollen. All diejenigen, die in dieser Zeit durchgearbeitet haben, die Schulden aufnehmen mussten, die alles dafür gegeben haben ihre Aufgaben zu erfüllen und dabei auf ein wirkliches Leben verzichten mussten, bekommen jetzt gesagt: Hopp hopp, auf gehts, jetzt richtig ranklotzen und die Wirtschaft ankurbeln. Die Urlaubstage sind in der Kurzarbeit verfallen, die Ansprüche müssen erst wieder eingefahren werden, kommt damit klar.

Die einzige Erinnerung an die Pandemie soll dann ein Trauertag für die Verstorbenen sein? Nein, was es braucht ist ein Feiertag, an dem wir social Distel-Dinger unsere Stacheln abwerfen können und das Leben feiern. Dieser Orkan braucht mehr Augen, mehr stressfreie Zeitfenster, wir wollen durchschnaufen, ein Leben, für das es sich zu arbeiten lohnt. Aber noch ist es leider nicht so weit.

Teil 69 – Die passive Katastrophe (Donnerstag, 15.04.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 15.04.2021 – 7:54 Min.

Liebe social Distel-Dinger,

es ist Zeit die Gedanken und Begriffe zu ordnen. Nach über einem Jahr Pandemie ist das was wir erleben kein soziales Experiment mehr. Eigentlich war es auch nie ein Experiment, viel mehr ein externer Stressfaktor, von dem dieses social Distel-Ding dachte, dass er besser zu vertragen ist, wenn es für sich die Beobachterposition beansprucht. Die Idee einer Innenberichterstattung, der mitfühlenden Beobachtung und des kommentierenden Mitleidens wird der anhaltenden Situation aber nicht mehr gerecht.

Letztlich ist das Experiment gescheitert. Die globalisierte Welt ist nicht fähig sich darauf zu einigen, dass die Bekämpfung einer Pandemie ein Unterfangen ist das allen gemeinsam gelingen muss.

Diese schöne Vorstellung hat Schiffbruch erlitten und während alle versuchen sich zu retten, machen manche ein Wettschwimmen und andere ein Wetttauchen daraus. Diejenigen die es sich leisten können nutzen natürlich schicke Rettungsmittel, wie Jetskis bzw. Impfstoffe. Und wenn sie sich in Sicherheit wiegen, beginnen sie ein Geschäftsmodel aus ihrem Jetski zu machen und bieten Hilfe gegen Geld. Gleichzeitig steigt der Meeresspiegel und eine Welle nach der anderen droht dann doch alle mit sich zu reißen.

Okay, genug mit den Analogien auf Ebene der Staaten und Länder. Letztlich verbleiben wir Distel-Dinger immer in der Abhängigkeit und können… wenig bis nichts tun! Das Experiment ist gescheitert, was bleibt ist die passive Katastrophe. Ca. 3 Millionen Menschen weltweit sind mittlerweile an oder mit Covid 19 gestorben. Unsere beste Antwort darauf bleibt: social distancing.

Leider scheint daran auch die Impfung nicht sonderlich viel zu ändern. Natürlich bleibt die fromme Hoffnung, dass wir es schaffen die Virusverbreitung über die Impfungen aufzuhalten, ohne dass die Mutationen die Impferfolge auffressen. Nur ist auch diese Hoffnung eine passive. Alles was wir dafür tun können, ist uns zurücklehnen, unseren Drang nach Leben einschränken und zur Impfung erscheinen. Nichts weiter. Passiv bleiben, abwarten, überleben. Und natürlich weiter arbeiten. Die letzte Ablenkung, der letzte Kontakt zu anderen Menschen, die Struktur die das was viele „Normal“ nennen aufrechterhält.

Passive Katastrophe. Irgendwo sterben Menschen, irgendwo kämpfen Menschen um ihr Überleben, irgendwo brechen Existenzen zusammen, irgendwo ist alles anders als hier, in der Wohnung. Der Blick aus dem Fenster verrät nichts von der Pandemie-Katastrophe, der Spaziergang zeigt nur etwas seltsames menschliches Verhalten und erhöhte Polizeipräsenz. Und selbst wenn uns auffällt, dass Menschen krank sind, dass Menschen sterben, dass die Intensivstationen sich gefährlich füllen, dass diese Katastrophe existiert, bleibt den meisten von uns nur eins: Passiv bleiben, Abstand halten, Ansteckung vermeiden.

Diejenigen die helfen können überarbeiten sich massiv, diejenigen, die nicht helfen können, werden überwiegend passiv. Neue Worte wie „mütend“ machen die Runde und richten sich gegen die andere passive Katastrophe: Die Politik bzw. die Regierung.

Auch wenn gerade die K-Frage zu plötzlicher Aktivität geführt hat, ist die Passivität gegenüber der Pandemie merklich wie der Mief der letzten 16 Jahre Vetternwirtschaft in der Union. Die Lösung der Katastrophe soll über die vorgeschriebene und repressiv durchgesetzte Passivität der Bevölkerung gelingen, wenn sie denn gerade nicht arbeitet. Privatleben ist suspekt, private Initiativen und Schutzmaßnahmen nicht verlässlich, Eigenverantwortung immer schwächer als Unternehmerverantwortung und letztlich jeder Schritt heraus aus der Passivität unerwünscht. Mögliche Lösungen enthalten zumeist Querfinanzierungen für große deutsche Unternehmen, wie beispielsweise die Corona-App SAP sowie der Telekom nette Finanzspritzen gebracht haben. Von den Masken „made in Germany“ ganz zu schweigen.

Und was bleibt den geübten social Distel-Dingern? In der passiven Katastrophe passen wir uns an. Die Passivität geht viral. Warum noch vor die Tür gehen? Alles was wir benötigen kann bestellt werden. Warum sich noch mit unangenehmen Dingen auseinandersetzen? Alles was wir sehen und hören, können wir vorher auswählen.

Unsere Tage werden portioniert von den Zeitangaben der Filme und Serien, der Rezepte und den empfohlenen Garzeiten. Schlafen 8 Stunden, Arbeiten 8 Stunden, zwischendrin kleine Videos in den asozialen Medien und auf Youtube, 2 Minuten hier, 1 Minute 53 da. Mittagspause mit Podcast, zwischen 20-50 Minuten. Online-Sportprogramm am Abend von 90 Minuten, dann Kochen oder Fertiggerichte, alles getimed, und danach noch Serien oder Spielen. Lasst uns noch 4 Stunden durch die Prärie reiten, Fußball spielen oder in einem der zahlreichen Kriege möglichst viele Menschen töten. Und dann wieder schlafen…

Falls wir wieder aufeinandertreffen, wissen wir nicht, worüber wir sprechen sollen, außer über Serien und Spiele. Gut es gibt noch so manche, die versuchen informiert zu bleiben, aber deren Laune nimmt ab und das Unverständnis für diejenigen, die gar nichts mehr von der Außenwelt mitbekommen, steigert sich mit der eigenen Verzweiflung. Gemeinsames Leben, gemeinsames Erleben? Fehlanzeige.

Die Wohnung ist ein Nährpod geworden – selbstgenügsam und abgeschottet. Jeder und jedem seine eigene Realität. Jeder und jedem seine eigene Wahrnehmung. Und irgendwo da draußen sind die Menschen, die sich diesen Luxus nicht leisten können. Sie werden nicht wahrgenommen. Die Nährpods sind gegen das Leid der anderen verschlossen. Kleine Inseln der Passivität die diejenigen die nicht arbeiten dürfen, diejenigen die sich keine Bildschirmexistenz leisten können, diejenigen die erkranken, diejenigen die aktiv sein müssen, ausschließen.

Der Mensch als soziales Wesen ist auf einer Reise in eine ungewisse Zukunft. Die passive Katastrophe könnte letztlich zur totalen gesellschaftlichen Passivität führen. Dann ist das postfaktische Zeitalter an seiner Spitze angekommen: Jeder und jedem eine eigene Realität, Verständigung ist nicht mehr möglich.

Mit gefletschten Zähnen verteidigen wir dann unsere jeweils eigene Realität, in der wir es uns bequem gemacht haben. Ein Angriff auf das eigene Selbstbild als infektionsverhindernd passiv oder diktaturverhindernd aktiv ist ein Verbrechen, das mit dem Abbruch des Kontakts geahndet werden kann. Jeder Reality-Check droht die Katastrophe hinter der Passivität wieder aufbrechen zu lassen, die Angst um das Überleben des bisherigen Lebensentwurfs und das Überleben der Liebsten. Was bleibt? Nihilismus? Keine Wahrheit nur noch eingefärbte Wahrnehmungen?

Nein, was bleibt ist eins: Wir!

Auch wenn mittlerweile 3 Millionen Menschen in dieser Pandemie gestorben sind: Wir sind noch da! Wir können uns immer noch verständigen, können Verständnis aufbringen, können uns unterhalten und unsere Realitäten anpassen, wenn wir unsere eigene nicht mit den Zähnen verteidigen. Unsere Nährpods sind immer noch selbst eingerichtet und wir haben die Wahl nicht die Algorithmen für uns entscheiden zu lassen, wie ein gutes Leben aussieht. Das ist zwar anstrengend, aber Passivität ist auch keine Antwort.

Lasst uns reden! Draußen mit Maske, über Webkonferenzen, Telefon oder Briefe schreiben. Der Kontakt zu anderen denkenden Menschen darf nicht abbrechen – denn sie formen unsere Gedanken mit uns.

Teil 68 – Ein Jahr bestachelt in der Krise (Donnerstag, 25.03.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 25.03.2021 – 7:34 Min.

Das social Distel-Ding ist alt geworden. Heute vor einem Jahr begann es zu schreiben, nach etwas mehr als 10 Tagen im social distancing. Jetzt sind es 365 Tage, die es gemeinsam mit allen anderen Menschen in der Ausnahmesituation verbracht hat. Pandemie, globale Krise, Unsicherheit – alle gemeinsam sind wir vereinzelt vor der großen Herausforderung: Wie finden wir wieder heraus aus diesem größten sozialen Experiment der Menschheitsgeschichte?

Dafür zuerst nochmal die Rahmenbedingungen des Experiments:
Ein sich schnell und unbemerkt von Mensch zu Mensch verbreitender Krankheitserreger befällt global Menschen und wird häufig erst mehrere Tage nach dem Befall erkannt, wenn überhaupt. Die Schwere der Erkrankung ist nicht vorhersehbar, es trifft aber wohl vor allem Ältere kritisch. Die Erkrankung an sich ist nur in seltenen Fällen tödlich, da in der Behandlung nach ersten Fehlern Fortschritte gemacht worden sind. Allerdings ist die Behandlung langwierig und dadurch werden bei hoher Ansteckungsrate in den Kliniken so viele Kapazitäten gebunden, dass auch andere gut zu behandelnde Erkrankungen und Unfälle wieder zu einer tödlichen Gefahr werden können. Hinzu kommt, dass diejenigen, die uns vor den schlimmsten Folgen retten könnten, selbst erkranken können, sowie die Gefahr von immer ansteckenderen und bedrohlicheren Mutationen. Die Ansteckung und Weiterverbreitung des Krankheitserregers erfolgt vor allem über die Atemluft und direkten Körperkontakt, weshalb weltweit mehrere Maßnahmen zur Eindämmung der Verbreitung etabliert wurden: Begrenzte Mobilität, ein Mindest-Abstand zwischen Menschen von 1,50 Metern, konstante Handhygiene, Spuckschutze und im überwiegenden Teil der Länder auch Mund-Nasen-Masken. Hinzu kommen die Quarantäne und Kontaktnachverfolgung von Infizierten, um infektiöse aber symptomlose Überträger der Erkrankung zu identifizieren.

Aus diesem Pandemierahmen heraus haben sich zwei Wege etabliert: Testen und Kontaktnachverfolgung, um die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung auf ein Minimum zu drücken und Impfen, damit der Körper eine Immunantwort auf den Krankheitserreger ausbilden kann und somit eine schwere Erkrankung sehr unwahrscheinlich zu machen. Ziel bei beiden Bemühungen ist es, die medizinischen Kapazitäten wieder frei zu machen und dauerhaft soweit frei zu halten, dass alle anderen lebensrettenden Maßnahmen wieder problemlos funktionieren können.

Das waren also die Rahmenbedingungen des Experiments von Seiten des Virus. Theoretisch könnten wir sie auch den Stressfaktor nennen, der auf das „Versuchskaninchen“ Weltgesellschaft einwirkt, dessen Reaktion das soziale Experiment ist. Unser Versuchskaninchen, oder genauer gesagt, wir social Distel-Dinger, erleben in diesem Versuchsaufbau also folgendes:
Wir haben eine auferlegte allgemeine Vereinzelung in einer vernetzten Welt, gemeinsame Lernschritte in einer informationsüberflutenden Gesellschaft, allgemeingültige Regelungen für den Fremd- und Selbstschutz bei starkem Individualismus, neue Rahmenbedingungen in einem starr-regulierten System, psychische Belastungen und ein Überangebot an Ablenkungen, ein gemeinsames, ein globales Problem dessen eigennützige Lösung Einzelnen als Wettbewerbsvorteil dienen kann.

Heißt: Wir bleiben zuhause, aber treffen Menschen aus der ganzen Welt online. Wir lernen gemeinsam epidemiologische Begriffe und Formeln kennen, die zugleich von unzähligen Menschen unterschiedlich interpretiert und angezweifelt werden. Wir sollen uns alle als Teil der Lösung sehen, unser Gesicht bedecken und uns zurückhalten, haben aber über Jahre nur den Selbstwert in der modischen und kommerziellen Abgrenzung zu anderen definiert. Wir erleben wie die andauernde Unsicherheit und Vereinzelung uns belastet und können uns über Unterhaltungsangebote in zahllose andere Welten flüchten. Weltweit erleben die Menschen diese Pandemie als beängstigenden Zustand und den Weg heraus als dringend zu bearbeitende Herausforderung und trotzdem führt dieses Problem nicht zu einer globalen Solidarisierung und Herangehensweise an die Krisen. Stattdessen ist der massenhafte Einkauf von Impfstoffen ein Rettungsmittel für längst abgeschriebene Politiker*innen in ihrem Wahlkampf, stattdessen ist die Beschaffung von Schutzmitteln ein Weg für die Bereicherung von Mandatsträgern. Statt: Wir schaffen das – gilt die Krise als Königsmacher und Kür, weil die Fehler der anderen, selbst wenn sie Menschenleben kosten, als Kontrast zur eigenen Leistung gerne gesehen sind.

Und was durfte das Distel-Ding in diesem einen Jahr Innenberichterstattung aus dem größten sozialen Experiment beobachten?
Jeder Mensch geht anders mit der Situation und der Frustration um. Es gibt diejenigen die sich ihr verweigern und diejenigen die nichts anderes mehr sehen wollen. Für die einen ist das Virus das einzig relevante Problem, für die anderen diejenigen die die Maßnahmen dagegen verkünden und durchsetzen. Für die meisten ist es aber von Tag zu Tag unterschiedlich. Mal versteht Mensch die Maßnahmen und am anderen Tag reicht es einfach. Mal sieht Mensch ein Licht am Ende des Tunnels, mal erscheint der Tunnel mehr als Brunnenschacht in dem Mensch gefangen ist. Mal ist das Leid und die Sorge um die Menschen auf den Intensivstationen präsenter, mal ist es das Leid der Alleinerziehenden im Homoffice, der Kinder, der Senior*innen und nicht zuletzt der Künstler*innen, Unternehmer*innen und Angestellten. Mal überwiegt die Ohnmacht und dann wieder die Empörung und der Kampfeswille.

Die Sorgen wabern über uns und da es ein globales Problem ist, kann niemand einen Hebel ziehen und eine funktionierende Lösung durchsetzen. Die alte Normalität ist auf Dauer verloren und wird nun anders wieder kommen. Aber es gibt auch einige Punkte die uns social Distel-Dingern als Denkanstöße dienen sollten. So hat sich ein System offenbart, dass von Relevanten aufrechterhalten werden kann. Es hat sich gezeigt, dass diejenigen, die zur Aufrechterhaltung des Systems relevant sind, selbst unterdurchschnittlich von diesem System profitieren. Deutlichstes Beispiel sind vermutlich die chronisch überarbeiteten und unterbezahlten Pflegekräfte, die mit letzter Kraft und unter eigener Gefährdung Leben retten. Aber es gibt so viele Aufgaben mehr, die erfüllt werden müssen um dieses System aufrecht zu erhalten, deren Erfüllung aber nur unzureichend entlohnt und gewürdigt wird. Und es gibt noch die unbezahlte Care-Work, die Pflege von Kindern, Alten, Behinderten und auch von Freundschaften, die dieses System unweigerlich am laufen hält.

Dazu kommt dann noch eine Politik, deren Exekutive eigentlich alles am Laufen halten sollte, die aber starr-reguliert und übervorsichtig lieber Lösungen aufhält, als sie sich zu eigen zu machen.
So steht dieses social Distel-Ding jetzt also da, ein Jahr nach den ersten Worten zur neuen Selbstwahrnehmung, zur Innenberichterstattung aus der Krise, und stellt fest: Die Stacheln der Distel, sie stechen so wie zuvor. Abstandhalten ist normal geworden und dieser Zustand wird wohl noch fast ein Jahr andauern.

Aber: Jetzt wo wir gesehen haben, dass es ein System gibt, das von Relevanten aufrechterhalten werden kann, aber es Menschen trotzdem in diesem System schlecht geht und ihr Leben eingeschränkt ist, stellt sich doch die Frage:

Was soll das System sein mit dem wir in die nächste Krise eintreten?

Teil 67 – Schlupflöcher offen halten und von schwarzen Schafen sprechen (Donnerstag, 11.03.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 11.03.2021 – 8:06 Min.

Jeder tut was er kann und versorgt auch seinen Nebenmann.

Nein, das social Distel-Ding hat nicht aufgehört zu Gendern, sondern beschreibt hier nur die offensichtlichste Einstellung vieler in der Union. Nachdem nun passend zum Start des Superwahljahres 2021, das mitten im Pandemiejahr 2 liegt, die letzten Selbstbereicherungsversuche von zwei Unions-Politikern bekannt wurden, zeigt sich dieses Motto einmal mehr bewahrheitet.

Denn auch wenn gerade von schwarzen Schafen gesprochen wird, die die gesamtgesellschaftliche Krise genutzt hätten um sich selbst über Provisionen zu bereichern, zeigt das nur einen Teil der Tatsachenbetrachtung.

In diesem Skandal sind viele Ebenen vorhanden, die gemeinsam das vielschichtige politische Parkett einer seit vier Legislaturperioden regierenden Volkspartei zusammensetzen.

Die Ebene die gerade gerne in den Vordergrund gerückt wird, ist die persönliche. Löbel und Nüßlein, die verdorbenen Charaktere, die mit ihrem Verhalten all die aufopferungsvoll für die Gesellschaft arbeitenden Unions-Abgeordneten in ein falsches Licht rücken. Wer sich an Maskengeschäften selbst bereichert, der habe in der Unions-Fraktion keinen Platz mehr und solle sich bei ihm melden, sagte Armin „Influenzer-Vater und van Laak Maskenkäufer“ Laschet. Die schwarzen Schafe sollen also aussortiert werden.

Danach sollen sie dann auf einer anderen Eben durch bessere Mandatsträger*innen ausgetauscht werden. Von den Unions-Delegierten in den Wahlkreisen und Ländern. Also von denjenigen, die zuvor die schwarzen Schafe für das Amt aufgestellt haben. Dass die Basis in den Wahlkreisen und Ländern aber scheinbar kein Problem mit zweifelhaften Geschäften neben dem Mandat hat, zeigt da relativ eindeutig der Fall Amthor in Mecklenburg-Vorpommern.

Diese neuen Mandatsträger*innen, unter denen sicherlich keine schwarzen Schafe mehr sind, sollen dann auf der Ebene der Unionsfraktion wieder nach bestem Wissen und Gewissen dem Fraktionszwang folgen und dann angeblich nicht mehr das machen, was die Union mindestens in den letzten 10 Jahren ausgemacht hat:

Den engen Austausch zwischen Wirtschaftsvertreter*innen und Politiker*innen aufrechterhalten und vor störenden Einflüssen wie einem funktionstüchtigen Lobbyregister mit legislativem Fußabdruck aller am Gesetz beteiligten Lobbyverbände zu bewahren. Sie sollen scheinbar nicht mehr dafür Sorge tragen, dass der ziemlich direkte Übergang von Mandatsträger*innen in die Vorstandsetagen der Großkonzerne nicht verbaut wird. Sie sollen scheinbar nicht mehr das Recht verteidigen auch weiterhin gutdotierten Nebentätigkeiten nachgehen zu können. Sie sollen sich also scheinbar nicht mehr gegen die Gesetzesentwürfe der Opposition und teils sogar der Koalitionspartner*innen stellen, die seit einem Jahrzehnt versuchen diesen Praktiken einen Riegel vorzuschieben.

Denn nur so würde verhindert, dass die Hinterzimmerpolitik funktioniert, die seit Jahrzehnten die eigene Wirtschaftselite höher stellt als die direkten Belange und den Schutz der Bevölkerung. Egal ob Dieselskandal, Lieferkettengesetz, Tierschutzbestimmungen, Luftverschmutzung oder auch nur die Lebensmittelampel, immer wieder ist die Handschrift der Lobbyvertreter*innen zwar zu lesen, aber nicht direkt nachweisbar.

Und dafür sorgten all die guten Abgeordneten, die jetzt mit dem Finger auf die schwarzen Schafe zeigen, weil diese die von ihnen allen bewusst offen gelassenen Schlupflöcher zur eigenen Bereicherung ausnutzten. Oder besser gesagt, weil sie sich in einem Superwahljahr dabei haben erwischen lassen.

Jetzt ist also wieder die Rede davon, dass es Selbstverpflichtungen braucht, dass es nicht zu Verallgemeinerungen kommen darf, weil ja nur eine Minderheit es ausgenutzt hat.

Aber sind wir mal ehrlich: Wenn es in einem anderen Zusammenhang in der Bundesrepublik zu einer Selbstbedienungsmentalität der einfachen Bürger*innen kommt, ist die Union diejenige die mit am lautesten nach Gesetzesverschärfungen schreit.

Wehe den Hartz IV-Beziehenden, die es wagen sich an dem System zu bereichern, die ein schönes Leben auf Mallorca führen und nicht arbeiten wollen. Wenn solch ein Fall bekannt wird, dann müssen alle Hartz IV Beziehenden entmenschlichende Kontrollen, Misstrauen und unzählige Beantragungschritte mit kurzen Fristen über sich ergehen lassen.

Wehe den einfachen Menschen, deren Regelübertretung in die Öffentlichkeit gezerrt werden kann und deren Bestrafung gefeiert wird. Wehe den Asylbewerber*innen, wenn einzelne in den überfüllten und menschenunwürdigen ANKER-Zentren ausrasten. Wehe allen, die unten sind, die keinen Zugang zu den Hinterzimmern haben, auf die herabgeblickt wird.

Und es passt ins Bild. Das System der Bundesrepublik ist über weite Teile so aufgebaut, dass es auf dem Papier gerecht ist, aber diejenigen, die schon oben sind, es sich eben noch etwas gerechter gestalten können. Wer sich keine Steuerberatung leisten kann, bekommt weniger Rückzahlung. Wer wenig Geld hat, bekommt keine Zinsen, während an den Aktienmärkten eine fehlende funktionstüchtige Transaktionssteuer auch weiterhin unglaubliche Vermögenssteigerungen möglich macht. Wer zur Miete lebt, darf um seine Bleibe bibbern, während alleine die Androhung eines Mietendeckels als Enteignung gelten soll. Wer eine kleine Firma hat und kein Konto in einer Steueroase fühlt sich ausgenommen. Wer eine große Firma hat, führt die Gewinne einfach außer Landes und zahlt nichts für die genutzte Infrastruktur.

Was bleibt ist ein Ergebnis, das in einer Demokratie Anlass zur Sorge gibt:

Wer versucht nach bestem Wissen und Gewissen Steuern zu zahlen und das Gemeinwohl im Blick zu behalten, fühlt sich verarscht. Die Ellenbogenmentalität, oder besser, das Nach-unten-treten, ist Staatsräson, Politiker*innen die nicht für sich einen Vorstandsposten aushandeln selber schuld, die Wirtschaft das Ziel, die Gesellschaft und das Allgemeinwohl der Wurmvorsatz, der Schmerzen verursacht und eingehegt werden muss.

Und ja, es mag sein, dass all diese Verhaltensweisen zutiefst menschlich sind. Nachvollziehbar, weil Einzelne sich eben wichtig fühlen wollen, sich auf einer Stufe mit den reichen und angesehenen Wirtschaftsbossen sehen und sich an deren Regeln orientieren. Und es ist auch so, dass dieses Verhalten nicht ein rein Unions-spezifisches Problem ist, sondern überall dort vorkommt wo eine Partei zu lange an der Macht ist und die Verbindungen zu eng geworden sind. Bei der SPD merken wir das beispielsweise bei Fragen zum Klimawandel und RWE oder VW.

Aber es bleibt uns social Distel-Dingern eben auch in Erinnerung, dass von uns verlangt wird jede neue Regelung einzuhalten, unsere eigenen menschlichen Bedürfnisse zurückzunehmen und denjenigen zu vertrauen, die angeblich nur unser aller Bestes im Sinn haben. Zum Glück ist aber Wahljahr und dieser Skandal vielleicht die Chance endlich diejenigen ins Amt zu bringen, die bereit sind, auch Regelungen einzuführen, die sie selbst einschränken. Dafür benötigen wir aber eine allgemeine Bewusstseinsänderung:
Politik an sich ist kein schmutziges Geschäft, es ist nur dann schmutzig, wenn niemand hinschaut und die Öffentlichkeit außen vor gehalten wird.

Es ist nichts Anrüchiges daran im Superwahljahr Wahlkampf für Kandidat*innen zu machen, wenn diejenigen die man selbst unterstützt wirklich glaubhaft Probleme lösen wollen. Und es ist auch nichts anrüchig daran, sich selbst in einer Partei zu engagieren und für die Partei einzusetzen.

Nicht alle Politiker*innen sind korrupt, aber diejenigen, die die Korruption nicht proaktiv durch Gesetze und Regelungen behindern wollen, sind mitverantwortlich. Sie aus den Parlamenten zu entfernen ist theoretisch Aufgabe der Parteispitze, aber vor allem liegt es in der Verantwortung der Parteibasis diese Leute abzustrafen.

Und natürlich stehen am Ende die Wählerinnen und Wähler, die es in der Hand haben, diejenigen in Amt und Würden zu bringen, denen sie am wenigsten misstrauen. Denn das Vertrauen ist verspielt!

Teil 66 – Die Friseur*innen machen wieder auf (Montag, 01.03.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 01.03.2021 – 3:05 Min.

Heute ist es soweit! Endlich! Juhu! Der erste Schritt raus aus dem Loch!

Endlich Friseure! Endlich körpernahe Dienstleistungen! Endlich Baumärkte! Endlich ein Markus Söder, der nicht nur warnt, sondern auch gleichzeitig öffnet. Endlich!

Gut. Diese Übertreibung am Anfang musste sein. Denn auch für dieses nüchtern zurückhaltend auf Maßnahmen blickende social Distel-Ding birgt diese kleine Lockerung eine große Abwechslung im Alltag. Bau- und Gartenmärkte! Blumen, Erde, Werkzeug – Endlich was zu tun, endlich wieder Projekte die für Ablenkung sorgen, die den Ausblick auf dem Balkon verändern, und die die in den letzten zweieinhalb Monaten Lockdown abgewohnte Wohnung wieder herrichten können.

Nach all der erzwungenen Passivität können wir jetzt dann wieder gestaltend tätig sein. Wobei natürlich die Gefahr besteht, dass sich bei dieser Veränderung jetzt genauso viele social Distel-Dinger am Heimwerken versuchen, wie in den letzten Monaten am Joggen. Denn während die öffentlich Herumhechelnden wahrscheinlich langfristig die Orthopädien beschäftigen werden, drohen bei den Hobby-Heimwerkerinnen und -Heimwerkern Gliedmaßen abhanden zu kommen und damit die Krankenhäuser erneut geflutet zu werden.

Dann aber zumindest mit guten Frisuren. Letztlich hat die Politik erkannt, dass es elementar ist, dass die Bevölkerung sich ihrer Lockdown-Strähnen entledigen kann. Somit kann die Lockdown-Zeit wieder relativ wahrgenommen und nicht mehr mit einem Lineal Zentimeter für Zentimeter am Kopfhaar nachgemessen werden.

Und das ist wohl die wahrscheinlichste Erklärung, warum Söder, Laschet und Co. die Friseur*innen neuerdings als so systemrelevant erachten. Für sie gilt: Gebt den Leuten im Superwahljahr bloß keinen Anhaltspunkt an dem sie fest machen können, dass nicht alles super war. Lasst uns lieber für Sie reden und in wortgewaltigen aber inhaltsleeren Reden den Volkswillen skizzieren.

Denn das ist es, was immer wieder versucht wird. Ständig dieses Gerede von „den Menschen die das nicht verstehen“, davon, dass „die Menschen eine Perspektive brauchen“ und all diese Versuche sich als Menschenversteher darzustellen. Wer es nicht besser wüsste, könnte meinen der Bundestag und die Landes-Parlamente sind in Raumschiffen oder auf dem Olymp untergebracht, so sehr wie sich diese wohlmeinenden Aliens oder Götter und Göttinnen um das Schicksal der Menschen streiten.

Vielleicht ist jetzt tatsächlich die Zeit sich wieder mit den alten griechischen Mythen zu beschäftigen. Jetzt da der Mensch sich wieder als Spielball höherer Mächte fühlt, hin und her gebeutelt zwischen Krankheit, Unwetter und zerrütteten Plänen. Nur sollte dann irgendjemand mal Markus „Heiland der Union“ Söder anrufen und ihm mitteilen, dass auch er nur ein Mensch ist. Er und seine Kolleg*innen sind wie wir, einfache Sterbliche, die seit Odysseus Irrfahrt nicht wirklich einen Weg gefunden haben, wie das Leben auf diesem Planeten nachhaltig lebenswert bleibt.
Aber immerhin haben ab heute einige bessere Frisuren als damals.

Teil 65 – Einrichten in der neuen Normalität (Donnerstag, 11.02.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 11.02.2021 – 7:48 Min.

Alles bleibt beim Alten. Es wäre auch seltsam gewesen jetzt auf einmal die neu gewonnene Normalität wieder einzutauschen gegen das was einmal Menschen, die als soziale Wesen und nicht als social Distel-Dinger klassifiziert wurden, als „normalen Alltag“ bezeichneten:

Unverdeckte Gesichter, enger Kontakt zu Wildfremden, Umarmungen, Shoppen gehen, Friseurbesuche, Kneipenabende, Restaurantbesuche, Kino, Theater, Disco, Urlaubsreisen, Planbarkeit und so vieles mehr…

Das alles ist zumindest bis zum 7. März aufgeschoben. Wobei, ab 1. März sollen dann zumindest die Friseursalons wieder öffnen, damit wir alle eine Woche Zeit haben um die Selbstachtung dank schnieker Frisuren wieder zurückzugewinnen, bevor dann der Lockdown, die Zurückhaltung, die auferlegte Genügsamkeit enden soll.

All diese Pläne natürlich unter Vorbehalt. Die 7-Tagesindzidenz muss dafür stabil unter 35 nachgewiesenen Infektionen pro 100.000 Einwohnern liegen. Es bleibt zu hoffen, dass die furchterregenden Hochrechnungen der Verbreitung der Mutationen, die wohl bereits als Pandemien in der alten Pandemie wüten, sich nicht bewahrheiten. Sonst droht im schlimmsten Fall, also der Perspektive die uns nach einem Jahr des immer schlimmer Werdens mittlerweile vertraut sein dürfte, ein Rückfall in das Chaos. Chaos in der Nachverfolgung, Chaos in den Krankenhäusern, Chaos in den Gefühlen. Das Chaos der unberechenbaren Verbreitung.

Denn, so seltsam es sich auch anhört, zumindest dieses Distel-Ding ist mittlerweile so eingespielt auf die Pandemie, dass es sich nicht mehr chaotisch anfühlt.

Froh darüber, nicht mehr hinter jedem Anruf eine Schreckensnachricht zu vermuten. Froh darüber, dass die unmittelbaren Sorgen um die Gesundheit, der eigenen und der der Lieben, einer eingespielten Corona-Routine gewichen sind. Froh über die kleinen Dinge, die planbar und machbar erscheinen. Froh bis dankbar, diese ersten beiden Wellen ohne persönliche Schreckensnachrichten überstanden zu haben.

So kann sich dieses Distel-Ding wie so viele in der Pandemie einrichten, den Stress senken. Diese neue Normalität, die sich aus dem entwickelt hat was wir mittlerweile als alltäglich ansehen, ist angekommen.

In der neuen Normalität gilt es täglich mindestens einmal das Haus zu verlassen, an die frische Luft und Vitamin D tanken. Fast wichtiger als es selbst zu tun ist es anderen telefonisch mitzuteilen, dass dieser tägliche Spaziergang wichtig ist.

In der neuen Normalität gilt es außerdem Abstand von der Vielzahl der Bildschirme zu gewinnen, die unseren Blick so einfangen und uns langsam aber sicher die Seele zu rauben drohen. Und auch hier gilt: Wer andere darauf hinweist, macht schon alles richtig. Wer dazu noch Tipps gibt, wie Puzzeln, Zeitungen und Bücher lesen oder gar Meditieren, kann diese neue Normalität als gemeistert ansehen.

Grundsätzlich gilt es darüber hinaus auch das eigene körperliche Wohlbefinden nicht außer Acht zu lassen. Sitzen ist das neue Rauchen, hieß es in der alten Normalität, in der neuen Normalität gilt Rauchen schon fast als gesund, weil die meisten dafür zumindest kurz rausgehen, Sitzen hingegen als die große Gefahr. Die Wirbelsäule, das Knochengerüst und die Muskeln des Menschen, die eigentlich für ein nomadisches Leben in der Steppe konzipiert waren, sind auf den Stühlen und Sofas verkrümmt und fordern Bewegung. Gymnastik, Yoga, Pilates, Aeorbic, Hula-Hoopen, Tanzen, all das soll als Ausgleich für die langen Wanderungen dienen, auf die sich der Homo sapiens einmal spezialisiert hatte. Andere darauf hinzuweisen gilt in dieser neuen Normalität als Bürgerpflicht, im besten Falle gleich in Verbindung mit der Verlinkung passender Angebote im Internet, auch wenn dabei dann wieder das Bildschirmproblem auftritt.

Natürlich gibt es einige ganz gewiefte Menschen, die sich für ihren Bewegungsdrang einen Gefährten in die Familie geholt haben, der alle auf Trab halten soll. Hinze und Kunze haben jetzt Hunde. Und diese Hunde sind nur gewöhnt an die neue Normalität. Sie wachsen auf mit der Familie zu Hause, sie kennen keinen Zustand der Einsamkeit mehr, werden unablässig geherzt und ausgeführt. Hund sollte Mensch sein. Oder Mensch sollte Hund sein?

Ganz egal, die Natur vor der Haustür und in den Wohnungen hält Einzug in unseren Alltag. Sie ist nicht mehr unbeachtetes Beiwerk sondern geschätzter Lebenspartner. Wie Hunde und andere Haustiere erfahren auch Pflanzen ungewohnte Aufmerksamkeit, das Basilikum steht unter Beobachtung. Sie liefern Gesprächsstoff, gestalten den Alltag in der neuen Normalität mit.

Gesprächsstoff liefern aber auch die neuen Persönlichkeiten der Öffentlichkeit, die Virologen und Virologinnen, Epidemiologen und Epidemiologinnen. Wie in einem Trumpf-Spiel überbieten sich die social Distel-Dinger mit den eingetroffenen Einschätzungen, Befürchtungen und Anmerkungen der von ihnen geschätzten oder gehassten Expert*innen.

Im Politiker*innen-Trumpf geht darum diejenigen zu finden, die den eigenen Befürchtungen, sei es um die Kinder und Jugendlichen, die Wirtschaft, die Demokratie, die sozial Geschwächten, die Risikogruppen oder die eigene Berufsgruppe, am besten eine Stimme geben. Und dann gibt es natürlich noch den Popstar der Befürchtungsleier, den Sachverständigen unter den Politiker*innen, den einzigartigen Prof. Dr. med. Dr. sc. Karl Lauterbach. Er sticht alle aus, meistgesehen, meistbeachtet, meistgehasst…

All das liefert uns den letzten Gesprächsstoff, die letzten Anregungen, aus denen Träume oder Alpträume werden können, den Rahmen den unser sonst von Wänden, Maßnahmen und Ängsten eingefasstes Leben in der neuen Normalität schmückt.

So schön sich das auch anhört, die neue Normalität ist leider nur bei manchen angekommen. Die Romantisierung der neuen Normalität lässt all jene aus, die sich in ihr nicht einrichten können. Deren Leben immer noch in der Krise ist, weil sie nicht arbeiten dürfen und keine Aussicht auf Besserung haben. Abgesehen von den indirekten Berufsverboten ist die neue Normalität auch ähnlich grausam wie die alte.

Wie zuvor leben diejenigen die es können ihr Leben mit Scheuklappen um das Leid um sie herum nicht zu sehen. Wie in der alten Normalität haben diejenigen denen es gut geht Angst vor zu viel Empathie mit den schwach Gehaltenen, mit den Ausgeschlossenen, mit den Anderen. Die Angst vor dem eigenen Abstieg ist groß, vielleicht sogar größer geworden.

Wie in der alten Normalität gibt es wenig Aufmerksamkeit für die Missstände der Gesellschaft, wenig Aufmerksamkeit dafür, dass der eigene Wohlstand auf dem gekrümmten Rücken vieler Menschen fußt. Es gibt ihn zwar, den Blick auf die Geschwächten, aber er gilt vielen als abschreckendes Beispiel, als Negativ-Entwurf, als Schreckensszenario und nicht zuletzt als Argument für die eigenen Klagen. „Die armen Friseur*innen wollen ja arbeiten, die brauchen ja das Geld, es geht mir ja nicht um mich“, heißt es dann und vergessen sind die Geschichten aus der alten Normalität, als deutlich wurde, dass Friseur*innen häufig eben nicht gut von ihrer Arbeit leben können. Und häufig geht es eben auch nur um die Kinder der sozial Geschwächten, weil die Besserverdiener im Home-Office und Home-Schooling Probleme haben.

Diese neue Normalität ist auch nur ein Einrichten in der verkorksten Situation. Wir machen das Beste draus und verdrängen die Gedanken an das Leid. Die Perspektive raus aus der Krise bleibt der Eintritt in die nächsten Krisen, in die Folgen unseres Lebensstils, der die Umwelt zerstört, Kriege befeuert und vielen Menschen die Migration als letzten Ausweg aus der Misere aufgezeigt hat.

Aber trotzdem scheint die Sonne, trotzdem müssen wir uns bewegen um nicht an Rückenschmerzen zu leiden, trotzdem richten wir uns ein in dieser neuen Normalität. Anders geht es auch gar nicht. Und dann? Dann verändern wir die Welt zum Guten, was denn sonst, wenn auch alle anderen Pläne unsicher sind?

Teil 64 – Ein Jahr und die Naivität weicht der Wut (Donnerstag, 28.01.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 28.01.2021 – 6:07 Min.

Ein Jahr ist es jetzt her, dass der Virus nach München kam. Ein Jahr in dem die social Distel-Dinger Sprachlevel B2 im Telekolleg „Epidemiologisch“ erlangt haben, während andere Fähigkeiten wie Tanzen, Gruppengespräche führen und grundsätzliches Vertrauen in andere Menschen um mindestens zwei Level abgebaut haben. Ein Jahr in dem Nachrichten plötzlich den Stellenwert bekommen haben, dass sie doch jeden betreffen. Ein Jahr, das sich anfühlt wie eine Ewigkeit.
Der Blick zurück auf die eigenen Gedanken vor einem Jahr gleicht einem Märchen: Und nach der Kneipe gingen sie heim und lebten glücklich und zufrieden in alle Ewigkeit. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute…
Nur leider leben die Heldinnen und Helden unseres Märchens eben nicht glücklich und zufrieden. Eher vereinzelt und verstört von der allgemeinen Situation, die ein Jahr nach den ersten Berichten nun wieder mit Berichten einer Mutation aufwartet. Eine Situation die irgendwie ähnlich klingt wie letztes Jahr: Es ist ein neues Virus entdeckt worden, wir müssen daher die Grenzen schließen um das Virus draußen zu halten und bangen, dass es sich bei uns nicht ausbreitet, auch wenn wir eigentlich gar nichts dazu sagen können, weil wir noch nicht großflächig testen und daher niemand mit Bestimmtheit sagen kann, ob die Mutante schon wirklich unter uns ist…
Aber immerhin gibt es da ja theoretisch den Impfstoff, oder die Impfstoffe, die, wenn nur in ausreichender Zahl verimpft, als der Ausweg aus dem Fiasko dienen sollen.
Die Impfstoffe stehen da als der technologische Höhepunkt der großen Menschheitsanstrengung dieses Jahrtausends: Die Bekämpfung der Jahrhundertseuche Covid-19!
Das klingt doch wundervoll. Die Klimax der gesammelten Betroffenheit, das Zusammenwachsen der Menschheit im Angesicht der größten Bedrohung, des großen kleinen Feinds Corona-Virus. Alle arbeiten wir zusammen um uns möglichst schnell wieder umarmen zu können. Die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler werden durch unsere Steuermittel dabei unterstützt in Rekordzeit Impfstoffe herzustellen. Die besten Logistikerinnen und Logistiker werden dafür eingesetzt, den Impfstoff in Rekordzeit in die Körper zu bringen. Und letztlich werden alle sich gegenseitig dabei unterstützen um dieses globale Trauma der Unsicherheit verarbeiten zu können.
Aber dieses social Distel-Ding ist naiv. Viel mehr zeigt sich, dass die Forderung nach Solidarität auch weiterhin an den Aussichten auf kurzfristige Gewinne abprallt. Schon als es noch hieß: „Flatten the curve“, fiel das Privatleben flach und dennoch haben sich viele Geschäftsführer, auch von IT-Unternehmen, gegen die Idee von Home-Office gewehrt. Letztlich könnte die Produktivkraft der Angestellten darunter leiden, wenn sie nicht direkt bei der Arbeit beobachtet werden können, schlimmer noch, wenn sie zuhause auch noch Kinder versorgen müssen. Und vielleicht lockte auch die Vorstellung, dass dieses kleine Fünkchen mehr Produktivität einen an der Konkurrenz vorbeiziehen lässt. Daran hat sich eigentlich nicht viel geändert.
In der Politik hat sich wie schon so häufig der Glaubenssatz bemerkbar gemacht: Die Marktteilnehmer reagieren rational und wir sind auf sie angewiesen, was geregelt gehört sind viel mehr die irrationalen Privatpersonen.
Hinzu kommt die Wahleinschätzung der Politiker*innen, die Markus „Hardliner im Herzen“ Söder wunderbar auf den Punkt gebracht hat:
„Nur wer Krisen meistert, wer die Pflicht kann, kann auch bei der Kür glänzen.“
Und so sehen wir jetzt zu wie sich Boris „vielleicht muss man den Virus akzeptieren“ Johnson nach anfänglichem Missmanagement nun zum Impf-Helden mausert, während die EU sich in Vertragsstreitigkeiten mit den Impfstoffherstellern verstrickt. Ursula von der Leyen, die vermutlich schon wieder viele Handys verloren hat, beruft sich jetzt auf eine moralische Pflicht der Impfstoffhersteller und verweist dabei auf schon geflossene Gelder und durchgehende Unterstützung der Forschung in Europa.
Was dieses naive social Distel-Ding aber etwas ratlos zurücklässt: Wir haben also Impfstoffe, wir haben Forscherinnen und Forscher, wir haben Labore und die Technologie, wir haben das Geld um die nötigen Materialien zu kaufen und die Menschen fürstlich zu bezahlen, wir haben also alles um Impfstoff für die Weltbevölkerung herzustellen und hoffentlich endgültig diese Krise zu beenden, nur haben wir anscheinend nicht das Recht dazu?
Die Vorstellung, dass es mal dazu kommen sollte, dass die Lösung eines Menschheitsproblems an vertrags- und patentrechtlichen Fragen scheitert, könnte einem Science-Fiction-Groschenroman entspringen. Nichts da: sie lebten glücklich bis ans Ende ihrer Tage! Sondern: Und sie klagten vor Gericht um das Recht zu bekommen bis ans Ende ihrer Tage frei von diesem Virus leben zu können!
Es hat den Anschein, als wären die Glaubenssätze: „Der Markt regelt alles“ und „Privateigentum ist die Grundbedingung für Freiheit“, schon so tief verankert, dass die an den entsprechenden Entscheidungen beteiligten Personen lieber die Weltbevölkerung rapide dezimiert sehen wollen, als den Markt in Unruhe zu versetzen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass sich die zwei reichsten Menschen der Welt, Elon Musk und Jeff Bezos, aktuell gänzlich aus irdischen Problemen heraushalten und stattdessen über die Umlaufbahnen für Satelliten streiten.
Wer darüber nicht den Kopf schütteln kann, dass zwei Einzelpersonen, die zusammengenommen mehr Finanzmittel auf sich vereinen als das BIP von Bangladesch, einem Land mit 164,7 Millionen Einwohnern, sich lieber öffentlich über Außerirdisches streiten, als an der Lösung der Menschheitsaufgabe mitzuarbeiten, dem oder der… ach lassen wir das… Kopfschütteln ist eh unnütz. Es braucht Wut!
Wut darauf, dass es scheinbar nicht Gewinn genug ist die Menschheit zu retten. Wut! Vielleicht kann uns die ja die Energie geben, die wir für die gemeinsame Kraftanstrengung brauchen, die nötig ist um das zu retten was noch zu retten ist: Menschenleben und eine Welt, die knapp am Massenaussterben und der Katastrophe eines außer Kontrolle geratenden Klimawandel vorbeischrammt. Wut oder Verzweiflung, wir haben die Wahl.

Teil 63 – 2021: Beten und arbeiten und wählen! (Mittwoch, 06.01.2021)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 06.01.2021 – 6:31 Min.

Liebe social Distel-Dinger, starten wir mit einem sarkastischen Satz zum neuen Jahr: Ein frohes Neues, allerseits!
2020 endete für viele mit einem unangenehmen Gefühl der Nähe oder aber der Abgeschiedenheit. Zu nah ist physisch gefährlich, zu fern ist psychisch gefährlich. Ein Mittelmaß ist auch nicht zu finden, nicht zuletzt jetzt, wo das neue Schreckgespenst klingt wie die Schwester einer Mutterkuh: Mutante!
Mit der Sorge, dass die Mutante B.1.1.7. aus Großbritannien alles fraglich werden lässt, was wir bisher als gerade noch sicheren Umgang miteinander bei Sars-Cov-2 angesehen haben, starten wir jetzt ins Jahr 2021. Dabei spielt es keine Rolle ob sich das einzelne social Distel-Ding auch selbst die Sorgen macht. Die Politik ist schon aufgrund der Todeszahlen alarmiert und hat neue Maßnahmen ergriffen. Selbst ein sorgenfreies Distel-Ding kann sich im ersten Monat des Jahres nicht unbeschwert bewegen. Kontaktbeschränkungen, Ausgangsbeschränkungen und teilweise sogar ein Bewegungsradius von nur 15 Kilometern.
Was erwartet uns social Distel-Dingern also nach nihilistischen Weihnachten und einem stillen Silvester? Eigentlich nur noch ein mönchsgleiches Motto für das neue Jahr: Bete und arbeite und wähle!
Eingeschränkt auf die eigenen vier Wände, den immer gleichen Arbeitsweg und die zu genüge ausgekundschafteten Einkaufsmöglichkeiten sind wir zurückgeworfen auf einen asketischeren Lebensstil, auf die Entbehrung als Teil unseres Seins.
Das Mantra: „Nicht krank werden, nicht verrückt werden, nicht verzagen“ oder „Gesund bleiben, vernünftig bleiben, optimistisch bleiben“ begleitet uns auf unseren abgesteckten Wegen, auf unsere abgesessenen Sitzmöbel und in unseren abgespeckten Unterhaltungen.
Wie Nonnen oder Mönche tragen wir dieses Gebet auf den Lippen, bitten um ein absehbares Ende, um den Eintritt in das Paradies einer nicht mehr virusbefallenen Welt, das dort komme, wenn wir uns nur alle an die Maßnahmen halten. An diesen Glauben möchten wir festhalten, da das irdische Leben im Jetzt Leid zu sein scheint.
Und ja, wie die Inquisition gehen wir auf Andersgläubige los, da sie uns den Eintritt ins Paradies zu versperren drohen. Die Aufregung über das Fehlverhalten anderer ist mitunter die beste Medizin um die eigene Unsicherheit im Umgang mit der Pandemie zu übertünchen. Was aber nicht heißen soll, dass diejenigen, die eben nicht an die Maßnahmen als Ticket ins Paradies glauben wollen, nicht ebenso verbissen an ihren Mantras und ihrem Glauben festhalten.
In ihrem Versuch nicht zu verzagen, lassen sie sich auch all zu häufig Glaubenssätze von Antisemiten, Neonazis und gefährlichen Spinnern vorbeten. Dennoch sind sie wie wir, social Distel-Dinger in einer verrückten Welt, die mit uns hoffentlich irgendwann darüber lachen können, was für Blüten dieses Virus uns gebracht hat. Dann können sie auch die vielen anderen Glaubenssätze von finsteren Verschwörungen loslassen. Darauf lässt sich immer noch hoffen. Und was ist Hoffen anderes als Beten?
Der zweite Teil des mönchs- oder nonnengleichen Lebens: Arbeite!
Es klingt wie ein Befehl aus der Politik, die hofft, dass die Wirtschaftsleistung erhalten bleibt, obwohl diejenigen die sie erbringen, nämlich Menschen, in einer konstanten Extremsituation gehalten werden. Obwohl einigen social Distel-Dingern schon alleine das Aufstehen schwerfällt und der Schlaf Nachts nicht kommen mag, gilt: Arbeite wer kann! Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt und so weiter.
Das funktioniert nicht wirklich gut, aber tatsächlich besser als Nichtstun. Denn wer in den letzten 11 Monaten der Pandemie nur Däumchen gedreht haben sollte, dem oder der sind sie mittlerweile wohl schon abgefallen. Und Arbeit kann auch mehr sein, als Erwerbsarbeit. Nicht zuletzt in der aktuellen Situation ist die Arbeit am und für den eigenen Körper nicht zu vernachlässigen, sonst lässt das andauernde Herumlungern und Sitzen irgendwann den aufrechten Gang verschwinden.
Auch politische Arbeit, die Arbeit an der Gesellschaft, an einer Welt, die nach oder noch mit dem Virus nicht gleich in die nächsten Katastrophen schlittert, ist nicht nur notwendig, sondern eine wunderbare Ablenkung von dem Fleck an der Wand, der seit Tagen das Sichtfeld stört. Ob Klimawandel, Krieg, unkontrollierte Überwachung oder eine weitere Machtverschiebung weg von der Bevölkerung hin zum Kapital, es wartet Arbeit auf uns, es gibt Probleme die gelöst werden müssen. Und es gilt nach wie vor unsere Werte gegen den Zweckpragmatismus zu verteidigen, der Menschen lieber in Lagern verenden lässt, als sie zu retten.
Und damit sind wir beim dritten Teil des Mottos für 2021: Wähle!
2021 ist ein Wahljahr. Aber dieses social Distel-Ding muss gestehen, dass der erste Gedanke eigentlich war, dass wählen sich auf die andauernden Aussuchtiraden bei Netflix und Co. bezieht. Denn beschreibt folgendes nicht am besten den Alltag im Lockdown?: Wir beten für ein Ende der Pandemie, wir arbeiten, um uns abzulenken und etwas voranzubringen und abends wählen wir die nächste Serie aus, die wir Bingewatchen bis wir uns in der dargestellten Realität besser zurechtfinden als in unserer tatsächlichen.
Nun haben wir 2021 aber auf einmal die Wahl unsere Realität zu verändern. Erstmals seit 16 Jahren eine neue Kanzlerin oder einen neuen Kanzler. Hoffentlich erstmals seit 16 Jahren keinen CSU-Verkehrsminister. Die Möglichkeit auf kompetente Ministerinnen und Minister. Die Möglichkeit, dass auf politischer Ebene erstmals der Klimawandel als das behandelt wird, was er ist: eine globale Katastrophe mit den Auswirkungen eines Weltkriegs auf Menschen und Infrastruktur. Das vor diesem Hintergrund ähnliche harte Maßnahmen für den Schutz der zukünftigen Generationen eingeführt werden, wie für den Schutz der heute lebenden Generationen in der Pandemie, wäre dringend geboten.
Wählen alleine ist dafür vermutlich nicht ausreichend. Aber schon die Wahl sich hin und wieder anzusehen, wie sich die Protagonist*innen unserer Politik so entwickeln und was so alles neben Corona noch schief läuft, statt sich in der Realität von Netflix und Co. über die Charakterentwicklung fortzubilden, kann ein wichtiger Schritt sein.
Also viel Spaß im Jahr 2021: Es kann sich alles ändern, ob zum besseren haben wir teilweise selbst in der Hand!

Teil 62 – Nihilistische Weihnachten (Mittwoch, 23.12.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 23.12.2020 – 4:38 Min.

Liebe social Distel-Dinger,
es ist so weit. Nach all dem Gerede darüber, nach all den frommen Hoffnungen, den scharfen Warnungen, den eindringlichen Appellen und den strengen Maßregelungen müssen wir jetzt nur noch einmal Schlafen und es ist Weihnachten. Das ist sicher. Was nicht ganz so sicher, aber sehr wahrscheinlich ist: nur noch einmal Schlafen und dann haben wir eine weitere Grenze eingerissen: 1000 registrierte Todesfälle mit oder an Covid-19 an einem Tag. Heute wurde schließlich einmal mehr der bisherige Rekord eingestellt und weitere 962 Plätze an der Familientafel bleiben leer. 962 Familien trauern heute und werden auch morgen nicht über den Verlust hinweg sein.
Nihilistische Weihnachten stehen an. Der Glaube daran, dass dieses größte soziale Experiment der Menschheitsgeschichte ein einigermaßen verträgliches Ende nehmen wird, ist erschüttert. Der Glaube daran, dass dieses gemeinsame Empfinden einer elementaren Bedrohungssituation uns Menschen in unserer fragilen und auf gegenseitige Rücksichtnahme angewiesenen Existenz solidarischer und auch gleicher werden lässt, ist zerrüttet. Der Glaube daran, dass eine Konzentration auf wissenschaftliche Evidenz uns in nüchterner Problemanalyse dazu veranlasst uns nicht nur von kurzfristigen Lösungen zum langfristigen Weiter-So zu hangeln, ist entgeistert.
Nihilistische Weihnachten also. Es hat alles keinen Sinn, es macht alles keinen Sinn, es gibt nichts Sinnhaftes, alles was wir glauben zu wissen ist Unwissen, es gibt kein Gut und kein Schlecht, wir leben und sterben und zwischendrin werden wir krank. Das sind vielleicht nicht die freundlichsten Worte zu diesem großen Fest der christlichen und/oder kitschigen Familien, könnte aber in den zahlreichen Telefonaten und Videokonferenzen mit der nicht ganz geistesverwandten Verwandtschaft hilfreich sein.
Letztlich hat sich schon in vorhergehenden sozialen Experimenten gezeigt, dass die emotionale Intensität der Wahrnehmung von Unrecht oder Schicksalsschlägen in keiner Verbindung zu objektiven Faktoren steht. Ein Kind kann beispielsweise in der gleichen Intensität betrauern, dass sein Lineal zerbrochen ist, wie es der verstorbenen Familienkatze nachtrauert.
Oder anders gesagt: Onkel und Tante können unfassbar empört darüber sein, dass der kleine Horst dazu gezwungen wurde im Unterricht eine Maske zu tragen, aber es als brutal aber notwendig erachten, dass in den Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln Kinder und Babys von Ratten gebissen werden und im Winter in Zelten auf der nackten Erde hausen müssen. Der Schwager mag lang und breit die aktuelle Infektionslage, die zu erwartenden Entwicklungen und die geeigneten Maßnahmen dagegen wie Christian Drosten darlegen können, aber die Bekämpfung des Klimawandels durch die Bundesrepublik ist seiner Meinung nach unnötig und das Tempolimit sowieso gegen jeden Menschenverstand, wofür hat sein Diesel-SUV sonst 600 PS. Die Geschwister können lang und breit das Sterben des Einzelhandels und der Kultur betrauern, bevor sie dann die Weihnachtsgeschenke von Amazon verteilen. Für den Großonkel mag es eine Sauerei sein, dass die Politik nur die Großen rettet, aber einen Großteil seiner Zeit bringt er lieber dafür auf sich über seine Mieter zu ärgern und die Verwandtschaft davon zu überzeugen doch zu ihm zu ziehen, damit er aus Eigenbedarf kündigen kann. Die Großeltern können lange erklären, dass die Welt sich so schnell ändert und dass sie nicht mehr genau wissen wo sie sich hin entwickelt, aber trotzdem von den Enkeln einen genauen Karriereplan fordern und möglichst bald endlich Urenkel! Die Politiker*innen mögen in ihren Weihnachtsansprachen von der Verantwortung sprechen, die sie und wir alle füreinander übernehmen, aber Andi Scheuer ist zugleich immer noch Bundesverkehrsminister.
Da hilft nur noch Nihilismus – die nackte Existenz, die sich das Weihnachtsessen oder die extra große Tüte Weihnachtschips reinstopft und spürt wie die übertriebene Kalorienzufuhr das Denken langsamer macht. Dann noch Nachspeise, Schokolade und ein Schnapserl… Weihnachten wie es früher war, fett und besinnlich. Das kriegen wir social Distel-Dinger schon irgendwie hin. Frohe Weihnacht.
Passt auf euch auf

Teil 61 – Vorweihnachtszeit, Unplanbarkeit und politische Profilierung (Donnerstag, 26.11.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 26.11.2020 – 7:43 Min.

Daheim bleiben. Abstand halten. Lüften. Nicht verrückt werden.
Allein bleiben. Abstand halten. Lüften. Nicht vereinsamen.
Allein. Zuhause. Kälte. Psychischer Belastungszustand.
Und dann kommt irgendwann Weihnachten und Silvester. Tolle Aussichten also für die Vorweihnachtszeit, die dieses social Distel-Ding um diese Zeit normalerweise immer verflucht. Die ganzen Plätzchen, Lebkuchen, Glühwein- und Feuerzangenbowlen-Schwaden, das Weihnachtsgedudel aus allen Lautsprechern und die Dekorationen aus Tannengerippen, Plastik-Glocken und aufblasbaren Schneemännern – fehlt das wirklich?
Nun wird klar, dass das was genervt hat eben nicht nur das zuge-Wham!-e aus den Lautsprechern war, sondern die rasanten Schritte auf das Jahresende und den Stress den sie mit sich bringen. Der Stress, dass alles noch geregelt, alles unter einen Hut gebracht werden muss, Termine eingehalten, Geschenke bedacht und gekauft werden müssen. Und das alles mit einem feierlichen Lächeln im Gesicht, während Mensch im Kopf doch schon Bilanz für das Jahr zieht und zusieht wie die Felle wegschwimmen. Was wollte, sollte, musste dieses Jahr nicht alles erreicht werden?
Glücklicherweise gibt es 2020 die große Ausrede „Corona“ – wir waren so gut in der Spur und dann kam CORONA… Wir hatten große Pläne und dann kam Corona… Eigentlich hätten wir den großen Karrieresprung gemacht, endlich den Jobwechsel, den Absprung aus der verhassten Firma oder einfach mal ein wenig leiser getreten, aber dann kam: Corona.
Manche mögen das lieber anders formulieren: Wir haben alles richtig gemacht und dann kam die Regierung und hat uns alles verboten. Wir hatten große Pläne und dann kamen der Söder und die Merkel und haben uns persönlich einen Strich durch die Rechnung gemacht.
Aber im Endeffekt bleibt es gleich: Dieses Jahr ist nicht so gelaufen, wie wir es 2019 beim Weihnachtsessen den nachbohrenden Verwandten schön gezeichnet haben. Aus einem sinnvollen Abarbeiten der geschmiedeten Pläne wurde ein sinnloses Ablenken von den verwirrenden Aussagen über die erwartbare Zukunft. Damit geht es uns scheinbar nicht anders als der Bundesregierung.
So wollte Angela „alternativlos“ Merkel doch wahrscheinlich nur noch letzte Impulse in die EU-Ratspräsidentschaft legen und sich sicher nicht mehr mit dieser fürchterlich unsachlichen Innenpolitik beschäftigen. Statt sich ständig mit den Meinungsumfragen im Inland, den ständigen Profilierungsversuchen ihrer selbsternannten Kronprinzchen, dem Gejammer der geltungssüchtigen Ministerpräsident*innen und ganz allgemein mit den Geschrei einer „Merkel-Diktatur“ auseinanderzusetzen, war der Plan für dieses Jahr vermutlich innerhalb der EU die Kindergärtnerin zu spielen und den Regierungschefs bei zahlreichen Essen Manieren für die supranationale Zusammenarbeit innerhalb der EU beizubringen. Aber dann kam: Corona.
Und jetzt ist das Geschrei groß, dass diese Pandemie doch besser geplant hätte sein können. Dass die zweite Welle absehbar war. Außerdem hätten wir uns doch gewünscht, dass uns reiner Wein eingeschenkt wird. Das ganze Gerede vom Lockdown Light der nur bis Ende November andauert und dann eigentlich schon Mitte November als zu kurz angesehen wird… Was soll das? Es sollte doch mittlerweile möglich sein ein Handbuch vorzulegen: Lockdown-Drill 2020 bis 2021. Dieses Handbuch enthält dann alle Schritte die aufeinander folgen, wenn sich die Infektions- und Todeszahlen, die Kapazitäten der Intensivstationen und nicht zuletzt die externen Folgen wie der erwartbare Anstieg der Selbsttötungszahlen in vorher berechneten Szenarien entwickeln. Dieses Handbuch könnte dann ja an alle Haushalte verteilt werden und jeder und jedem würde ein einfacher Blick ins Buch reichen um zu wissen, was als nächstes passieren wird, wenn die Entwicklung anhält.
Eine schöne Idee, nicht? Raus aus der Unsicherheit, rein in die vorgeschriebene Planbarkeit, die uns das zu erwartende Unheil durch die Maßnahmen absehen lässt.
Aber so schön ist das auch wieder nicht. Denn mehrere Punkte sind absehbar: Sobald ein Plan vorliegt werden die Kritiker sich daran abarbeiten, dagegen klagen, ihn verkürzt und überdramatisiert in der Öffentlichkeit zerreißen und ganz allgemein deutlich machen, dass sie es in jedem Fall besser machen würden. Aber auch wer den Maßnahmen unkritischer gegenübersteht wird sicher nicht durchgängig glücklich damit, wenn alles was kommen wird schon festgeschrieben ist und nicht mehr beeinflusst werden kann.
Also bleibt es leider dabei: Statt einem Plan haben wir Elefantenrunden die die Reaktion auf absehbare Entwicklungen mit persönlicher politischer Profilierung verknüpfen. So können die Ministerpräsident*innen jeden Kompromiss aus ihrer Sicht bewerten und dadurch diejenigen Stimmungen in der Bevölkerung ansprechen, die sie in ihrer Wähler*innenschaft vermuten. Am Ende folgen sie dennoch mehr oder weniger dem Plan der für vertrauenswürdig befundenen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die sie beraten.
Und natürlich ist das auch eine gute Situation um alte Debatten wieder auf‘s Tableau zu bringen. Zum Beispiel: Weg mit dem Feuerwerk! So sehr dieses social Distel-Ding auch von den zahllosen Risiken und Nebenwirkungen des Feuerwerks genervt ist, diese Ausnahmesituation zu nutzen um mit fadenscheinigen Begründungen jetzt Klientelpolitik voranzutreiben, ist kontraproduktiv. Ja, Feuerwerk nervt, ist laut, verpestet die Umwelt, verletzt Menschen und ist schädlich für Tiere. Aber nein, die Krankenhäuser füllen sich nicht jedes Jahr an Silvester mit Sprengopfern, sondern eher mit Alkoholvergiftungen. Und allein deswegen hat dieses Jahr wohl niemand mit dem Saufen aufgehört.
Gleiches gilt übrigens für die plötzliche Christianisierung der Politik. Nur weil Weihnachten ansteht, ist ein großer Teil der Bevölkerung nicht plötzlich gläubig geworden. Nur weil Markus „in jede Amtsstube gehört ein Kreuz“ Söder seit Wochen den Bodyguard des Christkinds spielt, ändert das nichts an der Tatsache, dass er mit seiner Konzentration auf diese Feiertage einen Großteil der Bevölkerung ausklammert. Wo waren denn die Mutmach-Reden für die Muslime über den Ramadan? Wo bleiben die Reden für ein Miteinander auch ohne Gott?
Und nicht zuletzt, wo bleibt das praktizierte Christentum in der Christlich Sozialen Union – denn auch aus Gründen der Nächstenliebe müsste Andi Scheuer aus dem Verkehrsministerium entfernt werden. Nicht nur, weil er über 500 Millionen € der Steuerzahler genommen hat um es Mautbetreibern für eine nicht EU-Rechtskonforme Maut die nie kam zu geben. Nicht nur, weil er aktiv am größten Verbrechen gegen die kommenden Generationen mitarbeitet, dem Aussitzen der notwendigen Maßnahmen gegen den Klimawandel. Nicht nur, weil er mit seinen öffentlich-privaten Partnerschaften im Autobahnbau die Umverteilung von arm zu reich weiter treibt. Nein, auch weil er durch das Festsetzen von NGO-Booten die Flüchtlingsrettung behindert und dadurch aktiv dafür sorgt, dass mehr Menschen im Massengrab Mittelmeer ertrinken.
Also, lieber Markus „Retter der Weihnacht“ Söder, machen Sie uns social Distel-Dinger doch bitte ein Geschenk der christlichen Nächstenliebe und geben Sie Andi Scheuer einen neuen Job. Weihnachtsminister zum Beispiel. Katastrophen haben wir schon genug in diesem Jahr.

Teil 60 – Wellenbrecher-Shutdown und die Scheißzeit (Donnerstag, 29.10.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 29.10.2020 – 4:17 Min.

Die Ministerpräsidentenkonferenz und die Bundeskanzlerin präsentieren stolz die beste Hard-Rock-Band aller Zeiten, der größte deutsche Erfolg seit Rammstein: Wellenbrecher-Shutdown!
Wellenbrecher-Shutdown ist angetreten die Welle zu brechen und das Weihnachtsfest zu retten. Schon ab nächsten Montag rockt Wellenbrecher-Shutdown unsere bundesdeutsche Welt! Und hat auch sichergestellt, dass keine andere Band oder andere Kulturtreibende ablenken. Die größtmögliche Bühne ist also bereitet und frühe Kritiker reagieren wie?:
Nicht schon wieder!
Gut, das gilt nicht für alle. Es gibt auch noch diejenigen die eine Verschwörung dahinter vermuten. Einige gehen davon aus, dass Wellenbrecher-Shutdown gekommen ist um die Ziele einer globalen Verschwörung einzuleiten. Und einer geht davon aus, dass Wellenbrecher-Shutdown nur kommt, um ihn als Parteichef und zukünftigen Kanzler zu verhindern. Aber mittlerweile sollten wir gelernt haben mit Verschwörungserzählungen umzugehen und was sie häufig bedeuten:
Diejenigen die sie verbreiten, möchten zumeist durch das Verbreiten der Verschwörungserzählung in einem anderen Licht gesehen werden.
Wenn Friedrich „Meine Steuererklärung passt auf keinen Bierdeckel mehr, weil mein Vermögen zu viele Stellen hat“ Merz also sinngemäß sagt, das Parteiestablishment habe sich gegen ihn verschworen, dann sollen sich alle denken: Ich mag das CDU Parteiestablishment auch nicht, wenn die den nicht wollen, will ich ihn aber umso mehr.
Aber der Fritze hat es auch einfach schwer. Denn sind wir mal ehrlich, was interessiert uns social Distel-Dinger der Streit dreier alter weißer Männer aus Nordrheinwestfalen? Wir haben beileibe andere Probleme und andere alte weiße Männer, die für noch mehr Aufregung sorgen.
Mittendrin in dieser Scheißzeit kommt es nun nämlich zum Showdown in der Shitshow der US-Politik. Diese Kraftausdrücke sind leider angebracht.
Zum einen weil der Herbst nun wirklich nicht die schönste Jahreszeit ist und sich die letzten Monate angefühlt haben, als hätte jemand die Büchse der Pandora geöffnet und zugleich einen Virus, den Wahnsinn und den Ausblick auf die globale Katastrophe Klimawandel herausgelassen. Oder um im Bild zu bleiben, als hätte ein himmlisches Wesen das alles auf uns herab defäkiert.
Zum anderen, weil die US-amerikanische Politik sich unter Trump von einer verachtenswert imperialistischen Haltung hin zu einer verachtenswert rassistischen, großmeierischen, menschenverachtenden, frauen-, zukunfts und demokratiefeindlichen imperialistischen Haltung gewandelt hat, wobei hier noch zahllose Adjektive fehlen dürften.
Und gerade jetzt sollen wir social Distel-Dinger uns wieder zurückbesinnen auf das social distancing. Sollen unsere innere Ruhe in der Einsamkeit unserer eigenen Wohnungen finden um im Angesicht dieser unberechenbaren Gefahren nicht durchzudrehen. Sollen vernünftig bleiben, während die Unvernunft grassiert und droht noch vier weitere Jahre in den USA zu regieren. Als wäre das nicht schlimm genug, haben uns die letzten vier Jahre schon gezeigt, dass Trumps Berater in Europa fleißig geholfen haben die neuen rechten Parteien aufzubauen. Sie haben den europäischen Neofaschisten gezeigt, wie mit haltlosen Behauptungen, bodenlosen Lügen, unverschämten Aktionen und gefährlicher Wissenschaftsleugnung der Diskurs zerstört und die Gesellschaft gespalten werden kann.
Ja, eine richtige Scheißzeit! Wenn es diesem social Distel-Ding schlecht wird vor lauter Sorge, erinnert es sich gerne an seinen schwedischen Großvater der in seinen 94 Jahren einige dieser Scheißzeiten erleben musste. Zwei seiner Lebensweisheiten helfen auch hier: 1. Es ist wie es ist und es wird wie es wird. 2. Gin Tonic ist gesund.
Auch wenn der Ausblick auf die nächste Zeit nicht wirklich Lust macht selbst 94 Jahre alt zu werden, mit dieser gelassenen Einstellung könnte die Zeit rumzukriegen sein.
Und damit Prost, auf Wellenbrecher-Shutdown, auf den armen Fritz, auf den Wahnsinn…

Teil 59 – Nichts gelernt (Donnerstag, 22.10.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 22.10.2020 – 8:10 Min.

Lebenslanges Lernen ist ja angeblich die Schlüsselqualifikation dieses Jahrtausends der beschleunigten technischen Umbrüche. Aber so gerne auch in Sonntagsreden diese Lernbereitschaft gefordert wird, scheint sich die Lust auf Hausaufgaben seit der Grundschule nicht wirklich vergrößert zu haben. Während wir social Distel-Dinger in immer weniger Zeit immer komplexere Zusammenhänge verstehen sollen, scheint an vielen Ecken noch immer die altbayerische Devise zu gelten: „Des ham mir scho allweil so gmocht, des mach ma a weiter so!“
Diese offensive Lernunwilligkeit kennen wir natürlich alle aus dem Alltag. Warum etwas ändern, wenn es noch bequem ist? Warum Pläne schmieden um die eingetrampelten Pfade zu verlassen, wenn das bisherige Überleben doch der beste Beweis dafür ist, dass man doch was richtig gemacht haben muss?
Gut, diese Logik ist es halt leider, die uns jetzt überrascht auf die sogenannte zweite Welle reagieren lässt. Zwar ist es noch nicht so lange her, dass wir von dem über uns einbrechenden Pandemiegeschehen verschreckt wurden, aber das heißt noch lange nicht, dass wir uns gemerkt hätten, dass schon in der letzten ARD-Extra und ZDF-Spezial Saison im Frühjahr vor der zweiten Welle im Herbst gewarnt wurde. Und so erleben wir jetzt die lange erwartete zweite Welle und die so nicht erwartbare zweite Rolle, den neuerlichen Ansturm auf das Klopapier. Scheinbar haben wir nichts gelernt und assoziieren die Extra-Berichterstattung nach den Nachrichten mit dem großen Geschäft.
Nun ist die Konsumentenverantwortung, die uns Hamsterkäufe als unmoralisch ablehnen lassen sollte, eine der schwächsten Formen der gesellschaftlichen Mitbestimmungsarten. Unsere regelmäßige Wahl der Parlamentarier, die wiederum die Regierungschefs wählen, sollte hingegen einen großen Einfluss auf die langfristige Entwicklung des Landes, des Bundes, vielleicht sogar der Europäischen Union und letztlich der Welt haben. Dumm nur, dass nicht nur das Konsumentenverhalten scheinbar stark von äußeren Reizen geprägt wird, sondern auch das Verhalten der gewählten Parlamentarierinnen, Parlamentarier und nicht zuletzt der Regierenden.
Nach der Schockstarre angesichts der Bilder aus Bergamo und der in der Bundesrepublik zeitgleich ansteigenden Infektions-Zahlen, war es in den Parlamenten stiller geworden, als es aufgrund der verringerten Anwesenheit zu erwarten gewesen wäre. Klar, Singen und Schreien sind als Super-Spreader-Aktivitäten recht schnell außen vor, aber parlamentarische Höhepunkte waren die Singeinlagen von Andrea Nahles und Co. auch zuvor nie gewesen.
In der Bundesrepublik und den Ländern mag man es sich gar nicht mehr vorstellen können, aber die Idee des Parlaments war einmal gewesen, dass Abgesandte aus den Wahlkreisen als deren Repräsentanten die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger ihres Kreises in die politische Debatte einbringen. Das zweitgrößte Parlament der Welt, der Bundestag, wäre demnach also der Ort an dem die gewählten Repräsentanten die Anliegen und Bedürfnisse ihrer Wahlkreise repräsentieren und versuchen einen Kompromiss zwischen all den Anliegen zu finden. Die Parteien waren mal dafür gedacht, dass man sich anhand von Werten zusammenschließen und Themen vorbesprechen kann, damit die Gewählten anschließend ihr freies Mandat nach bestem Wissen und Gewissen ausüben können.
Nun gut, solche frommen Ideen scheitern gerne mal daran, dass der Mensch eben ein fehlerhaftes Wesen ist. Nur scheint es mittlerweile nicht der menschliche Fehler zu sein, der die Vorstellung ad absurdum führt, dass die politischen Themen der Öffentlichkeit von den gewählten Volksvertreter*innen an oberster Stelle öffentlich und konstruktiv ausdiskutiert werden. Stattdessen finden die Diskussionen in den Besprechungsräumen der Parteien und Fraktionen statt. Auf der großen Bühne gilt dann – Einigkeit und Recht und Freiheit: Einigkeit mit der Partei – Recht behalten vor den anderen – Freiheit von jeder Verantwortung vor den Wähler*innen.
Das aufgescheuchte und polarisierte Wahlvolk soll scheinbar durch klar vorgegebene, parteiische Wahrheiten in Sicherheit gewogen werden. Nicht auszudenken, wenn Menschen mit den gleichen Werten und ähnlichen Meinungen dennoch diskutieren, was denn der richtige Weg sein könnte. Dadurch könnte ja der Eindruck entstehen, dass es Alternativen für die Entscheidung gibt, dass es eine Abwägungsfrage und eben keine reine Entscheidungsfrage ist. Wie de Maizière damals sagte: „Ein Teil dieser Antworten würde die Bevölkerung verunsichern“
Da ist es doch besser die Verunsicherung gleich auszuschließen und nur klare Ansagen zu geben. Alle hören ab jetzt auf Markus Söder, der hat die Weisheit mit dem Löffel gefressen und dann beschlossen, dass egal was passiert, die Schuld bei der Bevölkerung zu suchen ist und zwar in deren Privatleben. Er hat ja schließlich alles getan: Maßnahmen treffen, Warnen, die Gefahr verdeutlichen, Warnen, Ampeln installieren, Warnen, Maßnahmen verschärfen, Warnen, mit noch schärferen Maßnahmen drohen, Warnen… Wenn das nicht funktioniert, dann liegt die Schuld an neuerlichen Infektionsanstiegen bei partysüchtigen Jugendlichen, unverantwortlichen Hochzeitsgesellschaften und nicht zuletzt bei diesem leichtsinnige Jens Spahn bzw. bei den schlecht arbeitenden Berliner Gesundheitsämtern.
All diese Menschen sind in ihrer menschlichen Fehlbarkeit dafür verantwortlich zu machen, dass es zu neuerlich nicht mehr direkt nachvollziehbaren Infektionsketten kommt. Das Privatleben und die eigenen Wohnungen, die einzigen Sphären für die Markus „Ich rette euch alle“ Söder noch keine Maßnahmen erlassen konnte, müssen die Horte der Verbreitung sein, alle anderen Erklärungen würden die Bevölkerung vermutlich verunsichern.
Und die Opposition jammert rum, dass sie in dieser Zeit nicht mitbestimmen darf, obwohl der Robert „der grüne Messias“ Habeck doch so schön erklärt hatte, dass es Verantwortungspolitik sei, die Maßnahmen der Regierung mitzutragen und nicht rumzumeckern. Als Verantwortungspolitiker überlässt er scheinbar die Überprüfung und Anpassung dieser Maßnahmen lieber den Gerichten, anstatt seiner Partei Mut zu machen in einer öffentlichen Plenardebatte so etwas wie einen tragfähigen und grundrechtskonformen Plan für die Krisenmaßnahmen auszudiskutieren und als überparteilichen Kompromiss einzufordern.
Auch wenn das Argument einer beschleunigten Entscheidungsgewalt in Krisenzeiten durchaus greift, Verantwortung übernehmen heißt nicht, sich wegzuducken und darauf zu warten, bis man wieder ungestüm kritisieren kann, ohne Menschenleben zu gefährden. Verantwortung heißt die Maßnahmen die man mitträgt auch selbst zu überprüfen und konstruktiv zu verbessern, statt nur die Warnungen vor den Negativ-Konsequenzen bei Nichteinhaltung der Maßnahmen zu wiederholen.
Wir social Distel-Dinger, deren soziales Abstandsverhalten und ständiger Lüftungsdrang sich mittlerweile fast anfühlt wie eine Zwangsstörung, müssen hier einwenden, dass neben all den Maßnahmen und Warnungen doch vielleicht auch die eine oder andere Lösung gefunden hätte werden können. Nicht zuletzt fragt sich dieses social Distel-Ding, warum es den gesamten Sommer über so gelebt hat, als wäre es ansteckend, um jedes Infektions- und Übertragungsrisiko zu vermeiden, nur um heute gesagt zu bekommen, dass dieses Verhalten nicht ausreichend ist.
Es fehlen die Positiv-Beispiele, die Räume in denen alles vorbildlich abläuft und von denen wir lernen können, was hilft um den Virus einzudämmen. Selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen ist die Verwirrung groß: Müssen Mirkos jetzt mit Plastiktüten geschützt oder nur die Griffflächen desinfiziert werden?
Anscheinend haben wir nichts gelernt und müssen bald wieder zuhause bleiben, jeden Tag nachschauen ob die Klopapier-Regale wieder aufgestockt wurden und unser Leben online gestalten. Und täglich grüßt das Virustier – aufstehen, Jogginghose und Computer an, neue Virus-Zahlen checken, Angst vertreiben, hoffen, ablenken, schlafen gehen.
Damit das nicht kommt, ein Vorschlag zur Güte: Die Kommunen richten hygienische Räume ein, in denen Mitarbeiter*innen des Gesundheitsamts oder von ihnen angeleitete Freiwillige penibel darauf achten, dass keine Infektion möglich ist. Diese Räume stehen allen nach Anmeldung offen und jede und jeder kann dort lernen worauf zu achten ist und sich gleichzeitig guten Gewissens mit Freund*innen und Familie treffen.
A safe place in an unsafe world! Vielleicht lernen wir dann etwas und können noch besser Verantwortung übernehmen.

Teil 58 – Keine Orgien mehr für Stubenhocker*innen (Mittwoch, 07.10.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 07.10.2020 – 6:22 Min.

Na ihr lieben social Distel-Dinger, wie macht sich die neue Variable Schmuddelherbst in diesem größten sozialen Experiment der Menschheitsgeschichte? Mittlerweile ist die Aussicht auf das was früher Normalität genannt wurde ähnlich eingetrübt wie der Wetterbericht.
Selbst dieses social Distel-Ding hat zwischenzeitlich mindestens 1,5 Meter Abstand genommen, von der zu Anfang geäußerten Vorstellung, dass das Ende der Pandemie in großen Orgien gefeiert werden wird. Diese Verheißung erscheint nicht nur angesichts der antrainierten Ablehnung großer Menschenansammlungen nicht mehr so wünschenswert. Auch die neue soziale Spaltung, die Angst vor den verqueren Gedanken und Handlungen der Anderen, lässt die hingebungsvolle Aufgabe der eigenen Person in einem Menschenknäul nicht wirklich lockend erscheinen.
Insgesamt scheinen Emotionen in der derzeitigen Lage zu meiden zu sein. Zu unsicher ist all das was emotional zu verarbeiten wäre: Pandemie, unterschiedliche Wahrnehmungen der Gefährdungslage, Wahl in den USA, brennender Amazonas, Neonazis in Polizei und Gesellschaft, Klimawandel, Menschenrechtsverbrechen der Friedensnobelpreisträgerin EU an Flüchtenden, neue und alte Kriege, und und und…
Wer sich nur für einen dieser Punkte die Zeit nimmt alleine zuhause darüber nachzudenken, die Komplexität der möglichen Auswirkungen aushält und dabei auch noch nüchtern bleibt, ist zu bewundern. Denn eigentlich haben wir ja dafür einander. Miteinander lässt sich der Blick in den Abgrund der Widrigkeiten besser ertragen, weil Hände gehalten und Schultern geklopft werden können. Allein die Nähe eines Gegenübers gibt uns die Sicherheit nicht unbemerkt von diesem schwarzen Loch der Unsicherheit verschluckt und in totaler Verzweiflung wieder ausgespien zu werden. Wir vertrauen auf einander, dass wir noch da sein werden, wenn die schlimmen Fälle eintreffen und können uns dabei teilweise sogar noch den Galgenhumor behalten, der nicht zuletzt in der Kausa Trump das einzig vernünftige Mittel scheint.
Nur ist es leider so, dass das Miteinander fehlt. Selbst wenn nun wieder Feiern abgehalten wurden und Treffen nicht mehr ganz so gefährlich erscheinen, die eigene Wohnung ist der fast schon mit dem social Distel-Ding verwachsene Schutzraum geworden. Wie bei einem zu sehr an das Gefängnis gewöhnten frisch Entlassenem erscheint die Sicherheit des geregelten und eingegrenzten Alltags dem Chaos eines von mehr als einem Hausstand belebten Raums vorzuziehen zu sein.
Dabei sind es nicht nur die Ansteckungsgefahren die uns abschrecken. Stattdessen ist es auch die Gewöhnung an das Regelbare, an ein Leben in dem nichts mehr gehört, gesehen oder besprochen werden muss, was nicht ausdrücklich erwünscht ist. Zuhause ist die Kontrolle groß, zumindest für diejenigen die das Glück haben am Drücker, genauer, an der Fernbedienung, zu sein. Netflix und Co. erlauben uns über immer weiter verfeinerte Begutachtungsalgorithmen unserer Vorlieben dauerhaft gut unterhalten zu bleiben ohne uns mit unbequemen Formaten auseinandersetzen zu müssen. Spotify und Co. liefern uns den Soundtrack unseres Lebens, den wir nie durch Nachrichten oder unserer Meinung widersprechende Stimmen unterbrechen müssen. In den sogenannten sozialen Netzwerken sind wir in unseren Communitys gut aufgehoben und können uns der Unterstützung Gleichgesinnter sicher sein, wenn uns in einer dieser unsäglich unsachlichen Diskussionen mal die Argumente ausgehen.
Aber vor unserer Tür? Da lauert die Gefahr Dinge sehen, hören und besprechen zu müssen, auf die wir einfach keinen Bock haben. Etwas weiter gespinnt könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass das Leben in einer Nährlösung und mit konstant wohlgefälliger Unterhaltung, die beste Lösung ist um Unlust und Unangenehmes zu vermeiden.
Warum nicht? Warum nicht alles aufgeben, im Angesicht dieses Abgrunds an Unwägbarkeiten und tragischen Aussichten? Warum nicht dauerhaft zu Hause bleiben, die Welt Welt sein lassen und nur noch die Lust erleben, auf die man auch wirklich Lust hat?
Naja, einige Lüste kann all die Unterhaltungsindustrie nicht befriedigen: Abenteuerlust, Lust an Veränderung, Lust am Schaffen…
Ja, die Welt ist grausam und gemein und schert sich einen Dreck darum, was dieses social Distel-Ding will. Ja, die Vorstellung damit nicht mehr konfrontiert zu werden erscheint so wie ein vorgewärmtes Bett nach einem kalten, harten Arbeitstag. Nur ist es das was Menschsein auch ausmacht: Widrigkeiten überwinden, Zufälle erleben, Neues lernen, über sich hinauswachsen, aus der Konfrontation mit Unangenehmen neues Selbstbewusstsein ziehen, Selbstvertrauen aufbauen, dass man all das auch kann.
Gerade dieses Selbstvertrauen ist was fehlt. Nicht nur bei uns vereinzelten social Distel-Dingern. Auch gesamtgesellschaftlich.
Diese Krise ist einschneidend, nervig, zum Teil grausam, zum Teil bevormundend und vieles anderes mehr. Vermutlich hätte sie jede und jeder lieber gestern als morgen überwunden. Es ist sehr unangenehm auf ein Ende der Unsicherheit zu warten und dennoch noch so viele Stolperfallen auf dem Weg stehen zu sehen. Aber letztlich bleibt uns nichts anderes als das Wissen, was wir in unserem Leben schon überlebt und auch geschafft haben. Daraus lässt sich das Vertrauen ziehen, dass das Ende vielleicht nicht in einer großen Orgie kommen wird, aber wir aus dieser Situation hinauswachsen. Denn auch wenn es sich so anfühlt, als hätte sich die Welt die so bedrohlich an die Außenwände unserer Schutzräume drückt gegen einen verschworen, eine Verschwörung ist es nicht.
Es sind weiterhin die gesammelten Eigeninteressen jedes und jeder Einzelnen, die gemeinsam das verworrene große Ganze ergeben. Und wenn genügend von uns sich auch zur Aufgabe machen das große Ganze im Blick zu behalten, unsere Demokratie zu stützen, unsere Gegenüber zu schätzen und unsere Menschlichkeit zu erhalten, dann kommen wir da auch durch.
Aber so lustig wie Neues bei Netflix wirds nicht.

Teil 57 – Held der Münchner Trinkkultur und Nazis in Berlin (Montag, 31.08.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 31.08.2020 – 8:52 Min.

Es gibt so Tage, da ist Corona ganz weit weg. Und es gibt die Tage, da ist Corona ganz nah. Das Gleiche lässt sich über den Wahnsinn sagen und beides haben wir social Distel-Dinger dieses Wochenende erlebt.
Aus Münchner Sicht war Corona am Freitag plötzlich wieder ganz nah. Nachdem die registrierten Infektionszahlen seit dem 9. August immer weiter angestiegen sind, zwischenzeitlich auf 102 registrierte Neuinfektionen an einem Tag, habe wir am Freitag den 7-Tagesindizienzwert von 35 im Stadtgebiet München überschritten. Bedeutet: Innerhalb von 7 Tagen wurde bei über 35 von 100.000 Personen das immer noch potentiell tödliche Virus SARS-CoV-2 nachgewiesen und das Ergebnis an die Landeshauptstadt übermittelt.
Die Folgen für diese Entwicklung standen schon früh fest: Zwischen 21 und 6 Uhr kein Verkauf von Alkohol mehr, nur noch in Lokalen oder auf Veranstaltungen und nur zum unmittelbaren Konsum. Von 23 bis 6 Uhr kein Konsum von Alkohol im öffentlichen Raum des gesamten Stadtgebiets.
Saufen verboten, bei Androhung eines Bußgelds von 150€! Und das in München! Für Klischee-Münchner*innen sollte das kein Problem sein, auch wenn die Yuppie-Hotspots sicherlich aus allen Nähten platzen und die Magnum-Schampus-Flaschen auszugehen drohen.
Für den Rest? Die können in ihren überteuerten kleinen Buden bleiben oder nüchtern im Regen stehen – in Zeiten der Pandemie gibt es schlimmeres, letztlich geht es ja nur um den Gesundheitsschutz, oder?
Naja, ganz so einfach ist es dann doch nicht. Schon kurz nach Inkrafttreten dieser Regelungen hatte sich ein Anwalt zum Held der Münchner Trinkkultur aufgeschwungen: Seine Klage gegen das Alkoholverbot in der Öffentlichkeit war erfolgreich. Das galt aber erst einmal nur für ihn. Er durfte also als einziger in der Öffentlichkeit trinken, gerichtlich bestätigt.
So geht es jetzt also gerichtlich weiter, wie immer in der Corona-Zeit: Es werden Regeln aufgestellt, die möglichst viele Leute in ihrem Leben einschränken sollen, damit sie abgeschreckt werden. Dann folgen Klagen und von den Gerichten wird die Verhältnismäßigkeit angemahnt, die Regelungen werden angepasst und schrittweise zurückgenommen. Ziel der Exekutive: Größtmögliche Abschreckung. Ziel der Legislative: Alles im gesetzlichen Rahmen halten und die Verhältnismäßigkeit wahren, also die Frage beantworten: Hilft das wirklich die Ausbreitung des Virus einzudämmen? Ziel aller: Corona soll endlich eingedämmt werden.
Aber das stimmt auch nicht ganz. Es gibt noch diejenigen, deren Ziel es ist, diese Stimmung zu nutzen um den Reichstag zu stürmen. Und es gibt diejenigen, die im Freudentaumel der großen Gemeinschaft vergessen machen wollen, dass wir in der Bundesrepublik erstaunlich gut mit der Pandemie zurechtkommen und deshalb wenig direkten Kontakt mit der Pandemie haben.
Der Wahnsinn vom Samstag wird uns alle wohl noch einige Zeit beschäftigen. Ganz abgesehen von all den Leuten, deren Medienkonsum einzig dazu dient die Begründungen warum sie verarscht werden und wieso sie recht haben wiederzukäuen, haben wir in Berlin die vermeintlich größte rechtsradikale Demonstration in Deutschland seit Chemnitz gesehen. Nachdem die Organisator*innen von Querdenken 711 kein Problem damit hatten, dass fast die gesamte rechte Szene auch zu ihrer Demonstration geladen hatte, ist sie auch gekommen. Und wie das so ist, wenn Nazis und Rechtsradikale geladen werden und sich in einer großen Gruppe stark fühlen dürfen, haben sie gleich gewaltsam klar gemacht, wo es für sie hingeht: in den Plenarbereich Reichstagsgebäude, zu dem ihre zahlreich auf der Demonstration anwesenden Kollegen von der AfD doch eigentlich schon Zutritt haben.
Natürlich hat sich der Organisator der Querdenker-Demo gleich von den Reichstags-Stürmern, wie sie sich wohl selbst gerne nennen würden, distanziert. Ähnlich wie in Missbrauchsfällen in der Katholischen Kirche gilt auch hier: Wenn etwas vorfällt, finden wir das schlimm, aber haben auch kein Problem damit, wenn sie sich wieder unter unsere Reihen mischen. Was verurteilt wird, ist die Tat, das man selbst die Täter schützt und erst in die Position bringt die Tat zu verüben, ist scheinbar nicht das Problem.
Die Demonstrierenden und ihre Internet-Unterstützer*innen fordern hier immer eine Differenzierung: Größtenteils waren es ja fast keine Nazis, im Vergleich, die wenigen waren auch größtenteils wo anders unterwegs, nicht auf der Hauptdemo, die Bewegung ist weder rechts noch links.
Was sie aber verschweigen oder nur vergessen: Querdenker lassen die Leute, die bekannt dafür sind rechte, tödliche Gewalt auszuüben und Netzwerke auszubilden, in ihren Reihen marschieren, lassen sie sich groß und verstanden fühlen, statten sie vor der Öffentlichkeit mit dem Anschein aus „für die Freiheit“ einzustehen, lassen sie zu Wort kommen, lassen sie in die Nähe ihrer Kinder! Und sie sehen darin kein Problem, weil sie sich mit ihnen auf einen Feind eingeschworen haben: „die Faschos oder Verbrecher oder Verschwörer in der Regierung“. Womit natürlich nicht der Faschist Höcke gemeint sein kann, weil der und seine Freunde ja mit ihnen laufen.
Und das alles passiert vor dem Hintergrund, dass vor etwas mehr als 6 Monaten ein Rassist in Hanau 10 Menschen ermordete und das mit einem rassistischen und auf Verschwörungs-Erzählungen fußenden Manifest begründete. Es stört sie nicht, dass wir bekanntermaßen gestärkte rechte Netzwerke in Deutschland haben, die jetzt ihre größte Demo seit langer Zeit hatten und sich dort noch weiter vernetzen konnten, einzelne vielleicht sogar eine neue Freundin gefunden haben. Netzwerke, die sich mit Waffen, Munition und Sprengstoff bei der Bundeswehr versorgt haben, die Todeslisten führen und mit Hilfe (nicht nur) der hessischen Polizei Morddrohungen verschicken.
Es stört sie scheinbar nicht, dass in ihren Chatgruppen zu Mord und gewaltsamen Umsturz aufgerufen wird. In solch einem hetzerischen Umfeld dauert es nicht lange, bis es weiter eskaliert, bis Einzelne oder gar Netzwerke glauben den „Volkswillen“ erfüllen zu müssen. Nach dem Mord an Walter Lübcke kann man Angst um das Leben von Christian Drosten und all den anderen bekommen, die auf Plakaten der AfD als „schuldig“ gebrandmarkt wurden.
Noch ist nicht ganz klar, in wie weit eine große Menge der sonstig Anwesenden auf der Demo nur die größtmögliche Masse herstellen und die damit einhergehende Aufmerksamkeit für sich haben wollten, ob sie nur dem Streit untereinander aus dem Weg gehen wollten oder gar tatsächlich den gewaltsamen Weg unterstützen.
Was aber jeder und jedem klar sein sollte: Es geht hier nicht um Kontaktschuld. Die Medien und die Antifaschist*innen suchen nicht nur nach Begründungen warum die Demonstrierenden falsch liegen. Eigentlich ist es nämlich ganz einfach:
Seit 75 Jahren ist es ein klar verständliches Tabu mit Nazis gemeinsam zu demonstrieren und gemeinsame politische Ziele zu verfolgen. Wer es dennoch so offensichtlich macht und danach nur ruft, dass das nicht so schlimm ist, weil man die Nazis ja selbst nicht mag aber auch kein Problem damit hat, dass sie mitlaufen, möchte dieses Tabu aufweichen. Und wer das Tabu aufweichen möchte mit Nazis zu demonstrieren, möchte Nazis wieder salonfähig machen.
Wer Nazis wieder salonfähig machen möchte, ist gefährlich. Punkt.
Und auch das persönlich rücksichtsvolle Argument, das jetzt vielleicht einige vorbringen mögen, die sich auf der Demo in einen Nazi verguckt haben, gilt nicht. Es ist eben nicht so, dass rechtes Gedankengut, wenn es auf einer Demonstration in Massen geäußert wird und in Netzwerken verbreitet wird, nur ein Symptom für Ängste in der neoliberalen Leistungsgesellschaft ist.
Rechtes Gedankengut ist kein Symptom, sondern eine ansteckende Krankheit. Denn rechtes Gedankengut arbeitet nicht daraufhin die eigenen Ängste zu verarbeiten, sondern die beängstigenden Faktoren mit Gewalt zu unterdrücken um alles in ein klar durchsetzbares System zu fassen. Dafür muss es möglichst viele anstecken, damit ein gewaltsamer Umsturz möglich wird.
Hier greift das Toleranz-Paradoxon: Wer Toleranz gegenüber Intoleranten walten lässt, verliert die Toleranz.
Natürlich ist es tragisch, dass ein großes Fest, ein Zusammentreffen von Leuten die sich größtenteils aus dem Internet kennen und die vermutlich sonst isoliert ob ihrer Meinung oder der Corona-Beschränkungen im Alltag alleine stehen, jetzt öffentlich zerrissen wird. Natürlich will niemand hören, dass er oder sie die offene Gesellschaft massiv gefährdet, sowohl durch eine mögliche Ausbreitung des Virus, als auch politisch. Aber es bleibt die Hoffnung, dass ein Großteil der Demonstrierenden hier eine Grenze überschritten gesehen hat.
Auch ohne Nazis, die gewaltsam das System stürzen wollen, können unverhältnismäßige Verbote zurückgenommen werden. Das hat nicht zuletzt der Held der Münchner Trinkkultur gezeigt.
Also, wenn ich bitten darf: Maske auf und‘s Maul aufreißen, gegen Nazis!

Teil 56 – Ein ganzes halbes Jahr und viele V’s (Freitag, 28.08.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 28.08.2020 – 8:32 Min.

Mittlerweile sind wir social Distel-Dinger seit über einem halben Jahr im Ausnahmezustand. Genauer gesagt im weltweiten Ausnahmezustand. Alles dreht sich um den Virus, selbst die Argumentation derjenigen die die Pandemie an sich nicht anerkennen wollen. All die Themen von denen wir dachten sie würden das Jahr 2020 beherrschen sind in den Hintergrund gerückt. Wo sind sie nur hin, die Sondersendungen zum anstehenden Brexit, zum Klimawandel und zur viel zu deutlichen Verbreitung des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik.
Stattdessen hat das Virus uns viele Vs gebracht. Verbreitung, Verunsicherung, Vermittlung, Verantwortung, Vertrauen, Verschwörung, Verarschung und nicht zuletzt der Verbleib zuhause.
All diese Vs sind auch absolut nachvollziehbar. Eine neue, unbekannte Krankheit verbreitet sich rasend schnell um den Globus. Die Gefahren, die Ansteckungsmöglichkeiten und nicht zuletzt der Schutz vor ihr, all das war ungeklärt und führte zu Verunsicherung. Nicht nur die Frage bin ich sicher vor Ansteckung, nein auch die Frage, bin ich ansteckend, beschäftigten und beschäftigen uns social Distel-Dinger bis heute.
Die Folge daraus war die Vermittlung von dem was die Forschung und Politik als gesichertes Wissen glaubte verbreiten zu können. Und wie es eben so mit dem Wissen ist, das Nichtwissen überwiegt. Jede wissenschaftliche Feststellung steht nur so lange fest, bis sie widerlegt wurde.
Zusätzlich zu dieser unbequemen Position des nichts wirklich gesichert Wissens kam dann noch das Problem der Verantwortung, das vor allem die Politik betraf. Wie sollte damit umgegangen werden, dass die Verunsicherung so groß war, dass selbst Billiggüter ohne Schutzwirkung vor dem Virus, wie beispielsweise Klopapier, plötzlich massenhaft aufgekauft wurden und sich damit schon anzeigte, dass in der Krise sich scheinbar jede und jeder selbst der Nächste ist? Hätte eine frühe Maskenempfehlung zu einem besseren Schutz geführt, oder wären wir nach einer Empfehlung noch tiefer in die Krise gerutscht, weil dann Masken, wie schon Desinfektionsmittel, aus Krankenhäusern geklaut worden wären? Im nächsten Schritt wäre vermutlich das Klinikpersonal ungeschützt gewesen und erkrankt, was letztlich wirklich zu einem Zusammenbruch des Gesundheitssystems geführt hätte.
Auf das Verantwortungsgefühl der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, der Politikerinnen und Politiker sowie auch der Medien zu vertrauen, war demnach notwendig, um zumindest den Glauben daran zu bewahren, dass wir schon irgendwie durch diese Pandemie kommen werden. Vertrauen hat immer einen passiven und naiven Anstrich, letztlich kann es ohne unser Wissen missbraucht und wir könnten hintergangen werden. Allerdings ist es nicht passives Gottvertrauen, wenn das social Distel-Ding darauf setzt, dass die beratenden wissenschaftlichen Koryphäen, die Ministerien, die fleißig arbeitende Opposition, die Gerichte, die zahllosen Journalistinnen und Journalisten sowie die aufgeklärte Öffentlichkeit den richtigen Umgang mit der Krise und die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie vernünftig aushandeln.
Letztlich treffen auch uns social Distel-Dinger die Punkte Verantwortung und Vertrauen. Wir haben die Verantwortung auf uns genommen die Virusausbreitung zu stoppen, indem wir zuhause blieben und bleiben, Masken aufsetzen und auf Distanz achten. Wir haben unser bestes gegeben die Risikogruppen zu schützen und mussten einander vertrauen, dass jede und jeder alles dafür tut, sich selbst und andere nicht anzustecken. Was sehr anstrengend war und ist.
Die Verantwortung lastet schwer auf unseren Schultern. Die Verunsicherung ob man selbst nicht doch jemanden anstecken könnte und damit unwillentlich das Leben anderer gefährdet beschert uns manch eine schlaflose oder Alpträume durchseuchte Nacht. Das Vertrauen in die Institutionen fühlt sich zu passiv, zu ergeben an.
Der Ausweg aus dieser unangenehmen Situation ist das Wittern der Verschwörung. Die eigene Machtlosigkeit im Angesicht der globalen Ungewissheit, wie mit dieser Situation umzugehen sei, wird eingetauscht gegen die Position des Kämpfers, der Kämpferin, für das Gute, Schöne, Wahre, gegen die übermächtig böse, hässliche Lüge der dunklen Verschwörung.
Auf die Ohnmacht, die uns das Virus in Form der Zerbrechlichkeit und der Unplanbarkeit des menschlichen Lebens vor Augen geführt hat, folgt die Selbstermächtigung, alles besser verstehen zu können, als alle anderen. In jeder Äußerung des öffentlichen Diskurs wird eine Manipulation erkannt, die dank einer Online-Recherche aufgeklärt werden kann. Es ist für viele unvorstellbar geworden, dass sie manipuliert werden könnten, weil ihnen ja schon die Manipulation durch die Medien selbst aufgefallen ist. Anscheinend brauchen sie keine Wissenschaftler, Historiker, Mediziner, Politiker mehr, all das können sie sich im Internet selbst drauf schaffen. Die Leute verhalten sich in etwa so, wie dieses social Distel-Ding den Mathe-Unterricht wahrgenommen hat: Wieso sollte ich das lernen, ich kann doch später immer einen Taschenrechner mitnehmen.
Bildung und Erfahrung werden missachtet und gegen Gefühle und schnelle Google-Recherche ausgetauscht. Aber das Schlimmste ist die Ablehnung jeglicher Verantwortung für das eigene Handeln, Veröffentlichen und Aufrufen. Da ja angeblich niemand „an Corona“ sondern nur „mit Corona“ stirbt, ist jegliche Verantwortung für Todesfälle oder schwere Verläufe für viele „Querdenker“ abzulehnen. Da sich ja jeder im Internet selbst informieren kann, ist es auch kein Problem wenn neben den Zweifeln an Corona-Todes-Zahlen auch Zweifel an den Todeszahlen im Holocaust geäußert werden. Da man selbst ja alles durchdenken und gesichert in seinem Weltbild ist, ist es auch kein Problem gemeinsam mit Nazis von ultrarechten Kleinstparteien auf eine Demonstration aufzurufen und mit ihnen zu maschieren. Da man selbst ja nur Liebe und Frieden möchte, ist es auch kein Problem im Nebensatz rechte Parolen wie „Lügenpresse“ und „Antifaschismus ist der neue Faschismus“ durch die Gegend zu brüllen. Und über versteckte Wahlwerbung für ein autoritäres Regime unter Trump in den USA über die sogenannte Q-Anon-Bewegung, eine Selbstbaukasten-Verschwörungs-Erzählung in dem alles Böse einer Personengruppe zugeschrieben werden kann, wollen wir erst gar nicht reden.
Für alles was daraus entsteht oder entstehen kann, sehen sich die Verbreiter dieser „Erkenntnisse“ nicht verantwortlich, wollen gleichzeitig diejenigen, die die Verantwortung übernommen haben, zur Verantwortung ziehen.
Der politische Skandal ist für sie, dass ihre Großdemonstration, die wohl eher eine großes Zusammentreffen der Online-Freunde zum Austausch der neusten Erzählungen ist, verboten wurde. Dass zuvor andere Demonstrationen verboten wurden, interessierte sie nicht, außer als Begründung dafür, dass sie dadurch erst recht Recht haben mit ihrem Protest.
Dass die große Solidaritätsdemonstration in Hanau, wo den 9 Opfern eines rassistischen Terroranschlags gedacht werden sollte, wegen erneut steigender Corona-Ansteckungszahlen nur im kleinen Rahmen stattfinden konnte, war bei weitem kein so großer Aufreger, wie die Absage der für morgen in Berlin geplanten Demonstration. Die Aufforderung gegen dieses Unrecht doch in Berlin mitzudemonstrieren, neben den Nazis, die ganz bewusst den Nährboden für weitere rechtsterroristische Mordanschläge bereiten, und den Unterstützern der Demo, die in Widerspruch gegen ihre Theorien und Erzählungen den Weg zum Faschismus bereitet sehen, geht dabei gänzlich an der Realität vorbei, ist sozusagen eine Verarschung.
Und natürlich erleben wir noch mehr Verarschung unter dem Deckmantel der Pandemie. Dass das Wahlrecht, dass uns einen riesigen neuen Bundestag bescheren soll, immer noch nicht ausreichen reformiert wird, ist nur eine der zahlreichen Verarschungen, die aus den Führungsebenen der Politik gerade durchgedrückt werden. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Idee, gemeinsam mit Nazis für Freiheit demonstrieren zu wollen, die größte und gefährlichste Verarschung ist.
Die Folge daraus kann nur der Verbleib zuhause sein. Denn natürlich sind Demonstrationsverbote mit Verweis darauf, dass sie einem politisch nicht genehm sind, äußerst kritisch zu sehen. Nur sollte sich jede und jeder fragen, ob die eigene Meinung die Manipulation durchschaut zu haben und jetzt nicht mehr manipuliert zu werden, obwohl sich mit den Verschwörungsvideos im Internet gut Geld verdienen lässt, wirklich wahr sein kann.
Insofern verbleibt dieses social Distel-Ding zu Hause und fragt sich, was wir im nächsten halben Jahr Corona noch erleben werden. Und es bleibt eine wichtige Erkenntnis: Maske auf und‘s Maul aufreißen, gegen Nazis!

Teil 55 – Digitalisierung, Schule und keine guten Masken „made in Germany“ (Freitag, 14.08.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 14.08.2020 – 7:52 Min.

Jetzt sind wir also soweit. An Schulen soll der große Sprung in die neue digitale Welt gewagt werden. Mit 500 Millionen Euro soll das geschafft werden, was lange Zeit unvorstellbar war: Digitalkompetenz an deutschen Schulen, Internetzugänge für alle Schüler*innen und nicht zuletzt Dienstlaptops und Dienst-Email-Adressen für alle Lehrer*innen.
Kritiker mögen jetzt anmerken, dass das etwas arg lang gedauert hat. Wenn man bedenkt, dass Horst „Digital-Native“ Seehofer von sich behauptete, er wäre schon seit den 80er Jahren im Internet unterwegs, mag die Zeitspanne, bis Email-Adressen für Lehrer*innen als Ziel ausgegeben wurden, lang erscheinen.
Zwar gab es in den 80er Jahren noch kein Internet, wie vielen vermutlich bewusst ist, aber am 8. April 1981 sollte tatsächlich die Grundlage dafür gelegt werden, dass die BRD über das beste Breitbandglasfasernetz der Welt verfügen sollte. Damals hatte die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmitt einen langfristigen Investitions- und Finanzierungsplan für den zügigen Aufbau eines integrierten Breitbandglasfasernetzes beschlossen, der durch die deutsche Bundespost vorzunehmen sei, sobald die technischen Voraussetzungen dafür vorlägen. Alle alten Telefonleitungen sollten nach dem 5 Wochen später vorgelegten Plan des damaligen Bundespostministers zwischen 1985 und 2015 durch moderne Glasfaserleitungen ersetzt werden. Tja, sollten. Dass es anders kam, dafür ist der Regierungswechsel 1982 verantwortlich. Für Helmut Kohl war die Aussicht auf eine ferne digitale Zukunft kein politisches Ziel. Anstatt der Glasfaserleitungen ließ er lieber Kupferleitungen verbudeln. Die sind heute Schuld daran, dass das Internet, trotz Glasfaserausbau in der Fläche, in verminderter Geschwindigkeit in den Haushalten ankommt. Wofür sie dagegen gut waren und sind? Privatfernsehen.
Denn, dass gab der ehemalige Postminister von Helmut Kohl, Christian Schwarz-Schilling von der CDU, Ende 2017 zu bedenken: „Das deutsche öffentlich-rechtliche Fernsehen war in dieser Zeit mit einer absoluten linken Schlagseite versehen.“ Deswegen musste Konkurrenz her, damit die Kritik, die die Union in öffentlich rechtlichen Programmen wie „Panorama“ und „Monitor“ regelmäßig abbekam, im Sumpf der seichten Unterhaltung untergehen konnte. Böse Zungen könnten diese Aussage nehmen und sagen, dass die Verdummung der Bevölkerung dem eigenen Machterhalt dienen sollte. Oder auch auf die guten Beziehungen von Helmut Kohl und dem Privat-Fernseh-Mogul Leo Kirch verweisen. Als netter Mensch kann dieses social Distel-Ding sich dagegen einfach darüber freuen, dass die Internetanbieter in Zukunft vermutlich subventioniert werden, damit Schüler*innen über einen maximal 10 € teuren Internetanschluss verfügen können. So kommt die flächendeckende Internetanbindung dann auch an.
Zugute halten kann man der bisherigen digitalen Entwicklung auch, dass die in der Bundesrepublik geschulten Kinder in Zukunft vermutlich einen Vorteil gegenüber den Kindern aus anderen Ländern haben: Sie wissen noch was ein Overhead-Projektor ist, haben VHS-Kassetten im Unterricht zurückgedreht und teilweise sogar Erfahrungen mit MS-DOS sammeln dürfen. Inwieweit sich daraus tatsächlich nützliche und übertragbare Kenntnisse für die moderne Welt ableiten lassen muss natürlich noch überprüft werden, aber immerhin haben sie dadurch noch Anknüpfungspunkte um in einer überalternden Gesellschaft Gespräche zu führen. Wer kennt das nicht: „Ja Mama, ein Beamer ist fast so etwas wie ein Overheadprojektor, und eine Powerpoint Präsentation besteht aus Folien für diesen Overhead-Projektor, nur sind die auf dem Computer gespeichert. Sie können also nicht verwischen.“
Die Idee jetzt also die digital Ausstattung der Lehrkräfte und Schüler*innen zu verbessern ist allerdings erst einmal nur eine Willenserklärung, die heute auf dem Schulgipfel im Kanzleramt beschlossen wurde. Es wird sich noch zeigen, ob und wie diese Willenserklärung Realität wird.
Sicherlich ist sie aber ein Startschuss für die Lobbyisten der Laptop- und Betriebssystem-Hersteller, die vermutlich gerade das Kanzleramt umlagern und ihre Angebote einbringen wollen. Das Versprechen auf ein Stück des eine halbe Milliarde süßen Kuchens lockt sie sicherlich an wie Wespen und Schmeißfliegen ein Sommerpicknick. Im Umgang und in den Verhandlungen mit diesen Anbietern wird sich zeigen, ob ein solchen Programms wirklich eine bessere Bildung als Ziel hat, oder nur ein verkapptes Konjunktur- und Industrieanlockungsprogramm ist.
Schließlich ist die Haltbarkeit von Laptops begrenzt und es sind seltene Erden und Wertstoffe verbaut. Da drängt sich die Frage auf, ob in nächster Zeit deutsche Schulen ein Großproduzent von Elektroschrott werden, oder ob hier der Anfang einer nachhaltigen Endgerätenutzung erprobt werden kann. Solche Großinvestitionen sollten gut durchdacht sein, gerade wenn Steuermittel für Geräte eingesetzt werden, die nach einer gewissen Zeit die Allgemeinheit zu schädigen drohen, bzw., als Wertstoffe nach Afrika verschifft um dort auseinander genommen zu werden und dabei die Menschen zu schädigen.
Denn, durchdachte Großinvestitionen sind nicht unbedingt die Stärke der Repräsentanten unserer Demokratie. Keine Angst, es soll jetzt nicht wieder über die als Infrastrukturprojekte getarnten schwarzen Löcher der Steuerkasse gesprochen werden, die sich in Berlin und Stuttgart aufgetan haben. Nein, es finden sich auch in der aktuellen Corona-Pandemie neue Fehler, die einen nur den Kopf schütteln lassen.
So berichtete das öffentlich-rechtliche Fernsehen am 12. August um 21:45 Uhr im ARD-Programm plusminus, dass der von Gesundheitsminister Jens „Covid-19 ist jetzt wohl doch schlimmer als die Grippe“ Spahn angekündigte Aufbau einer großflächigen medizinischen Maskenproduktion „made in Germany“ nicht ganz so läuft wie geplant. Auf Grund von zweifelhaften Vergaberichtlinien haben neu gegründete Unternehmen den Zuschlag bekommen, dafür zu sorgen, dass die Bundesrepublik, im Falle neuer Lieferengpässe bei einer zweiten Welle, sich nicht mehr auf dem Weltmarkt um das gefragte Gut medizinische Masken schlagen muss. Darunter: eine Nagelstudiobetreiberin, Eventtechniker und andere Personen und Unternehmen, die nie zuvor in der medizinischen Produktion tätig waren. Sie unterboten die Preise der Firmen, die sowohl die Maschinen als auch das Know-How vorrätig haben, und mussten dann feststellen, dass sie der Aufgabe doch nicht gerecht werden können. Nachdem keine Vertragsstrafen vorgesehen waren, konnten sie einfach abspringen. Die Folge daraus ist, dass es die versprochenen Masken „made in Germany“ nicht in angekündigter Zahl und eventuell gar in zweifelhafter Qualität geben wird.
Aber das scheint ja kein Problem zu sein, letztlich erwartet ja kaum jemand, dass es eine zweite Welle geben könnte, oder? Außerdem diskutiert die Öffentlichkeit lieber über Jens Spahns neue 4 Millionen € teure Villa und die Frage ob das bedeuten könnte, dass er und sein Ehemann demnächst ein Kind adoptieren wollen.
All das sind natürlich Themen für das Privatfernsehen. Und für den Fall, dass die geneigten social Distel-Dinger sich jetzt fragen, warum sie nichts von dieser Maskengeschichte mitbekommen haben: Zur gleichen Zeit wie plusminus liefen im Privatfernsehen „Die 25 unglaublichsten TV-Knaller“, „Der Kampf der Realitystars“, sowie zahlreiche Filme und Serien. Und natürlich gab es im Internet Netflix und Co zu sehen. Für manche nur leider arg verpixelt, weil die Internetverbindung zu schwach ist.

Teil 54 – Mensch ärger dich nicht (Donnerstag, 13.08.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 13.08.2020 – 6:44 Min.

Was für absurde Zeiten. Das geht diesem social Distel-Ding derzeit immer wieder durch den Kopf. Der Wahnsinn kennt keine Grenzen mehr und diejenigen, die nach erfolgreichen Grenzübertritt zurückkehren, bekommen jetzt kostenlose Corona-Tests, deren Wirkung dann aber, dank unzureichender Übermittlungsgeschwindigkeit der Ergebnisse, verpufft.
So wird das Glücksspiel „Urlaub im Risikogebiet“ eher zu einem „Mensch ärgere dich nicht“. Statt nach dem Urlaub dank schnellem Test den von Markus „Corona-Kanzler der Herzen“ Söder versprochenen Freifahrtschein „Corona-Negativ“ zu bekommen, erwarteten und erwarten heute ca. 44.000 Menschen endlich ihr Ergebnis zu bekommen. Der heutige Donnerstag ist also ein spannender Tag für die Risikogebiets-Rückkehrenden. Aus der Presse wissen sie ja schon seit gestern, dass ihre Chance an Covid-19 erkrankt zurückgekehrt zu sein bei 2,05% liegt.
Da werden vermutlich einige nicht nur des Sommers wegen daheim schwitzen. Allein sich in die Situation hineinfühlen zu müssen löst bei diesem social Distel-Ding Schweißausbrüche aus: Was wenn mein Test positiv ist? Wen habe ich seitdem alles getroffen? Wenn ich jetzt meine Eltern, meine Kinder oder meine Nachbarin angesteckt habe? Wie schlimm wird die Krankheit werden? Was sind die Langzeitfolgen? Hirnschäden? Haarausfall?
Wer gerade in diesem Wust an Fragen gefangen ist, der oder die wird vermutlich auch nicht so gut auf Söder zu sprechen sein. So sehr der Bayerische Ministerpräsident sich in letzter Zeit als Sicherheitsbedenkenträger dargestellt hat, so sehr zeigt sich jetzt, dass die Sicherheit, die er mit seinen Maßnahmen möglich machen wollte, eine trügerische ist. Einerseits, weil die digital rückständige Verwaltung nicht hinterherkommt, die Daten der Getesteten per Hand einzutragen. Andererseits, weil nach wie vor gilt: „Ein negativer Test ist kein Freifahrtschein.“ Die Vernunft kann den social Distel-Dingern eigentlich nur einen Rat geben:
Solange mensch nicht bestätigt an Covid-19 erkrankt ist, gilt es sich in Zeiten der Pandemie so zu verhalten als wäre mensch an Covid-19 erkrankt. Und wenn man mit einer hochansteckenden und potentiell tödlichen oder mit Langzeitfolgen verlaufenden Krankheit infiziert ist, achtet mensch darauf, andere Menschen nicht zu infizieren. Heißt: Keine Umarmungen, kein Händeschütteln, kein Annießen oder Anhusten, Händewaschen, Masken tragen, Abstand halten.
Heißt allerdings auch: 2020 sind wir alle krank. Eine kranke Gesellschaft, eine kranke Welt. Und krank sein ist verdammt anstrengend. Vor allem wenn es sich so anfühlt wie jetzt, da die Urlaubsrückkehrer, die bisherigen Lockerungen und unser Gewöhnungseffekt die registrierten Neu-Infektionszahlen wieder deutlicher ansteigen lassen. Wir haben wieder mehr registrierte Fälle als zuletzt im Mai. Deshalb „Mensch ärger dich nicht“ – zurück auf Los, wir wurden geschlagen, 2 Schritte vor, 5 zurück.
Schlimmer noch: Viele scheinen schon genau zu wissen, dass wir bald wieder von der Pandemie geschlagen werden und drängen sich deshalb enger zusammen, machen die Dinge, die sie vermutlich nicht tun sollten. Nach dem Motto: „Der nächste Lockdown kommt bestimmt, lasst uns das Leben genießen, so lange es noch geht“ steuern wir erlebnisorientiert auf eben jenes Schreckgespenst zu: Neue Kontaktbeschränkungen, geschlossene Geschäfte und Gastronomie, Übersterblichkeit, ausverkauftes Klopapier und natürlich die allgegenwärtige Angst, dass unser Gesundheitssystem überlastet wird und Kranke unbemerkt und allein auf den Gängen verrecken müssen.
Aber dieses Motto kennen wir ja auch schon von der Klimakatastrophe. Dort heißt es eben: „Bald verändert sich eh alles, lasst uns noch schnell einen fetten SUV kaufen, um die Welt jetten und billiges Fleisch auf dem Kohlegrill verbrutzeln – beim Sonderschlussverkauf der Erde machen wir ein gutes Schnäppchen.“
Nicht nur die ganze Gesellschaft ist krank, auch die Erde hustet in vielen Regionen staubtrocken oder übertrieben nass.
Und hier zeigt sich ein weiteres Problem. Der Wille auf selbst verursachte Veränderung ist viel zu schwach. Das gilt ganz besonders für die Politik der Bundesrepublik. Vor einigen Jahren hatten wir mal eine weltweit angesehene Klimakanzlerin, die in großen Worten einen selbstbestimmten Wandel anregen wollte. Die so bezeichnete Kanzlerin ist zwar immer noch an der Macht, aber aus der Klimarettung ist die Rettung der Kohlekonzerne, Automobilindustrie und Luftfahrt geworden. Der angenommene Vorsprung auf dem Weg hin zu einer ökologischeren Wirtschaft, wenn es so etwas denn geben kann, ist für den Erhalt der Machtstrukturen des Status Quo zurückgedreht worden. Mensch ärgere dich nicht – zwei Schritte vor, fünf zurück.
Demnach darf es eigentlich nicht verwundern, dass dieses, für sein schlagkräftiges Pandemiemanegment international als Vorbild geltende, Land den Vorsprung der frühzeitigen Eindämmung gleich wieder für die Aufrechterhaltung des Status Quo eingebüßt hat.
Statt großflächig Studien zu betreiben und Konzepte zu entwerfen, wie in der voraussichtlich noch Jahre anhaltenden Pandemie gelebt und gearbeitet werden kann, wurde lieber dem Bedürfnis auf Urlaub in Risikogebieten nachgegeben und das auch noch staatlich subventioniert.
Statt jetzt ein großes Konzert in Düsseldorf zum Anlass zu nehmen, um herauszufinden wie wir in nächster Zeit Konzerte sicher erleben können, wird alleine der Versuch Konzepte zu entwickeln als unverantwortlich abgetan.
Wir wissen immer noch zu wenig über sinnige und unsinnige Varianten sich und andere vor dem Virus zu schützen. Haben immer noch das Gefühl, dass wir all den Hygiene-Anforderungen nicht nachkommen können. Denn, sind wir mal ehrlich, wer hat seine Maske in den letzten 10 Tagen gewaschen?
Vieles was wir tun ist von Vorsicht geprägt und wird einfach hingenommen, aber tragfähige Konzepte, die darauf hindeuten, dass wir wissen was wir im Herbst und Winter sicher tun können haben wir weder in Schulen, noch in der Gastronomie oder in Kulturbetrieben. Während die Menschen in Flugzeugen wieder um die halbe Welt fliegen können, sind Konzerte, Theater und Partys als unverantwortlich gebrandmarkt. Wenn wir schon kein Medikament für die Krankheit haben, die wir potentiell alle verbreiten können, sollten wir doch wenigstens Wege und Möglichkeiten erforschen, das von der Pandemie behinderte Leben lebenswert und planbar zu gestalten. Nur sollten diese Konzepte ausgereifter sein, als Söders: „Ich teste euch alle!“
Sonst ist es eben wieder – Mensch ärger dich nicht! – zwei Schritte vor, fünf zurück

Teil 53 – Corona-Trolle (Montag, 03.08.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 03.08.2020 – 7:08 Min.

Die Wut ist wieder da. Vorbei die kurzzeitige Vorstellung einer neuen Normalität, in der wir das beste aus der Situation machen und langsam aber sicher, und mit Sicherheitskonzepten, das öffentliche Leben und die Wirtschaft wieder hochfahren. Nein, wir sind wieder mittendrin im Streit: Covidiotien gegen Schlafschafe, selbsternannte Querdenker gegen die Akzeptanz der wissenschaftlich begründeten Hygienemaßnahmen.
Und wie es sich gehört, gibt es dazu noch massig Nebenschauplätze des Streits, der sich an der Berliner Großdemonstration vom Samstag entzündete: Ist die öffentlich verbreitete Zahl der Demo-Teilnehmenden politisch bedingt zu niedrig geschätzt worden? Wird der Protest absichtlich delegitimiert indem hauptsächlich von Reichsbürgern und Verschwörungs-Erzählungs-Verbreitern berichtet wird? War die Auflösung der Demonstration gerechtfertigt? wird mit zweierlei Maß gemessen, weil die Berichterstattung der Black Lifes Matter Demonstrationen um einiges freundlicher war?
Sicherlich gibt es noch zahlreiche Fragen mehr, die die Skeptikerinnen und Skeptiker gerne beantwortet hätten. Die einzige Frage, die sich dabei stellt: Geht es hier wirklich um Diskurs oder sind wir schon wieder mitten drin in eine weitere Aufspaltung der Gesellschaft in diejenigen, die an und in ihr politisch arbeiten wollen, und denjenigen, die ihre Ablehnung nur möglichst plakativ zur Schau stellen wollen, die neudeutsch einfach nur noch „trollen“?
Die Frage stellt sich nicht zum ersten Mal. Für dieses social Distel-Ding war es 2015 eine äußerst seltsame Erfahrung die Politik der Kanzlerin gegenüber CDU und CSU Mitgliedern verteidigen zu wollen. Es war seltsam die Bedeutung des Grundgesetzes und der aus ihm folgenden politischen Verpflichtungen zur Wahrung der Menschenwürde und des Asylrechts erklären zu müssen. Aber richtig erschreckend war es eigentlich erst, als sich die allgemeine Feststellung durchsetzte, dass es den „besorgten Bürgern“ nicht um einen Diskurs ging, an dessen Ende eine tragbare Lösung und ein auf Fakten basierender Kompromiss stehen soll. Statt der Versöhnung kam die Spaltung. Genauer gesagt, die Abspaltung eines Teils dieser Gesellschaft, die sich in Fundamentalopposition zum Rest fühlt. Es ging sogar noch weiter. Die Abspaltung war nicht nur eine Meinungsfrage, sondern sie hat sich ihre eigene Realität gebildet, ihre eigene Wahrnehmung der Welt.
Über die zahllosen Weltverklärer im Internet, die die Erde flach, von Reptiloiden regiert und von „Umvolkung“ bedroht zeichnen, kann jede und jeder Fundamentaloppositionelle sich seine unangreifbare Weltsicht zurecht legen und sich dadurch gegen jeden am Erkenntnisgewinn orientierten Diskurs wappnen. Der große Selbstbedienungsladen der als Wahrheiten deklarierten Unterhaltungsangebote beraubt die Gesellschaft der gemeinsamen Gesprächsrealität.
Wer nicht anerkennen möchte, dass die Pandemie gefährlich ist, der oder die wird sich in einer Diskussion über die richtigen Maßnahmen der Pandemieeindämmung schwer tun konstruktiv mitzureden. Wer sich lieber als Statement Tampons vor dem Gesicht herumbaumeln lässt, statt auf einer Großdemonstration eine Mund-Nasen-Maske zu tragen, der wird vermutlich ein Gesprächsangebot dafür nutzen, möglichst kontroverse Thesen in den Raum zu werfen um das Gegenüber aus der Fassung zu bringen. Wer lautstark „Wir sind die zweite Welle!“ ruft und dabei durch das eigene Verhalten wahrscheinlich aktiv an der Auslösung einer solchen teilnimmt, wertet die eigene Meinung und Weltsicht höher als Menschenleben.
Das ist das eigentlich beängstigende an diesen Veranstaltungen: Die meinungsstarken Individuen werten ihre Meinungen und Schlussfolgerungen höher als alles andere. So wie 2018 bei Pegida „Absaufen! Absaufen!“ skandiert wurde, als es um den verzweifelten Kampf der Mission Lifeline ging, aus Seenot gerettete Flüchtlinge an Land zu bringen, wurden auf der Querdenker-Demo die Corona-Opfer verhöhnt und weitere willentlich in Kauf genommen. Und wieder ist die Begründung dieser Entwertung menschlichen Lebens das angebliche exklusive Wissen über eine dunkle Verschwörung, die es aufzuhalten gilt, koste es was es wolle.
Während medizinisches Personal weltweit an einer tatsächlichen Front um das Leben von Menschen kämpft, sehen sich viele Querdenker ebenfalls im Kampf. Egal ob sie mit Q-Anon gegen eine satanistische Kabale, Kinderschänder und den „Deep State“ kämpfen, über 5G, Chemtrails oder die Gates-Verschwörung aufklären, oder ganz allgemein die demokratisch-souveräne Verfasstheit der Bundesrepublik anzweifeln wollen, all das scheint für sie so drängend zu sein, dass sie den Tod und die Erkrankung anderer in Kauf nehmen. Und deshalb nehmen sie es wohl auch in Kauf mit ihren eigentlichen politischen Gegnern zu marschieren. Frei nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“, stören sich viele Querdenker offensichtlich nicht an Reichskriegsflaggen, deutlichem Wahnsinn oder der generellen Verrohung im Umgang mit Andersdenkenden.
Trotzdem ist es vermutlich nicht hilfreich sie generell als Covidioten abzustempeln. Letztlich wird die unangenehme Realität der Pandemie, aus der die Skeptiker fliehen, nur noch unangenehmer, wenn sie mit einer Beleidigung des eigenen gutgemeinten Aktivismus daherkommt. Denn das ist ja der Witz, keiner will sich selbst als böse sehen, fast alle glauben wir daran, dass wir allein das Gute wollen.
Leider können wir nie wissen, was wirklich das „Gute“ ist. Deshalb sprechen wir weiter miteinander, versuchen einander zuzuhören und bezeichnen diejenigen, die nicht zuhören wollen, sondern nur provozieren, als das was sie sind: Corona-Trolle!
Denn Corona-Trolle wollen nicht zuhören, sondern ihr ergoogeltes „Wissen“ loswerden. Corona-Trolle wollen nicht überzeugen, sondern Zweifel sähen und verunsichern. Corona-Trolle wollen keine Lösungen, sondern die Lösungen der anderen als falsch darstellen. Corona-Trolle relativieren die Realität und sehen sich selbst als Opfer. Und Corona-Trolle müssen nicht einmal echte Menschen sein, um echte Menschen zu verunsichern.
Diese Verunsicherung gilt es aufzuhalten, so anstrengend es auch ist. Wir dürfen nicht schon wieder Nachbarn, Freunde und Familienmitglieder an die Trolle verlieren, sie vereinsamt und verbittert in einer kleinen Blase hetzen lassen. Allerdings sollten wir dabei spätestens jetzt besonders vorsichtig sein. Letztlich besteht nach dieser großen Demonstration ohne Masken die reelle Gefahr, dass es einen neuen großen Ausbruch geben wird.
Also: Maske auf, Abstand halten und zuhören, ob hinter den ganzen Troll-Geschichten nicht einfach eine verunsicherte Person steckt, die in diesem großen Experiment Corona lieber etwas unvernünftiges glaubt und tut, als tatenlos den massiven Veränderungen und Gefahren ins Auge blicken zu müssen. Denn, auch wenn vieles auf den Querdenker-Demos übertrieben formuliert ist, es stimmt: Wer in der Demokratie schläft, wacht in der Diktatur auf! Wir brauchen wachsame Menschen, die auch aufeinander aufpassen.

Teil 52 – Pandemien sind nichts Neues (Donnerstag, 30.07.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 30.07.2020 – 6:10 Min.

Endlich Sommer! Sommer auf Balkonien, Sommer an der Isar, Sommer mit Corona.
Das schöne Wetter ist da und mit ihm kommt leider auch die schmerzhafte aber nüchterne Realisation, dass die Corona-Krise so schnell nicht vorbei seien wird. So schwitzen wir weiter unter unseren Masken und wundern uns darüber wie schnell die Zeit in der Krise vergeht. Die Schausteller klagen heute schon, dass Christkindlmärkte wohl nicht stattfinden können. Dabei wollten wir social Distel-Dinger doch erstmal den Sommer genießen, statt darüber nachzudenken wie Glühweinflecken auf Mund-Nase-Masken aussehen. Dieses social Distel-Ding freut sich übrigens am meisten darüber, dass die Allergie-Saison vorüber ist. Ständige Niesanfälle und Maskenpflicht haben wirklich nicht gut zusammen gepasst.
Aber in der Pandemie geht es ja nicht um die Leiden der einzelnen, sondern um die Gesundheit der Herde, der gesamten Menschheit. Mittlerweile deutet sich an, dass ein Blick zurück auf vergangene Pandemien nicht mehr nur Schreckensszenarien aufwirft, vor denen wir uns aus Rücksicht auf unsere psychische Gesundheit dringend fern halten sollten, sondern auch deutliche Parallelen zur aktuellen Situation aufzeigt.
Nehmen wir zum Beispiel das Krisenmanagement Donald Trumps. Von vielen wird sein Versagen mit der Pandemie-Lage in den USA umzugehen als Beweis dafür gesehen, dass es sich bei ihm um den unfähigsten US-Präsidenten aller Zeiten handelt. Allerdings zeigt sich, dass der letzte amerikanische Präsident, der eine Pandemie zu managen hatte, sich nicht besser anstellte. Woodrow Wilson, der von 1913 bis 1921 das Amt des Präsidenten innehatte und aus der Demokratischen Partei stammte, stellte sich auch nicht besser an. Vieles was wir heute bei Trump als absoluten Wahnsinn betrachten, war auch damals weit verbreitet.
Die nach dem ersten Weltkrieg grassierende Spanische Grippe kostete weltweit mehr als 50 Millionen Menschen das Leben. Dennoch würdigte Woodrow Wilson, der sogar selbst an ihr erkrankte, sie keines Wortes in seinen öffentlichen Reden. Schon der Name „Spanische Grippe“ geht auch nach damaligen Kenntnisstand nicht auf den Ursprung der Erkrankung zurück, der wohl in Kansas oder in China lag. Stattdessen wurde er gewählt, weil die freie Presse in Spanien umfangreich über die Krankheit berichtete, während in den USA und anderen Nationen der Kriegsberichterstattung und dem Hurra-Patriotismus mehr Raum in den Zeitungen gegeben wurde, als der Gefahr, die letzten Endes über 50 Millionen Menschen dahinraffen sollte.
Schlimmer noch, Wilson forderte die Bevölkerung zu großen Militärparaden und öffentlichen Versammlungen auf. Auch die Empfehlung von Ärzten, Masken zu tragen um die Ausbreitung des Virus einzudämmen fiel damals großflächig auf taube Ohren und wurde gar als verfassungswidrig bezeichnet.
Wenn wir weiter in die Geschichte zurückblicken hat es den amerikanischen Doppelkontinent auch schon schlimmer getroffen. Mit den einfallenden europäischen Siedlern und Räubern, die auf ihrer Suche nach Gold tief in das Land eindrangen, verbreiteten sich die schon länger in Europa grassierenden Masern und Pocken. Schätzungsweise starben an diesen Epidemien ebenfalls 50 Millionen Menschen, was nach heutiger Forschung in ungefähr 90% der damaligen indigenen Bevölkerung entspricht. Dass damals diese Krankheiten sogar als Waffen gegen die Indigenen eingesetzt wurden, ist mittlerweile ein offenes Geheimnis.
Dann gibt es auch noch die Pest. Auch dieser Pandemie fielen über 50 Millionen Menschen zum Opfer, wobei die Weltbevölkerung zur Zeit der Pest viel geringer war, als beispielsweise in der Zeit der Spanischen Grippe. Was die Pest noch einmal spannend macht, ist, dass sie nach heutigem Forschungsstand wohl ebenfalls aus der chinesischen Region Wuhan stammt. So wurde es zumindest von der Arte-Sendung „Mit offenen Karten“ wiedergegeben. Dass die Pest und das Corona-Virus Covid-19 beide aus der selben Stadt stammen, mag auf den ersten Blick unglaublich erscheinen, ist aber relativ leicht zu erklären, wenn die Entstehungsgeschichte von Krankheiten mit bedacht wird. Wuhan liegt fast genau in der Mitte zwischen den bevölkerungsreichen Regionen Peking im Norden und Guangzhou, Shenzhen und Hongkong im Süden, sowie Shanghai im Osten und Chongqing im Westen der heutigen Volksrepublik China. In dieser Stadt treffen also sehr viele Menschen und Tiere aufeinander und viele Land- und Seerouten laufen dort zusammen. Wo, wenn nicht hier, sollte sich ein Virus entwickeln und verbreiten?
Ja, und so stehen wir also da und stellen fest: Pandemien und Epidemien gehören zur Menschheitsgeschichte und schlechtes Gesundheitskrisenmanagement scheinbar zu US-Geschichte. Aber, viel wichtiger, wir sind noch weit von der typischen Todeszahl entfernt. Statt 50 Millionen Tote, die jeweils die Folge der Spanischen Grippe, der Pocken und Masern sowie der Pest waren, sind aktuell „nur“ über 660 000 Menschen an den Folgen von oder mit Covid-19 verstorben. Der Rückschluss, dass unsere aktuelle Pandemie demnach nicht so schlimm sein kann, ist allerdings gefährlich.
Das heutige Krisenmanagement, so unangenehm es in manch seiner Maßnahme sein mag, ist um so vieles stärker als jegliche Versuche der damals Betroffenen die Ausbreitung der Krankheiten einzudämmen. Heute haben wir schnelle Tests, ein besseres Wissen über die Ausbreitungswege, ein effektiveres und schlagkräftigeres Gesundheitssystem und nicht zuletzt auch staatliche Hilfen, die die wirtschaftlichen Schäden soweit einbremsen, dass kein Hunger droht. Wobei diese Analyse auch nicht weltweit gilt und zu hoffen bleibt, dass die internationale Solidarität schlimmste Folgen in weniger vermögenden Regionen verhindert.
Dennoch werden wir vermutlich noch in diesem Jahr die Schreckensnachricht hören, dass weltweit über eine Millionen Menschen an und mit dem Corona-Virus verstorben sind.
Eine Pandemie ist kein Spaß, da kann es auch in Kauf genommen werden, unter der Maske zu schwitzen.

Teil 51 – Der Corona-Kater (Montag, 27.07.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 27.07.2020 – 5:44 Min.

Montag! Das Wochenende ist vorbei und der Ernst des Alltags steht weitere 5 Tage an.
Dieses social Distel-Ding war am Wochenende endlich mal wieder auf einer Feier und hat sich sau wohl gefühlt andere Menschen zu treffen. Und am nächsten Tag: Corona-Kater. Ob das alles so richtig war, hygienisch, verantwortungsvoll, risikogerecht? Schwer zu sagen, wenn nicht nur diese Fragen, sondern auch Restalkoholschwaden durch den Kopf wabern. Es ist halt auch nicht einfach, das gute Leben in der Pandemie. Wenn es denn überhaupt möglich ist.
Aber nicht nur diesem social Distel-Ding geht es vermutlich so. Die Freude über das Aufeinandertreffen trifft auf den Hunger nach menschlichem Kontakt, der uns in den letzten Monaten so abgegangen ist. Glückselig ist der Mensch, wenn er oder sie mal wieder raus aus der Corona-Welt schauen und stattdessen alle Sorgen und alles Leid in der Gesellschaft anderer vergessen darf.
Aber dann kommt er eben am nächsten Tag, der Corona-Kater. Da kommen dann nicht nur die Erinnerungen an den Abend zuvor zurück, sondern auch die Begründungen, warum solch ein schöner Abend so lange nicht mehr abgehalten wurde: Wir wollten uns gegenseitig nicht anstecken. Wir wollten nicht unwissentlich den Virus verbreiten. Wir wollten unsere Eltern und Großeltern und die unserer Bekannten, Kolleginnen und Freunde vor der großen Gefahr einer Ansteckung bewahren. Wir wollten die Gesundheit aller höher werten, als unsere kurze Freude am Feiern.
Tja, wir wollten und wir haben es auch lange Zeit getan. Nur jetzt haben wir eventuell einen folgenschweren Fehler begangen und können nur hoffen, dass in den nächsten zwei Wochen die Schreckensnachricht einer Infektionswelle im Bekanntenkreis ausbleibt. Und, dass wir in den nächsten 14 Tagen noch besser darauf aufpassen andere vor unseren Aerosolen und anderen Virenträgern zu schützen. So sind wir zwar dann nicht vorbildlich durch die Krise gekommen, aber zumindest verantwortungsvoll.
Denn die Gefahr ist natürlich da, dass Mensch sich danach für dieses Fehlverhalten schämt und dann für sich nach Begründungen sucht, warum es jetzt doch in Ordnung war, die Befürchtungen in den Wind zu schlagen. Die Folge daraus wäre dann, es ganz aufzugeben sich gegen den Virus zu stellen. Das wäre, spätestens jetzt, im Angesicht einer zweiten Welle, wirklich nicht hilfreich. Stattdessen empfiehlt dieses social Distel-Ding diese Corona-Kater-Rezeptur:
Dafür brauchen wir folgende Zutaten: Akzeptanz, Kommunikation, Sicherheit und Kanalisierung.
Zuerst müssen wir die Akzeptanz herstellen. Dafür empfiehlt es sich einen Spaziergang zu unternehmen. Die Freude über den Abend zuvor kann einfach auch mal genossen werden. So als gäbe es kein Corona. Wir sind Menschen und sind gestern aus unserer Corona-Zeit herausgefallen, weil das Setting und auch das Bier uns vergessen lassen hat, dass es eben nicht alles wie früher ist. Eine ganz verständliche Reaktion, aus der es zu lernen gilt, aber die uns hoffentlich auch über die nächste Zeit mit guten Erinnerungen nährt. Deshalb genießen und akzeptieren, dass es vielleicht unvorsichtig war, aber Selbstzweifel und Angst jetzt auch nicht weiterhelfen.
Wenn die Akzeptanz für das „Es war so schön und ich habe mich zu Corona-Fehlverhalten hinziehen lassen“-Ich hergestellt ist, nutzen wir es als Basis für die Kommunikation. Da wir alle social Distel-Dinger sind, können wir davon ausgehen, dass wir nicht die Einzigen sind, denen es so geht. Die anderen Freundinnen und Freunde werden vermutlich ebenfalls unter dem Corona-Kater leiden. Statt hier Scham aufkommen zu lassen die schlimmstenfalls zu gegenseitigen Vorwürfen, wer wen zur Feierstimmung animiert habe und letztlich wer wen angesteckt habe führt, wollen wir die Akzeptanz weitergeben und gute Freundinnen und Freunde wertschätzen, mit ihnen in Erinnerung schwelgen. Geteiltes Leid ist halbes Leid.
In der Kommunikation schwingt schon ein wenig der Sicherheitsgedanke mit. Wir informieren einander darüber, dass eventuell eine Ansteckungsgefahr bestehen könnte und ermahnen uns gegenseitig, wieder vermehrt acht zu geben. Da Tests in Bayern mittlerweile sogar kostenlos sind, könnte sich einer anbieten. Natürlich gibt ein negatives Testergebnis den social Distel-Dingern eine Scheinsicherheit, da es nur eine kurze Momentaufnahme in diesem Marathon der Pandemieeindämmung ist. Aber wenn sich genügend Gäste einer Feier im Anschluss an verschiedenen Tagen testen lassen, sollte eine Erkrankung und Verbreitung relativ schnell öffentlich werden. Mit etwas Glück hatten eh viele Gäste der Feier die Corona Warn-App auf ihren Handys und können dadurch anonym die anderen über deren Gefährdungsrisiko informieren.
Aber trotz aller Akzeptanz, Kommunikation und Sicherheitsgedanken, letztlich bleibt ein ungutes Gefühl. Daher bietet sich die Kanalisierung als letzter Schritt an. Statt den Gedanken an die mögliche Gefahr anheimzufallen, richten wir unseren Blick bewusst in die Zukunft. Wir lernen aus unseren Fehlern und versuchen uns und andere noch besser zu schützen. Wie manche sonst ihr schlechtes Gewissen nach dem Suff mit einem Strauß Blumen an die Bloßgestellte beruhigen, sind unsere Accessoires der Gewissensberuhigung eine neue Maske, frisches Desinfektionsmittel und ein neuer Corona-Gruß, den wir uns am liebsten markenrechtlich eintragen lassen würden, weil er so gut ist.
Das Leben findet leider auch weiterhin in Mitten einer globalen Pandemie statt, aber frisch gestärkt mit menschlichem Kontakt können wir es jetzt besser und kreativer durchhalten. Die zweite Welle kann kommen, wir werden sie auch wieder abflachen. Mit Mut und Maske in die Zukunft!

Teil 50 – Zeit zurück zu blicken und neue autoritäre Umtriebe (Mittwoch, 22.07.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 22.07.2020 – 6:32 Min.

Hier kommt der 50. Teil dieser Kolumne. Beim 1. Teil vor 17 Wochen, dem Start in das größte soziale Experiment der Menschheitsgeschichte, sah die Welt noch ganz anders aus. Damals war noch nicht absehbar, dass sich die ganze Geschichte so lange und so einschneidend entwickeln wird. Es war alles auf Halt, ein globaler Stopp, die große Pause die uns die Geschwindigkeit des Globalisierung erst vor Augen geführt hat. Heute, 17 Wochen später, hat die Welt wieder an Fahrt aufgenommen, nur dass sich niemand so richtig sicher ist wie schnell und welche Richtung angemessen wäre. Stattdessen dreht sich alles um die Fragen, ob die Maßnahmen zu weit gehen oder die Lockerungen dem Virus wieder zu viel Platz lassen. Kommt die zweite Welle und wenn ja, wann, wie schlimm und richtet die Angst vor ihr nicht noch mehr Schaden an, als der Virus verursachen könnte?
Naja, das stimmt auch nicht ganz. Eigentlich wollen viele davon nichts mehr wissen. Schließlich ist Sommer, es gibt wieder Grillfeste, Geburtstagsfeiern werden nachgeholt, der Urlaub steht an und insgesamt ist das social Distel-Ding nicht mehr ganz eifrig beim social distancing wie zu Beginn der Pandemie. Zwar ist allen bewusst, dass der Virus noch nicht aus der Welt ist, aber die Wahrscheinlichkeit, dass mensch sich im Bekanntenkreis oder in der Öffentlichkeit anstecken könnte, scheint verschwindend gering. Letztlich hatten die meisten social Distel-Dinger ja auch bisher keine Fälle im Bekanntenkreis, was die unsichtbare Gefahr der Ansteckung noch weiter aus der Wahrnehmung rücken lässt. Zusätzlich erscheint einigen die gesundheitliche Gefahr gering aber die Verlockungen einer möglichen Immunität ungleich größer.
Im Glauben daran, dass das junge, unfreiwillig auf soziale Distanz gehaltene Distel-Ding Covid-19 schon problemlos wegstecken würde, steigt die Risikobereitschaft und damit leider auch das Ansteckungsrisiko im gesamten Umfeld. Dabei lassen sich bis heute die Auswirkungen einer durch das Corona-Virus ausgelösten Erkrankung nicht abschließend beurteilen. Langzeitfolgen wie Haarausfall und Wortfindungsprobleme sind bisher dokumentiert worden. Allerdings gibt es auch die gute Nachricht, dass die zuvor stark beeinträchtigten Lungen sich anscheinend wieder regenerieren, wobei auch das nicht abschließend gesagt werden kann.
Aber klar, die konstante Angst vor Ansteckung ist nicht langfristig aufrechtzuerhalten. Deshalb hängt auch immer noch die Angst vor Strafen in der Luft. Wer keine Maske trägt, der oder dem droht Bußgeld. Wer keine Regeln zur Pandemieeindämmung schafft und die Kundschaft nicht zur Einhaltung dieser Regeln bringt, der oder dem droht noch höheres Bußgeld. Wo die Angst vor Ansteckung und Virusverbreitung nicht ausreicht, wird sie durch die Angst vor Repression ersetzt.
Nur nimmt die Repression in einigen Ländern zwischenzeitlich beängstigende Züge an. Aus den USA wird von nicht gekennzeichneten Geheimpolizisten unter Trumps Kommando berichtet, die in Portland Protestierende entführen und versuchen Proteste mit Gewalt zu unterbinden. Dabei geht es dem Präsidenten Donald Trump, dem einige den neuen Spitznamen „Twittler“ zuschreiben, nicht darum die Einhaltung der Hygiene-Regeln durchzusetzen. Stattdessen soll die starke Hand des Staates demonstriert und „Law and Order“ durchgesetzt werden. Wobei es eigentlich nicht um Gesetz und Ordnung geht. Tatsächlich soll die Bürgerschaft, die Trump nicht ergeben ist, mit exzessiver staatlicher Gewalt dazu gebracht werden sich zu ergeben.
Das alles mag weit weg erscheinen, aber wenn die social Distel-Dinger sich die Kommentarspalten vieler Zeitungen und erst recht die unredigierte Meinung im Internet anschauen, zeigt sich nach den Krawallen in Stuttgart und zuletzt Frankfurt: Auch bei uns finden sich viele, die die unbedingte Einhaltung von Gesetz und Ordnung sowie den unwidersprochenen Gehorsam gegenüber der Polizei lieber früher als später durch den Einsatz exzessiver staatlicher Gewalt durchgesetzt sehen wollen.
Mit Stammbuch-Prüfungen und entmenschlichender Sprache sollen diejenigen, die mit der Polizei aneinander geraten, aus der Solidargemeinschaft ausgeschlossen werden. Sie zu erniedrigen erscheint die Massen zu befriedigen. Erinnert sei hier an einen der jugendlichen mutmaßlichen Randalierer von Stuttgart, der barfuß mit Hand- und Fußfesseln und einer Spuckschutzhaube dem Haftrichter vorgeführt wurde. Die Bilder erinnerten eher an den Folterskandal der US-Armee in Abu Ghraib im Irak, als an einen Rechtsstaat der aus seiner eigenen, grausamen Geschichte gelernt haben will.
Damit soll nicht versucht werden gewaltsame Zusammenstöße von meist betrunkenen jungen Menschen mit der Polizei zu rechtfertigen. Auch wenn die deutsche und vor allem die hessische Polizei große Probleme aufzuarbeiten hat, können sich selbst aufstachelnde Gewaltorgien nicht die Antwort sein oder zur Lösung beitragen.
Nur ist dieses gesellschaftliche Nach-Unten-Treten und Entsolidarisieren der erste Schritt hin zu einer Gesellschaft in der Aufmucken gegen die Autorität nicht mehr als Emanzipation sondern als Straftat verstanden wird. Und Staaten, in denen Widerspruch gegen die staatliche Autorität als Straftat verstanden wird, nennen wir autoritär. Insofern bleibt die Hoffnung, dass die Krawalle sachlich juristisch aufgearbeitet werden, als das was sie waren: Gewaltsame Ausbrüche einer frustrierten und sich von der Polizei unnötig drangsaliert fühlenden Masse betrunkener Menschen, die von einer Massendynamik angetrieben wurden. Und wie es sich in einem Rechtsstaat gehört, sollte die Festgenommenen ein faires Verfahren erwarten in dem weder deren Herkunft noch die öffentliche Meinung eine Rolle zu spielen haben. So bleibt zu hoffen, dass sich die Aufregung bald wieder legt und statt der Verurteilung einzelner die gemeinschaftliche Lösung der vielen Krisen, von Corona bis zu rechten Netzwerken in Polizei und Gesellschaft, in den Vordergrund rückt.
Es ist ja nicht so, als ob sich einige Befürchtungen die vor 17 Wochen groß waren, heute nicht in Luft aufgelöst haben: Wie die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung berichtet, sollten die Klopapier-Depots in Privathaushalten mittlerweile aufgezehrt sein und der Einkauf wieder zur Normalität zurückkehren.
Und somit bleibt am Ende dieses 50. Teils nur eins über manche Debatten zu sagen: Scheiß drauf. Sie gehen auch wieder vorbei.

Teil 49 – Zum Kompromiss im UN-Sicherheitsrat (Montag, 13.07.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 13.07.2020 – 10:23 Min.

Und wieder geht es ab in eine neue Woche in Corona-Zeiten. Wir sind zurück in der Pseudo-Normalität, in der Pandemieschutz für einige wie eine faule Ausrede klingt, sei es um einer unpassenden Einladung zu entgehen oder den schlechten Service in der Gaststätte zu begründen. Bei all dem Sonnenschein, der Feierlaune auf öffentlichen Plätzen und der Vorbereitung auf die Sommerferien, erscheinen die ersten Wochen der Krise wie aus einem anderen Zeitalter gefallen. Vorbei sind die täglichen Extras und Spezials nach den Nachrichten. Jetzt ist die Zeit der Sommerinterviews in luftigen Sommeranzügen, zu denen der RBB sogar Politiker einlädt die wahrlich keine Sonne brauchen um braun zu sein.
Die bangen Stunden vor dem Fernseher haben wir social Distel-Dinger eingetauscht gegen letzte Sonnenstrahlen am See oder Flussufer. Die zuvor so grausame Welt scheint in goldenes Sommerlicht getaucht befriedet zu sein. Alles ja nicht so schlimm bei uns. Die subjektive Wahrnehmung ist eben auch vom Wetter abhängig und profitiert davon, wenn uns weniger Nachrichten erreichen.
Diese schöne Weltsicht wird allerdings eingetrübt, wenn Mensch sich wieder mit der politischen Großwetterlage beschäftigt. Am unwohlsten wird einem bei der am Samstag gefällten Entscheidung des UN Sicherheitsrats zum Syrien-Konflikt. Statt wie bisher über zwei Grenzposten dürfen humanitäre Hilfsgüter in den nächsten 12 Monaten nur noch über einen Grenzposten zwischen der Türkei und Syrien geliefert werden. Wie häufig bei solchen zwischenstaatlichen Entscheidungen auf Ebene der Vereinten Nationen, ist die Bedeutung dieser Entscheidung erst einmal nicht leicht zu verstehen. Deshalb hier eine stark vereinfachte Erklärung der Situation und der Entscheidung:
In Syrien ist der 2011 ausgebrochene Bürgerkrieg noch nicht beendet. Der syrische Präsident Baschar al-Assad hat dank der Unterstützung Russlands große Teile des Landes zurückerobern können und versucht seit längerer Zeit die letzten Orte, die sich noch unter Kontrolle der Opposition befinden, einzunehmen. Diese Gebiete sind zugleich Rückzugsort für Millionen Binnenflüchtlinge in Syrien, die ohne humanitäre Hilfe zum Spielball zwischen den Bürgerkriegsparteien zu werden drohen. Mehr noch, durch das Zurückhalten von Lebensmitteln und Medikamenten und die Bombardierung von Krankenhäusern wird das Leid der Zivilbevölkerung zum Druckmittel der Regierung Assad die Rebellion zu beenden.
Unter anderem um diese mittelalterliche Methode der Belagerung und Aushungerung ganzer Städte unmöglich zu machen gibt es den UN Sicherheitsrat und die von ihm organisierten und legitimierten humanitären Hilfslieferungen. Sie sollen dafür sorgen, dass weder die Rebellenführer noch die Regierung alleine darüber bestimmen, wer Lebensmittel und Medikamente erhält.]
Am Samstag haben Russland und China, die mit ihrem Veto alle Entscheidungen des Weltsicherheitsrats blockieren können, so lange von ihrer Veto-Macht Gebrauch gemacht, bis letztlich dieser, von Heiko Maas gelobte Kompromiss herauskam: Über einen einzigen Grenzposten können innerhalb der nächsten 12 Monate noch Lebensmittel und Medikamente ohne Erlaubnis oder Zugriff von Assad ins Land gebracht werden. Dadurch soll die Versorgung von ca. 3 Millionen Menschen in der Region Idlib sichergestellt werden können. Die ca. 1,3 Millionen Menschen, darunter ca. 500 000 Kinder, in der Region Allepo können aber nach der Schließung des zweiten Grenzposten nun nicht mehr unabhängig von Assad versorgt werden.
Russland und China scheinen diese Menschen nicht so wichtig zu sein, wie die Wiederherstellung der absoluten Souveränität von Baschar al-Assad.
Natürlich ist davon auszugehen, dass die beiden Veto-Mächte sich ihre Unterstützung versilbern lassen werden. Russland hofft wahrscheinlich auf mehr geopolitischen Einfluss in der Region und nicht zuletzt neue Rohstoffe.
China hingegen braucht eine befriedete Region um das Mega-Projekt der neuen Seidenstraße auch durch den Nahen Osten laufen lassen zu können. Dabei geht es sowohl um Straßen, als auch Schienen und Pipelines.
Es sind also zwei Mächte die diesen Konflikt, der schon eine halbe Million Tote forderte und 12-14 Millionen Menschen zur Flucht gedrängt hat, gerne für Assad entscheiden würden, egal wie viele Menschenleben das noch kostet. Das scheint ihr vordergründiges Interesse und das ist es auch was die Diplomaten und Kommentatoren aus beinahe allen anderen Länder der Russischen Föderation und der Volksrepublik vorwerfen.
Nun könnt ihr, liebe social Distel-Dinger fragen, warum hier versucht wird mit dieser grausamen Darstellung hoher Diplomatie den schönen Sommertag zu betrüben. Letztlich bringt nichts die Ohnmacht der einzelnen Bürger*innen so sehr ans Licht, wie die Entscheidungen über Krieg und Frieden auf Ebene des Weltsicherheitsrats.
Nun, ganz so einfach ist es nicht. Zwar ist das vordergründige Ziel Putins und Xi Jinpings sicher die Machterhaltung Baschar al-Assads, aber es gibt auch ein hintergründiges, das uns direkt betrifft und selten offen angesprochen wird: Das Auslösen neuer Fluchtbewegungen die über innenpolitische Verwerfungen Europa schwächen sollen.
Diese Feststellung ist grausam zynisch: Menschen werden auf dieser Ebene der Politik zum Spielball der Mächte, zum Druckmittel, zur Verhandlungsmasse. Während Millionen Menschen nichts anderes als überleben und eine verhältnismäßig sichere Zukunft wollen, gibt es einige, die diesen Überlebensdrang dafür nutzen um Politik zu machen.
Oder um es konkreter zu machen: Russland und China profitieren von einer in sich zerstrittenen EU deren Wertekompass abhanden gekommen ist. Egal ob Sanktionen wegen der Krim-Annektion oder die Einstellung des Auslieferungsabkommens mit Hongkong, nachdem die EU ihre Entscheidungen einstimmig trifft, ist jeder Zankapfel Gold wert, den die beiden autoritär regierten Länder in die Union werfen können. Dass sowohl Russland als auch China Propaganda-Maschinen betreiben, ist vielen klar.
Viele der im Internet aufgeworfenen Konfliktlinien, die die Gesellschaft spalten und unüberbrückbare Wahrnehmungsdifferenzen auslösen, werden von Russland bezahlte Troll-Armeen entworfen und unterfüttert. Rechtspopulisten, die vor allem auf das Thema „Flüchtlinge“ bauen, wie AfD, Rassemblement National und andere, ständig am Tabu kratzenden und nicht an Einigung interessierten rechten Lautsprechern, werden immer wieder finanzielle und personelle Verbindungen nach Russland nachgewiesen. Das Negativ-Beispiel der USA deutet an, wie verwundbar Demokratien für digitale Beeinflussung und rechtspopulistische Propaganda sind.
Insofern sieht dieses social Distel-Ding in der am Samstag für Syrien gefällten Entscheidung einen Angriff auf die europäischen Demokratien. Dass weitere Fluchtbewegungen die Folge der Entscheidung, 1,3 Millionen Menschen von humanitären Hilfsgütern abzuschneiden, sein werden, ist vorherzusehen. Diese Fluchtbewegung kann von den Nachbarländern Libanon und der Türkei, die beide in tiefen Wirtschaftskrisen stecken, nicht wirklich aufgefangen werden. Dass syrische Flüchtlinge zu weiten Teilen einen Anspruch auf Asyl haben, ist unbestreitbar. Die Folge ist, dass der Druck auf die EU Flüchtlinge aufzunehmen weiter steigt. Und das in einer Zeit in der Griechenland eine Barriere auf dem Mittelmeer aufbaut um Flüchtlingsboote aufzuhalten, illegale Push-Backs durchgeführt werden und wir 30 000 Menschen in der Hölle von Moria schmoren lassen. Ach ja, und all das auch in Zeiten einer Pandemie, die droht in Flüchtlingslagern unbegrenzt wüten zu können.
Und warum das alles? Weil unsere Politiker*innen Angst vor der Wut ihrer eigenen, flüchtlingsfeindlichen Bevölkerung haben, die im Internet auch aus Russland immer weiter aufgestachelt wird. Weil eine Einigung zum Lastenausgleich zwischen den EU-Staaten von Rechtspopulisten in den Regierungen blockiert wird. Die Gesellschaften spalten sich immer weiter, in diejenigen, die den Schutz der Grund- und Menschenrechte als wichtigstes Gut der europäischen Einigung sehen, und diejenigen, die bereit sind diese Rechte für die Illusion einer stabilen und historisch gewachsenen europäischen Identität einzutauschen.
Getrieben von dieser Auseinandersetzung, getrieben von dem verzweifelten Versuch nicht alle Werte fahren zu lassen und dennoch über Abschreckung die Fluchtbewegungen aufzuhalten, zerbricht die europäische Einigung an den innenpolitischen Konflikten die sich am Streitpunkt der Migration entzünden. Wenn also Russland und China bewusst dafür sorgen, dass mehr Menschen fliehen müssen, ist das nicht nur ein Angriff auf diese Menschen. Es ist auch ein Angriff auf Europa, auf unsere europäischen Demokratien. Und als solcher sollte es auch dargestellt werden, damit auch den letzten selbst ernannten Patrioten bewusst wird, dass das was sie mit ihrer flüchtlingsfeindlichen Propaganda verbreiten, letztlich zur Schwächung der Europas auf internationaler Ebene führt.
Wenn sie also über die Abschaffung der Meinungsfreiheit sprechen, nur weil sie für ihre menschenfeindlichen Äußerungen Widerspruch erhalten, dann helfen sie Ländern, in denen Zensur herrscht dabei, die bei uns erkämpfte Meinungsfreiheit einzuschränken.
So wenig wir begeistert von unseren aktuellen Regierungen und Politiker*innen sein mögen, in weiten Teilen Europas können wir noch von Presse- und Meinungsfreiheit sprechen und können zumindest ein rechtsstaatliches Verfahren erwarten. Unser Schutz gegen „Die da oben“ ist zumindest ansatzweise gegeben.
Hingegen sind die einfachen Menschen in Russland und China „denen da oben“, den Mächtigen, größtenteils schutzlos ausgeliefert. Insofern ist es auch nicht verwunderlich, dass viele immer noch darauf hoffen, dass unser am liebsten kritisierter Verbündeter, die USA, irgendwann wieder eine Regierung bekommt, die sich wieder zu westlichen Werten bekennt.
Bleibt für uns nur eins: Um nicht getrieben zu werden, müssen wir uns offen zu unseren Werten bekennen. Save them all! Lasst uns die Flüchtenden mit offenen Armen aufnehmen und sie nicht die Geiseln der anderen Mächte werden lassen, die ihnen Finger abschneiden um uns zur Kooperation zu bringen. Nur durch ein klares Bekenntnis zu den europäischen Werten können wir diese Werte auch für die nächsten Generationen bewahren. Und es geht nicht nur um unsere Werte, es geht ganz einfach auch um Menschenleben. Und Menschenleben sind schützenswert und unbezahlbar. Zumindest war das mal Konsens.

Teil 48 – Zur EU-Ratspräsidentschaft (Mittwoch, 01.07.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 01.07.2020 – 7:57 Min.

Es ist Juli. Der Sommer ist endlich da und Corona leider immer noch – auch wenn es sich manchmal nicht mehr so anfühlt. Vielleicht vergessen wir den Virus auch einfach, weil wir social Distel-Dinger nicht unablässig über die unsichtbare Gefahr, die unklare Lage, die immer weiter anschwellende Flut neuer Erkenntnisse, die Einordnung der Maßnahmen und die bange Frage wann das alles ein Ende hat, sprechen wollen.
Für die social Distel-Dinger gibt es stattdessen immer wieder neue Aufreger-Themen und Debatten, die auf Diskussionsbeiträge warten, zum Beispiel Stuttgart. Wer keine Lust mehr darauf hat, dieses Dauerfeuer der an der Oberfläche kratzenden gesellschaftlichen Debatten auszustehen, den drängt die Tagesschau über andauernde Ferien-Berichterstattung und Text-Bildschere bei Themen wie der Lufthansa-Rettung in den Urlaub – was gut und gerne als journalistische Krisenhilfe für die in Not geratene Branche verstanden werden kann.
Wer die Urlaubsbranche nicht finanziell stützen kann oder möchte, der oder dem wird mit dem heute in Kraft getretenen verminderten Mehrwertsteuersatz zumindest der allgemeine Konsum ans Herz gelegt. Wobei, zwischenzeitlich klingen die Klagen aus der Wirtschaft eher nach:
„Fresst oder wir sterben alle!“
Zum Glück sind Konsumieren und in aller Welt Sonnenliegen mit Handtüchern Belegen ausgemachte Stärken der Bundesbürger*innen.
Eine andere von den Nachbarregierungen ausgemachte Stärke der Bundesrepublik ist hingegen eine verlässliche Regierung. Schließlich ist Angela Merkel ab heute schon zum zweiten Mal innerhalb von 13 Jahren als Bundeskanzlerin Vorsitzende des Europäischen Rates. Richtig formuliert heißt es eigentlich: Angela Merkel ist zum zweiten Mal als Bundeskanzlerin Teil der EU-Ratspräsidentschaft der Bundesrepublik Deutschland.
Passend zu der Zeit sieht das Logo der deutschen Ratspräsidentschaft dem Logo des Robert Koch Instituts erschreckend ähnlich, eine Möbius-Schleife, nur eben mit Europa- und Deutschlandfahne und ohne seitliche Begrenzungen.
Immer wieder ist zu hören, dass im Ausland große Hoffnungen in Angela Merkels Krisenmanagement gelegt wird. Diesem social Distel-Ding steigt dagegen heute schon die Fremdscham ins Gesicht, wenn es daran denkt, dass auch unsere glanzvollen Ministerinnen und Minister in unterschiedlichen Räten vorsitzen werden. Die Blockierer*innen einer fortschrittlicheren und menschenfreundlicheren europäischen Union sitzen dann da und dürfen ihren Kolleginnen und Kollegen Themen vorschlagen. Andi Scheuer, Julia Klöckner, Anja Karliczek und Horst Seehofer… Ihre Themenvorschläge dürften ungefähr wie folgt aussehen: Scheuer: Mehr Straßen und Diesel-Förderung; Klöckner: Glyphosat nicht verbieten und insgesamt alles auf Freiwilligkeit; Karliczek: christliche Werte in der Wissenschaft und 5G nur in Ballungszentren; und, bei Horst Seehofer, geht es vermutlich um die Ansiedlung von weißen Haien im Mittelmeer zur Abschreckung der Flüchtlinge. Da dürfte das angeblich so hohe Ansehen für Merkels Politik ganz von selbst Schaden nehmen, weil sie ihre Richtlinienkompetenz nicht dazu nutzt um ihr Kabinett mit Sachverstand zu befüllen, sondern nur um als das geringste Übel herauszustechen.
Aber trotz all der Skepsis angesichts dieser EU, die jetzt scheinbar auch noch zulassen möchte, dass Griechenland eine schwimmende Barriere im Mittelmeer zur Flüchtlingsabwehr errichtet: Wir brauchen sie!
Wir brauchen diese EU, weil sie uns immer noch Rechtssicherheit wahrt. Letztlich ist es die EU die die Bundesrepublik über Klagen dazu zwingt die Luft sauberer zu halten und das Grundwasser weniger mit Nitrat zu verschmutzen. Es ist die EU, die dafür sorgt, dass innereuropäische Grenzen nicht mehr die große Rolle von einst spielen und Saarländer heute vermutlich den Franzosen gegenüber freundlicher gesinnt sind, als den Bayern.
Aber all das ist vergleichsweise uninteressant zu dem, was Europa eigentlich sein sollte: Ein Hort der Demokratie. Sollte, weil einige europäische Staatsoberhäupter sich von den demokratischen Rahmenbedingungen Pressefreiheit und Unabhängigkeit der Justiz immer weiter entfernen. Das ist allerdings nichts im Vergleich zu den Kräften, die aktuell versuchen die EU zu zerreißen und die heute ebenfalls in den Schlagzeilen auftauchen.
In Russland geht heute das Verfassungsreferendum zu Ende, mit dem sich Putin das Recht einräumen lässt, noch bis mindestens 2036 an der Macht und damit sicher vor Strafverfolgung zu bleiben. Jener Putin, der als alter Geheimdienstler sehr gut verstanden hat, wie er mit Desinformation, Gerüchten und Kampagnen die ihm zu nahe rückende EU und nebenbei auch die NATO schwächen kann. Der Brexit und der Aufstieg des Rechtspopulismus sind mindestens teilweise auf die gar nicht so im verdeckten agierenden Troll-Armeen und staatlich gelenkten Medien zurück zu führen.
Die Volksrepublik China hat heute gezeigt, wie schnell es aus ist mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung in Hongkong. Am heutigen 23. Jahrestag der Rückgabe Hongkongs an die Volksrepublik China ist es vorbei mit „Ein Land, zwei Systeme“. Die erste Festnahme nach Inkrafttreten des neuen Sicherheitsgesetzes erfolgte anscheinend, nachdem ein Mann in der Öffentlichkeit die Unabhängigkeitsflagge von Hongkong gezeigt hatte. Seitdem sind schon mindestens 300 Menschen verhaftet worden. Und auch die Volksrepublik China zerrt an der EU. Die „Belt and Road Initiative“, das riesige Infrastrukturprojekt das auch die neue Seidenstraße genannt wird, sorgt schon heute dafür, dass die EU nicht mehr mit einer Stimme gegen Menschenrechtsverbrechen in China spricht, sei es an den Uiguren, den Tibetern oder einfach nur an frei denkenden und sprechenden Chinesinnen und Chinesen. Die neuen Häfen, Brücken, Straßen und Schienen gibt es eben nur gegen politische Gegenleistung. Und so drohen ganz nebenbei die über Generationen in Europa erkämpften Freiheitsrechte verkauft zu werden. Irgendwann könnte dann auch bei uns das Abbild des honigverliebten Winnie Poohs wegen zu großer Ähnlichkeit mit Chinas Staatspräsidenten Xi Jingping verboten werden.
Von den USA, die sich in ihrer nationalistisch abschottenden Phase befinden, ist hier weder Hilfe noch Vorbildfunktion zu erwarten.
So bleiben wir also auf Gedeih und Verderb auf uns als Europäische Union zurückgeworfen, die selbst noch an diesen Problemen mitarbeitet. Schließlich wollen wir auch weiter Gas aus Russland beziehen und Autos in China verkaufen. Zu laute Kritik erscheint da hinderlich.
Für uns, als Bürgerschaft der Ratspräsidentschaft, bleibt aber jetzt vor allem eines zu tun:
Laut werden! Gegen die in der Bundesrepublik verursachten Probleme der EU. Gegen die Marktmacht der in Deutschland prosperierenden Lebensmitteleinzelhändler, die mittlerweile in ganz Europa die Preise unter ein tier- und menschenwohlgerechtes Maß drücken. Gegen das Festhalten am Verbrennungsmotor, dessen Auswirkungen nicht nur im Klimawandel sondern auch in der Luftqualität zu merken sind. Gegen die lauten Stimmen der Lobby von Bayer/Monsanto die so gerne mit ihrem gentechnisch verändertem Saatgut und ihren Giften den Welthunger beenden würden, wenn sie dabei nur genügend Geld verdienen. Gegen die Aufhebung des Asylrechts und die Politik der Abschreckung. Gegen die weitergehende Ausbeutung der wirtschaftlich Schwachen.
Und das Gute ist: Das alles können wir unter dem Slogan der deutschen EU-Ratspräsidentschaft machen: Gemeinsam. Europa wieder stark machen.
Also alle gemeinsam: Maske auf unds Maul aufreißen!

Teil 47 – Kanalisierte Aufregung für den revolutionären Geist (Freitag, 26.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 26.06.2020 – 6:48 Min.

Wie war das nochmal mit dem revolutionärem Geist der social Distel-Dinger? Er hat uns erfasst und äußert sich in Rebellionen, immer dann, wenn Menschen auf die Widersprüche der Vor-Corona-Gesellschaft und die Grenzziehungen der In-Corona-Regierung stoßen. Denn: In der Krise stinkt alles, was davor schon am faulen war. Und: Mit der neuen Konzentration auf Politik und der Wahrnehmung der möglichen Eingriffe in die zwischenzeitlich selbstverständlich gewordenen Grundrechte, entzündet sich ein neues Selbstermächtigungsbedürfnis der zuvor zufrieden hauptsächlich auf ihre Kaufmacht achtenden Bürgerinnen und Bürger.
Für die parlamentarische Politik und ihre Institutionen ergibt das eine weitere Krise, die die derzeitige Sachlage verkompliziert. Die in der Pandemie-Zeit und aus ihr heraus politisch zu bearbeitenden Aufgaben sind insgesamt komplexe Angelegenheiten, die hier nur in Stichpunkten genannt werden können:
– Allgemeiner Schutz der Bevölkerung vor Covid-19
– Besonderer Arbeitsschutz bei zugleich gesteigertem Leistungsbedarf der Beamtinnen und Beamten
– Transparente Vermittlung der Entscheidungen und Entscheidungsgrundlagen
– Versorgung der Medizin mit stark nachgefragten lebenswichtigen Gütern auf einem überhitzten Weltmarkt
– Sicherstellung der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit
– Abmilderung der wirtschaftlichen Krise für Unternehmen, Familien und Bedürftige
– Vorbereitung für Krisenszenarios finden ohne gänzliche Verunsicherung der Bevölkerung
– Forschung, Entwicklung und Verteilung wirksamer Medizin und eines möglichen Impfstoffs sicherstellen
– allgemeine Durchsetzung der getroffenen Regelungen
und natürlich: auch in der Krise demokratisch agieren.
Zusätzlich zu diesen verantwortungsvollen und absolut notwendigen Entscheidungen stehen einzelne Politiker*innen noch vor ihrer persönlichen Aufgabe: Profil gewinnen und politisch wie medial wahrgenommen werden.
Und mitten hinein in diese neue Überforderung in der Politik kommen dann noch die zuvor schon zerstrittenen Bevölkerung dieser Gesellschaft. Zu den Streitpunkten Migration und Klimawandel kommt jetzt auch noch der Umgang mit der Pandemie und der kollektive Umdenkprozess, der notwendig erfolgen muss, wenn die ausgetretenen Pfade der Routine verlassen werden müssen. Wenn Familie Schmitt dieses Jahr zum ersten Mal seit den letzten 15 Jahren keinen Urlaub zur selben Zeit am selben Ort machen kann, kommt eben etwas durcheinander. Statt Weinschorle am Pool gibt es jetzt ein Bier zur Tagesschau. Und statt entspannt in der Sonne zu fläzen, gilt es jetzt in jedem zweiten Wort der Tagesschau-Sprecher*innen eine „Frechheit“, „Verarschung“ oder „Verblödung“ zu finden.
All die aus dem Tritt gebrachten Schmidts, Müllers, Maiers und vielleicht auch die Y?lmaz und Novaks sind ein Pulverfass für Politik und Gesellschaft. Nicht nur, dass sie sich über die Tagesschau aufregen, sie finden auch im Internet genehmere Thesen und Bestätigung, wenn sie ihre Schimpftiraden öffentlich machen. Die Rebellion der Wohnzimmer droht auch und vor allem, wenn sich Politikerinnen und Politiker hauptsächlich auf die kühle und sachliche Bearbeitung der Problemlagen konzentrieren. „Danke Merkel!“ – ist das Zitat, dass erhitzte Gemüter einem in diesem Zusammenhang um die Ohren hauen.
Andere Politiker*innen kennen allerdings einen Ausweg aus diesem Problem. Sie wissen, die Menschen wollen sich aufregen und geifernd vorm Fernseher sitzen. Sie wissen, ausgewogenes und überlegtes Handeln, vermitteln statt spalten und Verantwortung für die gesamte Bürger*innenschaft übernehmen, all das zahlt sich politisch nicht aus. Gerade Spaltung, sprachliche Verrohung und unhaltbare Ankündigungen sind das politische Kapital der Zeit. Das wissen nicht nur Donald Trump, Boris Johnson und die populistischen Rechtsradikalen von der AfD, nein, das weiß auch Horst „Die Migrationsfrage ist die Mutter aller politischen Probleme“ Seehofer.
Das ganze funktioniert mittlerweile auch zu einfach. Dank der ständigen Überprüfbarkeit, welche Artikel von Bild und Co. am meisten geklickt werden, wird klar, dass die Aufreger-Themen mehr ziehen. Sowohl bei denjenigen, die sich aufregen, als auch bei denjenigen die sich darüber aufregen, dass andere sich darüber aufregen. Und weil sie so gut ziehen, wird immer weiter darüber berichtet und die Berichterstattung von den ins Rampenlicht drängenden Politiker*innen, Expert*innen und Meinungsmacherinnen um zahlreiche Statements und Ankündigungen erweitert. So wie es eben der Horsti macht. Ankündigen, dass er eine Journalistin für einen polizeifeindlichen Text anzeigt, Pressetermin vor extra nochmal angekarrten kaputten Polizeiauto und jetzt dann der Rückzug der Anzeige. So kann eine Debatte aufgeblasen und ganz nebenbei der große gesellschaftliche Streitpunkt der Lufthansa-Rettung in den Hintergrund gerückt werden. Plötzlich ist es interessanter zu hören, was Horsti zu spontanen Krawallen in Stuttgart, Kritik an der Polizei und der Presse sagt. Und natürlich ist es auch viel spannender dazu seine Meinung abzugeben.
Es wäre ja auch zu schade gewesen, wenn das Aufregerthema der letzten beiden Wochen die Lufthansa-Rettung gewesen wäre. Wenn Hinz und Kunz die Frage gestellt hätten, ob dieses Rettung wirklich gut ist, wenn der Münchner Multi-Milliardär Heinz Hermann Thiele sich für günstiges Geld bei der Lufthansa einkaufen kann und dann durch die staatliche Rettung der Airline mit 9-Milliarden Euro Steuergeld auf einen fetten Gewinn und mehr Einflussmöglichkeiten auf den Konzern als der Staat hoffen darf, während gleichzeitig tausende Angestellte ihren Job verlieren. So wird es dann wohl auch nichts mit der Vorstellung einer klimasensiblen Luftfahrt, dem Verbot kurzer Inlandsflüge und damit auch mit einem klimapolitisch ausgelegten Umbau der Infrastruktur.
Oder aber wir hätten uns noch mehr über die versklavenden Arbeitsbedingungen von bei Subunternehmern in Schlachthöfen Angestellten in Deutschland aufgeregt und damit wiederum die Reichen und Mächtigen kritisiert.
So springen wir einfach weiter auf jedes Stöckchen, jeden Aufreger, jede politische Inkorrektheit, jede Möglichkeit für oder gegen Gendern zu agitieren. Eben auf jede Debatte, die gerade im Aufmerksamkeitsfokus liegt und lassen ab von den großen Fragen: Wollen wir einfach so weiter machen? Sollen diejenigen die vor der Krise sehr reich waren, von der Krise überdurchschnittlich profitieren? Ist die Vermögens- und Machtungleichheit auch weiterhin tragbar?
Vielleicht einfach mal den Fernseher ausmachen, nachdenken, diskutieren, Spaß haben. Und dann: Maske auf und‘s Maul aufreißen.

Teil 46 – Die Corona-App und das neue Bewusstsein für Datensicherheit (Montag, 15.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 15.06.2020 – 6:38 Min.

Oh, morgen ist sie endlich da. Morgen hat das Warten ein Ende und wir treten endlich ein in die nächste und hoffentlich letzte Stufe auf dem langen Weg die Corona-Pandemie zu beenden. So oder so ähnlich klingt die Hoffnung, die wir in die Corona-App legen, die morgen live gehen soll.
Die Technik kann uns dann helfen unsere Begegnungen im Blick zu behalten und verschafft darüber eine weitere Ebene der Sicherheit. Wenn wir mit vielen Menschen Kontakt hatten haben wir social Distel-Dinger, die solch häufige Zusammentreffen ja nicht mehr gewöhnt sind, jetzt die Möglichkeit mit einer größeren Wahrscheinlichkeit zu erfahren, ob eine möglicherweise ansteckende Person darunter war.
Nochmal kurz zur Erklärung wie die App funktionieren soll, zumindest wie es die Kollegen von Netzpolitik.org erforscht haben:
Über Bluetooth tauscht das Smartphone Daten mit Smartphones in der Nähe aus und speichert sie. Für den Fall, dass eine Person, die diese App ebenfalls nutzt und sich längerfristig in unserer Nähe aufgehalten hat, einen positiven Covid-19-Test macht und dieses positive Ergebnis auch freiwillig in der App angibt, bekommt mein Smartphone eine Nachricht, dass es sich in der Nähe eines Smartphones einer potentiell ansteckenden Person befunden hat. Mit dieser Information kann ich mich dann krankschreiben lassen, in Quarantäne begeben und einen Test machen lassen. Die dafür notwendigen Daten werden auf meinem eigenen Gerät gespeichert und der Code der App, also ihr Bauplan, ist auf der Programmierer-Austauschplattform bzw. dem netzbasierten Dienst zur Versionsverwaltung für Software-Entwicklungsprojekte Git-Hub öffentlich von der großen Community der Datenschützer und Programmierer einsehbar. Dadurch sollten Probleme der App, aber auch Sicherheitslücken und Überwachungstrojaner, sehr schnell öffentlich werden und deshalb unwahrscheinlich sein.
Trotz allem: Es ist eine App. Und damit ein Programm, dass wir eigentlich rund um die Uhr bei uns tragen. Schließlich sind unsere Smartphones mittlerweile so smart und uns so nah geworden, dass über sie ein kompletter Einblick in unser Leben, unser Denken und sogar unsere Wünsche gewonnen werden kann.
Nur soll diese App eben dazu führen, dass wir unser Leben wieder freier führen können, unser Denken sich nicht mehr nur um die Gefahr einer zweiten Welle dreht und unsere Wünsche nach einem schnellen Ende der Pandemie endlich erhört werden.
Insofern ist die Forderung nach einem Corona-App-Gesetz absolut sinnvoll. Denn auch wenn grundsätzlich gilt, dass sich jede und jeder die App freiwillig herunterladen kann, ist eine wirkliche Freiwilligkeit bei Androhung der fortgesetzten Pandemie-Eindämmungs-Unfreiheit nicht gegeben. Ein Gesetz sollte deshalb den Umfang und die Grenzen der zulässigen Datenverarbeitung regeln, dafür sorgen, dass die App nicht durch sozialen Druck verpflichtend wird und festlegen, ab welchem Moment diese App ausgedient hat. Ansonsten bleibt trotz aller positiven Aspekte der dezentralen Variante der Corona-App ein fader Beigeschmack, spätestens wenn immer neue Updates aufgespielt werden. Negativ-Beispiele für Smartphone-gestüzte Überwachung und Kontrolle kennen wir zu Genüge, vor allem aus China.
Dennoch, diese App ist eine große Chance. Nicht nur für die Pandemie-Eindämmung. Ganz grundsätzlich bekommt dieses social Distel-Ding das Gefühl, dass jede und jeder jetzt etwas genauer auf das Smartphone blickt und sich mit den Gefahren auseinander setzt. Jetzt, da der Staat plötzlich auf dem persönlichen Gerät aufzutauchen droht, wird vielen die Gefahr bewusst, die entsteht, wenn die eigenen Smartphone-Daten in falsche Hände gelangen. Das alte, fadenscheinige Argument, man hätte ja nichts zu verbergen, ist dagegen kaum zu hören. Allen dürfte bewusst sein, dass die persönlichen Informationen und Korrespondenzen ein schlechtes Licht auf einen werfen, zumindest, wenn sie aus dem Zusammenhang gerissen werden.
Und damit wirft diese Krise wieder ein Schlaglicht auf grundsätzliche Probleme unserer Zeit. Wir machen uns angreifbar, indem wir unsere persönlichsten Daten den großen amerikanischen IT-Firmen und damit höchstwahrscheinlich auch dem amerikanischen Geheimdienst NSA zugänglich machen. Und das in einer Zeit, in der spätestens der Cambridge Analytica Skandal gezeigt hat, dass diese Daten genutzt werden können, um unser Wahlverhalten, unser Denken und unsere Wünsche zu beeinflussen.
Die beiden größten demokratischen Fehlgriffe hin zu einem neuen Chauvinismus und auf Führerfiguren ausgerichteten Populismus sind direkte Folgen dieser Datenauswertung und -weiterverwertung: Trump und der Brexit, bzw. Boris Johnson.
Vor diesem Hintergrund kommt dieses neue Bewusstsein für Datensicherheit fast ein bisschen zu spät. Oder gerade noch rechtzeitig, wenn Mensch mit einberechnet, dass mit Hochdruck an künstlicher Intelligenz gearbeitet wird, die Gesichts-, Sprach- und Bewegungserkennung verbessert und mit weiteren Überwachungsmöglichkeiten kombiniert.
Richtig Angst und Bange kann den social Distel-Dingern werden, wenn sie sehen, was im Amthor-Skandal öffentlich wurde. Phillip Amthor, die junge hässliche Fratze des Konservatismus, war bei einem von Deutschen geführten US-KI-Unternehmen als Lobbyist unter Vertrag. Dieses Unternehmen gibt sich absolut geheimniskrämerisch darüber, was es denn eigentlich macht. Dafür wissen wir ziemlich gut, auf welche politische Unterstützung es setzt: Erz-Konservative bis ins völkische Abdriftende. Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Verfassungsschutzpräsident und als Fürsprecher der Werte-Union mittlerweile ein Stichwortgeber der AfD, flog mit Amthor anscheinend ebenfalls im Privatjet der Firma nach St. Moritz.
Bei Andi „statt Fahrradwege baue ich lieber Straßen“ Scheuer durfte sich besagtes KI-Unternehmen Augustus Intelligence auch im Verkehrsministerium als Experte generieren und mit großen Playern wie BMW, Bosch und dem Deutschen Institut für Luft- und Raumfahrt über die richtige Strategie der Künstlichen Intelligenz sprechen.
Wenn die Zukunft der Digitalisierung und der KI in der Bundesrepublik in die Hände einer Firma gegeben wird, die ihren Sitz in den USA hat und von Erzkonservativen und zweifelhaften Politikern unterstützt wird, dann haben wir ein echtes Problem. Bleibt zu hoffen, dass ein Untersuchungsausschuss die Hintergründe lückenlos aufklärt und, dass das neu gefundene Datensicherheitsbewusstsein sich nicht nur auf die Corona-App beschränkt. Letztlich sind unsere Daten bei Facebook und Co. nicht besser aufgehoben.
Aber jetzt wünscht sich dieses social Distel-Ding erst einmal, dass die Corona-App sicher bleibt und hilft bald die Stacheln abzulegen. So langsam reicht das Dasein als social Distel-Ding nämlich.

Teil 45 – Pest oder Colera, Klimawandel oder Corona-Krise, diesmal können wir beides haben (Freitag, 12.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 12.06.2020 – 7:26 Min.

Können wir das noch brauchen oder kann das weg? Diese Frage haben sich vermutlich in den letzten Schlechtwettertagen oder in den Tagen der rigorosen Kontaktbeschränkung einige gestellt. Die viele Zeit in der eigenen Wohnung hat viele social Distel-Dinger dazu gebracht daheim auszumisten, umzustellen und den Raum lebenswerter zu gestalten. Und wo viel ausgemistet wird, dort fällt auch viel Müll an.
In der Wohnanlage dieses social Distel-Dings führte das mittlerweile zu einem Kleinkrieg der Bewohner mit dem Hausmeister bzw. der Immobilienverwaltung. Während die Mieterinnen und Mieter immer wieder Sperrmüll im Müllhäuschen abladen und hoffen, dass er schon irgendwie weg kommt, reagiert der Hausmeister passiv-aggressiv. Mit Zetteln auf denen in roten Großbuchstaben folgende Botschaft geschrieben steht: „Toll, wenn sie jetzt in der Coronakrise die Zeit gefunden haben ihren Keller auszumisten (Ausrufezeichen) Bitte finden sie dann auch die Zeit ihren Sondermüll selbst zu entsorgen (Ausrufezeichen)“
Aktuell klebt dieser Zettel auf einem Kühlschrank der auf einem Eisfach neben den Restmüll-Tonnen steht. Scheinbar wurden mittlerweile also auch Elektrogeräte ausgetauscht und nicht nur, wie bisher, Sofas, Lattenroste, Klamotten, Bücher, Dekorationsartikel, VHS-Kasetten, Lernmaterialien, Kissen und eine Plastikreplik eines Steinbockkopfs.
Diesen Überblick über den Müll anderer Leute bekommt Mensch, weil diese Dinge teilweise bewusst neben die Mülltonnen gelegt werden, weil die Leute selbst wissen, dass es eigentlich nicht weggeschmissen werden müsste und noch voll gebrauchsfertig ist oder in kurzer Zeit repariert werden könnte. Sie selbst brauchen es nicht mehr, aber vielleicht kann es ja jemand anderes brauchen. So kann Mensch davon träumen, dass der Plastik-Steinbockkopf noch jemand anderem Freude bereitet, statt grausam in der Müllverbrennung in giftige Dämpfe aufzugehen.
Denn auch wenn in der Bundesrepublik viele Menschen leben, die die Mülltrennung zur Profession gemacht haben, der getrennte Müll wird dadurch kein wertvoller Rohstoff. Stattdessen zeigt sich vor allem bei Plastik ein großes Problem: China will unsere Müllexporte seit 2018 nicht mehr, die inländischen Müllverbrennungsanlagen kommen nicht mehr hinterher und so wird er stattdessen von findigen Mülldeponiebetreibern illegal auf Deponien in Polen von angeblichen Brandstiftern in angezündet.
Nun ist die Müllwirtschaft und Recycling-Industrie nicht wirklich ein Thema der Zeit. Wir wollen ja die Wirtschaft wieder ankurbeln, Arbeitsplätze sichern, produzieren und sollen weiter verbrauchen. Aber genau hier liegt ein Chance für einen langfristigen Wirtschaftsauf- und -umbau. Schließlich gehört die chemische Industrie auch zu den deutschen Schlüsselindustrien. Frei nach dem Motto: Schwerter zu Pflugscharen, könnten wir die geballte Kompetenz in der Chemie, dem Maschinenbau, der Energieerzeugung und der Elektroindustrie, die in diesem Land weitläufig vorhanden ist, anwenden um endlich in einer der Schlüsselindustrien der von Ressourcenknappheit und Umweltverschmutzung geprägten Zukunft Vorreiter zu sein: Der Recycling-Industrie.
Die chemische Auftrennung der Verbundstoffe, die Wiedernutzbarmachung von teuren Materialien und die umweltverträgliche Vernichtung von Abfallstoffen, all das dürfte in kurzer Zeit ein Exportschlager werden.
Die derzeitige spät-koloniale Variante den Müll in ärmere Länder zu schicken und dann wegzusehen, wie Menschen damit vergiftet, Landstriche unbewohnbar gemacht und Generationen unter den Langzeitfolgen leiden werden, ist nicht nur unerträglich, sie macht auch volkswirtschaftlich keinen Sinn. Eine Investition in die Wiedergewinnung schon verbauter Rohstoffe ist nicht nur eine Investition mit Aussicht auf ökologischen Gewinn, sondern ermöglicht uns auch politisch mehr Unabhängigkeit von den Exportländern und verspricht sowohl im Arbeitsmarkt als auch finanziell lohnend zu sein.
Trotz aller Freude, dass mit der Wasserstofftechnik zumindest eine ansatzweise zukunftsfähige Technologie im Konjunkturpaket mit Wumms gefördert wird, ist dieser Weg maximal ein langfristiger. Bis nicht ein absoluter Überschuss an erneuerbarer Energie auch langfristig zur Verfügung steht, ist die Wasserstofftechnologie keine wirklich klimafreundliche Alternative. Es mag durchaus Sinn machen, sich langfristig in diesem Markt zu etablieren und Patente und Kompetenzen zu erarbeiten. Nur zielt dieser Markt aktuell immer noch auf ein Weiterführen des Bekannten.
Statt schnellen Verbrennern bauen wir jetzt schnelle E-Autos und irgendwann bauen wir dann schnelle Wasserstoffautos. Die Vorstellung einer Welt, in der nicht mehr so viele Autos gebraucht werden, kommt darin nicht vor. Und der Realität, dass alles was gebaut wurde und gebaut wird, irgendwann Schrott ist und nur noch Platz wegnimmt, verschließt sich die Politik scheinbar konsequent. Der Mut eine Zukunft zu planen, die auch den unbequemen Wahrheiten Rechnung trägt scheint, ist abhanden gekommen. Wir fahren auf Sicht.
So wie die Werften in Deutschland, die weiter darauf hoffen, dass die Kreuzfahrtindustrie wieder zu ihren Boomphasen zurückkehrt. Die Flexibilität aus einem Kreuzfahrtschiff ein schwimmendes Lazarett, ein menschenfreundliches Vehikel zu machen, das nicht nur für Spaß und Entspannung der westlichen Touristen konzipiert ist, fehlt einfach. Weiter wie bisher ist die Perspektive, die ganze Wirtschaftszweige an disruptive Technologien opfert. Nicht umsonst ist Tesla mittlerweile an der Börse mehr wert als VW und Daimler zusammen.
Zu glauben, durch Nachahmung der Technologie oder durch Geld könnten sich abzeichnende Entwicklungen aufhalten lassen, ist naiv. Nur scheint der Blick aus Deutschland in die Zukunft davon auszugehen, dass die zukünftigen Generationen der Bevölkerung aus Klonen der aktuell bestimmenden Generation besteht. Das schon heute das Versprechen des Grünen Punkts nicht mehr gilt, das schon heute klar ist, dass die Gewinnung von wertvollen Rohstoffen durch Kinderarbeit keine elegante Lösung ist und das schon heute die Folgen unserer Lebensweise in den Ozeanen, im Wetter, in der Luft und in den Wäldern zu beobachten ist, mag einige nicht dazu veranlassen, weiter als zur nächsten Wahl, zum nächsten Dividendentermin zu denken. Ein Großteil aber lebt in der Diskrepanz zwischen dem, wie Mensch in der Welt leben möchte und dem, wie er oder sie als Deutsche*r die Welt beeinflusst.
Neurotisches Joghurtbecher-Ausspülen und die Nachbarn auf die Mülltrennung hinzuweisen hilft vielleicht dabei, das Gewissen zu beruhigen. Wenn dann aber der ausgespülte Joghurtbecher im Urlaub am anderen Ende der Welt wieder auftaucht, dürfte die eigene Handlung nur noch als Wasserverschwendung gelten.
So bleibt uns nur die Hoffnung, dass sich einige findige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diesem Thema annehmen und sie Unterstützer finden, die sie, beim Unterfangen das Müllproblem nachhaltig anzugehen, finanzieren.
Den social Distel-Dingern unter uns, die nichts dazu beitragen können, bleibt in dieser Situation nur eines: Müllvermeidung bzw. Tauschbörsen.
So bleiben die Müllhäuschen dann zwar leerer, aber es bleibt eben auch ein Problem für Politik und Gesellschaft: Wiederverwertung und Tauschgeschäfte bringen die Wirtschaft nicht zum Laufen.
Das bedeutet aktuell: Wer nicht kauft und konsumiert gefährdet die Volkswirtschaft und Jobs, verursacht Arbeitslosigkeit, verringert die Renten und zerstört ganze Branchen. Tja, und so bleiben wir mittendrin in unserem Dilemma: Pest oder Colera, Klimawandel oder Corona-Krise… Nur in diesem Fall kann Mensch beides haben.

Teil 44 – In der Vor-Corona-Normalität waren wir Teil des Problems (Mittwoch, 10.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 10.06.2020 – 6:56 Min.

Raus aus der Krise, zurück zur Normalität. So ungefähr fühlt sich die aktuelle Stimmung an. Die Konjunkturpakete sollen die Krisenfolgen abschwächen, das öffentliche Leben rollt wieder an und die Zahlen schauen so rückläufig aus, dass wir social Distel-Dinger gar nicht mehr das Gefühl haben täglich drauf schauen zu müssen. Also sind wir auf dem besten Weg zurück zu Normalnull, Startpunkt der wirtschaftlichen Aufholjagd im internationalen Wettbewerb, zurück zu den Plänen die wir bis März noch für den Start in das neue Jahrzehnt hatten.
Aber ganz so einfach ist es ja dann doch nicht. Einerseits spukt immer noch das Gespenst der zweiten Welle durch alle möglichen Pläne. Selbst die Werbung greift das Thema auf und will uns mittlerweile erfahrenen social Distel-Dingern Produkte zur Hand geben, die eine neuerliche Quarantäne-Zeit produktiver nutzbar machen.
Nur ist da andererseits die große Frage: Wollen wir das eigentlich?
Wollen wir wirklich produktiver sein und ist das „Normal“ von Anfang des Jahres, wirklich der Zustand zu dem wir zurück wollen? Das „Normal“, in dem wir in einer angeblich planbaren Situation unser Leben von Anfang bis Ende durch getaktet hatten und jede Veränderung in der Gesellschaft, der Nachbarschaft, der Politik oder im eigenen Leben als Gefahr für diesen Plan empfanden?
Schließlich sind wir raus aus diesen Plänen und könnten daher neue schmieden. Neue Pläne und langfristige Ziele die nicht nur die eigene, abgesteckte Welt verbessern, sondern auch für die Allgemeinheit einen Weg raus aus dem Hamsterrad der alternativlosen Sachzwänge aufzeigen. Pläne hin zu einer Gesellschaft in der Mensch nicht das Gefühl hat durch das eigene Leben automatisch das Klima und die Umwelt zu zerstören und gleichzeitig den Krieg in die Welt zu tragen. Nachdem wir social Distel-Dinger so viel Zeit für Nachrichten und unsere eigenen Gedanken hatten, können wir doch jetzt nicht einfach weitermachen, obwohl uns bewusst ist, dass wir alle Teil des Problems sind.
Wir sind es, die mit einem Exportüberschuss Verbrenner mit überzogener Leistung und gefälschten Abgaswerten in alle Welt ausgeliefert haben. Wir sind es die das Verbrennen von fossilen Energieträgern zu einem Lifestyle gemacht haben, Stichwort: Freude am Fahren.
Wir sind es, die zulassen, dass Unternehmen die mit Steuergeldern liquide gehalten werden, ihre Gewinne an die Aktionäre ausschütten und unterstützen damit eine Umverteilung von unten nach oben. Wir retten profitable Unternehmen und schikanieren in Notlage geratene Menschen.
Wir liefern die Waffen in die Welt, statten Konfliktparteien auf beiden Seiten aus, und rufen danach gutgemeinte Friedensappelle über die verseuchten Schlachtfelder.
Wir sind es, die Arbeitskräfte aus aller Welt beim Spargelstechen, in den Schlachthöfen und teilweise auch in der Pflege unserer Alten und Kranken ausbeuten, entrechten und danach wieder zurückschicken.
Wir sind es, die Tierwohl fordern und mehr Geld für 1kg Haustierfutter ausgeben, als für ein Kilo Fleisch.
Wir sind es, die aus Sachzwängen noch die Mietsteigerungen mitmachen, die gewachsene und lebendige Viertel zu Wohlstands-Ghettos ohne öffentliches Leben machen.
Wir sind es, die für den Erhalt des eigenen Lebensstandards und der angeblich instabilen politischen Situation Menschen im Mittelmeer ertrinken lassen und die Überlebenden als Abschreckung in menschenfeindlich überbelegte Flüchtlingslager sperren.
Wir sind es, die die Meere vor den Küsten Afrikas überfischen und danach Fischreste als Konserven zurückliefern, die die dortigen Preise für den spärlich gefangenen frischen Fisch unterbieten.
Wir sind es, die unsere Bauern und Bäuerinnen in einen menschen- und tierfeindlichen internationalen Weltmarkt für Milch drängen, auf dass sie ihr Leben lang verschuldet sind und das Tier nur noch als Kapital sehen.
Wir sind es, die Dinge produzieren und verkaufen, die nicht mehr zu reparieren sind und nach kurzer Zeit den Geist aufgeben. Wir sind es auch, die diese Produkte kaufen, weil Kaufen ein Reiz an sich geworden ist und das Kaufen uns mehr Mehrwert bringt, als der Nutzen des Erworbenen.
Wir sind es, die all diese Missstände erhalten wollen, weil die Wirtschaft angeblich nur so läuft.
Beziehungsweise waren wir all das. Jetzt standen mal die Bänder still, jetzt ist der Kleinwaffenproduzent Sig Sauer pleite gegangen, jetzt wurde mal nicht ständig eingekauft und jetzt waren wir mal kurzzeitig mit unserem direkten Umfeld und unseren Gedanken alleine. Natürlich ist in dieser Zeit nichts besser geworden. Und auch die Vorstellung, dass sich jetzt jede und jeder solche Gedanken machen konnte, ist nur einen kleinen Schritt weg davon, die Pandemie und ihre Folgen, die sowohl Menschenleben gekostet und versehrt hat als auch viele an den Rand des Ruins getrieben hat, zu romantisieren.
Trotzdem kann Mensch die Frage stellen: Wollen wir wirklich dahin zurück? Wollen wir wirklich daran weiter arbeiten ein elementarer Teil des Problems zu bleiben? Schöner, angenehmer und wirklich lebenswert wird das Leben doch erst, wenn das eigene Handeln auch langfristig Sinn ergibt und an der Lösung der globalen Probleme teilhat.
Nachdem wir in den letzten Monaten gesehen haben, wie schnell sich die Realität in der wir leben ändern kann, erscheint ein Ausbruch aus diesen um sich greifenden Wirtschaftszwängen plötzlich möglich. Nur bleibt die Frage, wie wir unseren gesellschaftlichen Wohlstand halten können, wenn wir eben nicht mehr ausbeuten, abschotten, Wegwerfprodukte produzieren und kaufen, falsche Bedürfnisse erzeugen und den Unternehmen die externen Kosten ihrer Produkte erlassen. Und damit eben die Fragen:
Wie wollen wir leben, wie wollen wir arbeiten, wie können wir als Gesellschaft Teil der Lösung werden?
Die erste Antwort auf diese Frage kann eigentlich nur sein: Ich denke mal darüber nach!
Die zweite Antwort: Ich bespreche mich mit anderen!
Und die dritte Antwort: Wir organisieren uns um Teil der Lösung zu werden! Wir machen Druck! Auch dafür, dass diejenigen, die sich selbst schon über lange Zeit als Teil des Problems offenbarten, aus Amt und Würden fliegen. So wie Andi „ein Tempolimit ist gegen jeglichen Menschenverstand“ Scheuer, der jetzt mit neuen Auflagen für die Seenotrettung aktiv dafür sorgt, die Fluchtroute Mittelmeer noch tödlicher zu machen. Mit solchen Repräsentanten, die jegliches Vertrauen und jegliche Integrität verloren haben, ist keine lösungsorientierte Politik zu machen.
Wie diese Lösung dann aussieht, dass können wir ja dann noch lang und breit besprechen und vielleicht sogar demokratisch abstimmen. So haben wir zumindest was, worauf wir uns freuen können.

Teil 43 – Der revolutionäre Geist liegt in der Luft (Montag, 08.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 08.06.2020 – 7:58 Min.

Und wieder gab es eine Demonstration an der dieses social Distel-Ding sich beteiligt hat. Zusammen mit vielen anderen. Am Samstag haben sich in München ca. 30.000 Menschen versammelt um gemeinsam und entschlossen für eine eigentlich selbstverständliche Tatsache einzustehen: „Black lives matter“ – Schwarzes Leben zählt und hat Bedeutung.
Dass es so viele Menschen werden, die diese Botschaft, aber auch die erschütternden Aufnahmen von George Floyds Ermordung, auf die Straße treiben würde, damit hatte die Polizei anscheinend nicht gerechnet. Dabei hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass die Bevölkerung der Metropolregion München regelmäßig in großer Zahl demonstriert, wenn es darum geht für Menschlichkeit, gegen Hass und gegen Überwachung aufzustehen. In der Kalkulation der Polizei und des KVR, dass viele Menschen der Kundgebung fern bleiben um die Virusausbreitung aufzuhalten, hat wohl die Variable „revolutionärer Geist“ keine Rolle gespielt.
Diese Variable ist allerdings in keinem Fall außer Acht zu lassen. Dieses größte soziale Experiment der Menschheitsgeschichte, das daraus besteht Milliarden Menschen mit der beinahe vollständigen Eindämmung des öffentlichen Lebens vor der unkontrollierten Ausbreitung des Corona-Virus zu schützen, während die Mehrheit Zugriff auf die größte Menge an Informationen und Informationsverbreitungsmöglichkeiten der Menschheitsgeschichte hat, verstärkt den revolutionären Geist in uns allen.
Die Folge sind unvorhersehbare Akte des Protests, der Solidarität, der Meinungsäußerung. Von den Corona-Rebellen über die teils anti-semitischen Verschwörungserzählungen hin zum politisch vereinnahmten Klatschen für Leistungsträger*innen in der Pandemie und der internationalen Bewegung gegen Rassismus. Auch wenn diese Protest- und Solidarisierungsbewegungen absolut nicht in einen Topf geworfen werden dürfen und auch nicht miteinander vergleichbar sind:
Das soziale Gefüge bricht auf und strebt nach Veränderung.
Das ist auch kein Wunder, schließlich sind die gesellschaftlichen Kontroll-Funktionen abhanden gekommen. Lange Zeit gab es keine Verbrüderung und Unterhaltung mehr, die Bundesliga und die anderen Sportligen waren ausgesetzt. Lange Zeit gab es keine Predigten, kein ora et labora also bete und arbeite, mehr. Der Mensch ist auf sich zurückgeworfen worden. Alleine oder mit der Familie zu Hause, mit den eigenen Gedanken und einer Welt da draußen die nicht wieder zu erkennen war. Strukturelle und existentielle Unsicherheit.
Der Virus als Gleichmacher hat allen ihr gemeinsames „Menschsein“ vor Augen geführt. Kein Geld, kein sozialer Status, keine Hierarchie, keine Herkunft, keine Bildung war und ist gegen die tödliche Gefahr für eine*n selbst und die eigenen Lieben gefeit. Alle die vor den Bildschirmen sitzen und saßen beschäftigen sich mit der gleichen Unsicherheit.
Nur, dass dann doch wieder die Unterschiede auftraten. In den USA am deutlichsten, wo weiße Männer bewaffnet gegen die Pandemie-Bekämpfung demonstrierten und Afro-Amerikaner verhaftet wurden, wenn sie keine Masken hatten oder in Gruppen unterwegs waren. Wo die Corona-Pandemie vor allem in den unterversorgten schwarzen Communitys fatal zuschlug und die soziale Spaltung aus rassistischen Gründen noch deutlicher zu Tage trat. Wo die qualvoll langsame öffentliche Ermordung George Floyds mit seinen Worten. „I can‘t breath“ allen mitfühlenden Menschen die Luft abschnürte und das Knie des rassistischen Mörders in Polizeiuniform gleichbedeutend mit dem strukturellen Rassismus in den USA wurde, der allen Afro-Amerikanern die Luft zum Atmen nimmt.
Aber auch in Deutschland zeigt sich in dieser Krise, dass „Menschsein“ eben nicht ausreicht um gleich zu sein, dass eben doch Unterschiede gemacht werden. Rassismus gibt es auch und auch gerade in Deutschland. Rassismus zu vergleichen oder als weniger schlimm zu erachten, ist niemals eine gute Idee. Der deutsche und europäische Rassismus, der sich anders äußert als in den USA, ist ebenfalls tödlich, strukturell, und wird gerne klein geredet. Aber auch hier gibt es racial profiling, auch hier sterben Menschen aus vermutlich rassistischen Gründen im Polizeigewahrsam, auch hier gibt es eine strukturelle Diskriminierung auf dem Wohnungs- und Arbeitsmarkt. Und auch hier gibt es Menschen, die das öffentlich machen und dafür angefeindet werden.
Und wie auch in den USA ist der Rassismus in Deutschland nicht die einzige Ungleichheit die während der kurzen Phase der Schließung des öffentlichen Lebens und darüber hinaus noch zu Tage treten.
Wer mitbekommen hat, wie viel Aufmerksamkeit die Automobilindustrie für ihre Forderungen nach einer Verkaufsprämie bekommen und trotz mit Staatsmitteln finanzierter Kurzarbeit Dividenden ausgeschüttet hat, während zugleich die Kreativwirtschaft und die Gastronomie mit einem praktischen Berufsverbot belegt wurde, kann nachvollziehen, dass die Wut groß ist.
Aktuell zeigt sich schon in den Nachrichten, welche Wirschaftsbereiche seit Jahrzehnten gute Beziehungen zur Politik führen, deren Veranstaltungen finanziell unterstützen und regelmäßig Wahlkampfspenden tätigen.
So viel Aufmerksamkeit für Politik wie heute gab es in den letzten Jahren kaum. Und solch einschneidende Maßnahmen in die persönliche Freiheit der Einzelnen auch nicht. Es ist also kein Wunder wenn der revolutionäre Geist geweckt wird.
Und so sah Mensch zuerst diejenigen demonstrieren, die sich sehr selten von der Politik eingeschränkt sehen und die dann die Grundlage dieser Einschränkungen anzweifeln. Diejenigen, denen es zuvor meist gut ging, die lieber weniger staatlichen Einfluss haben als mehr, die sich stark und unabhängig fühlen. Für sie war und ist das Problem zuvorderst die Einschränkung ihres Lebens für den potentiellen Schutz anderer Menschenleben, bzw. zweifeln sie die Beweggründe und die Wirkung dieser Einschränkungen an. Dann kamen die Öffnungen, die teilweise auch ungerechte Diffamierung in der Presse, die massive Eindämmung der Proteste durch die Polizei, die gemeinsam diesen libertären und ehrlicherweise auch sozialdarwinistischen Drang nach Veränderung beschränkten. Zurück bleiben noch einige, die glauben in diesem Protest eine anschlussfähige Bewegung gefunden zu haben, mit der die ungehörten Stimmen lauter werden, und zu viele, die diese mit Verschwörungserzählungen in einen tendenziell rechten Dunstkreis ziehen möchten.
Und dann kam Black lives Matter. Eine Bewegung die grundsätzlich für Grundrechte und Menschenrechte einsteht. Die nicht zulassen möchte, dass Menschenleben unterschiedlich gewichtet werden, dass sich eine Gesellschaft auf den Rücken einer Bevölkerungsgruppe bereichert, sie ermordet. Ein Anliegen, dem sich viele Menschen anschließen können, weltweit.
Nachdem jetzt in dieser Abfolge eine Ungleichbehandlung der Demonstrationen gegeben ist, sich scheinbar zeigt, dass die Demonstrationsverbote und –Einschränkungen in Zeiten von Corona politisch bedingt sind, droht uns wieder Ungemach. Es gibt zwar Argumente warum diese Ungleichbehandlung der Kundgebungen erfolgte: Unvorhergesehene Teilnehmeranzahl, unterschiedlicher Umgang mit den Beschränkungen und dem Maskengebot auf den Kundgebungen, grundsätzliche Richtung des Protests und vieles mehr…
Aber wer den Königsplatz am Samstag gesehen hat und in Corona keine harmlose Grippe sieht, dem wird trotz allem ein wenig mulmig zumute sein. Gespannt blicken wir auf die Zahlen und hoffen, dass in zwei Wochen nicht der Backlash kommt, der unser Verhalten als verantwortungslos bestätigt.
Das ändert allerdings alles nichts daran, dass der revolutionäre Geist die Gesellschaft erfasst hat. AC is not BC. Nach Corona ist eben nicht mehr so wie vor Corona. Und das wird sich auch politisch auswirken. Hoffen wir, dass ein Weg gefunden werden kann, diese politische Veränderung auszulösen, ohne, dass damit eine 2. Welle oder maßlose Repression einhergehen. Und damit diese politische Veränderung auch eine Verbesserung für alle beinhaltet gilt:
Maske auf und‘s Maul aufreißen! Gegen Rassismus, für eine gerechte Teilhabe aller an dieser Gesellschaft.

Teil 42 – Es hat Wumms gemacht (Donnerstag, 04.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 04.06.2020 – 4:32 Min.

1000 Mal diskutiert, 1000 Mal ist nichts passiert, 1000 und eine Nacht und es hat WUMS gemacht!
Gut ganz so lange hat es nicht gedauert, aber jetzt ist das Motto, das überall rauf und runter geschrieben wird: „Mit Wums aus der Corona-Krise“
Dieser Satz stammt von dem sonst notorisch nüchternen Olaf Scholz, dem Mensch solch eine Comic-Sprache gar nicht zugetraut hätte.
Unser Konjunkturpaket ist jetzt also geschnürt und kann am 1. Juli von jeder und jedem ausgepackt werden: Die Mehrwertsteuersenkung ist das egalitäre Mittel zur allgemeinen finanziellen Entlastung. Statt, wie aus Bayern gefordert, Steuergelder zu nehmen und den Automobilkonzernen zu geben, damit sie wieder genau soviel Geld haben wie vor ihrer Dividendenausschüttung, werden einfach weniger Steuern auf Konsum- und Investitionsausgaben verlangt.
Das ist eine sehr gute Nachricht, denn dadurch werden vor allem diejenigen am stärksten entlastet die ihr Geld sofort ausgeben.
Und das spannendste an diesem Teil des Konjunkturpakets ist tatsächlich: Darüber hat davor kaum jemand öffentlich gesprochen. Es gab nicht die Aiwangers, Scheuers und Söders, die davor laut gerufen haben: Ich fordere, dass in wenigen Wochen alles billiger wird.
Dieses Privileg blieb der Automobilindustrie erhalten. Die großen Schummelsoftware-Konzerne dürfen sich jetzt bei ihren angeblichen Fürsprechern bedanken, dass diese aktiv daran mitgeholfen haben in der Zwischenzeit Autokäufe aufgeschoben wurden. Ein wenig auch zu recht, denn die Mehrwertsteuersenkung gilt natürlich auch für Autos, egal ob Verbrenner oder nicht. Nur das jetzt erst ein Bonus von 4.000 € beim Kauf eines Verbrenners gibt, wenn das 133.333,33 € teuer ist. In München gibt es von diesen Karren zwar eine ganze Menge, aber die 3% Preisnachlass sind in diesem Zusammenhang wohl verkraftbar.
Das wir social Distel-Dinger von diesem Plan uns alle Konsumausgaben zu vergünstigen erst jetzt erfahren haben, liegt wohl darin begründet, dass wir unseren Konsum nicht aufschieben sollten.
Mensch stelle sich vor, was gewesen wäre, wenn wir frühzeitig erfahren hätten, dass bald alles 3% günstiger wird. Dann hätten sich einige ihre Hamsterkäufe vielleicht nochmal überlegt. Deren Vorratskammern sind übervoll, während sich bald alle denken: Konsumieren bis die nichts mehr reingeht.
Schließlich wird die Mehrwertsteuer nur vom 1. Juli bis Ende des Jahres abgesenkt. Nur, dass es jetzt eben nicht nur um Klopapier, Konserven oder Alkohol geht, sondern um Fernseher, Kühlschränke oder andere längerfristige Anschaffungen, die lange Zeit aufgeschoben worden sind.
Diese Überlegung setzt natürlich voraus, dass die Unternehmen die Preissenkung auch so an die Kunden weitergeben und nicht selbst einfach die Preise stabil halten und die 3% Vergünstigung nutzen um ihre eigenen Verluste auszugleichen.
Was die Zukunft angeht, lädt dieses Konjunkturpaket die Verantwortung für die kommenden Generationen wieder auf die Verbraucher und die Unternehmen ab. Zwar sind tatsächlich eine Milliarde für den Kauf neuer, dann hoffentlich effizienterer Flugzeuge, und zwei Milliarden für Zukunftsinvestitionen der Automobilhersteller vorgesehen, aber ein gewissenhaftes Einschreiten gegen explodierende externe Kosten, wie Klimafolgen, Umweltverschmutzung und soziale Ungleichheit, sieht anders aus. Das wäre vermutlich auch zu viel zu erwarten gewesen.
Immerhin werden Alleinerziehende minimal bessergestellt, sowohl über den einmaligen Kinderbonus von 300€, der mit dem Kinderfreibetrag verrechnet wird, damit die soziale Gerechtigkeit gewahrt bleibt, als auch über den Ausbau der Ganztagsbetreuung. Das ist allerdings immer noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Bei Kita-Kosten von 600€ im Monat inklusive der eigenverantwortlichen Betreuung in der Ferienzeit, gilt immer noch, Kinder kriegen muss Mensch sich erst einmal leisten können. Und ohne Kinder und Zuwanderung kann sich die Bundesrepublik auch bald die Renten und Pensionen nicht mehr leisten, geschweige denn die Schuldenlast die uns noch über Jahrzehnte begleiten wird.
Aber diese Probleme verdrängen wir jetzt besser bis wir zumindest aus dieser Krise rauskommen. So können wir schon absehen wie es in nächster Zeit im besten Fall weitergeht. Der Status quo ist gerettet, aber der führt uns direkt in die nächste Dreifachkrise: Die Bildungs-Klima-Demographiemisere!

Teil 41 – Black Lives Matter, auch in Deutschland (03.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 03.06.2020 – 3:31 Min.

Da sitzt man daheim, in Deutschland, in Europa und wird trotzdem mitten mit reingezogen in den jetzt aufbrechenden Wahnsinn in den USA. Denn der Wahnsinn ist dort nicht ausgebrochen, er ist aufgebrochen. Vieles was wir in den letzten Jahren aus den USA mitbekommen haben, ließ uns kopfschüttelnd zurück. Mal laut lachend, mal traurig, häufig einfach wütend.
Trotzdem sind wir den US-Amerikanern gefühlt zum Teil vertrauter als vielen unserer europäischen Nachbarinnen und Nachbarn. Die Serien, Filme und die Literatur gehören fest zu unserem gesammelten Kulturschatz und haben uns social Distel-Dinger über die letzten Monate viele unterhaltsame Stunden beschert. Und jetzt, jetzt bricht eben der Wahnsinn auf. Mitten in der Corona-Krise.
Als weißer Mann in Deutschland möchte ich mir nicht anmaßen hier tiefgreifende Analysen über den besonderen amerikanischen Rassismus zu treffen, die systematische Ausgrenzung und die strukturelle Unterdrückung, die ich als den Wahnsinn bezeichne der jetzt aufbricht. Aufbricht, nachdem die Welt sehen konnte, wie ein Polizist in aller Öffentlichkeit einen Menschen ermordete, grausam langsam und mit einer fürchterlichen Selbstverständlichkeit. Heute ist ein kleines Video aufgetaucht von George Floyds Tochter, die auf den Schultern auf die Massen blickt und sagt:
„My Daddy changed the World.“ Wer nur ein bisschen Menschlichkeit in sich trägt ist von dieser Aussage tief gerührt.
Nun ist es recht üblich, dass überregionale Ereignisse innerhalb der USA gerne als weltbewegend wahrgenommen werden. In diesem Fall scheint das aber zu stimmen: Der Tod von George Floyd verändert die Welt.
Plötzlich wird wieder über Rassismus gesprochen. Plötzlich wird wieder über das Widerstandsrecht der Bürgerinnen und Bürger gesprochen, deren Rechte vom Staat nicht geachtet werden. Und gar nicht so plötzlich zeigt sich, dass Populisten an der Macht alles tun werden um ihre Macht zu halten, auch wenn das die endgültige Spaltung der Gesellschaft und sogar tödliche Gewalt beinhaltet.
Und all diese Debatten schwappen auch rüber über den großen Teich. Und natürlich sollen solche Debatten dann auch im öffentlich rechtlichen Fernsehen in einem Talk-Format behandelt werden. Für heute Abend ist das zum Beispiel bei „Maischberger: Die Woche“ geplant.
Allerdings zeigte sich nach Bekanntgabe des Themas und der geladenen Gäste ein kleines Missverhältnis. Aus dem Abstand können in Deutschland anscheinend auch fünf Weiße sich sehr gut über Rassismus unterhalten. Mittlerweile wurde dieses Missverhältnis behoben und mit Priscilla Layne wird auch eine afro-amerikanische Germanistik-Professorin aus North-Carolina zu Wort kommen.
Das scheint auch der logische Schluss zu sein, wenn im Fernsehen über die Unruhen und den Rassismus in den USA gesprochen werden soll. Aber so wird bewusst oder unbewusst auch ein übergreifendes Thema ausgeklammert. Denn es ist unwahrscheinlich, dass Afro-Deutsche Talkgäste in der Sendung nur mit dem Finger auf die USA gezeigt hätten, nach dem Motto: Lasst uns mal anschauen wie kaputt die Gesellschaft in den USA ist! Das hat ja nichts mit Deutschland zu tun.
Viel mehr wären Themen wie Rassismus, Racial Profiling und Polizeigewalt gegen Nicht-Weiße vermutlich auch angesprochen worden. Der Name Oury Jalloh wäre vielleicht gar gefallen, und damit wieder in Erinnerung gebracht worden, dass ein schwarzer Mann in einer Dessauer Polizeizelle bei lebendigem Leib verbrannt ist und dass im Anschluss immer wieder die Ermittlungen blockiert wurden. (Oder es wäre daran erinnert worden, dass im Herbst 2018 ein syrischer Asylbewerber in seiner Zelle in Kreve verbrannt ist und sich danach herausstellte, dass der Mann länger als zwei Monate unschuldig in Haft war.)*
Und es wäre wahrscheinlich auch angesprochen worden, dass die Gesprächspartner*innen selber Probleme mit der deutschen Polizei hatten und Erfahrungen mit Alltagsrassismus gesammelt haben.
*(Text wurde beim live Einsprechen gekürzt, längere Fassung nur schriftlich)
Am wahrscheinlichsten ist aber, dass Afro-Deutsche Gesprächspartner auch einen Hinweis auf ihre Probleme mit der deutschen Polizei und ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus in Deutschland gegeben hätten.
Aber auch darüber kann dieses social Distel-Ding nicht wirklich reden. Maximal darüber, dass ich im Umgang mit meinem eigen Migrationshintergrund auch immer wieder versteckten positiven Rassismus vermute. Als Halb-Schwede finden sich viele, die mich eigentlich als Voll-Deutschen aufnehmen aber schon bei Rumänen, Tschechen oder Süd-Europäern einen Unterschied zu den „Deutschen“ ausmachen wollen. So bleibt mir, wie allen anderen nicht von Rassismus und Diskriminierung betroffenen eigentlich nur eins: Laut sein, wenn man Rassismus mitbekommt! Laut Nein sagen, es eben nicht weglächeln! Und im Besten Fall das eigene Privileg nicht unter Racial Profiling zu fallen dafür zu nutzen, diejenigen zu schützen die dadurch bedroht werden.
Aber am Wichtigsten: Menschen, die von rassistischer Diskriminierung und Polizeigewalt betroffen sind eben nicht nur zu besprechen, sondern sie einzuladen sich in diesem Diskurs selbst zu äußern.
Wer also gerade zuhört und keinen Bock mehr hat mir zuzuhören wie ich mich hier durch ein Thema durchstolper in dem ich selbst nicht drinstecke:
Meldet euch bei LORA oder einem freien Radio in eurer Nähe. Wir hören zu, wir senden…

Teil 40 – Die Welt spielt verrückt (Dienstag, 02.06.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 02.06.2020 – 6:42 Min.

Oh je, oh je, oh je… Was ist hier eigentlich passiert? In den letzten 70 Tagen, seit dieses social Distel-Ding die Kolumne begonnen hat, entwickelt sich dieses größte soziale Experiment der Menschheitsgeschichte immer schneller. Die an dieser Stelle getroffene Aussage, dass in der Krise alles stinkt, was davor schon am faulen war, bewahrheitet sich in einer Art die so nicht zu erwarten war.
Dieses verlängerte Wochenende war ein einziges Chaos. Die Idee sich von Radionachrichten wecken zu lassen ist spätestens nach den letzten drei Tagen prüfenswert. Die Nachrichtenlage: fast eine halbe Millionen registrierte Covid-19-Fällen in Brasilien, Trump zieht sich in seinen Bunker zurück, weil vor dem Weisen Haus demonstriert wird und kündigt den Einsatz des Militärs im Inneren an, in München sind wir wieder bei einer Reproduktionszahl von über 1, mit Datteln 4 ging ein neues Steinkohlekraftwerk ans Netz und Markus „Corona-Kanzler der Herzen“ Söder fordert nun auch lautstark eine Autokaufprämie.
Wir können gleich weiter machen: In Brasilien gibt es Straßenschlachten zwischen Regierungsgegnern und Pro-Bolsonaro-Demonstranten während tausende Menschen an Covid-19 sterben und der Regenwald in einem Rekordtempo abgeholzt wird; in den USA sind seit der öffentlichen Ermordung von George Floyd durch mindestens einen Polizeibeamten mindestens sechs Menschen in Zusammenhang mit den Protesten getötet worden, all das während die Pandemie vor allem Leben in den afroamerikanischen Communitys zerstört, während die Berichterstattung massiv eingeschränkt wird und sogar Pressevertreter der Deutschen Welle von Polizisten und anderen Staatsgewaltsvertretern angegriffen wurden, ein Team von CNN sogar vor laufender Kamera verhaftet wurde; in Deutschland versucht die Springer-Presse nicht nur den Virologen Christian Drosten als nicht vertrauenswürdigen Experten darzustellen, sondern lädt auch noch den faschistischen Strategen der internationalen neuen Rechten, Steve Bannon, zum Interview. Ach ja, und dank Trump haben wir in der Bundesrepublik jetzt auch wieder eine Debatte darüber ob „Antifa“ das Kurzwort für Antifaschismus ist oder doch für eine Organisation steht, die zu verurteilen sei. Und um den Blick nicht nur im Westen weilen zu lassen: China bereitet gerade die endgültige Niederschlagung der Pro-Demokratiebewegung in Hong-Kong vor und überwacht und kontrolliert seine Bürger so umfassend, dass es Xi Jinping fast gelingt uns weiß zu machen, dass er unwidersprochen für 1,4 Milliarden Menschen spricht.
Bei einer sich so überschlagenden Nachrichtenlage ist es schwer einen kühlen, nüchternen Blick zu wahren und sich nicht angewidert abzuwenden und ins Private zu flüchten. Aber zum Glück wird das nicht zu einfach gemacht. So hat beispielsweise Sony jetzt sein für den 4. Juni geplantes Playstation 5 Event abgesagt, weil sie meinen die Welt hätte gerade wichtigeres zu tun, als über seine neue Spielekonsole zu berichten.
Aber eigentlich geht es uns ja gut. Wir sitzen in Deutschland und beschweren uns über die Einschränkung unserer Freiheiten. Wir sonnen uns am See und fachsimpeln darüber, dass die Virologen ständig ihre Meinung ändern. Wir feiern auf Schlauchbooten für den Erhalt der Rave-Kultur. Wir fahren in den Urlaub, dürfen wieder rasen und freuen uns unbändig darauf bald günstiger an ein neues Auto zu kommen. Genießen die Autokinos und freuen uns über innereuropäische Grenzöffnungen während darauf bestanden wird, dass die europäische Außengrenze dicht bleiben muss. Unsere große Sorge ist vielleicht, dass wir die faulen europäischen Nachbarn mit Steuergeldern unterstützen.
Dass die Welt außerhalb Europas mittlerweile sehr viel weniger frei, sehr viel weniger menschlich und sehr viel brutaler geworden ist, führt augenscheinlich nicht dazu, dass der Sinn und der Wert der europäischen Einigung stärker erkannt wird. Aber ohne ein starkes Europa sieht es zappenduster aus.
Natürlich hat die Europäische Union zahllose Probleme. Die Omnipräsenz der Lobbyvertreter und die mangelhafte Einigung auf einen europäischen Wertekatalog sind jedem bewusst. Auch das Politiker*innen das Spiel mit der EU so treiben, dass sie das Gute wollen aber von den Spielverderbern in Brüssel darin gehindert werden, ist eklatant. Erinnern wir nur an Andi „ich habe eine andere Rechtsauffassung als der EuGH“ Scheuer.
Aber all diese Spielereien sind spätestens jetzt unangebracht, da alle großen Mächte von autoritären Herrschern regiert werden, die die Pressefreiheit mit Füßen treten, die Meinungsfreiheit durch Faktenchecks eingeschränkt sehen, die Opposition zum Gegner erklären, gegen den Gewalt angewendet werden darf, den internationalen Frieden für politische oder regionale Zugewinne riskieren, Menschenrechten die Universalität absprechen.
An einer großen, starken und nachhaltigen europäischen Einigung führt in dieser Weltlage kein Weg mehr vorbei. Das bedeutet zwar, dass wir Souveränitätsrechte abgeben und damit weniger Einfluss auf Dinge haben die uns nicht passen, aber die Gefahr diese Souveränitätsrechte mit den europäischen Nachbarinnen und Nachbarn zu teilen ist viel geringer, als diese Souveränität aus Abhängigkeit zu einem dieser autoritär agierenden Super- oder Regionalmächte aufgeben zu müssen.
In einer zivilgesellschaftlichen, demokratischen und politischen Einigung Europas liegt unsere beste Chance die über die letzten Jahrhunderte unter Einsatz zahlloser Menschenleben erkämpften Rechte in der Zukunft verteidigen zu können.
Und zuletzt noch ein Wort zu einem Ereignis das in der aktuellen Nachrichtenlage unterzugehen droht: Heute vor einem Jahr wurde Walter Lübcke ermordet. Nach allem was bisher ermittelt wurde kann gesagt werden: Von mindestens einem Nazi.
Als Auslöser dieses letztlich tödlichen Hasses auf Walter Lübcke gilt dieser Satz:
„Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.“
Daran Anschluss nehmend: Lasst uns ein Europa entwickeln, aus dem die Nazis auswandern!

Teil 39 – Datteln 4 – zum Kotzen (Freitag, 29.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 29.05.2020 – 3:46 Min.

Ohje, der Weltschmerz. Wir starten wieder einmal ins Wochenende und im Frust über das Weltgeschehen dürfte die neugewonnene Trinkfestigkeit der social Distel-Dinger mal wieder auf die Probe gestellt werden. Dieses social Distel-Ding kann zumindest von sich sagen: Ich kann gar nicht so viel saufen wie ich kotzen möchte. Selbst wenn ab heute die Biergärten in Bayern auch wieder bis 22 Uhr offen bleiben dürfen.
Für den Fall, dass es einige Menschen da draußen gibt, die gut darin geworden sind, sich von Nachrichten abzuschirmen und dadurch die Laune unbeeinträchtigt zu lassen: Herzlichen Glückwunsch. Es gibt wirklich schönere Dinge im Leben zu erleben als mitzubekommen, wie wir mit Ansage in die Katastrophe rauschen. Natürlich ist es nicht so, dass Mensch es früher oder später nicht auch noch merken wird, trotz allem Augen verschließen vor dem Wahnsinn.
Nein, es geht Ausnahmsweise nicht um Corona, auch wenn die Pandemieeindämmung sicherlich geholfen hat das Thema jetzt so unaufgeregt in den Nachrichten untergehen zu lassen. Es geht um den Klimawandel, genauer gesagt um Datteln 4. So heißt das Steinkohlekraftwerk das morgen neu in Betrieb genommen werden soll.
Genau, ein Steinkohlekraftwerk das in Zeiten des Kohleausstiegs neu in Regelbetrieb genommen wird und von jetzt bis 2038 Strom aus klimaschädlicher und menschenrechtlich bedenklicher Steinkohle ins Stromnetz einspeisen soll. Das es so kommt, ist Teil des Kohleausstiegsgesetz 2038, das eigentlich vorsieht die Kohleverstromung zu stoppen, aber eben auch dafür genutzt wurde noch ein letztes Kraftwerk neu ans Netz zu nehmen.
Armin „die Wirtschaft leidet, wenn wir zu sehr auf Schutz der Menschenleben achten“ Laschet dürfte glücklich sein. Der Kraftwerksbetreiber Uniper wird in den nächsten Jahren viel Geld verdienen und vielleicht auch den einen oder anderen Wahlkampf oder Parteitag mit Geld unterstützen.
Ca. 70 Arbeitsplätze wurden direkt vor der Haustüre der Bewohner in der Kleinstadt Datteln geschaffen. Dort können sie sich schon länger im Schatten der Kühltürme und ab jetzt auch der Dampfschwaden nicht mehr in der Sonne räkeln. All die juristischen Streitigkeiten über den eigentlich unzulässigen Standort, die Luftverschmutzung und vieles mehr, konnte Uniper auch dank der mächtigen Unterstützer in der Politik überstehen und so bleibt uns jetzt scheinbar nur eines:
Trinken bis der Hopfen nicht mehr wächst, weil vermehrte Extremwetterereignisse den Hopfenanbau in Deutschland unmöglich gemacht haben. Trinken, bis die Böden so verdorrt sind, dass Bierproduktion als Wasserverschwendung angesehen wird. Trinken, bis wegen der Wasserknappheit und der durch den Klimawandel bedingten Vertreibung wieder große Kriege ausbrechen, die uns alle betreffen werden.
Oder aber wir hoffen. Hoffen auf die Zivilgesellschaft, die die Kohleverstromung mit ihrem Protest genauso verteuert und unrentabel macht wie den Atomstrom. Hoffen auf die Politik, dass sie vielleicht mitbekommen wird, dass ca. 2/3 der Deutschen gegen die Inbetriebnahme neuer Kohlekraftwerke sind, wie der BUND jetzt ermitteln lies. Hoffen auf die junge Generation, dass sie in die Politik drängt, sich nicht von den Lobbyvertretern kaufen lässt und stattdessen auf eine nachhaltige, erneuerbare und dezentrale Stromversorgung setzt. Hoffen auf uns, dass wir nicht wegschauen und den Frust ertränken, sondern uns auch weiterhin für das Erreichen der Klimaziele einsetzen, den Protest nicht einschlafen lassen, die Verantwortungsträger an ihre Verantwortung für die nächsten Generationen erinnern.
Denn auch wenn uns der Weltschmerz plagt, weil die ganze Welt und nicht zuletzt Trump gänzlich verrückt geworden sind, dürfen wir nicht vergessen, dass wir immer noch ein Wörtchen mitzureden haben.
Maske auf und‘s Maul aufreißen.

Teil 38 – Drängeln und Motzen hilft auch nicht weiter (Donnerstag, 28.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 28.05.2020 – 6:11 Min.

Es reicht langsam. Wir wollen unser altes Leben zurück. Die Einschränkungen gehen zu weit. Es gibt doch kaum noch Neuinfektionen. Man muss auch regional unterscheiden. Diese Grundrechtseinschränkungen sind nicht mehr begründbar.
Das ist aktuell unsere Diskussionssituation. Während die Nachrichten aus Großbritannien, Indien, Brasilien und den USA ängstlich stimmen und weltweit schon über 350.000 Menschen an den Folgen von Covid-19 gestorben sind, fühlen sich viele Menschen in der Bundesrepublik von den Maßnahmen zur Pandemieeindämmung gegängelt.
Gerne wird dabei vom Präventionsparadoxon gesprochen: Die Vorsichtsmaßnahmen funktionieren so gut, dass die Gefahr die einen zur Vorsicht veranlasst hat, nicht mehr hinreichend ersichtlich ist.
Die Forderungen an die Politik sind dabei ähnlich wie diejenigen ungeduldiger Flugreisenden:
Wieso muss der Pilot nochmal ums Flugzeug laufen? Wieso können wir jetzt nicht einfach starten? Wir warten jetzt schon ewig auf die Flugfreigabe! Flieg los!
Natürlich sind nicht alle Passagiere im Flugzeug dafür die Sicherheitsvorkehrungen sausen zu lassen. Einige krallen sich auch in ihrer Flugangst in den Armlehnen fest. Aber sie sind nicht zu hören. Sie schämen sich für ihre Angst und versinken in ihren Sitzen, während die Stewards und Stewardessen versuchen den Ungeduldigen noch einmal zu erklären, dass das Flugzeug, einmal in der Luft, bei einem dann festgestellten Defekt oder Fehler nicht einfach so landen kann. Deshalb muss eben noch einmal alles gecheckt werden und deshalb könnte es auch sein, dass es noch dauert bis der erste Drink am Pool geschlürft werden kann.
Leider ist es so, dass motzen nichts kostet und es vielen Leuten auch noch Spaß macht. Forderungen aufstellen und Unfähigkeit anprangern ist das Privileg und das gute Recht derjenigen die keine Verantwortung tragen. Sie haben sogar den Vorteil, dass sie sich auch weiter beschweren können, wenn das Flugzeug abstürzen sollte. Für diejenigen die die Verantwortung schultern bedeutet das, dass sie mit diesem Sperrfeuer leben müssen. Sie müssen es aushalten, dass sie es nicht allen Recht machen können. Dass es Einzelne gibt, die sagen sie würden das Risiko für sich selbst tragen, ohne die Stillen und Verstummten in Betracht zu ziehen.
Diese Drängler und Eiligen werden derzeit auch gehört. Ihre Rufe hallen durch die Medien, ihre Forderungen werden weiterverbreitet, ihr Angriffe auf die Stewards und Stewardessen dieser Krise, die Virologen und Virologinnen, sind plötzlich Artikel wert. Und einige der Piloten scheinen darüber auch schon kirre zu werden.
An sich ist das auch nicht so schlimm. Die Aufregung hat immerhin größeren Unterhaltungswert als einfaches Warten. Während einige sich so echauffieren, dass sie ganz aus der Puste kommen, kann sich ein social Distel-Ding zurücklehnen und das Unterhaltungsprogramm genießen.
Natürlich muss eingeschritten werden, wenn die Angriffe auf das erklärende Personal gefährlich werden. Natürlich muss eingeschritten werden, wenn der Pilot oder die Pilotin den Forderungen nachgibt und einfach starten möchte, ohne die Triebwerke überprüft zu haben. Und selbstverständlich wird ein großer Aufruhr entstehen, sollten die Kontrollen abgeschlossen sein und alle nur noch warten müssen bis Pilot oder Pilotin noch eine letzte Zigarette geraucht haben.
Aber bis dahin: Bevor wir abstürzen, kann ich noch warten.
Zurück zur Corona-Krise: Unsere Checkliste ist relativ einfach: Wir müssen testen testen testen. Das Infektionszahlen aktuell so niedrig aussehen kann uns nicht in Sicherheit wiegen. Schließlich werden zumeist nur Menschen getestet, die Symptome haben und in Kontakt mit einer infizierten Person standen. Und natürlich Fußballer. Als bei den Profifußballern und deren Betreuern 1.700 Test überprüft wurden, sind 10 Infizierte in die Statistik eingeflossen. Wir wissen leider noch zu wenig über das Virus, aber wir wissen, dass es Personen gibt, die das Virus verbreiten können, ohne selbst Symptome zu haben. Verbreiten heißt weitläufige Ansteckung anderer, vor allem dann, wenn wir jetzt alles wieder öffnen und uns in Gruppen versammeln, singen und tanzen. Ansteckung bedeutet wiederum, dass einige Erkranken, einige Sterben und einige dieses Virus wieder ohne Symptome weiterverbreiten können. Die infizierte Katze beißt sich sozusagen in den Schwanz. Eine Rückkehr zu „Normal“ ist somit nicht möglich.
Aber es gibt einen Weg weiter: Wir testen großflächig, wir gewöhnen uns Abstand und Masken an, lüften häufiger, wir nehmen die Regeln nicht zu genau aber genau genug um die Ausbreitung zu stoppen. Und dann kommen wir vermutlich irgendwann dazu, dass es ein Medikament zur Behandlung der Krankheit gibt, zuerst in hoffnungslosen, später in frühen Fällen von Covid-19. Und eventuell kommt dann irgendwann ein möglicher Impfstoff, der ausreichend getestet wurde und flächendeckend verfügbar ist.
Auf die Flugzeugmetapher angewendet bedeutet das, dass der erste Drink am Pool wohl ausfallen wird. Dafür kommen wir am Ziel an.
Was los ist, wenn die Drängler selbst das Steuer übernehmen sehen wir aktuell in den Ländern in denen das Virus die verheerendsten Folgen hat, in den USA, in Großbritannien und in Brasilien. Um das Luftfahrtsargument hier zu Ende zu führen, sei an einen der politischen Lenker Polens erinnert, der in einem Flugzeugabsturz bei schlechten Witterungsbedingungen ums Leben kam. Im Anschluss konnte rekonstruiert werden, dass der Pilot der Unglücksmaschine unter anderem von ihm massiv genötigt wurde die Landung zu versuchen, obwohl dieser sie als nicht sicher ansah. Bei dem so erzwungenen Versuch der Landung starben 96 Menschen.
Sollten wir jetzt dem Druck der Drängler nachgeben dürften die Opferzahlen weit höher sein.

Teil 37 – Freizeit ist unbezahlbar (Mittwoch, 27.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 27.05.2020 – 5:50 Min.

Entschuldigung, ich habe gerade etwas zu tun! Ich mache Hausarbeit! Ich kümmere mich um meine Kinder! Ich pflege meine Lieben! Ich kann gerade nicht! – Das sind die Sätze die wir nach 10 Wochen social distancing und Home-Office in die Zeit danach mitnehmen sollten.
Und damit auch die Erkenntnis, dass Pflege, Erziehung und Haushalt sich eben nicht von alleine machen und nur nebenher laufen müssen. Die Erkenntnis, dass wir, wenn wir schon nicht dafür bezahlt werden alles am laufen zu halten, uns nicht auch noch in dieser eigentlichen „Freizeit“ zerreißen müssen. Die Erkenntnis, dass Care-Work, das sich kümmern um sich selbst und das eigene Umfeld, eben Arbeit ist, die mindestens genauso ernst genommen werden sollte wie die Erwerbsarbeit.
Denn Freizeit sieht eben nicht so aus, dass Mensch nur den Laptop zuklappt oder das Werkzeug zur Seite legt und dann nichts mehr zu tun hat. Feierabend ist eben nicht nur Bier trinken und Schlafen gehen.
Stattdessen muss noch eingekauft, die Wäsche gewaschen, abgespült, geputzt und die Post durchgegangen werden. Und all diese Aufgaben fallen schon an, wenn es um einen Single-Haushalt geht. Ihr Umfang steigt exponentiell, wenn Kinder da sind, Großeltern, Eltern oder andere Angehörige gepflegt werden müssen. Zusätzlich zum Haushalt kommen in der Zusammenarbeit mit anderen Menschen auch noch psychische Aufgaben hinzu. Es brauch Empathie und Ansprache.
All das könnten die Kolleg*innen und Chef*innen eigentlich wissen, auch wenn sie vermutlich in einer ganz anderen Situation sind, wenn sie das Telefon zur Hand nehmen und einem eine weitere dringende Mitteilung machen möchten, die umgehend behandelt werden muss. Eigentlich müsste es jeder und jedem klar sein, dass Freizeit keine tote Zeit ist, die nur darauf wartet mit Arbeit wiederbelebt zu werden.
Es ist schon seltsam, dass die Arbeit, die Mensch sich ja theoretisch selbst auswählen kann, die dem Geldverdienst und in gewisser Weise auch der Selbstverwirklichung bzw. Selbstbestätigung dient, häufiger Vorrang hat, vor den Dingen die wir wirklich müssen.
Schließlich bedeutet erkaufte Arbeitszeit, dass auch jemand anderes für diesen Job bezahlt werden könnte, vor allem wenn es scheinbar nicht ohne Überstunden und ausreichende Ruhezeiten geht.
Care-Work wird hingegen zwar nicht bezahlt, kann aber schlecht von anderen Menschen übernommen werden. Auch wenn Au pairs und ambulante Pflegedienste eine nicht zu unterschätzende Hilfe sind, im menschlichen Miteinander zählt die Zeit die Mensch schon gemeinsam verbracht, zusammen erlebt hat. Der Job von Müttern und Vätern kann nicht einfach ausgeschrieben und nach einer kurzen Einarbeitungszeit von einer anderen Person gleichwertig ausgefüllt werden. Anrufe bei den Eltern und Großeltern erzielen nicht die gleichen Effekte, wenn sie von einem Callcenter am anderen Ende der Welt übernommen werden. Freundschaften können nicht wie ein Abonnement auf sozialen Austausch weiterlaufen, auch wenn man keine Zeit hat sich näher damit zu beschäftigen. Liebesbeziehungen sind keine Serviceverträge bei denen auf Zuruf eine Technikerin oder ein Techniker für körperlichen und emotionalen Support vorbei kommt.
All diese Tätigkeiten sind also betriebswirtschaftlich nicht zu fassen. Eine Familie zu haben und sich um sie zu kümmern ist eben nicht das Gleiche wie das Führen eines Familienbetriebs. Dienstleistungen können nicht zugekauft und von jedem gleichwertig erbracht werden.
Jeder von uns ist im persönlichen Zusammenhang unersetzbar. Unsere „Freizeit“ ist demnach unbezahlbar. Diesen Punkt sollten wir uns dringend vor Augen führen, wenn jetzt wieder von Arbeitszeitverlängerung gesprochen wird. Natürlich lieben viele Menschen ihre Jobs. Aber wenn sie im Job kaputt gehen, werden sie einfach ohne größere Probleme ausgetauscht.
Im „Freizeit-Leben“ kann das nicht so gehen. Dort ist dann die kaputte Person die Tochter, die Mutter, die Freundin und die Partnerin. Oder eben der Sohn, der Vater, der Freund und der Partner. Im Job sind sie bald vergessen, in der Familie und im Freundeskreis sind sie über die nächsten Jahre die Sorgenkinder. Und weil sie dort nicht alleine sind, bedeutet das, dass ihr soziales Umfeld sich um sie kümmert und Freizeit für die Pflege einsetzt. Dieses sich Kümmern ist unbezahlbar. Nicht nur, weil wir unersetzbar sind, sondern auch, weil alles Geld der Volkswirtschaft nicht reichen würde um die dafür aufgebrachte Arbeitszeit zu entgelten.
Dabei sind auch die Effekte unbezahlbar: Bildung, emotionale Stabilität und körperliche Unversehrtheit könnten alleine durch den Sozialstaat niemals ausreichend erbracht werden. Gerade in so psychisch belastenden Zeiten wie wir sie aktuell erleben, ist ein freundlicher Anruf heute beinahe mehr Wert als eine Stunde bei einer ausgebildeten Psychologin.
Diesen Wert sollten wir unserer Freizeit auch beimessen. Ja, es kommen wirtschaftlich anstrengende Zeiten auf uns zu. Ja, viel Arbeit ist in letzter Zeit liegen geblieben. Ja, die Arbeit ist wichtig und wir wollen sie behalten.
Aber nein, die Antwort auf diesen Druck darf nicht die Selbstausbeutung für den Job sein. Nein, Überstunden sind keine Alternative zu Neueinstellungen. Nein, ich kann jetzt nicht, ich werde in meinem Umfeld gebraucht.
Wenn wir uns in diesem Punkt behaupten, können wir vielleicht auch einige unser Zivilisationskrankheiten wie Burnouts und Depressionen frühzeitig aufhalten. Können die gerade so geforderten Krankenkassen entlasten und dafür sorgen, dass der Krise nicht ein gesellschaftliches Trauma folgt.
Die Folgekosten der Krise sind eben nicht nur wirtschaftliche, sondern auch persönliche. Wir werden gebraucht.

Teil 36 – BC und AC / Vor und Nach Corona und der Corona-Schlussverkauf (Montag, 25.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 25.05.2020 – 7:00 Min.

Ohje, Corona, Corona und kein Ende. Es bleibt die Frage: Was wird da noch kommen? Letzte Woche durften ja schon die Außenbereiche von Restaurants und Biergärten öffnen, ab heute machen auch die Innenbereiche wieder auf. Nachdem mittlerweile allen klar sein sollte, dass Abstand halten Allgemeinschutz ist, könnte das sogar klappen.
Allerdings: Nach all dieser Zeit der Vorsicht, wird Mensch unvorsichtig. Umarmungen fehlen den social Distel-Dingern einfach. Da nur wenige tatsächlich schlimme Covid-19 Fälle im Bekanntenkreis haben, fällt auch die Einschätzung schwer. Die Zahlen sprechen anscheinend eine klare Sprache: Viele ehemals Erkrankte gelten heute als geheilt. Das „Geheilt“ nicht wieder „wie zuvor“ bedeuten muss, ist allerdings etwas was vielen noch nicht bewusst ist.
Leider zeigt sich, dass diejenigen, die heute als von Covid-19 geheilt gelten, Langzeitschäden mit sich tragen werden, sich ihre Lebenserwartung eventuell sogar massiv verkürzt hat. Nach Corona ist eben nicht mehr alles wie es war. Deshalb gefällt diesem social Distel-Ding auch die neue Einteilung der Zeit in bc und ac so gut: Before Corona – After Corona.
Nach Corona kann nicht so werden wie vor Corona. Dafür hat diese Pandemie zu sehr in das Leben aller eingegriffen. Es sind zu viele Menschen gestorben oder versehrt zurückgeblieben, als dass die Pandemie als kleine Pause im bisher so geschäftigen Leben eingeordnet werden kann. Die Folgen, egal ob physisch, psychisch oder ökonomisch werden uns vermutlich Zeit unseres Lebens begleiten und wir werden uns immer an diese Zeit zurückerinnern.
In die Zukunft gedacht erscheint einem erst einmal ac, also After Corona, als eine Zeit der Wirtschaftskrise, der Arbeitslosigkeit, der Schulden und des Nachholens des Verpassten. Vielleicht sogar die Zeit in der die Leute rausdrängen, sich dem Körperkontakt hingeben und das Leben ohne schlechtes Gewissen genießen. Ganz nach dem Motto: „Wir haben überlebt, komm mir jetzt nicht mit der Moral“ – Was bei ausschweifenden Orgien der ausgehungerten Singels keinesfalls verwerflich sein muss, ist bei Großkonzernen höchst verwerflich, da deren Moral sich in verantwortungsbewussten Handeln für das Wohl der eigenen Beschäftigten und der Umwelt zeigt. Und diese unternehmerische Moral soll jetzt über Bord geworfen werden, damit die alten Geschäftszweige wieder aufblühen, als wären sie nicht davor schon aufgrund der Übersättigung des Marktes und der Eigenverantwortung der Konsumenten verblüht.
Natürlich geht es gerade wieder um den Automobilsektor. Beispielsweise um BMW, deren Dividendenauszahlung bei gleichzeitigem Bezug von Kurzarbeitergeld jetzt zwei der reichsten Deutschen, die Quandt-Erben Susanne Klatten und Stefan Quandt, um ca. 800 Mio € reicher gemacht hat. Für die beiden Multimilliardäre ist diese jährliche Auszahlung ein ganz nettes Beibrot, auf gute Pläne umgerechnet sind 800 Mio € genau das, was in der Moritzburger Erklärung für die Rettung des deutschen Waldes gefordert wurde. Es ist allerdings nicht davon auszugehen, dass die reichsten Deutschen sich denken werden, dass die Rettung der Umwelt, des Waldes oder der wirtschaftlichen Zukunft ihrer Mitmenschen die Abgabe ihrer Kapitaleinkünfte in diesem Corona-Jahr rechtfertigt. Das wäre ja dann Enteignung.
Stattdessen steigt der Druck auf die Politik doch endlich Kaufprämien auch für Verbrenner auf den Weg zu bringen, weil die Absätze eingebrochen sind. Wie an dieser Stelle zuvor schon einmal erwähnt: Wenn darüber geredet wird, dass Produkte bald billiger werden, braucht sich niemand wundern, wenn der Absatz davor einbricht.
Aber natürlich wäre die Wirtschaft in der Bundesrepublik von einem Zusammenbruch der Automobilindustrie besonders stark getroffen. Schließlich sind die hohen Verdienste in diesem Bereich der Nährboden für viele andere Unternehmen. Die Arbeitnehmer bei den großen Automobilkonzernen und deren Zulieferer sind ja zumeist diejenigen, die sich heute noch Häuser bauen lassen, teuer Essen gehen und viel Geld unter die Leute bringen. Wären sie von heute auf morgen arbeitslos könnte das eine allgemeine Abwärtsspirale auslösen.
Wenn aber klar ist, dass die Ankündigung einer Neuwagen- oder Abwrackprämie weniger Autos verkauft und die Autos die danach verkauft werden vermutlich zu einem großen Teil aus Nachholeffekten bestehen, was bleibt dann? Schließlich stehen in den Lagern noch zahllose Verbrenner, nehmen Platz weg und warten auf Käufer.
Dieses social Distel-Ding schlägt den gegenteiligen Weg vor:
Lasst uns einen Corona-Schlussverkauf machen. Alles muss raus, weil es danach teurer wird. Wenn wir uns heute auf einen Weg einigen, wie wir die Wirtschaft grüner und nachhaltiger gestalten, dann können wir Fristen setzen:
Zum Beispiel: Ab 2021 gilt auf den Verkauf von Verbrenner eine 30% Klimasteuer, die in den Umbau der Wirtschaft, Investitionen in die Bildung und Forschung und die Rettung der Wälder gesteckt wird.
Jede und jeder der sich jetzt noch eine S-Klasse oder einen 5er kaufen möchte, kann noch zuschlagen. Später wird es teurer. Dann wird kaum jemand mehr den Kauf aufschieben, die Lager werden geleert und die neuen Modelle, egal ob Elektro oder Wasserstoff werden mit Hochdruck entwickelt und auf den Markt geworfen. Das schmeckt vielleicht der Lobby nicht so gut, aber der Volkswirtschaft. Und das geht nicht nur mit Autos, sondern auch mit vielen anderen der umweltschädlichen bc, also Vor-Corona, – Technologien.
Wenn Sie sich jetzt denken, da war doch was: Genau, letztes Jahr wurde die CO² Steuer beschlossen, die ab 2021 gelten soll. Wenn heute also Politiker fordern, dass Ihnen beim Kauf eines Verbrenners mit Steuergeldern unter die Arme gegriffen werden soll, verschweigen sie gleichzeitig, dass das Fahren eines Verbrenners ab 2021 um ca. 7-8 cent CO²-Steuer pro Liter Sprit teurer wird und damit wieder direkt in den Haushalt fließt. Und dass diese Steuer jährlich erhöht werden soll.
Die Steuer, die uns wegen ihrer Lenkungswirkung verkauft wurde, wird dabei bewusst verschwiegen, schließlich sollen ja jetzt die Autos verkauft werden, die davor das Problem waren.
Ist also ac, die Zeit nach Corona, die Zeit in der alle unter den heute getroffenen Maßnahmen zur Rettung der Wirtschaft leiden werden? Die Umwelt, weil wieder mehr Autos herumfahren und produziert werden, die Steuerzahler, weil sie die Schulden wieder abarbeiten müssen und die Neuwagenbesitzer, weil die Preisersparnis die Mehrkosten in keinster Weise deckt?
Oder arbeiten wir einen Plan aus, wie wir in ein neues Zeitalter kommen, in dem wir die Umwelt und die Gesellschaft höher schätzen als den pervers hohen Privatbesitz Einzelner? Aber wer weiß, noch ist ja nicht ac, After Corona

Teil 35 – Nullrunde beim Mindestlohn und Kritiker*innen mundtot machen (Mittwoch, 20.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 20.05.2020 – 6:50 Min.

Und es geht schon wieder los. Kaum, dass die Bundesliga wieder angelaufen ist und die Biergärten wieder geöffnet haben, glauben einige die neue Ablenkung nutzen zu können um den Kritikern des aktuellen Wirtschaftssystems und den durch dieses Geschwächten den Saft abzudrehen.
Die Nachrichten dazu gehen leider allzu schnell unter, vor allem da jedes social Distel-Ding in letzter Zeit wohl mehr Nachrichten konsumiert hat als es möchte und zugleich die wiedergewonnen Freiheiten und Ablenkungsmöglichkeiten locken. In dieser Zeit, noch dazu vor dem Vatertag und damit vor einem verlängertem Wochenende, kann der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen dann auch relativ gut eine Nullrunde beim Mindestlohn fordern. Zugleich ist dieser Termin auch perfekt geeignet das Totschlagargument „Linksextremismus“ an die wiedereröffneten Stammtische zum „Männertag“ zu tragen und dadurch emanzipatorische Gedanken im Keim zu ersticken.
Es wird eine weitere Scheindebatte eröffnet, die perfekt geeignet ist um die Kritik, die unweigerlich in Folge der unsozialen Maßnahmen zur Finanzierung der immer weiter aufblühenden Krise kommen muss, zu diskreditieren.
Aber langsam: Der Ökonom Lars Feld, der als Vorsitzende der sogenannten fünf Wirtschaftsweisen der Bundesregierung regelmäßig wirtschaftliche Prognosen vorlegt und beratendes Mitglied der Mindestlohn Kommission ist, schlägt aktuell vor die gesetzliche Lohnuntergrenze zum 1. Januar 2021 nicht auf 9,80 Euro anzuheben. Derzeit liegt sie bei 9,35 Euro.
Die Begründung? Zitat: „Gerade Branchen mit eher geringen Lohnniveaus sind von der Krise besonders erfasst worden.“ und „Wir haben eine Ausnahmesituation, der wir nicht mit business as usual begegnen können.“ Zitat Ende.
Die Aussagen sind an sich richtig, nur die Schlussfolgerung nicht, die bei ihm lautet: Zitat „Meines Erachtens kann deshalb in dieser tiefen Rezession der Mindestlohn nicht weiter erhöht werden“ Zitat Ende.
Es stimmt, dass gerade Branchen mit geringen Lohnniveaus, also der Einzelhandel, die Gastronomie und Dienstleister wie Friseur-Salons von der Krise und den Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung besonders erfasst wurden. Es ist natürlich auch richtig, dass in Ausnahmesituationen ein einfaches weiter so nicht die richtige Antwort sein kann.
Allerdings ist es blanker Hohn, wenn jetzt diejenigen, die für ihren heldenhaften Einsatz beim Regale einräumen, an der Supermarktkasse sitzen, Essen ausliefern und Ernten, erst beklatscht wurden und jetzt nicht einmal 45 Cent mehr die Stunde verdienen sollen. Noch größer wird der Hohn, wenn Mensch, wie dieses social Distel-Ding, am Samstag durch München fährt und sieht wie sich lange Schlangen vor Luxus-Marken wie Louis Vuitton bilden.
Diejenigen, die sich vermutlich für 50 cent nicht bücken würden, wenn sie sie auf der Straße erblicken, und sich in die Schlange stellen um für tausende Euro Markenartikel und Statussymbole zu kaufen, sind bisher schließlich noch nicht berücksichtigt worden, wenn es um das finanzielle Schultern der Rezession geht. Aber diejenigen, die unter einer Wirtschaftskrise besonders leiden, deren Rücklagen langsam aufgebraucht sind und die dann vor dem Ruin und vielleicht gar der Obdachlosigkeit stehen, sollten im Anbetracht der Situation Verständnis für die Leiden ihrer Branche aufbringen. Wobei das nicht ganz richtig ist: Sie werden gar nicht gefragt.
Die Angst vor dem endgültigen sozialen Abstieg ist vor allem in Zeiten einer sich anbahnenden umfassenden Wirtschaftskrise ein gutes Mittel sich Humankapital gefügig zu machen.
Das betrifft zuerst die Menschen für die der Mindestlohn ein Segen ist, da sie so zumindest einen rechtlich verbrieften Anspruch haben, nicht noch geringer bezahlt zu werden. Mit dem Blick auf diese Menschen, die mit Mindestlohn niemals eine ausreichende Rente oder Planungssicherheit erreichen können, werden diejenigen die knapp mehr als den Mindestlohn erhalten, demütig gehalten. Statt des „american dream“ treibt in der Bundesrepublik viele das „german nightmare“ an immer weiter zu arbeiten – Altersarmut, Verdrängung, steigende Mieten, sozialer Abstieg.
Nicht vergessen wollen wir dabei auch die Kolleginnen und Kollegen aus dem europäischen Ausland, die immer noch unter Mindestlohn bezahlt werden, ihre Pässe abgeben müssen und von den Arbeitgebern für Kost, Logis und Transport Lohnabzüge erhalten. Die angeblich systemrelevanten Spargelstecher sind dafür ein aktuelles Beispiel.
Dabei gilt eigentlich in der Wirtschaft eine einfache Regel: Menschen die kaum Geld haben, geben es direkt wieder in die Wirtschaft zurück. Bedeutet: Menschen die von der Hand in den Mund leben, werden vermutlich jeden Euro, den sie mehr haben auch ausgeben und damit Waren und Dienstleistungen in ihrer direkten Nachbarschaft kaufen. Menschen die viel haben, lassen ihr Geld hingegen auch mal liegen, legen es an oder kaufen damit eben überteuerte Luxusgüter, deren Lieferketten im Ausland häufig sogar weniger kontrolliert werden als die von Primark oder H&M.
Wenn also ein „business as usual“ nicht die Antwort auf die Ausnahmesituation sein kann, gilt das vor allem für die gewöhnliche Lösung von Krisen: „Betriebs-Schulden kollektivieren, Gewinne sichern, an die Aktionäre ausschütten und vor der Steuer retten.“
Was hingegen die neue Mär vom Linksextremismus angeht: In Berlin wird seit Dienstag die dortige Ortsgruppe der Anti-Kohle-Initiative „Ende Gelände“ im Verfassungsschutzbericht aufgeführt. Die Klimabewegung sei ein Anschlusspunkt für „Linksextreme“ zum bürgerlichen Lager. Gleichzeitig wird jetzt, unter anderem aus Bayern, die neue Landesverfassungsrichterin in Mecklenburg-Vorpommern, Barbara Borchhardt, als Linksextremistin angegriffen. Die Mitgründerin der Plattform „Antikapitalistische Linke“ innerhalb der Partei „Die Linke“ weißt allerdings zurecht darauf hin, dass das Grundgesetz auch antikapitalistisch ausgelegt werden kann. Nur weil auch hier wieder der Verfassungsschutz die Plattform als „Linksextrem“ einstufe, heiße das nicht, dass sie sich nicht an die freiheitlich demokratische Grundordnung halte.
Das sind alles nicht sonderlich spannende Punkte, aber sie sollen das Thema „Linksextremismus“ eben wieder als Problem in Deutschland aufbauen. Kritiker*innen werden zu Extremisten erklärt und es gilt ja gemeinhin im Diskurs: „ob links oder rechts, extrem ist immer Scheiße.“ So werden Kritiker des weiteren Kohleverbrennens und der asozialen Auswüchse des Wirtschaftssystems mit Rassisten und Mördern gleichgestellt, weil der Verfassungsschutz mal wieder seine Definitionsmacht nutzt. Und ganz nebenbei wird so weniger über die rechten Umtriebe und unsozialen Maßnahmen gesprochen.
Da hilft nur gegenhalten. Maske auf und das Maul aufreißen.

Teil 34 – Aiwanger und sein Versuch sich der Autolobby als Fußschemel anzubieten (Freitag, 15.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 15.05.2020 – 4:49 Min.

Krisen sind anstrengend. Eine Pandemie ist furchtbar. Ganz allgemein gilt: Corona nervt!
Deshalb hilft es sich hin und wieder auf die spannenden Aspekte der Krise zu konzentrieren. Grundsätzlich gilt ja: In einer Krise stinkt alles was davor schon am faulen war. Und jedem dürfte bewusst sein, dass einiges schon länger faul war in der Bundesrepublik und in Bayern.
Zum Beispiel dürfte einigen spätestens jetzt auffallen, wie tief der Kopf einiger Politiker im, nennen wir es Hinterzimmer, der Automobilindustrie steckt. Das schlimmste daran: In vorauseilendem Gehorsam versuchen sich einige den Lobbyvertretern mit besten Kontakten ins Kanzleramt für weitere Ämter zu empfehlen. Denken wir nur an Hubert Hubsi Aiwanger, der sich gedacht hat, dass es ihm nur gut tun kann lauthals eine „technologieoffne Auto-Kaufprämie“ zu fordern. Jetzt kann niemand genau sagen ob dieses Verhalten seiner beschränkten Weitsicht geschuldet ist, oder ob er erwartet hat, dass neue Forderungen die Nachrichten über die immer noch nicht ausgezahlten „Soforthilfen“ verdrängen würden, für die er ja als Wirtschaftsminister Verantwortung trägt.
Aber was beinahe jeder dem Hubsi sagen kann: Diese Idee und auch diese Idee so weit im Vorfeld zu äußern, ist unverantwortlich. Einerseits sollte darauf hingewiesen werden, dass es ein Verbrechen an der künftigen Generation ist heute Schulden aufzunehmen um mit diesem Geld Menschen zu unterstützen, die sich schon heute ein Auto leisten könnten, damit sie sich ein teureres Auto leisten können. Das ist die schlimmste Form von verantwortungsloser Politik: Wir geben heute denen die eh schon haben und hinterlassen denjenigen, die morgen kommen, die Schulden, die Schäden und weitere soziale Ungleichheit.
Denn die junge Generation, die heute nicht mehr auf die Straße geht, weil sie die ältere Generation schützt und, oh Wunder, auf die Wissenschaft hört, muss neben den Mehrkosten des demographischen Wandels und den immer neuen Rentenprogrammen auch für gutsituierte Rentner*innen, zusätzlich noch für die Schulden die heute in der Corona-Krise aufgenommen werden aufkommen.
Das ist viel Arbeit die da auf eine Generation zukommt, die davon ausgehen muss, dass die Umwelt ihr um die Ohren fliegt und ein weiter so nicht funktionieren kann. Wenn dann heute mit dem von ihr in Zukunft aufzubringenden Geldern auch noch solch ein Schindluder betrieben werden soll, also Geld an diejenigen verteilt wird, die schon viel Geld haben, für Güter die den Klimawandel anheizen und damit eine Technologie und ein System gestützt wird, das sich in seiner derzeitigen Machtposition gegen jegliche Veränderung stellt, kann man sich fragen ob die Fähigkeit über den nächsten Dividendentermin hinauszublicken nicht nur an der Börse abhanden gekommen ist.
Aber, wenn wir schon bei der Börse und der Wirtschaft sind: Hubsi Aiwangers Vorschlag einer „technologieoffenen Auto-Kaufprämie“ ergibt auch keinen Sinn, wenn Mensch die Automobilindustrie unterstützen will. Angenommen dieses social Distel-Ding möchte sich ein Auto kaufen und war jetzt schon in einem Auto-Haus um sich so einen richtig stinkenden und lauten Euro 6 Diesel anzuschauen. Dann plötzlich ist aus der Politik zu hören: Wir setzen uns dafür ein, dass Autos billiger werden, wir fordern eine Kaufprämie von mindestens 4000€. Fast jeder Mensch legt in dieser Situation doch den Stift wieder hin und verzichtet darauf den Kaufvertrag sofort zu unterzeichnen. Stattdessen kann Mensch ja noch etwas warten und dafür eine Fernreise planen. Der Automobilindustrie ist also mit solch einer Ankündigung nicht geholfen. Ihr wäre maximal geholfen, wenn ein großes Paket aufgezogen wird und ein Teil darin Kaufprämien wären, die aber nicht mehrere Monate im Voraus zu erwarten wären.
Bedeutet zusammengefasst: Durch die Forderung einer Kaufprämie wurden im Schnitt vermutlich weniger Autos verkauft aber Hubsi Aiwanger hat gezeigt, dass er bereit ist Andi Scheuer als Fußschemel der Automobilindustrie abzulösen.
Apropos Scheuer: Nachdem der vor zwei Wochen wagte die Autofahrer-Seele in der neuen Straßenverkehrsordnung mit einem verschärften Bußgeldkatalog zu beleidigen, arbeitet er heute scheinbar schon wieder daran, diesen abzuschwächen. Aber zu Scheuers Schutz muss gesagt werden, die Regelverschärfung wollte er nie, der Bundesrat war es, der Rasern ein Fahrverbot angedroht und den Bußgeldkatalog verschärft hat.
Die Aufgabe von unserem Verkehrsminister ist hingegen klar, Rasern den Rücken stärken, die Automobilindustrie unterstützen und Radfahren durch seine peinlichen Auftritte mit Helm so unsexy wie möglich machen. Eben alles tun, damit es in Deutschland auch nach der Corona-Zeit wieder köstlich nach Diesel stinkt.

Teil 33 – So viel zu lernen und viel Blödsinn (Donnerstag, 14.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 14.05.2020 – 6:06 Min.

Das Leben ohne vollen Kontakt hält an. Eigentlich geht es ja einfach nur weiter, schließlich bekommt niemand die Corona-Zeit gutgeschrieben. Aber wir social Distel-Dinger sind trotzdem eingeschränkt. Nicht nur durch Gesetze und Hygienemaßnahmen, auch durch Sorgen, Ängste und die wirtschaftlichem Folgen.
Mittlerweile haben wir so viel Abstand zu den Vor-Corona-Zeiten, dass uns vielleicht auch gar nicht mehr so stark auffällt, dass alles was wir damals geplant hatten, heute auf veränderte Umstände trifft. Die Welt hat sich einfach massiv verändert und das in kürzester Zeit. Die Flut an Informationen, die ein social Distel-Ding verarbeiten musste und muss um auch nur die nächste Woche planen zu können, scheint dabei immer noch nicht abzuebben.
Da sind die gesetzlichen Vorgaben, die Lockerungen und die dazugehörigen Daten ab wann sie denn gelten.
Die Informationen über das Virus – wie verbreitet es sich, wurde es tatsächlich schon in Spermien nachgewiesen, greift es nur die Lunge oder den ganzen Körper an und woher kann Mensch eigentlich wissen, für wen es wirklich gefährlich ist? Und wer weiß ob der letzte Husten im März nicht schon Corona war und das social Distel-Ding deshalb vielleicht sogar immun ist?
Dann sind da noch die Hygieneregeln: Händewaschen wie und wie lange? Ist die Maske denn eigentlich sicher, darf sie zwischendurch um den Hals getragen werden, bei 60 oder bei 80 Grad waschen und was ist eigentlich mit den Einkaufswägen, werden die immer wieder desinfiziert?
Nicht zu vergessen sind in dieser Fragerunde auch die Grundrechte. Viele social Distel-Dinger machen in diese Zeit zum ersten Mal eine direkte Erfahrung mit Grundrechtseinschränkungen. Während manche Menschen im Altersheimen diese Erfahrung schon gemacht haben und relativ gefasst in ihrer Demenz fragen: „Ist der Hitler wieder da?“, trifft es jetzt auch Menschen, die schon in der Idee eines Tempolimits zum Schutz der Umwelt und der allgemeinen Sicherheit im Straßenverkehr eine nicht hinnehmbare Einschränkung ihrer Freiheit sehen. Wie so häufig merkt Mensch erst was er hat, wenn es ihm weggenommen wird.
So sehr über Steuern und die Regierung geschimpft wird, in vielen Fällen auch zu Recht, ist davon auszugehen, dass das Fehlen von repräsentativer Volksvertretung und Verantwortung gerade in dieser Zeit massiv spürbar wäre. Die Hilfen die von der Regierung ausgeschüttet werden, die Schulden die die Bundesrepublik jetzt zu besseren Konditionen aufnehmen kann als jede Einzelperson, die hohen Testkapazitäten und die direkte Abstimmung mit den Expertinnen und Experten, all das sind gute Argumente dafür, dass unsere Demokratie nicht all zu schlecht mit dieser Situation umgehen kann.
Bei den Grundrechtseinschränkungen zeigt sich schon heute, dass die Gerichte die zum Teil zu weitgreifenden und einschüchternden Maßnahmen der Ordnungsämter und der Regierung kassieren. Es gilt der Grundsatz: Die Verhältnismäßigkeit muss gewahrt bleiben.
Die Verhältnismäßigkeit war auch das Argument, warum die große Hygiene-Demo in München nicht aufgelöst wurde. Unter den ca. 3000 Teilnehmenden der Kundgebung am Marienplatz wurde häufig die Maskenpflicht missachtet und die Abstandsregeln wurden nicht eingehalten. Eine einzige infizierte Person könnte auf solch einer Demonstration sicherlich einen neuen, nicht nachvollziehbaren Ausbruch von Covid-19 auslösen, der die bisherigen Erfolge rückgängig macht.
Eine Räumung hätte aber sicherlich denjenigen in die Hände gespielt, die diese Krise und die Unsicherheit dafür nutzen wollen, die solidarische Gesellschaft zu spalten: In diejenigen die es angeblich mit der dann übergriffig gewordenen Regierung halten, und denjenigen, die sich als Verteidiger der Grundrechte darstellen obwohl sie durch ihr Handeln eine fortwährende Lebensgefahr für andere mindestens aufrechterhalten.
Wir social Distel-Dinger, die wir den Virus als ernsthafte Gefahr einschätzen die die Einschränkung unserer Freiheiten leider rechtfertigt, sind also in einer Patt-Situation. Die Opferrolle, die uns die AfD über die letzten Jahre vorgespielt hat, soll auch diesen Diskurs bestimmen. Die „Systemmedien“ gegen die „Verteidiger der Meinungsfreiheit“, die „Verteidiger des Abendlands“, gegen diejenigen, die glauben sich als einzige der wahren Gefahr bewusst zu sein.
Dass in Zeiten, in denen so viele Informationen verarbeitet und eingeordnet werden müssen und zugleich so viele Menschen davon profitieren, wenn sie ihre „spannendere Wahrheit“ auf dem Aufmerksamkeitsmarkt verkaufen, ist diese Spaltung nicht verwunderlich. Es ist nur menschlich, die Wahrnehmung der Welt so anzupassen, dass die eigene Rolle in ihr mit Bedeutung aufgeladen wird. Der Aufruf gegen eine vermeintliche Verschwörung, eine feindliche Übernahme oder eine grundlose Grundrechtseinschränkung zu kämpfen, lässt einen motivierter zurück, als die Aufforderung daheim zu bleiben und Abstand zu halten.
Deshalb sei hier an diejenigen die zu Hause bleiben und Abstand halten ein motivierender Aufruf gerichtet: Sprecht mit denjenigen, die in der Verarbeitung der Situation lieber eine andere Wahrheit suchen! Löscht sie nicht aus euren Freundeslisten, sondern lasst euch von ihnen als „Träumer“ beschimpfen. Lasst sie nicht den Hetzern in die Hände fallen, die sich aus dem Nichts einen teuflischen Plan ausdenken können, den andere angeblich verfolgen, die aber nicht bereit sind offenzulegen, was ihr Plan an deren Stelle wäre. Wenn viele Menschen die Orientierung verlieren und nicht mehr wissen, was sie glauben sollen, ist die Zeit der Menschenfänger gekommen. Zuerst ködern sie, dann üben sie Druck aus, und dann wollen sie darüber bestimmen, was Wahr und was Falsch ist. Vergesst nicht, was diesem social Distel-Ding immer wieder bewusst wird: In dieser Gesellschaft müssen Journalistinnen und Journalisten eigentlich keine Angst vor der Regierung haben, aber vor ihren Mitmenschen.
Das war noch nicht motivierend? Dann vielleicht so: Ihr seid die Verteidiger der Solidarität mit den Schwachen! Ihr seid diejenigen, die unsere Meinungsfreiheit gegen die Schläger schützt! Ihr seid diejenigen, die das Wissen vor der Verschwörung bewahren! Wir sind nicht alleine, wir sind die Mehrheit, eine Mehrheit die das Leben schützen und die Freiheit bewahren möchte.
Und damit bleiben wir motiviert zu Hause und halten Abstand, während wir diskutieren.

Teil 32 – Tag der Befreiung (Freitag, 08.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 08.05.2020 – 4:06 Min.

Es könnte schlimmer sein. Dieser Satz fällt in letzter Zeit häufiger. Es ist ja auch vieles besser geworden. Die Ausgangsbeschränkungen wurden aufgehoben! Ab heute können sich wieder zwei Hausstände sowohl im öffentlichen Raum als auch im Privaten treffen. In 10 Tagen öffnen dann die Biergärten wieder und ab Montag dürfen eigentlich alle Geschäfte und Dienstleistungsbetriebe wieder öffnen. Und siehe da: Die Welt da draußen ist eher noch schöner geworden. Die Schaufenster werden wieder befüllt, das Wetter ist schön und es sind in der letzten Zeit nicht ganz so viele Menschen gestorben wie zwischenzeitlich zu befürchten war.
Das sollte einen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in München seit dem 4. April pro Tag mindestens ein Mensch in Folge einer Covid-19 Erkrankung verstorben ist. Es ist eben nicht alles normal. Aber in solch einer Krise muss gesagt werden: Es könnte schlimmer sein. Und das nicht nur nach einem Blick ins Ausland. Es reicht ein Blick in die Geschichte.
Heute vor 75 Jahren endete der zweite Weltkrieg in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht. Im Gegensatz zu dem was wir heute erleben hatten es damals Menschen in der Hand das Sterben von jetzt auf gleich zu beenden. Und diese Menschen, die damals mit ihrer bedingungslosen Kapitulation das Sterben beendeten, waren es auch die das Sterben über die Welt gebracht haben.
In Reaktion auf die große Depression, diese fürchterliche Krise die das Geld entwertete und den Menschen jegliche Sicherheit nahm, wurde in Deutschland ein verurteilter Faschist und seine Partei gewählt. Die unhaltbaren Versprechen und die einfachen Feindbilder waren den Menschen lieber, als der Realität einer globalen Krise und ihrem tiefen Tal entgegenzublicken. Statt einen solidarischen Weg heraus zu finden, für einander da zu sein und aufeinander acht zu geben, wurde die Spaltung der Gesellschaft forciert. Wissen, überlegtes Handeln und Rücksichtnahme wurden eingetauscht gegen eine bequemere Geschichte, in der die Deutschen die Opfer einer Verschwörung waren und glaubten einen aus der Rasse und Herkunft begründeten Anspruch stellen zu können, besser gestellt zu sein, als alle anderen. Widerspruch, Zwischentöne und Fakten waren in diesem Weltbild störend und wurden vernichtet, damit alle die damit leben konnten, weiter verrohen und von der eigenen Großartigkeit träumen durften.
Aus dem eigenen Minderwertigkeitskomplex und der Weigerung sich der Realität zu stellen ergab sich der Faschismus, der die schrecklichste Realität hervorbrachte: Die Schoah, der industrialisierte Mord an über 6 Millionen Jüdinnen und Juden.
Der deutsche Faschismus hat so viel gemordet, dass alle Menschengruppen, die seinem Vernichtungswillen zum Opfer fielen aufzuzählen diesen Rahmen sprengen würde: Sinti und Roma, Homosexuelle, Menschen mit Behinderung, als „Asozial“ ausgegrenzte, Gewerkschafter, Religiöse, und so viele mehr… Und dann gab es auch noch den Krieg, der die ganze Welt in Brand setzte und ins Chaos stürzte.
Wir können heute, 75 Jahre danach, sagen: Zum Glück!
Zum Glück hat sich Churchill dafür entschieden, Deutschland entgegenzutreten. Zum Glück haben sich die USA dafür entschieden, diesem Morden und dieser Vernichtung nicht gleichgültig gegenüber zu stehen. Zum Glück hat die UdSSR in diesem Vernichtungskrieg unter unglaublich hohen Verlusten nicht aufgegeben.
Und vor allem können wir eines sagen: Danke!
Danke, dass wir heute, 75 Jahre später, den Tag der Befreiung feiern können. Den Tag der Befreiung vom Faschismus. Den Tag an dem der Wille diese Mordmaschinerie weiter zu betreiben gebrochen wurde. Der Tag, ab dem wir anfangen konnten die Zukunft nach einem Motto zu gestalten: „Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“
Das gilt bis heute. Und gerade jetzt, wo wieder die Spaltung der Gesellschaft betrieben wird, über eine verzerrte Wahrnehmung der Realität, über Misstrauen der Wissenschaft und den Aufbau neuer Feindbilder, muss gelten: „Nie wieder!“

Teil 31 – Der Corona-Burnout und warum er uns nicht kleinkriegen darf (Donnerstag, 07.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 07.05.2020 – 5:20 Min.

Jetzt ist es also vorbei mit der Ausgangsbeschränkung. Und wenn man sich so umhört und umschaut auch mit dem ganzen sogenannten „Corona-Wahnsinn“. Alles dreht sich nur noch darum wann was wieder öffnet, wie die Normalität wieder eintritt.
Alles scheint wieder normal, nur muss man eben davon ausgehen, dass der Virus uns noch länger begleiten wird. Und damit auch, dass die Gefahr mitschwingt jemanden anzustecken, jemanden an Covid-19 zu verlieren. So sehr wir auch hoffen, dass wir das Virus jetzt verstanden und unter Kontrolle haben, so grausam ist dann auch die Feststellung wie unsere neue Normalität jetzt aussieht:
Langsam kommen wir wieder dahin zurück wo wir vorher waren, nur dass jetzt mehr Menschen um uns herum vermutlich das Virus mit sich tragen. Dazu kommt noch: Das Geld, das wir in letzter Zeit nicht verdienen konnten, kommt nicht wieder zurück. Die Verdienstausfälle bleiben in den Büchern. Und wer deswegen Schulden aufnehmen musste, wird die noch länger mit sich herumtragen.
Viel schlimmer scheint aber die Aussicht auf das was noch kommen könnte: Die Arztrechnungen die in den USA bei den Überlebenden eintrudeln. Die Verdienstausfälle in stark vom Tourismus abhängigen Ländern. Die psychischen Narben die diese Zeit nicht nur bei denjenigen hinterlässt, die Angehörige verloren haben und nicht zur Beerdigung durften.
Der Austritt aus dem Ausnahmezustand führt zu einem Stressabfall, den manche schon langsam spüren. Und wie es immer so ist mit Stressabfall: Die Leute werden krank, die traumatischen Ereignisse können erst richtig verarbeitet werden und die Produktivität nimmt ab: Corona-Burnout – Nachkrisen-Wahnsinn – bodenlose Erschöpfung
Alles nicht die besten Voraussetzungen für die Zeit einer wieder anlaufenden Wirtschaft. Vielleicht kann da dann wieder Fußball helfen. Oder die wieder geöffneten Biergärten. Oder dass Mensch endlich wieder mit Freundinnen und Freunden raus kann. Oder auch nur, dass wieder gearbeitet werden muss und der Druck einen in die Arbeit treibt, einen zwingt nicht den Kopf hängen zu lassen.
Außerdem ist die kommende Phase auch sehr wichtig, politisch wie gesellschaftlich. Jetzt gewinnt, wer nicht den Kopf hängen lässt sondern nach vorne prescht. Wir hören und sehen schon was das bedeutet: In Waldkraiburg gab es in den letzten Wochen 4 Anschläge auf türkische Läden, der schlimmste davon ein Brandanschlag mit 6 Verletzten.
In der Querfront rund um die Frage ob die Maßnahmen und die Corona-Zahlen richtig sind, tummeln sich zahlreiche Menschen, die versuchen die Stimmung zu nutzen um antisemitische Ressentiments und rassistische Grundstimmungen in den Köpfen der Unzufriedenen zu verankern. Antisemitische Angriffe haben zugenommen. In der Wirtschaft blasen die Großindustriellen zum großen Angriff auf die Regulierungen, die in den letzten Jahren installiert wurden um die Arbeitnehmer, die Umwelt und die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen.
Insgesamt schreit ein Gros der Gesellschaft danach lange Überlegungen und durchdachtes Handeln gegen schnelle und einfache Entscheidungen auszutauschen.
Der Vollbremsung soll ein Burnout folgen und es ist uns egal wie die Reifen qualmen und ob sie uns dann bald platzen. Es scheint: Zur Not fahren wir alles auch auf den Felgen an die Wand.
Andererseits: Pessimistische Aussagen sind einfach zu treffen.
Vielleicht kommt nach dem Gebrüll und den weiteren Folgen bald auch die politische Debatte, die wir eigentlich bräuchten: Wieso soll eine globale Krise eigentlich nur die schmerzhaft treffen, die sich schon davor im Hamsterrad abgestrampelt haben. Die Karotte, die uns Esel den Karren ziehen lies, das Versprechen irgendwann nicht mehr strampeln zu müssen, irgendwann sorgenlos die eigenen Enkel auf dem Schoß zu balancieren und wissen zu können, dass das eigene Heim und das eigene Ersparte sicher ist, ist doch schon längst verschrumpelt.
Kaum einer glaubt doch noch daran, dass Fleiß und Einsatz einen zum Millionär werden lässt. Und selbst wenn: Für eine Million kann Mensch in München vielleicht gerade noch eine zweieinhalb Zimmer-Wohnung kaufen, und dann ist das Geld weg.
Die Frage ist doch, was ist, wenn der Traum vom guten Leben das Mensch sich erarbeiten kann, ausgeträumt ist? Können wir einen neuen Traum formulieren, oder sind wir nun in einer grausamen Realität erwacht in der uns die Sorgen um die Zukunft, um die Miete und um die Gesundheit unserer Lieben wach halten?
Ein alternativer Traum könnte ja auch sein, dass wir gemeinsam daran arbeiten, dass alle Menschen ihr Talent und ihre Fähigkeiten bestens in dieser Gesellschaft einbringen können. Dass die Künste, die Kreativität, die Wissenschaft und Grundlagenforschung florieren, dass keine Kinder hungrig ins Bett gehen und keine Eltern sich zerreißen beim Versuch die Familie zu Versorgen und Liebe zu geben. Dass die Umwelt nicht unkontrolliert über uns zusammenbricht und wir von einer Katastrophe in die nächste schlittern…
Auch für dieses social Distel-Ding klingt das schon fast zu verschwurbelt, aber so ist er halt, der Post-Corona-Burnout!

Teil 30 – Rücktritte sollten wieder zum guten Ton gehören (Dienstag, 05.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 05.05.2020 – 5:44 Min.

Manchmal gibt es solche Tage an denen Mensch von den Entwicklungen überrascht wird. Gut, eigentlich ist es gefühlt schon das ganze Jahr 2020, das eine Überraschung nach der anderen bereit hält.
Aber dieses social Distel-Ding war schon überrascht, dass Markus Söder heute verkündet hat, dass ab morgen die Ausgangsbeschränkung in eine Kontaktbeschränkung mit Distanzgebot umgewandelt wird. Das war ziemlich genau das, was an dieser Stelle gestern gefordert wurde.
In einem kleinen Wunschtraum könnte dieses social Distel-Ding sich jetzt ausmalen, dass sich daraus eine Gesetzmäßigkeit ableiten lässt. Also worüber dann schreiben? Darüber, dass Julia Glöckner in einer Weinlaune ein Gewissen wächst und sie feststellt, dass sie ihr Amt als Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft aufgeben muss und stattdessen gleich in die Marketingabteilung von Kaufland wechselt? Oder darüber, dass Trump in einem Geistesblitz feststellt, dass er seinem Amt nicht gewachsen ist und es ihm eigentlich auch keinen Spaß macht? Oder doch viel allgemeiner darüber, dass die wirtschaftliche Krise die uns noch bevorsteht nur gut zu lösen sein wird, wenn sich international die Erkenntnis durchsetzt, dass es ohne einen Spitzensteuersatz von mindestens 90% für Multi-Milliardäre nicht gehen kann? Wie der New Deal damals?
Aus großer Macht folgt große Verantwortung. Das gilt einerseits für die Vorstellung dieses social Distel-Ding könnte mit seinen Worte den Lauf der Geschichte verändern, aber auch für alle in diesen Szenarien angesprochenen Personen.
Julia Glöckner müsste sich eigentlich bewusst sein, dass sie in ihrer öffentlichkeitswirksamen und verantwortungsvollen Funktion nicht mehr agieren kann wie eine Weinkönigin, die sich weinselig vor jedem Produkt ablichten lässt. Nicht nur, dass sie Werbung für den Discounter Kaufland gemacht hat und es dabei weder für nötig befunden hat eine Maske zu tragen noch die Haltungsform der in der Kochshow verarbeiteten Rinder zu thematisieren. Sie hat sich auch noch erdreistet zu behaupten, dass sie mit dem Vorkochen eines 25€ teuren Drei-Gänge-Menüs für 4 Personen sozial schwach gehaltenen Personen helfen wolle Neues in der Küche auszuprobieren. Zur Erinnerung: Im Hartz 4 Regelsatz sind pro Erwachsenem 5€ und für Kinder nur 3€ für Essen und Trinken pro Tag vorgesehen. Ein drei Gänge Menü pro Tag und dazu Leitungswasser muss dann wohl reichen.
Aber mit ihrer Weigerung Konsequenzen aus ihrem Fehlverhalten zu ziehen reiht sich Julia Glöckner ein in die gute Gesellschaft von Ursula von der Leyen, Andi Scheuer und Annegret Kramp-Karrenbauer – übrigens sind sie alle vier Mitglieder des Kabinetts Merkel IV, dem auch noch das wissenschaftliche Glanzlicht Anja Karliczek angehört. Bei von der Leyen muss man sagen, dass sie es nur gewesen ist, bevor sie auf höherer Ebene aus dem Schussfeld genommen wurde.
Bei all den genannten zeigt sich, dass Politik machen und Verantwortung übernehmen sich unter der Regierung Merkel gänzlich von einander entfernt haben. Es wird sich weggeduckt, dumm gestellt, verleugnet, Handydaten werden gelöscht, gehofft, dass irgendjemand wieder mit dem Finger auf die SPD zeigt und nicht zuletzt einfach so getan, als gehörte das zum Spiel der Bundespolitik.
Angela Merkel, diejenige mit der Richtlinienkompetenz, verschiebt dadurch langsam aber sicher die Richtlinie wie Politik sein soll in eine Ebene die der von Trump ähnelt. Frei nach dem Motto: „Was interessiert es mich, was ich oder andere gestern falsch gemacht haben, heute ist ein neuer Tag und wir sind die beste Regierung die es je gab.“
Wir sollten aber nicht vergessen, dass es mal Zeiten gab, als Minister zum Rücktritt gedrängt wurden und auch tatsächlich zurückgetreten sind:
Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Jürgen Möllemann musste 1993 zurücktreten, weil er auf dem Briefpapier seines Ministeriums Werbung für Einkaufswagen-Chips gemacht hatte, die von der Firma eines angeheirateten Vetters vertrieben wurden. – Werbung im Namen eines Ministeriums war also mal ein Grund für einen Rücktritt.
Vielen wird Karl Theodor zu Guttenberg noch ein Begriff sein, der von seinem Amt als Verteidigungsminister zurücktrat, weil er in seiner Doktorarbeit es mit der Quellenangabe nicht so genau genommen hat und der öffentliche Druck ihm zu viel wurde.
Der öffentliche Druck hat auch schon Bundespräsidenten zu Fall gebracht:
Horst Köhler legte 2010 sein Amt nieder, nachdem seine Äußerungen über die sicherheitspolitischen Interessen Deutschlands massiv kritisiert wurden.
Sein direkter Nachfolger Christian Wulf trat 2012 zurück, nachdem ihm seine Affären rund um Vorteilsnahme und Vorteilsgewährung sowie Versuch der Beeinflussung von Medien über den Kopf gewachsen waren.
Aber es gibt auch wirklich positive Beispiele und eines ausgerechnet von der FDP: 1996 trat die damalige Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aus Protest gegen die akustische Wohnraumüberwachung im Rahmen des Großen Lauschangriffs von ihrem Amt zurück.
Für dieses social Distel-Ding wäre es ein Traum, wenn es in unserer derzeitigen Demokratie wieder Politiker*innen von Format gäbe, die Fehlverhalten eingestehen und die daraus Konsequenzen ziehen. Genauer gesagt, wenn die Öffentlichkeit soviel Druck aufbauen könnte, dass auch Konsequenzen gezogen werden, und eben nicht nur „Merkel muss weg“ gegröhlt wird. Noch schöner wäre es allerdings, wenn es wieder Politiker*innen gäbe, die klar machen, dass sie nicht gewillt sind bei allem mitzumachen und daraus auch Konsequenzen ziehen. Ob der heutige Rücktritt von Johannes Kahrs in diese Kategorie passt, ist zweifelhaft.
Die Hoffnung stirbt zuletzt, auch in Zeiten von Corona. Mal schaun was morgen passiert.

Teil 29 – Lockerungen, Ausgangsbeschränkung und die Gefahr der Willkür (Montag, 04.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 04.05.2020 – 5:40 Min.

Wieder beginnt eine Woche im social distancing. Allerdings mit einiger Übung und mit weiteren Lockerungen: Beispielsweise dürfen Friseurinnen und Friseure ab heute wieder praktizieren. Natürlich mit Infektionsschutz-Auflagen. Auch haben Glaubensgemeinschaften jetzt wieder die Möglichkeit ihre Gotteshäuser zu öffnen, mit Abstandsregelungen und einer Maskenpflicht.
Und für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit gibt es gute Nachrichten: Demonstrationen sind unter Auflagen wieder erlaubt. Ab heute ist also offiziell, was über das erste Mai-Wochenende schon geprobt wurde.
Versammlungen dürfen nur im Freien, unter Wahrung des Mindestabstands und mit maximal fünfzig Teilnehmern stattfinden. Flyer und Flugblätter dürfen dabei nicht verteilt werden, sondern sollen nur ausgelegt werden dürfen. Zusätzlich zu der Mengenbeschränkung gibt es auch eine zeitliche Beschränkung: Maximal 1 Stunde, pro Anmelder nur eine Versammlung mit den gleichen Leuten pro Tag.
Das sind ziemlich viele Auflagen und die Verhältnismäßigkeit ist fraglich, wenn Mensch an die Infektionsgefahr in großen Supermärkten denkt. Es gilt wie eigentlich durchgängig in dieser Zeit: Die Gerichte haben viel zu tun die Regelungen zu überprüfen.
Was nach all diesen Lockerungen in letzter Zeit mittlerweile eigentlich jedem klar sein sollte: Die bayerische Ausgangsbeschränkung mit ihrem Bußgeldkatalog gilt an sich nur noch als schwache Drohung und Handlungsempfehlung.
Denn wenn jetzt Friseur-Salons, der Einzelhandel und Kirchen wieder geöffnet haben, Demonstrationen oder genauer Kundgebungen wieder erlaubt sind und vermutlich ab morgen auch wieder Museen und Zoos öffnen können, dann kann nicht zugleich der Weg zu diesen Orten mit Bußgeldandrohung verboten sein.
Daraus lassen sich zwei Schlüsse ziehen. Entweder: Die Ausgangsbeschränkung wird de facto nicht mehr verfolgt und gilt somit nur noch als Handlungsempfehlung, die den Bürgerinnen und Bürgern vorhalten soll, dass wir noch nicht wieder in der Normalität angekommen sind und sie sich entsprechend in ihrem Verhalten einschränken sollen.
Oder: Die Umsetzung der Ausgangsbeschränkung liegt in den Händen der Polizei und der Ordnungsämter und ob Bußgelder verhängt werden liegt in deren Willkür.
Im ersten Fall hoffen alle auf die Vernunft und auf den vorauseilenden Gehorsam der ordnungsliebenden Bevölkerung, der leider auch unabhängig der Sinnhaftigkeit der Verordnungen in der Bundesrepublik zu genüge vorhanden ist. Durch die Drohung mit Bußgeldern und klaren Ansagen was erlaubt und was verboten sei, wird hier versucht Kontrolle auszuüben und die Blockwart-Mentalität angesprochen. Der soziale Druck und die Angst vor hohen Strafen führt in diesem Fall dazu, dass die Selbstbeschränkung für den Infektionsschutz funktioniert.
Im anderen Fall sprechen wir allerdings von einer klaren Missachtung des Rechtsstaatsprinzips, genauer, der Rechtssicherheit: Die/der Einzelne muss sich auf die bestehenden Gesetze verlassen können, sie/er muss vorhersehen können, welche rechtlichen Folgen das eigene Handeln hat.
Es ist davon auszugehen, dass diese Willkür viele nicht treffen wird. Vielmehr sind von dieser Willkür der Beamten die Minderheiten bedroht, die nicht darin geübt sind ihre Rechte einzuklagen, Widerspruch gegen Bußgelder einzulegen oder plausible Begründungen für ihren „Ausgang“ vorzubringen.
Und damit trifft es vor allem die sozial schwachen und unter ihnen die in dieser Gesellschaft die am schwächsten Gestellten: Geflüchtete.
Die Situation von Geflüchteten ist in Bayern aktuell untragbar. Wenn es in einem AnkER-Zentrum zu einem Covid-19 Fall kommt, wird das gesamte „Zentrum für Ankunft, Entscheidung, Rückführung (AnkER)“ in Quarantäne gestellt.
Der bayerische Flüchtlingsrat hat schon am 2. April das Innenministerium und die Bezirksregierungen angezeigt, weil die Unterbringung in Mehrbettzimmern in allen bayerischen Unterkünften und die Kantinen in ANKER-Zentren gegen die Verordnungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie verstoßen.
Für den Fall, dass die Verfolgung der Ausgangsbeschränkung nun von der Willkür der Beamtinnen und Beamten abhängt, ist davon auszugehen, dass es die Geflüchteten, die das Glück haben nicht in einem Infektionsherd eingesperrt zu sein, besonders treffen wird.
Nicht zuletzt aus diesem Grund muss die Regierung die Gesetzeslage anpassen und so die Rechtssicherheit wieder herstellen. Es stimmt zwar, dass die social Distel-Dinger über die sich täglich ändernden Regelungen mittlerweile häufig keine Ahnung mehr haben, aber das darf nicht bedeuten, dass wir der Willkür einzelner unterworfen sind.
Soviel zum Abschluss: Der Friseurtermin und der Einkauf in geöffneten Geschäften gilt mittlerweile als triftiger Grund zum Verlassen der eigenen Wohnung, genauso wie Sport, der Weg zur Arbeit und vieles mehr.
Verboten bleibt es die Wohnung zu verlassen ohne einen dieser triftigen Gründe glaubhaft zu machen. Die Teilnahme an Versammlungen wurde im Übrigen noch nicht als expliziter Grund zum Verlassen der Wohnung in die Dritte Bayerische Infektionsschutzmaßnahmenverordnung vom 1. Mai aufgenommen, obwohl diese wie erwähnt unter Auflagen wieder zugelassen sind. Gleiches gilt auch für die Gottesdienste.
Am wichtigsten bleibt aber die Vernunft: Wer sich krank fühlt oder sich zur Risikogruppe zählt, sollte zwei mal überlegen, ob der Ausflug lohnt, egal ob es erlaubt ist oder nicht. Und natürlich die Grundregel der Ausgangsbeschränkung: Jeder wird angehalten, die physischen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.

Teil 28  – Demo am ersten Mai (Freitag, 01.05.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 01.04.2020 – 2:16 Min.

Heute ist der erste Mai. Und dieses social Distel Ding war endlich mal wieder auf einer Demonstration. Natürlich mit Abstand, Maske und viel Vorsicht, aber immerhin, wieder viele Menschen die lauthals zur Solidarität aufrufen.
Erstaunlicherweise hat sich die Versammlung, die Anfangs für nur 50 Leute genehmigt war dann doch in Bewegung setzen dürfen. Zwar nur als Kunstaktion, der dann ca. 500 Menschen gefolgt sind, aber wenn dieses social Distel-Ding ehrlich ist, dann war kein Unterschied zu einer Demo zu merken. Okay, es gab da schon einige Unterschiede. Es wurde sich nicht untergehakt, keine Ketten gebildet, es war sehr viel einfacher sich durch die Demo zu bewegen, weil alle Abstand hielten, und alle waren vermummt. Aber ansonsten: Viele Menschen, gute Stimmung, und für das, dass über 12 Polizeibusse der Demo gefolgt sind und auch sonst viele Beamte unterwegs waren, blieb es sehr ruhig. Letztlich durfte sich der Demozug sogar noch bis zum Marienplatz aufmachen.
Und die Angst? Die Angst ist in letzter Zeit bei diesem social Distel-Ding zurückgegangen, dass war heute auch wieder zu spüren. Es ist gefühlt dann doch so, dass Mensch die andauernde Gefahr irgendwann gut verdrängen kann. Und natürlich auch, dass die Masken und die Abstandsregeln schützen. Zumindest die anderen, weil sich dieses social Distel-Ding dann doch wieder einredet, dass es jung genug ist, um von Covid-19 nicht zu stark betroffen zu sein. Allerdings kann ein Blick auf die Münchner Statistik da schon wieder erschrecken, schließlich sind mittlerweile hier auch schon zwei jüngere Menschen gestorben. Je einer in der Altersgruppe von 0-20 und einer in der Altersgruppe 21-40. Die Wahrscheinlichkeit ist immer noch ziemlich gering, aber man kann ja nie wissen…
Trotzdem, gerade in solch beängstigten Zeiten, ist es wichtig sich mit denjenigen solidarisch zu zeigen, die sich jeden Tag aufs neue dieser Gefahr aussetzen, weil sie eben in die Arbeit fahren müssen, weil sie nicht im Homeoffice bleiben können, weil wir sie brauchen, und sie dennoch schlecht bezahlt werden und längere Arbeitszeiten aufgebrummt bekommen. Und zwar nicht nur in München, sondern weltweit…
Deshalb, besonders am ersten Mai: Hoch die internationale Solidarität.

Teil 27 – Distanz in den Mai und gute Gründe für Protest (Donnerstag, 30.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 30.04.2020 – 6:27 Min.

Und wieder geht ein Monat zu Ende. Mit Distanz in den Mai. Also keine Konzerte oder Feiern in den Mai hinein, sondern wieder nur ein weiterer Tag zu Hause. Allein oder mit den Gesichtern, die Mensch in letzter Zeit täglich gesehen hat. Es könnte spannenderes geben.
Aber immerhin ist ja morgen dann der erste Mai. Schon ab früh morgens laden die Gewerkschaften ein, online an ihren Arbeiter-Kampf-Tag-Online-Kundgebungen und Video-Konferenzen teilzunehmen. Auch kleine, begrenzte Demonstrationen auf der Straße sind angemeldet, mit allen Sicherheitsvorkehrungen wie Masken und Abstandregelungen. Aber vermutlich wird es morgen auch wieder unangemeldete Demonstrationen geben.
Gerade in Berlin, wo das Versammlungsverbot auch weiterhin gilt, wird sich auf eine angespannte Walpurgisnacht vorbereitet. Sowohl von den Medien, die wohl insgeheim hoffen endlich mal wieder richtige Aufnahmen und Leben vor die Kamera zu bekommen, als auch von der Polizei und der Politik.
5000 Polizisten sind in der Nacht zum und am 1. Mai in der Hauptstadt im Einsatz. Vom Berliner Innensenator, Andreas Geisel, haben sie härteres Vorgehen aufgetragen bekommen: Dem Infektionsschutz der Bevölkerung werde man „alles unterordnen, auch das Demonstrationsgeschehen.“ Das Demonstrationsgeschehen sollte bei den aktuell in Berlin geltenden Auflagen nicht sonderlich belebt ausfallen: Erlaubt sind nur Kundgebungen, die sich nicht bewegen, an denen maximal 20 Menschen in vorgegebenem Abstand zueinander teilnehmen. Die Teilname an nicht genehmigten Demonstrationen, oder an etwas was die Polizei dafür hält, sollen als Straftat gewertet werden. Das schreit nach Zusammenstößen.
Aber damit das eigene Vorgehen und das der ihm unterstellten Beamtinnen und Beamten nicht kritisiert werden kann, schiebt Geisel hinterher: „Demonstrationen dürften nicht „zum Ischgl von Berlin werden“.
Nicht nur, dass dieser Vergleich hinkt, weil die Aprés Ski Hochburg Ischgl vor allem durch eine viel zu späte Veröffentlichung der Gefährdungssituation erst zum Infektionshotspot Europas wurde und in Berlin sich mittlerweile alle weitestgehend im Klaren sein dürften, was es mit dem Virus auf sich hat und wie er sich verbreitet. Auch wird hier Tür und Tor für die Delegitimierung von Protest eröffnet, während jegliches Vorgehen der Polizei im Angesicht des Infektionsschutz der Bevölkerung legitimiert wird.
Dadurch wird ein neuer Spalt in die bisher so solidarisch handelnde Gesellschaft getrieben. Denn auch wenn wir den Schutz unserer Nachbarinnen und Nachbarn, unserer Familie und Freunde hochhalten, der erste Mai ist traditionell auch ein Tag, an dem internationale Solidarität hochgehalten wird. Ein Tag, an dem Missstände angeprangert werden. Es ist der Tag an dem die Ohnmächtigen sich solidarisieren um den Mächtigen zu zeigen, dass deren Macht ohne sie nicht haltbar ist.
Wenn die Reaktion darauf gnadenlose Repression der Mächtigen ist, ganz egal wie sehr die Protestierenden die Regeln zum Infektionsschutz einhalten, dann werden die Bilder produziert, an denen die Solidarität zerbricht. Die Politik wird dann wieder über den „Linksextremismus“ sprechen, den Protestierenden die Solidarität absprechen, die brennenden Barrikaden und Autos für Unverständnis sorgen und Berichte von verletzen Polizisten die Gemüter erhitzen. Aber worüber wieder nicht gesprochen werden wird sind die Inhalte.
Denn es gibt beinahe zahllose gute Gründe auf die Straße zu gehen:
Zum Beispiel für Menschenrechte: In der Hölle von Moria zeigt die EU wie sehr das Recht auf Leben für sie ein Recht ist, dass daran gebunden ist wo Mensch geboren wurde. Während wir zuhause bleiben und uns schützen, soll an den 20.000 Menschen im Flüchtlingslager ein Exempel statuiert werden: Wer nach Europa will, stirbt. Egal in welcher Form auch immer: Verdursten in der Wüste vor Libyen, Totschlag in den Konzentrationslagern in Lybien, Ertrinken im Mittelmeer oder durch ungenügende Versorgung, egal ob medizinische, hygienische oder die Versorgung mit Lebensmitteln, in den Flüchtlingslagern auf europäischen Boden.
Oder Frieden: Der deutsche Verteidigungsetat ist wieder weiter angestiegen und hat die 50 Milliarden-Schallmauer durchbrochen. Aufgeteilt auf die Bevölkerung finanziert aktuell jeder Bürger mit 610€ die Rüstungsgüter und andere Militärausgaben Deutschlands, immerhin statt sich selbst auch noch ein Pumpgun zu besorgen. Zusätzlich sind wir in diesem militärisch-industriellen Komplex noch an hohen Rüstungsexporten beteiligt und sorgen damit dafür, dass den Kriegen in der Welt die Waffen nicht ausgehen, auf beiden Seiten der Konflikte, und sehen zu wie für NATO-Partner Menschenrechte mittlerweile nicht mal mehr zum Schein eine Rolle spielen.
Oder Klima: Nach dem Shutdown blasen einige Politiker schon wieder in die Glut, damit das große Feuer der Wirtschaft noch rußender brennt als zuvor. Wie Aiwanger, der eine Neuwagenprämie von 4000€ fordert, auch für Verbrenner.
Nicht zu vergessen sind da auch die Arbeitsverhältnisse: Der Mindestlohn in Deutschland reicht immer noch nicht aus, um am öffentlichen Leben teilzuhaben und im Alter eine Rente vorzuweisen. Gleichzeitig drückt der niedrige Mindestlohn auch die Bezüge der Hartz 4-Beziehenden runter und stärkt den Arbeitgebern den Rücken, weil die Aussicht auf die Arbeitslosigkeit so furchtbar ist, dass kaum jemand für seine Rechte einstehen will.
Und nicht zuletzt ist da noch die Schere zwischen Arm und Reich, die jetzt vielleicht noch deutlicher zu Tage tritt: Während die einen ihre Depots, Besitztümer und Immobilien für sich arbeiten lassen und social distancing wunderbar im Garten ihres Ferienhauses genießen können, sind viele in ihren kleinen Wohnungen gefangen und sorgen sich nicht erst jetzt darum wie sie die Miete stemmen sollen um weiterhin ihrer Arbeit in der Stadt nachgehen zu können.
Aber leider wird all das nicht angesprochen werden, nachdem die Autos gebrannt haben und in den Medien das Bild der unverantwortlichen, infektionsverbreitenden Chaot*innen gezeichnet wird.
Wenn das social Distel-Ding Lust hat und nicht in Berlin ist, kann es sich ja Popcorn mit auf die Couch nehmen und zusehen, wie sich das alles ausspielt. Mit Distanz in den Mai. Und mit ein wenig Fantasie kann einen der Geruch der grillenden Nachbarn dann auch ganz nah ranholen an das Geschehen vor Ort in Berlin. Hoch die internationale Solidarität!

Teil 26 – Wege in neue solidarische Bewegung (Mittwoch, 29.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 29.04.2020 – 4:37 Min.

Puh, das zieht sich. Vor 5 Wochen meldete das social Distel-Ding sich hier erstmals zu Wort. Mittlerweile gibt es 26 Teile, in denen einerseits viel gesagt wurde, andererseits nie genug gesagt werden konnte. Die Welt betrachten und verstehen zu wollen ist immer eine Mammutaufgabe. Es gibt einfach zu viele Dinge die zeitgleich geschehen, aufeinander einwirken und verschiedenste Folgen nach sich ziehen können. Worauf auch immer Mensch seine Aufmerksamkeit richtet, irgend etwas anderes rutscht einem einfach durch. Das ist auch etwas, was vermutlich alle spätestens jetzt bemerken.
Liegt die Konzentration auf den Corona-Zahlen und der möglichen Bedrohung die draußen auf einen wartet, sind andere Nachrichten nur noch eine Randnotiz. Konzentriert Mensch sich stattdessen auf die prekäre Situation der Grundrechte und die wirtschaftlichen Folgen in der Pandemie-Bekämpfung, sind die aktuellen Erkrankungsraten und die Gefährdung nicht mehr so vordergründig.
Letztlich haben einige social Distel-Dinger das wohl auch an den eigenen Gedankengängen bemerkt. Nur weil einen heute die Angst vor dem Virus lähmt, heißt das nicht, dass Mensch morgen sich nicht doch wieder Sorgen um den Zustand der Demokratie macht und vermutlich auch machen muss.
Und nur weil am einen Tag gute Laune herrscht und der Ausblick auf einen Neuanfang nach der Krise reizt, heißt das nicht, dass am nächsten Tag nicht wieder die Gedanken kommen, dass alles ab jetzt den Bach runter gehen wird.
Natürlich gibt es viele, die jetzt die Utopisten und die Hoffnungsvollen kleinreden. Egal ob sie nur aus der eigenen Erfahrung oder ihrer aktuellen Laune heraus sprechen, für viele ist das Gerede von einer besseren Welt in Folge dieser Krise ein Ärgernis. Zu Recht weißen sie darauf hin, dass die Gesellschaft träge ist, dass die meisten mit Konsum und Unterhaltung, mit Brot und Spielen, träge gehalten werden, damit sich an den bestehenden Machtverhältnissen nichts ändert.
Andererseits darf nicht vergessen werden, dass die Hoffnung zuletzt sterben sollte. Wer heute hofft und Menschen inspiriert sich für utopisch anmutende Unterfangen einzusetzen, eigene Gedanken einfließen zu lassen und den eigenen Einsatz dafür zu bringen, die oder der kann einen großen Stein ins Rollen bringen.
Dafür muss allerdings darauf geachtet werden, dass sich nicht mit der Beschwerde über die Maßnahmen und über das Mangeln der jahrelang eingeübten Methoden aufgehalten wird. Da sich jedes social Distel-Ding in einer anderen Situation, an einem anderen Punkt der Verarbeitung der Krise, der Nachrichten und der Einschätzung der Bedrohungslage befindet, sorgen diese Klagen nur für vermeidbaren Streit. Das müssen wir anerkennen.
Bis wir eine gemeinsame Einschätzung der Gefährdungslage haben, bei der wir guten Gewissens auch selbst wieder einander umarmen und unsere Großeltern besuchen, sind wir noch nicht in der Situation in der wir wieder große Demonstrationen abhalten und mit klaren Feindbildern arbeiten können.
Ein kreativer Blick auf die neuen Möglichkeiten ist jetzt notwendig, jetzt da alle zu Hause sind, jetzt da es vielen in den Fingern juckt etwas zu tun. Und nicht zu vergessen: Jetzt ist auch der Moment gekommen, in dem wir uns alle unseres zuvorderst „Menschseins“ bewusst werden. Niemand ist von dieser Krise ausgenommen, sie grassiert in der ganzen Welt, wir alle sind gleich bedroht.
Dieses neue Menschenbild, in dem wir als Teil der menschlichen Zivilisation verletzlich sind, ist ein großartiger Angriffspunkt für eine solidarische Bewegung. Schließlich beschäftigt uns ein Problem das auch in Zukunft die menschliche Zivilisation bedrohen wird: Der Klimawandel.
Mehr noch, gerade in der Krise zeigt sich eine andere Gefahr, die uns jederzeit die Einflussmöglichkeiten auf die Zukunft nehmen könnte: Die Einschränkung der Grundrechte
Nicht vergessen sollten wir, dass es auch Grundrechte gibt, die von vielen von uns nicht in Anspruch genommen oder regelmäßig eingeklagt werden, aber dennoch zum Schutze aller verteidigt werden müssen: das Grundrecht auf Asyl, die Unantastbarkeit der Menschenwürde, die informationelle Selbstbestimmung.
Es gibt also viel zu tun für die menschliche Zivilisation, die so viel zerstört aber auch so viel Schönes erschafft. Lasst uns für unsere Rechte streiten, nicht darüber ob nun „die da oben die Bevölkerung reduzieren wollen und durch das Killervirus aus dem Labor Menschen umbringen“ oder ob „es gar keinen Virus gibt und der Staat uns völlig grundlos einsperrt.“
Nach vorne blicken, weitermachen, solidarisch sein… Vermutungen und Einzelthemen bringen uns nicht weiter.

Teil 25 – Regen, Lockerungen und eine bange Hoffnung (Dienstag, 28.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 28.04.2020 – 3:57 Min.

Juhu, es regnet. Wer hätte gedacht, dass man sich darüber mal so freuen würde. Das ist fast so unrealistisch, wie dass der Flughafen Berlin Brandenburg BER jetzt schon diesen Oktober öffnen soll. Nur ca. 9 Jahre nach Plan.
Aber wie die Freude über einen neuen Flughafen hält auch die Freude über den Regen nicht lange an. Und die Gründe sind die Zukunftsaussichten.
Wenn in Berlin jetzt bald ein neuer Flughafen eröffnet und dann vermutlich gleich ein weiterer gebaut wird, weil einer scheinbar doch nicht reicht, dann sind noch mehr Flugzeuge in der Luft, noch mehr Schadstoffausstoß… Und damit ein Ausblick auf weitere Dürresommer und Starkregenereignisse in Zukunft.
Beim Regen: Juhu es regnet, die Wiesen werden nicht immer brauner, der Wind peitscht nicht weiter den Staub auf und die Böden können auftanken. Aber andererseits war die letzte Zeit auch hauptsächlich deshalb so gut zu ertragen, weil die Sonne geschienen hat. So konnte Mensch mit dem Rad überall hinfahren und musste sich nicht dem Ansteckungsrisiko in den Öffentlichen aussetzen. Der Tag war durch den Sonnenstand wunderbar strukturiert, auch wenn die social Distel-Dinger ihre Wohnungen nicht verlassen haben.
Und jetzt steht uns also eine Zeit in grau bevor, während die Natur wieder zum alten grün zurückfinden darf. Das heißt wir social Distel-Dinger fühlen uns erst einmal noch mehr eingesperrt. Da schmecken dann auch die Lockerungen nur noch halb so gut.
Aber immerhin: In Bayern sind, Stand jetzt, Demonstrationen wieder erlaubt. Innenminister Joachim Herrmann gibt dabei konkrete Beschränkungen: 1,5 Meter Abstand zwischen den Teilnehmenden und maximal 50 Personen auf einmal. Allerdings stellt sich hier die Frage, wie die Ordnungsämter diese Regeln handhaben werden und wie sichergestellt werden soll, dass sich nicht doch mehr Menschen den vorgebrachten Anliegen anschließen werden. Aber zumindest kann der erste Mai auch auf der Straße stattfinden. Wir nähern uns in großen Schritten so etwas wie der Normalität, wenn wir denn davon ausgehen, dass sich nach dieser Krise der zurückgelassene Alltag irgendwann wieder normal anfühlen wird.
Auch die erneute Verlängerung der Ausgangsbeschränkung kann diesem Hoffnungsschimmer nichts anhaben. Bis zum 10. Mai ist es ja auch nicht mehr so lange hin. Mit einem Blick zurück auf die letzten 5 Wochen sind die nächsten knapp 2 Wochen wohl auch noch zu schaffen.
Letztlich sehen wir ja auch schon über der Grenze wie es gehen kann. In Österreich soll am Freitag wieder das öffentliche Leben starten. Mit Gastronomie, Hotels, Geschäften und Dienstleistern. Nur der Kneipentresen wird vorerst nicht mehr von Bierdimpfln besetzt sein. Also ist noch nicht alles beim alten.
Und das wohl auch zu Recht. Letztlich stehen uns gerade bei aller Vorfreude noch zwei bange Wochen bevor. Jetzt wo wir freudig an die Zukunft denken, kann uns jeder Blick auf die Neinfektions-Zahlen die Stimmung verhageln.
Die Politik hat einen Kurs gesetzt und wir sind auf Kurs. Aber ob wir auch ankommen liegt einzig und alleine daran, ob wir die Infektionszahlen richtig einschätzen und sich in den vergangenen schönen Tagen nicht mehr Menschen angesteckt haben. Und für München lässt sich sagen: Wir haben wieder so viele Neuinfektionen registriert wie zuletzt am 16. April. Vor einer Woche waren es nur 52, gestern nur 26 und jetzt sind es wieder 112. Ein banges Hoffen, dass es jetzt nicht so weiter geht.
Natürlich bleibt uns sonst noch die Boris Palmer Variante des brutalen Fatalismus, der sich am besten so zusammenfassen lässt: „Die, die wir retten, sterben so oder so bald.“
Doch ist ein brutaler Fatalismus sehr wahrscheinlich nicht das, was wir aus diesen Wochen der Zurückhaltung zum Wohle aller mitnehmen wollen. Zum Glück!

Teil 24 – Maskenpflicht und Politiker*innen die sich nicht daran halten (Montag, 27.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 27.04.2020 – 4:13 Min.

Heute ist sie also da: Die Maskenpflicht. Zumindest im öffentlichen Personen Nahverkehr und im Einzelhandel gilt jetzt: Wer Mund und Nase nicht verdeckt, dem drohen 150€ Bußgeld. Das gleiche Bußgeld droht übrigens auch bei Nichteinhaltung des vorgeschriebenen Mindestabstands.
Dabei muss noch verdeutlicht werden, dass die Maskenpflicht auch schon am Bahnsteig gilt, sowie im Regionalverkehr, in Taxen und in Mietwägen. Nur Kinder unter 6 Jahren sind von dieser Regelung bisher ausgenommen.
Ab heute begegnen wir einander also nur noch mit dem halben Gesicht, sehen nur noch die Augen der anderen Person und unsere Kommunikation wird noch weiter eingeschränkt. Ganz abgesehen davon, ob die bisherigen Maßnahmen nur ein Zwischenschritt sind, bis dann tatsächlich ausreichend schützende Masken verfügbar sind – sowohl was die Menge als auch den Schutz angeht – diesen Schritt werden wir noch lange merken.
Bis vor kurzem galt noch das Vermummungsverbot, beim Streitpunkt Burka wurde immer wieder auf die mangelhafte Kommunikationsfähigkeit bei Verschleierung hingewiesen, die Forderung lautete: Zeig dein Gesicht, wenn du in dieser Gesellschaft ein Anliegen hast, in dieser Gesellschaft mitspielen möchtest.
Und jetzt? Jetzt gilt: Schütze mich, ich schütze dich – Durch unsere Gesichtsbedeckung verhindern wir alle, dass wir einander anstecken, auch wenn wir nicht mehr sagen können ob uns der oder die andere hinter der Maske gerade die Pest an den Hals wünscht oder sich freut uns zu sehen.
Gleichzeitig merken wir social Distel-Dinger aber auch, dass wir mehr und mehr allergisch reagieren, wenn einige sich Partout nicht an die Regeln halten wollen. Wie beispielsweise Annegret Kramp-Karrenbauer. Bei ihrem heutigen Publicity-Stunt nahm sie persönlich mit einer Presse-Entourage 10,3 Millionen Masken in Empfang, die von der Bundeswehr im größten Frachtflugzeugtyp der Welt aus China eingeflogen wurden, vergaß dabei aber offensichtlich die von der Regierung ausgegebenen Regeln zur Pandemieeindämmung. Dicht gedrängt folgte einer unmaskierten AKK ein unmaskierter Presse-Tross, Abstandsregeln und Maskenpflicht galten plötzlich nicht mehr. Eine Maske im Gesicht hätte vermutlich die Bilder nicht so schön werden lassen.
Oder Jens Spahn, der sich für einen Pressetermin in einem Krankenhaus mit seinem Gefolge und praktizierenden Ärzt*innen in einen Fahrstuhl zwängte. Zwar hatten alle im Aufzug eine Schutzmaske auf, aber die Abstandsregeln wurden sicherlich nicht eingehalten.
Wahrscheinlich ist es bei solch einem Verhalten nur eine Frage der Zeit, bis unsere Politiker*innen wie schon Boris Johnson oder Friedrich Merz auch an Covid-19 erkranken. Das gemeine an diesem Virus ist eben, dass wir vermutlich erst in 14 Tagen wissen werden, ob AKK sich bei ihrem Pressetermin im Bauch der Antonow An-225 angesteckt hat oder nicht. Bis dahin könnten sie und alle anderen auf diesem Termin Anwesenden weitere Menschen anstecken. Wir stehen daneben und schütteln unsere Köpfe über solch eine Vorbildfunktion. Und verbleiben mit der Frage: Haben AKK und Spahn ein Bußgeld zahlen müssen, oder gilt der Bußgeldkatalog nur für diejenigen, die nicht als Vorbilder im Fernsehen auftreten?
Konsequentes Handeln wäre jetzt wünschenswert. Als solches würde dieses social Distel-Ding befürworten, wenn die Ordnungswidrigkeiten der Politiker*innen auch geahndet werden würden. Diese Bußgelder sollten dann allerdings höher ausfallen und in einen Fond fließen, der dafür sorgt, dass Menschen, die sich keine Masken leisten können, eine erhalten, statt ihnen mit 150€ Strafandrohung die Teilnahme am langsam wieder aufblühenden öffentlichen Leben zu verwehren. Letztlich kann es nicht angehen, dass wir über Trump die Köpfe schütteln, aber zugleich beobachten, wie unsere Politiker*innen die Ansteckung anderer in Kauf nehmen, nur weil sie auf ihren Fotos gut aussehen und möglichst effizient ihre Termine abhalten wollen.
Corona lähmt den Alltag aller, jetzt ist nicht die Zeit für Wahlkampfbilder.

Teil 23 – Die Romantisierung der Quarantäne ist ein Privileg der Bessergestellten (Freitag, 24.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 24.04.2020 – 4:34 Min.

Und wieder steht ein Wochenende unter besonderen Umständen an. Daheim bleiben, Abstand halten und nicht den Verstand verlieren: Das sind die Grundregeln die den social Distel-Dingern in dieser Zeit an die Hand gegeben werden. Wie das allerdings gehen soll, ist die große Frage dieser Zeit und im Endeffekt vermutlich dann das Ergebnis des sozialen Teils des Experiments.
Letztlich ist die Pandemie keine schöne Zeit. Es gibt zwar Menschen, die das Beste daraus machen, sich fast schon wohlfühlen. Das geht besonders gut, wenn keine Probleme in den eigenen vier Wänden herrschen und alles da ist was benötigt wird. Dann ist Mensch geneigt zu denken: Ist doch alles nicht so schlimm. Sollen die Leute doch einfach Netflix, Prime, Sky oder Disney+ schauen. Sollen sie doch Playstation, Nintendo, Xbox oder Computer spielen. Sollen sie doch mehr Zeit mit ihren Partnern verbringen. Sollen sie doch auf ihren Balkonen ein kleines Beet anlegen. Sollen sie doch mal wieder schön kochen und einen guten Wein trinken. Sollen sie doch mal wieder ihre Musikinstrumente und Bücher zur Hand nehmen. Sollen sie doch einfach die Zeit genießen. Früher hieß es: Sollen sie doch Kuchen essen.
Auch dieses social Distel-Ding ertappt sich immer wieder dabei, die eigene begrenzte Welt und die eigenen Fähigkeiten als allgemeingültig anzunehmen. Aus dieser Position lässt sich wunderbar Unverständnis äußern über diejenigen, die in der aktuellen Situation nichts positives sehen. Menschen, denen die Decke auf den Kopf fällt und die sich lieber mit Verschwörungstheorien und Alternativszenarien beschäftigen, als die Realität, in der ich es mir bequem machen kann, anzunehmen.
Leider verschärft die Krise aber die soziale Ungleichheit. Wer heute keinen Computer hat, keinen Internetzugang und kein Smartphone ist abschottet von einem Großteil der Realität die viele von uns teilen. Wer sich noch nie richtig mit den Programmen und dem Internet auseinandergesetzt hat, hat zum Teil sogar Angst den Cyberkriminellen aufzusitzen und noch mehr zu verlieren.
Wer gerade besorgt an die eigene Familie denkt, kann eben nicht abschalten und die Ruhe genießen.
Und nicht zuletzt zeigt diese Zeit auch eine andere Ungerechtigkeit in der Bundesrepublik, die völlig hinten runter fällt: Es können eben nicht alle an diesem digitalen Diskurs teilnehmen. In vielen Regionen Deutschlands ist das Internet so langsam, dass die Twitterdebatte sich dort vermutlich noch um Adidas und ihre angekündigte Mietstornierung dreht, die sie längst zurückgezogen haben. So sehr wir auch das Gefühl haben, in dieser Krise zusammenzurücken, es werden zahllose Menschen vergessen. Und diese Spaltung droht sich immer weiter fortzusetzen, auch nach der Krise. Wer an dieser digitalen Welt noch nicht teilnimmt, benötigt nicht nur die Technik. Auch die Arbeit mit diesen Geräten muss erlernt und eingeübt werden.
An sich wäre der Digitalpakt Schule dafür gut, Schulkinder aus Familien in denen kein Rechner steht, einen zugänglich zu machen. Denn während die Schulen auf Online-Unterricht setzen, gibt es viele Kinder, die zuhause nur über Smartphone oder Tablet folgen können. Dadurch hat gerade nicht jedes Kind gleichen Zugang zu Bildung. Und das betrifft vor allem Kinder aus armen und oder bildungsfernen Familien. Hier werden ungleiche Startbedingungen ins Leben festgelegt, die uns noch jahrelang verfolgen könnten.
Der Blick auf das eigene Privileg in dieser Situation kann Verständnis schaffen. Und er sollte uns zu Solidarität anstacheln. Denn diejenigen Politiker, die für die schlechten Internetverbindungen und für die ungleichen Startvoraussetzungen für Kinder aus bildungsfernen Familien Verantwortung tragen, sind immer noch im Amt. Nicht zuletzt wäre es auch in ihrer Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Unternehmen die aktuell von der Krise profitieren, wie Amazon oder Google, zumindest so besteuert werden, dass nicht die Haupt-Einnahmen die der Staat durch diese Unternehmen hat, über die Einkommenssteuer der Mitarbeiterinnen eingenommen wird.
Vergessen wir auch nicht, dass Demokratie nicht nur heißt zu wählen, sondern auch sich wählen zu lassen. Vielleicht wäre jetzt die Zeit der Parteien gekommen. Jetzt, da viele, die einen guten Internetzugang und die Fähigkeiten haben damit umzugehen, Zeit haben sich zu engagieren, könnte in den Parteien auch mal Tacheles geredet werden. Und vielleicht gründen sich ja auch neue. So oder so, die Politik braucht Menschen und nicht nur die Politiker, die schon seit Jahren versprechen etwas zu ändern.

Teil 22 – Ramadan und die angebliche Ungerechtigkeit (Donnerstag, 23.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 23.04.2020 – 4:16 Min.

Feiertage in Zeiten des social distancing sind besonders schwer. Das haben die Christen während Ostern erlebt, als gemeinsame Ostergottesdienste und Feiern mit der Familie untersagt waren. Jetzt beginnt auch der Ramadan, der Fastenmonat der Muslime. Grundsätzlich spielen das Zusammensein und die Familie auch in dieser Zeit, in der Muslime täglich 16 Stunden fasten, eine große Rolle.
Doch auch hier gilt wie für alle derzeit: Veranstaltungen, auf denen Menschen sich zu Nahe kommen könnten, sind abgesagt. Treffen des größeren Familienumfelds sind nicht gestattet.
Also bleiben in nächster Zeit auch die Moscheen leer und das allabendliche Fastenbrechen, Iftar genannt, muss im kleineren Kreis begangen werden.
Für den Fall, dass bis zum Fest des Fastenbrechens in einem Monat Lockerungen der Corona-Schutz-Maßnahmen angekündigt werden, bringen sich die Islamfeinde gerade schon in Stellung. Um wieder Unruhe in der ihrer Meinung nach zu bunten, zu freien und zu egalitären bundesdeutschen Gesellschaft zu stiften, wollen sie die Ungerechtigkeit hervorheben, dass das Osterfest wegen der Pandemie-Bekämpfung nicht in Kirchen gefeiert werden durfte, aber das Fastenbrechen dagegen eventuell erlaubt werden wird. Hier soll eine Islamisierung erkannt werden, obwohl sich diese Ungleichbehandlung vollständig mit den Entwicklungen der Covid-19-Zahlen und unserer hoffentlich besser werdenden Vereinbarkeit von Grundrechten und Pandemie-Eindämmung begründen lässt.
Ungerechte Behandlung in Zeiten der Corona-Krise liegt an sich nur dann vor, wenn zur gleichen Zeit und am gleichen Ort unterschiedliche Maßnahmen in vergleichbaren Sachverhalten angewandt werden.
So sehr sich gerade alle über den Flickenteppich der unterschiedlichen Maßnahmen in den Ländern der Bundesrepublik zur Bekämpfung der Pandemie aufregen, andere Sachverhalte erfordern andere Maßnahmen. Es kann gut und gerne sein, dass in einiger Zeit Mecklenburg-Vorpommern die Maßnahmen massiv lockern wird und Bayern sie noch einmal verstärken muss. Schließlich liegen in Meck-Pomm, mit durchschnittlich 41 Fällen pro 100.000 Einwohnern und gestern drei neu registrierten Fällen, andere Sachverhalte vor, als in Bayern, wo auf 100.000 Einwohner 301 Fälle von Covid-19 registriert sind und gestern noch einmal 581 neue Fälle registriert wurden.
Dass, vor dem Hintergrund dieser Zahlen, in Bayern andere Maßnahmen angebracht scheinen, ist verständlich.
Trotzdem muss davon ausgegangen werden, dass die Kanzlerin sich weiter gegen die von ihr so benannten „Öffnungsdisskussionsorgien“ sträuben wird. Schließlich ist das Ziel ausgegeben, wieder einen Zustand zu erreichen, ab dem einzelne Infektionsketten direkt verfolgt werden können. Ziel ist also in Zukunft wieder so reagieren zu können, wie im Webasto-Fall: Der Patient oder die Patientin Null ist ermittelbar, die direkten Kontakte dieser Person sind nachvollziehbar, alle von ihnen werden in Quarantäne geschickt und das Alltagsleben der Nichtinfizierten kann normal weiterlaufen. Ab diesem Zeitpunkt geht das Leben wieder los und es droht eben nicht die zweite und die dritte Welle der Neuinfektionen.
Natürlich warten alle auch darauf, dass endlich der Impfstoff kommt und damit der Spuk ein Ende hat. Aber diese Lösung scheint aktuell noch wirklich weit in der Zukunft zu liegen. Nicht zuletzt gilt hier, dass auch dringend benötigte Impfstoffe trotz allem ausreichend und verlässlich getestet werden. Zwar sind die großen Medikamenten-Skandale schon länger her, aber gerade wenn es darum geht einen Großteil der Menschheit zu impfen, ist es unabdingbar genau zu wissen was die Langzeitfolgen sind. Hier kann und darf nicht der Druck der Wirtschaft und die Ungeduld der social Distel-Dinger dazu führen, dass medizinischer Sachverstand und Vorsicht ausgeblendet werden.
Also bleiben wir vernünftig, halten weiter Abstand und ziehen unsere Masken auf.
Den muslimischen social Distel-Dingern wünscht dieses social Distel-Ding einen friedlicher Ramadan. Und den Islamfeinden und Spaltern in dieser Gesellschaft sei gesagt: Wir sind unteilbar. Gerade jetzt in der Krise.

Teil 21 – An die Kinder der Corona-Krise (Mittwoch, 22.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 22.04.2020 – 5:07 Min.

Das Verrückte an Ausnahmesituationen ist, dass es auch in Ausnahmesituationen Ausnahmen geben kann, die diejenigen die sie betreffen direkt in eine neue Ausnahmesituationen katapultieren. Ein ganz besonderer Fall dieses Ausnahmefalls im Ausnahmefall, der eine neue Ausnahme aus dem Ausnahmefall-Alltag nach sich zieht, ist: Die Geburt eines Kindes. Denn auch wenn wir social Distel-Dinger das Gefühl bekommen, als wäre die ganze Welt in der Pandemie-Prävention zum Anhalten gekommen und davon hören, dass in diesem Jahr nicht mehr mit Wachstum gerechnet wird: Es werden immer noch neue Menschen geboren. Jeden Tag, zu jeder Tageszeit.
Für die Eltern ist das sowieso ein spannendes Erlebnis, aber aktuell erscheint diese Erfahrung wohl eher auf dem Set eines Katastrophenfilms zu spielen. Während draußen die Sonne vom Himmel lacht und die Leute Eis essen, Radfahren und Joggen, sind die Krankenhäuser eine einzige Quarantänezone. Alltag und Entspannung sucht man dort vergebens.
Bald darauf kommen diese Eltern wieder aus dem Krisengebiet Krankenhaus und tragen Verantwortung für einen Menschen, für seine Gesundheit in einer Zeit in der unser aller Gesundheit durch eine unsichtbare Gefahr, die von anderen Menschen ausgeht, bedroht wird. Sie können nicht wissen, wie lange das noch geht, wie die nächsten Wochen und Monate aussehen. Vielleicht droht sogar die komische Erfahrung die Eltern von Kleinkindern gerade machen: Die ersten Worte der Kinder richten sich nach den Regeln des social distancing, kleine Kinder brabbeln: „Abstand“ Oder: „Händewaschen“. Die ersten Nebensätze die gebildet werden lauten: „[…], wenn der Virus vorbei ist.“ oder „wenn wir wieder raus dürfen“
Und trotzdem geht das Leben weiter. Trotzdem freuen wir uns über neues Leben in dieser Welt, neue Menschen die neue Ideen haben, auf unseren Schultern stehend weiter in die Geheimnisse der Welt blicken als wir es je konnten.
Aus diesem Grund einige Worte an die Neugeborenen und Kleinkinder dieser Zeit:
Hallo, liebe Kinder der Corona-Pandemie.
Diesen Text hat euch ein Mensch geschrieben. Mehr noch, ein Mensch der, unter dem Eindruck einer Pandemie und der daraus entstehenden Verhaltensregeln und der Unsicherheit seiner Situation, sich selbst als social Distel-Ding bezeichnet. Das muss dazu gesagt werden, weil derzeit davon ausgegangen wird, dass zu der Zeit in der ihr diesen Text lesen und verstehen könnt Computer-Programme Texte schreiben und vermutlich auch in der Geschichtsschreibung eingesetzt werden.
Wir Menschen erleben diese Zeit, in der ihr wehrlos wart, unserer Fürsorge bedurftet und auf uns angewiesen wart, als große Zäsur. Unsere bisherigen Schritte im Leben haben uns zu einer globalisierten, reichen und auch ungerechten Zivilisation der Erde werden lassen. Die Folgen merken wir stark. Die Globalisierung hat zur rasanten Verbreitung dieses Virus geführt, das aktuell die ganze Welt im Griff hält. In den Nachrichten wird häufiger des Bild von der Erde mit einem Mundschutz gezeigt.
Gleichzeitig befürchten wir, dass wir, in Folge des menschengemachten Klimawandels, wieder direkt in einen Dürresommer steuern. Unser Frühling ist in diesem Jahr besonders trocken ausgefallen, Regen ist schon länger ausgeblieben und wir bräunen uns auf unseren Balkonen. Während der Pandemie wird aktuell in Brasilien weiter der Amazonas gerodet, unsere künstlich angelegten Fichten-Wälder gehen wegen Wassermangel und dem Borkenkäfer ein und gestern kam die Nachricht, dass das Meereis am Nordpol wohl auch bei Einhalten unseres 2-Grad-Ziels schon vor 2050 saisonal abtauen wird. Ihr merkt also, unsere Zukunft malen wir nicht rosig.
Aber wenn wir ehrlich sind, erscheinen uns diese Probleme zu komplex um wirklich dagegen zu steuern. Gerade für unsere Generationen, die Zeit ihres Lebens gewohnt waren in der Zukunft einen Fortschritt zu sehen, ist das nicht die beste Zeit.
Allerdings kennen wir euch noch nicht. Wir wissen noch nicht, wie ihr die Welt, die ihr vorfinden werdet, verändern werdet. Wir können unser Bestes geben um euch unser Wissen zu vermitteln, euch helfen aus unseren Erfahrungen und Fehlern zu lernen, euch Hilfsmittel an die Hand geben, damit ihr es besser macht als wir. Oder auch nur, damit ihr ein gutes und erfülltes Leben mit anderen Menschen und der Natur führen könnt. Etwas anderes wollten wir eigentlich auch nie. Und um in den Worten einer Band aus dieser Zeit zu sprechen: Es ist nicht eure Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Es ist nur eure Schuld, wenn sie so bleibt.
Wir werden weiter daran arbeiten, euch eine bessere Welt zu hinterlassen und versuchen aus dieser Krise, in der ihr eure ersten Atemzüge, Schritte und Erfahrungen macht, eure ersten Worte sprecht und von dieser Welt wenig mitbekommt, klüger, vorausschauender und menschlicher herauszukommen.
Und irgendwann seid ihr dann an der Reihe zu bewerten, wie wir uns geschlagen haben. Dann könnt ihr es besser machen.
Aber jetzt kümmern wir uns erstmal darum, dass ihr von dieser Krise nichts mitbekommt und eine schöne Kindheit habt.
Liebe Grüße aus der Krise,
euer social Distel-Ding

Teil 20 – Kein Schlussstrich! (Dienstag, 21.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 21.04.2020 – 7:03 Min.

Mit der Zeit sind wir langsam gewöhnt an dieses andauernde alleine zu Hause bleiben, auch social distancing genannt. Nachdem die Baumärkte jetzt wieder offen haben kommen auch weitere pflanzliche Mitbewohner in den begrenzten Raum der mittlerweile fast unsere gesamte Welt ist. Wieder etwas Neues um das Mensch sich kümmern kann und das einen ablenkt von dem was da draußen alles vor sich geht. Ablenkung ist in dieser Unsicherheit wirklich nötig, vor allem da die meisten schon länger keine große Lust mehr auf Fernsehen, Computer-Spiele oder Lesen haben. Veränderung kann nicht die ganze Zeit nur in Bildschirmen oder durch das Umblättern der Seiten geschehen.
Insofern lohnt es sich direkt mit einer guten Nachricht anzufangen: Das gestrige Aufreger-Thema war schon zum Zeitpunkt der Ausstrahlung von einem schnellen Zurückrudern überholt worden. Der massiv gescholtene Gemeinsame Bundesausschuss hatte noch gestern Nachmittag die Wiedereinführung der telefonischen Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit bei Atemwegserkrankungen verkündet. Wer sich also mit Covid-19 ähnlichen Symptomen krankschreiben lassen möchte, kann das auch weiterhin telefonisch tun. Zumindest etwas.
Eine weitere Nachricht, die erst einmal gut klingt, ist nur bedingt positiv: Die Urteilsbegründung im NSU-Prozess liegt endlich vor.
Einen Tag vor Ablaufen der 93 Wochen währenden Frist hat der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts heute die 3.025 Seiten vorgelegt, auf denen er die NSU-Terrorserie und die Schuld der Verurteilten detailliert juristisch bewertet. Damit ist zumindest in München der NSU-Prozess beendet und der Weg frei für die Bundesanwaltschaft vielleicht doch noch André Eminger, einen der mutmaßlich wichtigsten Unterstützer des Trios, zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft zu verurteilen. Neben der Bundesanwaltschaft haben aber auch die Anwält*innen von Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger G. und André Eminger angekündigt Revision gegen das Urteil einzulegen und auch die Nebenklageanwält*innen werden die Urteilsbegründung wohl genauestens auf Fehler prüfen.
Unterdessen bleiben die Verurteilten – bis auf Beate Zschäpe und Carsten S. – weiter auf freiem Fuß. Dieser Umstand ermöglichte es André Eminger und Ralf Wohlleben sich zuletzt auch wieder ungeniert in der rechtsextremen Szene zu zeigen.
Nicht nur, dass uns voraussichtlich noch lange juristische Streitigkeiten bevorstehen: Die 3025 Seiten sollen auch die These untermauern, dass der NSU nur aus dem Trio Böhnhard, Mundlos und Zschäpe bestand, die alleine und ohne direkte Unterstützer und Mitwisser ihre Terrortaten verübten. Diese These, sowie der lange Verschluss der NSU-Akten – in Hessen sollen die Akten, die nicht dem Schredder zum Opfer fielen, erst nach 120 Jahren wieder geöffnet werden – behindern aktuell die Aufklärung von Taten die, mindestens indirekt, in Zusammenhang mit dem NSU stehen.
Insgesamt lässt sich sagen: fast zwei Jahre nach dem Urteil im NSU-Prozess ist rechtsextremer und rassistischer Terror in Deutschland grausamer, alltäglicher und beunruhigend wenig beachtet worden.
Nur zur Erinnerung: Im Juli 2019 wurde der Politiker Walter Lübcke erschossen. Einer der mutmaßlichen Täter spielte schon 2006 in den polizeilichen Ermittlungen zum Mord an Halit Yozgat eine Rolle. Im Oktober 2019 folgte der antisemitische Anschlag auf die voll besuchte jüdische Synagoge in Halle. Weil dieser durch eine Tür aufgehalten wurde, erschoss der Täter zwei Menschen, darunter einen Besucher in einem Döner-Schnellimbiss. Am 19. Februar 2020 ermordete ein Rassist in Hanau neun Menschen.
Nochmal: Vor etwas mehr als zwei Monaten wurden in Hanau 9 Menschen erschossen. Und trotzdem gelingt in der Öffentlichkeit scheinbar das, was auch mit der Vorlage der Urteilsbegründung im NSU-Prozess droht:
Einen Schlussstrich darunter zu setzen. Andere Themen als wichtiger erachten. Die Opfer vergessen. Es nicht als gesellschaftliches Problem anzuerkennen.
Hier zeigt sich wieder, warum Corona so beachtet wird und andere Lebensgefahren nicht: Die Pandemie geht eben alle etwas an. Niemand kann sich rauskaufen. Niemand ist durch Geburt immun.
Wenn Rassisten töten, können sich die weißen, leisen Mittelstandspolitiker zurücklehnen und sagen: Ich bin ja kein Rassist. Und wenn sie dann kein „Aber“ sagen, sehen sie sich als Lösung des Problems. Aber so werden keine Menschenleben geschützt.
Es braucht die Strafverfolgung, die konstante Arbeit die Gesellschaft von diesem Hass zu befreien, die Kooperation mit Trägern der politischen Bildung, die Unterstützung gesellschaftlichen Engagements und ja, auch endlich eine strenge Überprüfung des eigenen Sicherheitsapparates.
Nicht nur das Hans-Georg Maaßen sein Amt als Verfassungsschutzpräsident in Folge des NSU-Skandals um geschredderte Akten angetreten hat, nur um sich über die Zeit seines Amtes und darüber hinaus als dem völkischen Denken zumindest nicht abgeneigte Person zu offenbaren. In Hessen stehen mindestens 38 Polizist*innen wegen neonazistischen Aktivitäten unter Verdacht. Die persönlichen Daten der Rechtsanwältin der Hinterbliebenen des vom NSU ermordeten Enver ?im?ek wurden von einem Polizeirechner in Frankfurt abgerufen und dafür genutzt sie und ihre zweijährige Tochter zu bedrohen. Unterschrieben war die Drohung mit: NSU 2.0…
Diese Aufzählung an Problemen der Behörden, die eigentlich uns alle schützen sollten aber von Rassisten und deren Unterstützern an vielen Stellen durchsetzt sind, könnte noch lange weitergehen. Aber Fakten und Aufklärung scheinen nicht den dringend benötigten Aufschrei nach sich zu ziehen.
Während die Angst vor der Pandemie alle eint, trifft die Angst vor Rassismus und Rechtsextremismus eben nicht alle. Viele können sich darüber aufregen, dass das Oktoberfest dieses Jahr nicht stattfindet und Kneipen geschlossen sind. Aber viele Eltern sind derzeit beruhigt, dass die Schischa-Bars geschlossen haben, weil sie weniger Angst um das Leben ihrer Kinder haben müssen.
Es liegt an uns, als Gesellschaft, als Nachbarn, als Menschen, die Urteilsbegründung nicht als Schlussstrich unter der Akte NSU stehen zu lassen. Uns eben nicht erst irgendwann bei ZDF History an die „Döner-Morde“ zu erinnern. Das Kapitel ist noch nicht beendet: Kein Schlussstrich!
Damit das gelingt gilt in dieser Zeit: Maske tragen und das Maul aufreißen!

Teil 19 – Lockerungen, Masken und die Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht beim Arzt (Montag, 20.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 20.04.2020 – 4:17 Min.

Wieder Montag. Wieder social distancing. Diesmal mit Lockerungen. Ab heute dürfen sich einzelne social Distel-Dinger auch in Bayern wieder mit einer einzelnen anderen Person im Freien treffen. Die Baumärkte und Gärtnereien sind wieder geöffnet und die Schlangen davor werden, durch die Abstandsregelung von mindestens 1,5 Metern, besonders lang ausfallen. Das Semester an den Unis geht los, aber nur als Fernunterricht über Internet, genauer gesagt an vielen Universitäten über die viel kritisierte Anwendung Zoom.
Während die Unis also auf Fernunterricht setzen gilt bei Ärzten ab heute wieder Anwesenheitspflicht. Atteste gibt es jetzt wieder nur, wenn Mensch sich ins Wartezimmer mit anderen Kranken und Krankzuschreibenden setzt und nicht mehr nach einem Anruf und der Beschreibung der Symptome. Entschieden hat das der Gemeinsame Bundesausschuss, das oberste Beschlussgremium der gemeinsamen Selbstverwaltung der Krankenkassen, Krankenhäuser, Ärzte und Psychotherapeuten. Verstehen können das allerdings nur wenige. Letztlich sind damit nicht nur die Patient*innen sondern auch die Ärztinnen und Ärzte sowie das medizinische Fachpersonal einer erhöhten Ansteckungsgefahr ausgesetzt. Wie schon häufiger scheinen die Regelungen zur Eindämmung der Pandemie etwas willkürlich und wenig an den tatsächlichen Voraussetzungen orientiert. Schließlich gab es in letzter Zeit kein großes Aufatmen, weil jetzt alle Schutzausrüstungsprobleme plötzlich gelöst wären. Die Wiedereinführung der Anwesenheitspflicht beim Arzt birgt damit das nicht zu unterschätzende Risiko, die vorsichtigen Lockerungen zu konterkarieren und vor allem weitere Risikogruppen einer Gefährdung auszusetzen. In Folge könnten die Todesfälle an Covid-19 mehr werden und uns allen ein verlängertes Dasein als social Distel-Ding blühen.
Aber bisher kann das natürlich keiner wissen und somit bleibt Arbeitnehmern nichts anderes übrig als die Entscheidung ob sie, bei selbst diagnostiziertem Covid-19 Verdacht, lieber ihre Kolleginnen und Kollegen anstecken oder die chronisch Kranken die mit ihnen das Wartezimmer teilen. Die verantwortungsvollste Reaktion darauf wäre fraglos zuhause zu bleiben und zu versuchen einen Test zu bekommen, was allerdings eine Abmahnung durch den Arbeitgeber zur Folge hätte und damit vermutlich nicht die beste Grundlage für den Arbeitsmarkt in der Rezession wäre. So befindet sich das potentiell erkrankte social Distel-Ding in einem moralischen Patt und bekommt nebenbei noch mehr Sorgen aufgeladen.
Zum Glück kriegen wir als kleine Beruhigung für unsere Moral noch ein Maskengebot aufgegeben, das ab nächster Woche zu einer Maskenpflicht verschärft wird. Die bedeckten Gesichter zeigen uns dann endgültig, dass in der Luft eine Gefahr lauert, vor der wir uns schützen müssen. Doch dieser Schein trügt: An sich ist es genau andersrum, nämlich so, dass wir selbst die Gefahr sind und die Atemluft der anderen vor den potentiell in uns vorhandenen Viren mit den Mund-Nase-Masken oder Schals schützen. Trotzdem ist beides richtig. Der Effekt der Masken ist sowohl der, dass sie in der Öffentlichkeit keine Corona-Vergessenheit mehr aufkommen lassen, als auch der, dass die Masken die Verbreitung der Viren über Husten, Niesen oder feuchte Aussprache behindern sollen.
Einen kompletten Schutz können sie nicht bieten, auch nicht in den Wartezimmern der Praxen. Aber sie geben uns wieder etwas worauf wir uns konzentrieren können. Gerade die selbstgenähten oder dekorierten Masken ermöglichen uns wieder einen Ausdruck der Individualität, eine neue Leinwand unserer Persönlichkeit. Oder eben auch eine neue Möglichkeit unsere Forderungen in die Öffentlichkeit zu tragen. Die Repolitisierung des öffentlichen Raums kann auch durch Masken geschehen. Die Forderung mehr als 47 Minderjährige aus den höllischen Verhältnissen in Moria zu retten könnte auf allen Masken prangen. Und nicht nur die.
Wir sollen uns zwar etwas vor den Mund spannen, aber den Mund verbieten lassen wir uns nicht. Das Motto der Zeit könnte ja auch sein:
Mundschutz tragen und das Maul aufreißen!

Teil 18 – Vom Kathegorischen Imperativ und „Oh wie schön ist Panama, äh, Pandemie“ (Freitag, 17.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 17.04.2020 – 5:32 Min.

Na, freut ihr euch auch schon so? Nur noch drei Mal schlafen und dann: Öffnen die Baumärkte wieder! Endlich wieder heimwerkeln, neue Blumenerde kaufen, die Küchenregale die im letzten Corona-Wutanfall kaputt gegangen sind reparieren und so vieles mehr.
Wursteln und Konsumieren gegen die tröge Langeweile die sich dank Corona über den Alltag legt. Endlich eine bessere Ablenkung als die ständigen Twitter-Fragen an die Polizei, was man denn eigentlich darf. Aber nicht nur die Polizei wird ständig mit dieser Frage konfrontiert. Auch im alltäglichen Gespräch kommt die Frage: „Darf ich jetzt eigentlich…?“ ständig auf. Die allgemeine Verunsicherung in Zeiten der Pandemie führt irgendwie direkt zu dieser Frage. Wenn etwas erlaubt ist, dann kann ich es machen, wenn etwas verboten ist, dann kann ich mich darüber beschweren, wenn etwas im Graubereich ist, dann frage ich solange jeden, bis es entweder geklärt ist oder niemand mehr auf meine Frage antwortet.
In der ständigen Fragerei treiben die social Distel-Dinger eine Blüte nach der anderen aus. So ist diesem social Distel-Ding gestern auf einem Wochenmarkt eine solche Blüte untergekommen. Eine ältere Dame, die guten Gewissens zur Risikogruppe gezählt werden kann, wütete zwischen den Ständen und den fleißig um Abstand bemühten Kunden herum. Immer wieder ließ sie sich zu Kommentaren hinreisen wie: „Der Söder ist blöder“ oder „Man werd doch no a Semmel kaufen kenna!“ Dann schoss sie sich auf einen Security-Mitarbeiter ein, den sie so lange nach den Gründen dieser Einschränkung ihres Lebens befragte, dass dieser schon zu überlegen schien, ob er seine Kollegen zur Unterstützung rufen sollte. Zuletzt blieb sie dann auch kurz vor diesem social Distel-Ding stehen und sagte nur: „Oh wie schön ist Panama, ähh, Pandemie.“ und entschwand dann aus dem Sichtfeld.
Es ist zu vermuten, dass jegliche Überzeugungsversuche bei dieser Dame fehlschlagen würden. Das ist auch nicht schlimm. Nur weil einigen immer die letzten Antworten fehlen, bedeutet das nicht, dass sie solange beharkt werden müssen, bis sie endlich in der gleichen Realität ankommen, in der wir uns zu befinden glauben. Genauso wenig ermöglicht uns der Verweis auf die Verfehlungen anderer, die eigene Verantwortung abzustreifen.
Denn insgesamt bringt uns die Pandemie in die Situation, dass wir selbst wie ein Gesetzgeber denken müssen. Oder eben im Kategorischen Imperativ, also nach dem unbedingten Befehl:
„Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie Gesetz werde.“
Bedeutet: Die grundsätzlichen Frage bei der Betrachtung des eigenen Verhaltens in der Krise ist: „Was wäre, wenn das jeder tun würde?“
Nun ist Kant nicht wirklich das sexyeste Vorbild und Kant-Zitation hat immer etwas deutschtümelndes. Was sich aber auf jeden Fall sagen lässt: Wenn Kants Handeln und Leben Gesetz wäre, hätten wir diese Krise nicht. Schließlich verbrachte er beinahe sein gesamtes Leben in Königsberg.
Derzeit lässt sich der Gedanke Kants recht gut aufgreifen. In dieser Pandemie gilt es für jede und jeden sich darüber Gedanken zu machen, in wie weit das eigene Verhalten, wenn es nur genügend Menschen nachahmen würden, die Verbreitung von Covid-19 beeinflussen würde. Dabei ist es ganz egal, ob ein einzelnes social Distel-Ding glaubt gefährdet, krank oder wieder genesen zu sein. Alle haben wir Verantwortung füreinander und können andere auf falsche Gedanken bringen. Das heißt aber nicht, dass es keine Ausnahmen mehr gibt. Auch dafür trägt jedes social Distel-Ding die Verantwortung. Niemanden ist geholfen, wenn Einzelne in der Isolation komplett den Verstand verlieren. Die Pandemie ist nur eine der Gefahren die uns bedroht und sie kann nicht komplett über uns bestimmen.
Auch wenn aktuell das scharfe Schwert des Infektionsschutzgesetzes und ein Bußgeld-Katalog drohen, noch sind die Ausnahmen nicht geregelt und bleiben eine Abwägung der Polizistinnen und Polizisten und später der Richterinnen und Richter. Wenn die unmittelbare Gefahr verstrichen ist, kann in Einzelfällen vermutlich mit Milde gerechnet werden. Bis dahin ist dieser drohende Zeigefinger, die Androhung von Strafen, aber vermutlich notwendig.
Das sollte uns aber nicht abhalten auch für uns unter dem Kategorischen Imperativ die geltenden Gesetze zu überprüfen. Und dabei wird sicherlich herauskommen: Wenn wir eine Protestaktion so planen, dass wir Mund-Nase-Masken verwenden, Abstand halten, keinen Körperkontakt eingehen und darauf achten, dass niemand daran teilnimmt, der oder die Symptome zeigt, keine langen Wege dafür in Kauf genommen werden und sich alle an diese Regelungen halten, wie es immer wieder vorgekommen ist, dann sollte es erlaubt sein. Eben weil das Recht auf Meinungsäußerung besteht.
Trotzdem wird die Polizei das verbieten. Einfach deshalb, weil mit der Prämisse herangegangen wird: Wenn das jeder machen würde…
Und damit liegt das Thema bei den Gerichten und wird vermutlich erst dann behandelt, wenn die Krise vorüber ist. Zusammengefasst lässt sich sagen: Nur weil manche Menschen gerade wieder Demonstrieren wollen, wozu es wirklich viele gute Gründe gibt, sind sie keine Straftäter, keine unverantwortlichen Menschen. Und nur, weil die Polizei hier immer wieder durchgreift, sind wir nicht direkt auf dem Weg in eine Diktatur.
Trotzdem lohnt es sich aufmerksam zu bleiben. Und für all diejenigen die es gar nicht mehr aushalten: Wenn es nicht mehr geht, sucht euch Hilfe. Findet einen Menschen oder mehrere die euch aufnehmen, aber wirklich nur im letzten Notfall. Ansonsten gibt es ja jetzt die Möglichkeit eine Kontaktperson zu finden. Seid füreinander da, passt aufeinander auf.

Teil 17 – Lockerungen in Bayern und hoffentlich bald andere Themen (Donnerstag, 16.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 16.04.2020 – 4:24 Min.

Da ist sie, die lange erwartete Lockerung. Endlich ein Fahrplan an dem sich die social Distel-Dinger orientieren können. In Bayern sind die Haltepunkte des Fahrplans: Ab Montag öffnen die Baumärkte und Gärtnereien wieder. Eine Woche später, am 27. April folgen kleine Geschäfte bis 800 qm Verkaufsfläche, die ein Hygienekonzept ausgearbeitet haben, Buchhandlungen dürfen auch größer sein. Insgesamt gilt die Regel, dass pro Person 20 qm Fläche zustehen sollen, also dürfen in ein Geschäft mit 800qm bis zu 40 Personen. Wieder eine Woche später, ab 4. Mai, dürfen die social Distel-Dinger wieder hoffen ihre Corona-Frisuren gebändigt zu bekommen. Und auch die Füße sollen wieder professionell gepflegt werden dürfen. Alles natürlich unter der Bedingung, dass die Fachkräfte, die sich den Füßen und Haaren der Distel-Dinger nähern, durch Schutzausrüstung die Ansteckungsgefahr auf ein Minimum reduzieren.
Großveranstaltungen bleiben bis voraussichtlich zum 31. August untersagt und auch für die Wiesn schauts schlecht aus. Eventuell könnten die Gastronomie und Hotellerie-Unternehmen aber ihre Tore wieder ab Pfingsten öffnen.
Und für diejenigen die in dieser Zeit im Glauben Halt gefunden haben: es wird geprüft ob Gottesdienste ab Mai wieder mit Gläubigen oder Zuschauern in der Kirche abgehalten werden dürfen. So, wie sich die Kirchengemeinden vor der Corona-Krise entwickelt haben, konnte von Gottesdiensten auch wirklich selten als Großveranstaltungen gesprochen werden. Abstandsregelungen sollten in den großen Kirchenschiffen eigentlich gut eingehalten werden können. Aber natürlich trifft diese Regelungen nicht nur die katholische und evangelische Kirchen sondern auch die Synagogen, Moscheen und nicht zu vergessen die ökumenischen Gottesdienste.
Auch für die Schülerinnen und Schüler steht nun ein erster Plan in den Startlöchern. Diejenigen die jetzt vor ihren Abschlüssen stehen dürfen ab dem 27. April wieder zu Prüfungen und Prüfungsvorbereitungen in die Schulen. Ab dem 11. Mai sollen ihnen die etwas niedrigeren Klassenstufen folgen, die sich auf die Prüfungen im nächsten Schuljahr vorbereiten sollen. Insgesamt soll die Schule dieses Jahr stattfinden.
Zusätzlich zu diesen Regelungen ist in Bayern jetzt eine Lockerung hinzu gekommen. Die Ausgangsbeschränkung, dieser bayrische Sonderweg, wird soweit aufgelockert, dass Einzelpersonen sich wieder mit anderen Einzelpersonen treffen dürfen, auch wenn sie nicht in einer Wohnung zusammenleben. Die vereinsamten social Distel-Dinger dürfen jetzt also wieder sozialen Kontakt aufnehmen, natürlich mit dem gebotenen Mindestabstand von ca. 2 Metern. Eine Maskenpflicht wird es vorerst nicht geben, stattdessen gibt es ein Mund-Nasen-Masken-Gebot. Alle sind aufgefordert in öffentlichen Verkehrsmitteln und Geschäften Mund und Nase zu bedecken. Hier empfiehlt Söder sogar Community-Masken, also von in der Community oder Gemeinschaft genähte Masken mit denen social Distel-Dinger sowohl die Gesundheit der anderen schützen, als auch lokale Gruppen, Gemeinschaften oder lokale Unternehmen unterstützen.
Tja, jetzt haben wir einen Fahrplan. Einen Blick in die Zukunft, in der vorerst nichts mehr so sein wird wie es war. Und noch dazu sind all diese Zwischenschritte unter Vorbehalt, werden ständig überprüft und alle 2-3 Wochen nachjustiert. Das bedeutet, alle 2-3 Wochen sitzen wir vor den Fernsehern und lauschen unserem Ministerpräsidenten, in der Hoffnung, dass alles besser wird. So viel Sendezeit und Aufmerksamkeit hatte selten ein Politiker. Hoffentlich finden wir uns demnächst mit den langsamen Schritten raus aus der Krise zurecht und können mehr Aufmerksamkeit auf andere Fragen lenken.
Beispielsweise wie unsere Gesellschaft in Zukunft aussehen soll. Wie wir die Katastrophe an der europäischen Außengrenze lösen. Wie unsere europäische Gemeinschaft, Sozialpolitik und Außenpolitik aussehen soll. Und nicht zu Letzt: Wie schaffen wir es, die öffentliche Meinungsäußerung und die informationelle Selbstbestimmung zu erhalten, auch wenn diese Grundrechte eine potentielle Ansteckungsgefahr in sich tragen.
Uns stehen viele wichtige Debatten bevor. Und spätestens jetzt, wo ein Fahrplan den Weg aus der Krise leiten soll, sollten wir sie beginnen. Es ist höchste Zeit.

Teil 16 – Regierungsgläubigkeit bringt uns nicht weiter (Mittwoch, 15.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 15.04.2020 – 5:14 Min.

Heute ist also der Tag. Der Tag an dem alle auf die Bildschirme blicken und rufen: „Sag mir wann?“
Nach all dieser Zeit, in der der Alltag von einem Virus bestimmt wurde, kommt nun wieder der Moment, wo sich alle an die Politik wenden. Fast so, als wäre es die Idee der Politik gewesen die Wirtschaft und das öffentliche Leben einzufrieren und nicht nur die beinahe verspätete Reaktion auf eine grassierende Pandemie die viele Menschenleben kostet.
Aber es ist ja auch kein Wunder, dass so viele sich jetzt nicht sicher sind, wie es weitergehen wird. Armin Laschet möchte die Schulen nach den Osterferien wieder eröffnen. Markus Söder möchte vorsichtig bleiben. Angela Merkel hingegen bleibt ihrer Linie treu: Die anderen diskutieren lassen und selber nur entscheiden.
Und wir? Wir social Distel-Dinger warten. Warten auf das Ende der Krise. Warten auf das Ende der Ansteckungsgefahr. Warten auf die Möglichkeit endlich mal wieder die Eltern und Großeltern in den Arm nehmen zu können, ohne dabei Angst haben zu müssen sie eventuell dabei mit einer für sie tödlichen Erkrankung anzustecken.
Denn auch wenn die Politikerinnen und Politiker sagen würden, dass alles nur ein böser Traum war und jetzt alle wieder arbeiten sollen: Würden wir ihnen vertrauen? Wären wir bereit das Risiko einzugehen?
Oder würden wir dann nur noch mit Mundschutz, Handschuhen, Visier und einer Monatspackung Desinfektionsmittel aus dem Haus gehen?
Es ist schon erstaunlich wie wir uns jetzt auf die Politik verlassen. Und das in gewissen Teilen auch zurecht. Zumindest bei der Pandemie-Bekämpfung hat die Bundesrepublik keine schlechte Figur abgegeben. Nicht nur, dass die Zahlen für sie sprechen, auch die schnelle Hilfe und die zahlreichen Maßnahmen scheinen aufgegangen zu sein. Das gilt natürlich nur, wenn Mensch als Staatsbürger über die Landesgrenzen blickt und sieht wo es überall schief gelaufen ist. Im Vergleich, nicht im eigenen Empfinden, könnte es noch viel schlimmer sein.
Vielleicht entstammt das Vertrauen auch daraus, dass wir verstanden haben, dass wir, als einzelne social Distel-Dinger, gar nicht die Möglichkeit haben das Ausmaß der Gefahren, der vielen Wechselwirkungen und der richtigen Prävention zu erfassen. Eventuell könnte es sogar sein, dass Deutschland, das Land der mehr als 80 Millionen immer besserwissenden Bundestrainer, verstanden hat, dass die Politik und das Gesundheitssystem etwas komplizierter ist als Fußball.
Aber auch wenn wir jetzt vielleicht wissen, dass wir zwar 11 Fußballspieler vermutlich besser trainieren könnten als der Bundestrainer, aber dennoch in der Corona-Krise lieber auf die Politiker*innen und die sie beratenden Expertinnen und Experten vertrauen sollten, gilt das alte leninsche Sprichwort: „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser.“
Das soll natürlich nicht heißen, dass jeder kontrollieren soll, ob Mensch sich mit Corona anstecken kann, wenn er oder sie Rolltreppen-Läufe ableckt – was übrigens vorgefallen sein soll, wenn auch als sogenannte „Challenge“ – viel mehr deutet dieses Sprichwort darauf hin, dass in Zeiten in denen die Exekutive, also Polizei bzw. die Vollstreckungsorgane des Staates, und die Legislative, also die Politik bzw. der Gesetzgeber, so stark in unsere Grundrechte eingreifen, die Judikative, also die Rechtsprechung, stärker gefragt ist. Richter*innen, Anwält*innen und auch Staatsanwält*innen sind gerade gefragt. Sie müssen ständig überprüfen, ob die Regelungen noch der Zeit entsprechen.
Denn auch wenn sich dieses social Distel-Ding manchmal das System der Bundesrepublik als neoliberal, als militärisch-industriellen Komplex oder einfach als kapitalistischen Sauhaufen zusammenreimt hat, es sind Menschen die es tragen. Es sind Menschen, die Entscheidungen treffen, die sich Gedanken machen und die tagtäglich mit ihrer Arbeit diese Gesellschaft stützen, aber auch Mitverantwortung tragen für die Richtung in die sie sich entwickelt.
Es bleibt zu hoffen, dass es in dieser Zeit und vor allem auch in Zeiten der Lockerung der Maßnahmen, Menschen gibt, die bereit sind sich gegen den einfachen Weg zu entscheiden. Menschen die, statt stumm ihre Arbeit zu machen und gut Geld zu kassieren, den Mund aufmachen und für unsere Grundrechte aufstehen. Die Geschichte der Bundesrepublik ist auch eine Geschichte der Gerichte, die immer wieder die Gesetze und Regelungen der Regierenden kassiert haben. Es ist ihre Aufgabe standhaft zu bleiben und abzuwägen.
Und genauso ist es unsere Aufgabe den Mund aufzumachen, laut zu sein, zu klagen und diejenigen die es wagen für uns Grundsatzurteile zu erstreiten zu unterstützen. Nicht Regierungshörigkeit bringt uns durch diese Krise: Es sind wir, als Gesellschaft in einem Rechtsstaat. Und das gilt es zu erhalten!

Teil 15 – Alpträume und Fehlinterpretationen (Dienstag, 14.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 14.04.2020 – 5:31 Min.

Puh, nach den Feiertagen ist es anstrengend. Heute Nacht hat dieses social Distel-Ding seinen ersten Corona Alptraum gehabt. Von Menschen die keinen Abstand halten wollten.
Es waren nicht einmal die Bilder von den schnell ausgehobenen Massengräbern, die in Italien und den USA gerade befüllt werden. Noch waren es die Bilder aus den Intensivstationen, die mich schlecht schlafen ließen. Es waren einfach nur Menschen, die sich unnötig in einer Gruppe versammelt hatten.
Was das zeigt? Dass all das social distancing durchsickert. Die wirklich schrecklichen Bilder müssen gar nicht mehr aufgerufen werden um einen aus dem Schlaf zu schrecken. Das über die Medien verbreitete Wissen über die Folgen ist da.
Kein Wunder, dass die Theorien, die in den sogenannten sozialen Netzwerken besonders weit verbreiten werden, sich zumeist darum drehen, dass die allgemeine Panik das größere Virus ist. Wolfgang Wodarg und andere verkaufen uns dabei eine Geschichte die uns beruhigen soll. Auf den ersten Blick ist die Beruhigung willkommen. Es gibt weitaus schönere Dinge als sich Sorgen zu machen.
Bis vor nicht allzu langer Zeit war das sogar noch die Linie die der Gesundheitsminister verfolgte. Auch Jens Spahn bemühte noch am 23. Januar in der Tagesschau und am 27. Januar bei NTV den berühmten Vergleich mit der Grippe und ordnete diese als schlimmer ein.
Solche Äußerungen würde er heute vermutlich am liebsten zurücknehmen. Doch die Beweggründe hinter der damaligen Beschwichtigung sind klar:
Keine Panik aufkommen lassen!
Und heute? Heute erleben wir tagtäglich ein Wechselbad der Gefühle. Mal heißt es, schnell wieder aufmachen. Kurz darauf gibt es wieder einen Widerspruch. Uns bleibt zumeist nichts anderes als daran zu glauben, dass wir das richtige tun. Denn auch wenn die Plätze sich wieder füllen, weil wieder jemand von baldigen Lockerungen spricht, ist davon auszugehen, dass keine und keiner das ruhigen Gewissens tut.
Die Frage „Wem und was glaube ich?“, ist zu einer bestimmenden Frage im Umgang mit der Pandemie geworden.
Wer ist in dieser Zeit nicht dankbar für die öffentlich rechtlichen, die zumindest versuchen in all diesen schwammigen Zahlen Klarheit zu vermitteln? Ein Blick in die USA zeigt, wie sich parteiische Kleinkriege in den Medien zu einer Katastrophe auswirken können, die einem echten Krieg in nichts nachstehen. Während die einen US-Bürger die Statements von medizinischem Fachpersonal hören, die die Corona-Krise als schlimmere Katastrophe als 9/11 bezeichnen, sehen andere US-Bürger Kommentatoren im Fernsehen, die sagen, dass man das eigene Leben für die Wirtschaft opfern sollte und evangelikale Pastoren, die das Virus auf Abtreibungen und Homosexualität zurückführen wollen.
Der Kampf um die Aufmerksamkeit richtet sich dabei zumeist nach dem was die Menschen hören wollen. Viele wollen beruhigt werden, wollen sagen können, dass das alles übertrieben ist, dass wir alle auf eine große Verschwörung reinfallen, dass das Virus nur die schlechten Menschen betrifft oder nur diejenigen tötet, die sich nicht an Gott halten. Wo es einen Markt für etwas gibt, kann auch etwas verkauft werden.
Und gerade wenn es keine klare Antwort gibt, sondern Mensch einen Punkt hat an dem er sich reiben kann, dann gibt es die Aufmerksamkeit und damit einen Markt für Werbung. Das kennen wir aus Deutschland auch aus dem öffentlich rechtlichen Fernsehen, auch wenn die Sender nicht direkt auf Werbung angewiesen sind:
Obwohl wir ein Grundgesetz haben, das eindeutig ein Grundrecht auf Asyl kennt und die aktuelle Auslegung des Grundgesetzes die Menschenwürde nur mit einer Grundsicherung geschützt sieht und eine massenhafte Datenspeicherung ohne Verdacht als verfassungswidrig ablehnt, werden immer wieder Personen extra dazu eingeladen, bewusst diese Themen in Frage zu stellen.
Zumeist nur, damit anschließend eine Debatte entbrennt, warum das, was gesagt wurde, nicht gesagt werden darf. Im Anschluss wird sich öffentlich darüber gewundert, dass diese, am Grundgesetz kratzenden, Positionen von immer mehr Menschen geteilt werden. Und damit gibt es dann schon wieder ein Thema für die nächste Sendung.
Jetzt sehen wir in dieser Hinsicht noch eine Zurückhaltung die aktuell sowieso schon hohen Quoten der Talk-Sendungen durch die Einladung von Personen wie Wolfgang Wodarg in die Höhe zu treiben. Vielleicht ja deswegen, weil die direkten Folgen von Fehlinterpretationen sich in steigenden Covid-19 Zahlen widerspiegeln würde.
Dabei konnte die Folge von mehr „asylkritischen“ Themen im Fernsehen gut beobachtet werden: Es gab einen Anstieg fremdenfeindlicher und rassistischer Gewalt.
Wie immer, in dieser verrückten Zeit, bleibt uns social Distel-Dingern dabei nur zu hoffen, dass wir und unsere Medienlandschaft daraus lernen werden.
In den USA scheint dieser Lernprozess zu langsam zu gehen und durch den evolutionären Prozess überholt zu werden. In Folge von Trumps ständiger Beschwichtigung und seiner erratischen Aussagen zu Corona hat sich ein ungenannter Insider des Weißen Hauses an den Guardian gewandt und folgendes zu Papier gegeben: “The Trump organism is simply collapsing. He’s killing his own supporters.”
– Er tötet seine eigenen Unterstützer.
Das kann die Folge von Fehlinformationen sein.

Teil 14 – Das Problem mit Prognosen und ein Waffenstillstand (Montag, 13.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 13.04.2020 – 5:26 Min.

Es geht vorwärts. Das fleißige social oder physical distancing der social Distel-Dinger zeigt Wirkung. Das war zumindest der Eindruck dieses social Distel-Dings, dass sich heute Mittag über diese Zahlen hergemacht hat. Bis 16 Uhr zeigte sich noch dieses Bild: Seit dem 30. März, an dem noch einmal 245 Coronafälle in München bestätigt wurden, zeigt die Kurve langfristig abwärts, bzw. liegt seit dem 8. April konstant bei ca. 119 Fällen die in den täglich bis zu 4000 durchgeführten Tests bestätigt werden. Die Fälle der nachweislich geheilten Corona-Patienten steigen in ähnlich großen Schritten.
Aber dann kam die Aktualisierung und mit ihr die Realisation: Es ist noch viel zu früh um Prognosen zu erstellen. Denn heute gegen 16 Uhr kamen die neuen Krankheitszahlen: Zwischen dem 12. April um 13:30 Uhr und dem heutigen 13. April um 13:30 Uhr wurden 156 neue Coronavirus-Fälle in die Statistiken aufgenommen. Also ist es wieder aus mit dem glücklichen Blick auf die Zahlen und dem Glauben an einen Abwärtstrend.
Darüber hinaus sind noch einmal 40 Personen in stationäre Behandlung aufgenommen worden, wodurch jetzt 515 Personen aufgrund von Covid-19 in Krankenhäusern untergebracht sind.
Das heißt, während wir hier, außerhalb der Krankenhäuser, langsam aber sicher geübt sind im Umgang mit der physischen Distanz bangen über 500 Münchnerinnen und Münchner auf den Krankenhausstationen um ihr Leben. Darunter sind 190 Menschen die in speziellen Corona-Intensivbetten um ihre Leben kämpfen. Genauer gesagt kämpft medizinisches Fachpersonal um deren Überleben. Ein Kampf, der in München schon in 52 Fällen verloren wurde. So viele Tote Münchnerinnen und Münchner sind bisher auf die durch das Corona-Virus hervorgerufene Erkrankung Covid-19 zurückzuführen. Verstorben sind vor allem Männer über 80 aber auch in der Altersgruppe 41-60 Jahre gab es insgesamt schon 5 Fälle. 4 Männer und 1 Frau.
Trotz der Trauer über die Verstorbenen und den Wiederanstieg der Zahlen: Es scheint sich zu lohnen, dass wir für unsere Nachbarinnen, Eltern, Freundinnen und Freunde, Großeltern und all die anderen Menschen mit denen wir in Kontakt kommen, tagtäglich die Regeln der Ausgangsbeschränkung beachten. Schließlich haben sich Fall-Zahlen anscheinend verlangsamt.
Dass in letzter Zeit deshalb über Lockerungen gesprochen wird, ist verständlich. Es darf aber nicht vergessen werden, dass dieses Virus sich in Windeseile verbreitet. Erinnern wir uns nur daran, dass ein Covid-19 Fall in einem Tourismus-Ort in Österreich scheinbar ausgereicht hat um einen Großteil Europas ebenfalls anzustecken. Bedeutet, auch wenn nur noch eine einzige Person auf der Welt Überträger des Virus ist und wir noch nicht resistent oder geimpft sind, droht eine schnelle Infektionswelle, die Zahlen könnten explodieren. Eventuell könnte dafür auch ein erkranktes Tier ausreichen, wie beispielsweise der Tiger, der sich im Bronx Zoo in New York vermutlich bei einem Pfleger angesteckt hat.
Insgesamt sieht es also nicht so gut aus für eine baldige Lockerung der Maßnahmen und Einschränkungen des öffentlichen Lebens. Um Menschenleben zu schützen und das Gesundheitssystem vor dem Kollaps zu bewahren ist das nachzuvollziehen. Außerdem zeigt sich gerade auch, dass die neue Prämisse, nämlich, dass die Eindämmung der Pandemie Vorrang hat, einige unlösbare Probleme der Vergangenheit wenn nicht behebt, dann zumindest verbessert.
So hat Saudi-Arabien jetzt eine einseitige Waffenruhe im Jemen-Krieg erklärt. In diesem „vergessenen Krieg“ kämpfen seit ziemlich genau 5 Jahren ein von Saudi-Arabien geführtes Militärbündnis gegen die aus dem Iran unterstützen Huthi-Rebellen. In dieser halben Dekade ist das Land beinahe komplett zerstört worden, unter anderem mit in Deutschland produzierten Waffen und deutscher Militärtechnik. Jetzt, da der jemenitischen Bevölkerung zusätzlich zu den Versehrungen des Krieges, in dem über 12 000 Zivilisten und insgesamt über 91 000 Menschen den Tod gefunden haben, eine Covid-19 Katastrophe bevorsteht, zieht sich also Saudi Arabien zumindest für 2 Wochen aus dem Krieg zurück. Letztlich sind Kriegstreiber in Königshäusern auch nur Menschen, die sich vor dem Virus schützen wollen, indem sie sich auf ihre Palastinseln im Roten Meer zurückziehen und dort keine Ansteckungsgefahren durch militärische Notfallsitzungen haben wollen.
Zeitgleich erleben wir aber, dass die Friedensbewegung in aller Welt nicht untätig bleibt und die digitalen Mittel für die Ostermärsche genutzt hat. Während die Waffen schweigen lohnt es sich, wenn sich die Kriegsgegner zusammensetzen. So können wir zwei politische Parolen mit Leben füllen:
„Stell dir vor es ist Krieg und keiner geht hin“
und
„Eine andere Welt ist möglich“
Ziemlich sicher entsteht diese andere Welt durch Ideen die zwischen Webcams hin und her geschickt werden. Also: weitermachen!

Teil 13 – Schöne Feiertage für alle, außer Held*innen? (Freitag, 10.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 10.04.2020 – 4:17 Min.

Oh wie schön ist doch das Leben als social Distel-Ding. Feiertag, schönes Wetter, Ruhe und Frieden in der Welt, irgendwie kann Mensch sich ja ablenken. Die Parks sind voll, auf Parkbänken darf wieder gelesen werden, die Räder werden ausgefahren, die Restaurants bieten extra zu Karfreitag Fischmenüs zum mitnehmen an und eigentlich ist es ja auch ganz schön, dem Osterstress mit den ganzen Familienbesuchen zu entgehen. Kein Osterstau auf den Autobahnen, Kirchgänge sind selbst an diesem wichtigsten aller Feiertage untersagt und die Schoko-Osterhasen sind eine willkommene Abwechslung zu den zig Tafeln normaler Schokolade die die social Distel-Dinger eh schon in sich reingestopft haben.
Vielleicht ist ja doch alles nicht so schlimm, wenn denn nur die Baumärkte wieder öffnen würden. Der Mensch als Gewohnheitstier kann irgendwann fast mit allem umgehen.
Aber es gibt auch Menschen da draußen, die in dieser, für alle social Distel-Dinger psychisch belastenden, Zeit auch noch durch einen Referenten-Entwurf aus der Bundesregierung weiter belastet zu werden. Genauer gesagt, sind es diejenigen Menschen, die zwischenzeitlich zu Heldinnen erkoren wurden, die nach diesem Schreiben in Zukunft täglich noch länger ihre Heldinnentaten vollbringen sollen. Im Referentenentwurf für eine „Covid-19-Arbeitszeitverordnung“ (AZO), die das Arbeitsministerium in Abstimmung mit dem Gesundheitsministerium erarbeitet hat, liest sich das dann so: (Zitat)
„Zur Bewältigung dieses außergewöhnlichen Notfalls, der bundesweite Auswirkungen hat, können für eine befristete Zeit auch längere Arbeitszeiten, kürzere Ruhezeiten sowie die Beschäftigung von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern an Sonn- und Feiertagen für bestimmte Tätigkeiten notwendig sein“. (Zitat Ende)
Dieser zitierte Entwurf liegt dem Handelsblatt vor und trifft Beschäftigte in der Herstellung und beim Einräumen von Waren des täglichen Bedarfs, Arzneimitteln oder Medizinprodukten. Aber auch Beschäftigte in der Landwirtschaft, in der Energie- und Wasserversorgung, in Apotheken und Sanitätshäuser, bei Geld- und Werttransporten und im Daten- und Netzwerkmanagement sind betroffen. Diese Arbeitnehmer dürften demnach, vorerst bis Ende Juni, auch an Sonn- und Feiertagen beschäftigt werden.
Bedeutet: Während wir uns die Sonne an Sonn- und Feiertagen auf den Bauch scheinen lassen können – natürlich mit ausreichend Abstand zu anderen – sollen diese Menschen täglich bis zu 12 Stunden arbeiten und nur noch ein Anrecht auf täglich 9 Stunden Ruhezeit haben. Eventuell verkürzt wird diese Ruhezeit dann noch durch den Applaus, den wir diesen Heldinnen und Helden von unseren Fenstern und Balkonen aus zukommen lassen.
Aber auch wenn diese „Covid-19 Arbeitszeitverordnung“ nicht kommen sollte, könnten Pflegerinnen und Pfleger im Fall einer Verschärfung der Situation mit 12,5 Stunden-Schichten betraut werden. Möglich machen kann das eine Ausnahmeregelung in § 15 Abs. 2 des Arbeitszeitgesetzes. Nach dieser Regelung wären Arbeitszeiten von bis zu 60 Stunden in der Woche und zwölf Stunden täglich erlaubt, wenn innerhalb von 24 Wochen eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 48 Stunden nicht überschritten wird und mindestens 15 Sonntage im Jahr frei bleiben. Diesen Weg plant das Uniklinikum Essen anscheinend gerade, wenn auch nur für den Notfall.
Für die von diesen Regelungen Betroffenen bedeutet das, dass sie vermutlich erst einmal in einen Burnout rutschen, wenn die Krise endlich vorbei ist.
Die psychische Belastung die dieses Arbeitspensum mit sich bringt, verbunden mit den täglichen Eindrücken der Arbeit mit schwerstkranken oder sogar sterbenden Menschen, stellt sich zumindest dieses social Distel-Ding beinahe unerträglich vor. Wer dann noch einen Schritt weiter denkt und sich daran erinnert, was ein Berufsausfall nach der Krise für die Rente und die finanzielle Situation im allgemeinen für diese, heute als Heldinnen und Helden bezeichneten, Niedrig-Verdiener bedeutet, möchte schreien.
Aber das passt so gar nicht rein in das schöne Wetter und die Osterfeiertage. Wer diese genießen kann, dem wünsche ich eine schöne Zeit. Allen anderen, die für uns weiter arbeiten, möchte ich versprechen, dass wir euch nicht vergessen werden. Wir applaudieren nicht nur, wir werden für eure Rechte kämpfen.
Frohe Ostern

Teil 12 – Von klarer Luft die uns den Mist sehen lässt (Donnerstag, 09.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 09.04.2020 – 4:37 Min.

Balkone und Gärten sind das neue Statussymbol in Zeiten von kollektivem social distancing. Einfach nur die Tür aufmachen und auf dem eigenen Privatgrund einen kleinen Teil der Natur genießen. Ohne Angst haben zu müssen, dass gleich jemand einem zu nahe kommt, oder die Polizei einen vertreibt. Klar benachteiligt sind diejenigen, die jetzt in kleinen Wohnungen ohne Zugang zu einem kleinen Fleckchen Wohnraum ohne vier Wände und Dach verbleiben müssen. So fällt einem nur noch schneller die Decke auf den Kopf. Damit ist dann auch recht schnell klar gemacht, dass das Virus zwar ein großer Gleichmacher ist, weil es alle bedroht und beängstigt, aber Klassenunterschiede gerade auf dem Wohnungsmarkt nur noch verstärkt wahrgenommen werden.
Allerdings bemerken wir auch, dass ein öffentliches Gut, von dem zumindest in der Theorie jeder gleich viel haben sollte, sich gerade wieder erholt: Saubere Luft!
Ganz egal wo die social Distel-Dinger wohnen, die Luft ist sauberer geworden. Selbst an vielbefahrenen Straßen wie dem Mittleren Ring in München, kann Mensch aktuell fast wieder beruhigt die Nase in den Wind halten.
Der Feinstaub ist weniger geworden, Stickstoffdioxid ist weniger geworden, selbst bei der aktuell starken Sonneneinstrahlung wird auch weniger Ozon gebildet. Was das bewirkt ist in vielen deutschen Städten vielleicht nicht so offensichtlich, aber hier lohnt sich ein Blick ins Ausland. Bilder von Neu-Delhi, Los Angeles oder Peking zeigen deutlich, wie sehr die menschliche Betriebsamkeit den Himmel verdunkelt hat. Das hat auch Auswirkungen auf die Weitsicht. In Punjab, einer nördlichen Provinz Indiens, können die dort ansässigen social Distel-Dinger zum ersten Mal seit gut 30 Jahren wieder die ca. 200 Kilometer entfernten Gipfel des Himalaya-Gebirges erblicken.
Während die Bilder einen faszinieren, erinnert Mensch sich vielleicht daran, dass wir vor nicht allzu langer Zeit darüber gesprochen haben, dass die Feinstaubbelastung Menschenleben kostet. Eigentlich hätten die Zahlen über die Schwere der Covid-19 Erkrankungen das Zeug dazu dieser Debatte wieder neuen Schwung zu verleihen. Schließlich haben sich schon einige Wissenschaftler zu Wort gemeldet, die vermehrte Covid-19-Todesfälle in Regionen mit starker Luftverschmutzung festgestellt haben wollen.
Das ist vor allem deswegen interessant, weil in der aktuellen Debatte scheinbar nur Covid-19 Tote zu vermeiden sind. Dass im Jahr 2012 laut der Europäischen Umweltagentur in den 28 EU-Staaten ca. 403 000 Todesfälle auf Feinstaub, 16 000 Todesfälle auf Ozon und 72 000 Todesfälle auf Stickstoffdioxid zurückzuführen waren, war und ist bis heute nicht wirklich als drängendes Problem anerkannt. Die Wirtschaft zu drosseln um diese ca. 491.000? Menschenleben zu retten, erscheint bisher noch eine abenteuerliche Forderung zu sein. Das mag eventuell daran liegen, dass der Tod in Folge von Luftverschmutzung zumeist nicht alle trifft, sondern bevorzugt jene, die sich einen Platz an der frischen Luft nicht leisten können.
Aber wenn wir schon über dicke Luft sprechen, die gibt es trotz des gemeinsamen Kampfes gegen Corona auch wieder in der Politik. Über der Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt haben sich dicke Wolken aufgetürmt, weil der dortige CDU-Vorsitzende und langjährige Innenminister Holger Stahlknecht sein Veto gegen die Aufnahme von Flüchtlingskindern von den Griechischen Inseln eingelegt hat. Er hält die Forderung bei der Lösung der katastrophalen Situation in Moria und auf den anderen griechischen Inseln zu helfen, für absolut unangemessen. Statt die Katastrophe an der europäischen Grenze zu verhindern, sieht er die Aufgabe der Regierung darin „das tägliche Ansteigen der Covid-19-Zahlen zu verlangsamen und unsere Bevölkerung zu schützen.“
Wer gedacht hat, dass die Menschheit im Angesicht einer gemeinsamen Bedrohung solidarisch agiert, wird hier von einem „Christ-Demokraten“ eines besseren belehrt. Aber eigentlich hätte dafür auch ein Blick auf den aktuellen Zustand der europäischen Union gereicht.
Der Himmel wird so klar, dass wir den ganzen Mist deutlich sehen können. Kein Wunder, dass wir davon ausgehen müssen, dass viele social Distel-Dinger als Alkoholiker*innen aus dem social distancing zurückkommen werden. Prost!

Teil 11 – Aggression und Tagebücher (Mittwoch, 08.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 08.04.2020 – 4:30 Min.

Ohje, langsam steigt die Gernevtheit an. Statt die Sonne zu genießen kommt langsam der Koller. Bei diesem social Distel-Ding liegt es stark darin begründet, dass gestern Nacht die Spülmaschine den Geist aufgegeben hat. Dazu kommt dann noch die Realisation, dass in einer Wohnung, in der andauernd Menschen sind, viel mehr Staub anfällt und häufiges Staubsaugen ungefähr genauso dröhnend auf die Nerven geht wie die beständige Frage, wann das alles hier vorbei ist.
Zusätzlich wird die online und telefonische Kommunikation noch dadurch erschwert, dass scheinbar jede und jeder gerade einfach die Schnauze voll hat. Vom Warten, von andauernden Computerproblemen, von der ständigen Abgabe der eigenen Daten um überhaupt an dieser digitalen Welt teilzuhaben, von der Umständlichkeit die selbst einfachste soziale Handlungen mittlerweile mit sich bringen, von Polizisten die einen von Orten verscheuchen, obwohl man dort ganz alleine nur ein Buch lesen wollte. Und nicht zuletzt sind wir genervt von den zahllosen Kommentaren von social Distel-Dingern die die ganze Corona-Panik für aufgebauscht halten oder denjenigen die über nichts anderes mehr sprechen können, als die Zahlen und Entwicklung der Krankheitsfälle und der Krise…
Zwischenzeitlich möchte Mensch das Fenster aufreißen und einfach nur noch den Frust hinausschreien. Oder eben in Emails anderen social Distel-Dingern deren Unfähigkeit um die Ohren hauen.
Aggression liegt in der Luft. Und trotzdem kommt der Frühling, scheint die Sonne, schlagen die Bäume aus, summen die Bienen, zwitschern die Vögel. Was für eine Scheiße! Aber hilft ja nix.
Weitermachen, aufhören zu motzen! Sonst kommt es nach der Corona-Zeit nicht zu ausschweifenden Orgien sondern nur zu unnützen Massenschlägereien. Wenn wir das vermeiden wollen, müssen wir uns irgendwie beruhigen. Und dafür gibt es ja einiges was man machen kann.
Über zwei Stunden lange Yoga-Videos nachmachen, Atemübungen, Einschlafmusik, lange Spaziergänge an der frischen Luft, joggen, Radfahren, Katzen streicheln, Sonnenbaden…
Aber auch wenn wir versuchen müssen diese Aggression nicht unser soziales Miteinander zerstören zu lassen, dürfen wir sie nicht verdrängen.
Dieses social Distel-Ding empfiehlt daher die Variante: Aufgehoben ist nicht aufgeschoben!
Schreibt auf, was euch nervt. Erinnert euch daran, was vorgefallen ist. Ein Tagebuch hilft das alles im Nachhinein nicht zu verklären. Dann erinnern wir uns später daran, wie positiv über die Menschen im Niedriglohnsektor gesprochen wurde und wie hinfällig alle bisherigen Prognosen zum Wirtschaftswachstum waren. Dann können wir die Sprünge in der Argumentation der Populisten nachvollziehen, die gerade feststellen müssen, dass wissenschaftliche Fakten doch nicht einfach verleugnet werden können, nur weil sie sie nicht akzeptieren wollen.
Und wer früher schon ein Tagebuch geführt hat, kann jetzt lustig darin blättern. Nachlesen, dass die Bertelsmann Stiftung noch im vergangenen Juli empfohlen hat die Krankenhäuser von aktuell knapp 1.400 auf deutlich unter 600 Häuser zu reduzieren, da das die die Qualität der Versorgung für Patienten verbessern würde.
Sich daran erinnern, das Andi Scheuer mit dem Geld für Radwege einfach mehr Straßen gebaut hat.
Oder auch daran, dass, man höre und staune, der Focus Ende 2012 aufgedeckt hat, dass Jens Spahn zwischen April 2006 und Mai 2010 an einer Beratungs- und Lobbyagentur namens Politas beteiligt war. Jens Spahn war zu dieser Zeit noch nicht Bundes-Gesundheitsminister, aber als Abgeordneter war seine Doppeltätigkeit schon damals ein Glücksfall für die Klienten der Agentur, die vornehmlich aus der Medizin- und Pharmabranche stammten. Denn als Gesundheitspolitiker arbeite Spahn an Gesetzen mit, die seine Kunden direkt betroffen haben dürften – einen direkteren Zugang zu politischen Entscheidungsträgern konnte man kaum bekommen.
Na, kommt die Aggression wieder hoch? Gut, niederschreiben, merken und vor der Wahl wieder zur Hand nehmen. Und Demonstrationen, bei denen wir alle uns den Frust aus dem Leib schreien können, wird es auch wieder geben. Bis dahin sollte dann jedes social Distel-Ding genügend Gründe angesammelt haben damit die Straßen voll sind und ihre Stimmen unüberhörbar werden.

Teil 10 – Geburtstagskinder der Corona-Zeit (Dienstag, 07.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 07.04.2020 – 3:22 Min.

Social distancing heißt mehr oder weniger jeden Tag am selben Ort zu verbringen, alleine oder mit den immer gleichen Leuten. Das klingt langweilig und ist es auch. Aber es wird gerne vergessen, dass es auch in einer Ausnahmesituation wie der derzeitigen immer wieder Tage gibt, die auch Ausnahmen sind. Beispielsweise Geburtstage.
Zahllose Menschen hätten derzeit Grund zu feiern. Nicht nur Grund, sondern wahrscheinlich auch große Lust richtig die Sau raus zu lassen, mit allem was dazu gehört. Das heißt: Rumgröhlen, Singen, Umarmen,Spaß haben, rummachen, das Leben genießen, fremde Menschen zu Freunden werden lassen, nach Hause torkeln und auf dem Weg noch einen Döner verdrücken. Oh, das einfache Leben, dass uns davor so alltäglich war, scheint ein Traum geworden zu sein.
Aber die aktuelle Situation ist eine andere. Statt im kollektiven Rausch der Feier die Vergänglichkeit des Lebens und das eigene Alter zu vergessen, sitzen die Geburtstagskinder jetzt zuhause und starren zwischen all den Video-Geburtstags-Konferenzen auf den leeren Bildschirm und stellen fest:
Wieder ein Jahr älter. Ein Jahr weiter weg von der Geburt, ein Jahr verlebt, und… Ja, was wird da kommen? Was erwartet die social Distel-Dinger nach dem social distancing? Wird es wirklich die großen Nachhol-Parties geben, die alle jetzt ankündigen? Oder werden es einfach zu viele Geburtstage von zu vielen Menschen sein, die nachgefeiert werden müssten, als dass jede und jeder tatsächlich Zeit haben nachzufeiern?
Das kann heute niemand sagen. Was wir allerdings annehmen können, ist, dass nach dem ganzen social distancing die Distel-Dinger verhungert sein werden nach Körperkontakt. Endlich wieder einander berühren. Die Angst ablegen und spüren, wie ein Mensch sich anfühlt. Wer darüber nur kurz nachdenkt, kommt auf die Idee, dass da hedonistische und Orgien schwangere Zeiten auf uns zukommen könnten.
Die Moral hat uns vor dieser Krise nicht geschützt. Sie wird uns wahrscheinlich danach auch nur in Form einer Arbeitsmoral zum Wiederaufbau gereichen. Was wir dagegen erleben wollen, sollten wir erleben. Denn wenn uns diese letzten Wochen eines gelernt haben, ist es das, was uns auch viele ältere Menschen schon viel früher gesagt haben:
Das Leben geht so schnell vorüber, genieße auch die Augenblicke.
Auch wenn wir den derzeitigen Augenblicken nicht viel abgewinnen können, sollten wir sie genießen, als Ruhephasen, als Möglichkeit sich selbst näher zu kommen und die eigenen Gedanken zu hören. Wer in solch einer Phase auch noch auf dem Papier älter wird, mag sich damit schwer tun. Aber euch, liebe Geburtstagskinder der Corona-Zeit sei gesagt: Dieses Jahr werdet ihr nicht älter! Ihr bleibt so jung wie ihr zuvor wart, zumindest so lange, bis wir euch gebührend aus dem letzten Lebensjahr verabschiedet haben.
Kein Alter ohne Zeugen. Und trotzdem stoßen wir auf euch an. Alles Gute!

Teil 9 – Gewöhnung und #savethem (Montag, 06.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 06.04.2020 – 4:17 Min.

Und wieder starten wir rein in eine Woche voller „social distancing“. Langsam scheinen sich all die social Distel-Dinger auch daran zu gewöhnen. Wir haben ja jetzt auch schon einiges an Erfahrung sammeln können, nach 16 Tagen Ausgangsbeschränkung in Bayern.
Wir haben uns langsam angewöhnt Abstand zu halten, Körperkontakt zu vermeiden, uns nicht mehr in größeren Gruppen zu versammeln, Klopapier als knappes Gut anzuerkennen, von der Polizei immer wieder angesprochen zu werden, den Computer und das Telefon als verbindendes Element mit der Welt da draußen zu sehen, Langeweile zu tolerieren und endlich wieder joggen und Fahrradfahren zu gehen. Das tolle Wetter gibt uns die Möglichkeit Vitamin D zu tanken und der Tierwelt dabei zuzusehen, wie sie die neugewonnene Freiheit auslebt. Enten watscheln über die Straßen, Elstern und Krähen erobern glitzernde Dinge und Menschen schauen ihnen dabei zu, wie sich diese frechen Vögel lautstark zu Gruppen versammeln.
Neid mag in diesem Zusammenhang mitschwimmen. Schließlich durften wir dieses Wochenende auch beobachten, wie die Polizei selbst die kreativsten Versuche politische Meinungsäußerungen in die Öffentlichkeit zu tragen mit dem Hinweis auf das Kontaktverbot bzw. die Ausgangsbeschränkungen behinderte. Am gestrigen Seebrücke-Aktionstag haben sich zahllose Menschen dafür eingesetzt, die katastrophalen Zustände in Moria und auf ganz Lesbos zu beenden.
Wer es noch nicht mitbekommen hat und sich in der Corona-Zeit gerne an Zahlen festhält: Im Flüchtlingslager Moria kommen auf einen Wasserhahn 1300 Menschen, fünf bis sechs Familienmitglieder teilen sich zumeist nur drei Quadratmetern Zelt, 200 Personen teilen sich eine Dusche und eine Toilette, für die 20?000 Lagerinsassen sind drei Ärzte zuständig. Für die geflüchteten und nun in Lager gesperrten Menschen und für die 86?000 Einwohner gibt es im Spital auf Lesbos insgesamt sechs Intensivbetten.
Die Zahlen verdeutlichen, dass dieser Zustand, auch ganz unabhängig von Corona, unmenschlich und unverantwortlich ist. Jetzt, mit der Gefahr einer sich rasend schnell ausbreitenden Krankheit, die nur durch ausreichend Abstand zwischen Menschen, hygienische Maßnahmen und medizinische Notfallversorgung, nicht zu einem Massensterben führt, ist die Aufrechterhaltung dieses Zustands ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Durchgeführt von einem Friedensnobelpreisträger.
Die EU gibt ihre Werte auf. Überlässt EU-Bürger*innen und Menschen auf einer Insel ihrem Schicksal. Das erinnert an Lepra-Inseln. Mit dem einzigen Unterschied, dass diese damals eingerichtet wurden, damit Menschen sich nicht anstecken und somit die Opfer dieser schrecklichen Krankheit in Quarantäne waren. Heute werden Menschen einfach aufgegeben, weil die Politik Angst hat, dass jeder Akt von Menschlichkeit ihr an den Wahlurnen Probleme bereiten wird.
Nachdem aktuell so viel zu tun ist, so viele Informationen zu verarbeiten sind, so viel Schrecken in der Zukunft zu warten droht, scheinen vielen Menschenwürde, Werte, Demokratie und freie Meinungsäußerung Luxus zu sein. Wer möchte in dieser Zeit denn wirklich Risiken eingehen um Dinge zu ändern, zu besprechen. Keiner will Streit provozieren.
Aber genau diesen Streit brauchen wir! Streitbar bleiben für die Rechte aller Menschen ist auch die Aufgabe jedes social Distel-Dings.
Deswegen sollten wir uns bei denjenigen bedanken, die von der Polizei vertrieben wurden, als sie Schuhe aufstellten um mit ihnen eine Demonstration der Geflüchteten darzustellen. Bedanken bei denjenigen, die mit Kreide Fußabdrücke und Forderungen in der Öffentlichkeit hinterlassen haben. Und selber daran denken, dass es zwar nicht wirklich bequem ist, sich mit dem Leid anderer zu beschäftigen, wenn das eigene Leid vordergründig erscheint, aber notwendig, damit wir nach Corona noch eine Gesellschaft haben mit der wir gerne wieder aufbauen, was verloren gegangen ist.
Deshalb: Rettet sie alle! Lasst niemanden zurück! #savethem

Teil 8 – Jogginghosen Lifestyle und Fight the Power – Mit Hip Hop durch Corona-Zeiten (Freitag, 03.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 03.04.2020 – 3:50 Min.

Oh, Wochenende. Die Freude hält sich etwas in Grenzen. Noch ein Wochenende im social distancing. Das heißt: Raus aus der Arbeits-Mulde im Sofa, rein in die Freizeit-Mulde im Sofa. Dann wieder Unterhaltungs-Shows ohne Publikum die einem zeigen, wie sehr auch unser Humor von einer Gruppendynamik beeinflusst wird. Nichtmal die Klamotten ändern sich. Jogginghosen-Lifestyle wohin man blickt. Jetzt wäre eigentlich der Moment für die Rapper Dekzter & DZM gekommen, die genau 11 Jahre vor der Verschärfung der Corona-Situation, nämlich am 15.03.2009, den Song „Jogginghosen-Lifestyle“ auf Youtube hochgeladen haben. Der Refrain klingt vielleicht wie eine Weissagung in der heutigen Zeit: „Ich bin faul und sie auch, weil ich sie das ganze Jahr brauch. Mein Leben gleich Freizeit – yeah Jogginghosen-Lifestyle.“
Was damals noch nach Ablehnung der auf Produktivität und Repräsentation getrimmten Selbstverwirklichungs-Gesellschaft klang, klingt heute wie eine Zustandsbeschreibung. Niemand erwartet von den social Distel-Dingern das sie repräsentativ gekleidet sind. Wir sind schon froh, wenn sie nicht vergessen die Webcam abzuschalten, wenn sie aufs Klo gehen, oder die allgemeine Körperhygiene nicht allzu stark vernachlässigen.
Aktuell ist also die einmalige Situation eingetreten, dass Mensch ein Held sein kann, wenn sie oder er nur daheim auf der Couch sitzt, in Jogginghosen am Laptop ein wenig arbeitet, nicht verrückt wird und nicht nach draußen geht. Wenn der Staat jetzt noch die Asservatenkammern öffnet und jedem social Distel-Ding die beschlagnahmten Cannabis-Vorräte zum Eigengebrauch anbietet, werden wir uns alle wie Hobby-Rapper in tief sitzenden und weiten Jogging-Hosen aufführen wenn die Situation vorbei ist. Wer sich dabei schon auf einem guten Weg fühlt, kann sich ja gleich schon mal an eine weitere Ebene des Hip-Hops wagen: Kritik nach der Devise „Fight the Power“
Denn in unseren Jogginghosen und Sofas dürfen wir uns darauf vorbereiten, dass wir unsere, jetzt zum Schutze aller, hergegebenen Rechte und Möglichkeiten nicht einfach so zurück bekommen werden. In der Zeit nach Corona wird ausgehandelt werden müssen, ob der Schutz von Menschenleben auf Kosten der Wirtschaft zu einem bedauerlichem Fehler deklariert wird, so wie es mit der Willkommenskultur von 2015 kurz darauf gemacht wurde, oder ob wir auch dauerhaft eine humanere Politik wollen. Letztlich setzen wir jetzt das Geld ein, das über Jahrzehnte neoliberalen Wirtschaftens verdient wurde, um alle Menschen, egal ob in Deutschland oder der Welt, vor dem Tod durch die Viruserkrankung Covid-19 zu schützen. Wollen wir also danach wieder ein Polster aufbauen, dass uns in Notfällen den Luxus des konsequenten Handelns erlaubt, oder wollen wir dieses konsequente Handeln um Menschenleben und Menschenwürde zu schützen nicht mehr als Luxus ansehen und uns eher daran ausrichten. Das sind doch mal Fragen für das Wochenende.
Und damit all die social Distel-Dinger auch beschwingt die Seite des Sofas wechseln können, kommt hier noch eine Geschichte aus der nicht so handelnden Politik. Denn während in Europa viele Länder ihre Wirtschaft stark beschneiden um Menschenleben zu schützen, hat Europas letzter Diktator [bevor Viktor Orban seine Herrschaft erweitert hat; nachträgliche Anm. d. A.] eine andere Lösung der Corona-Krise gefunden. Der seit 1994 amtierende Präsident Weißrusslands, Alexander Grigorjewitsch Lukaschenko, hat seinen Bürgerinnen und Bürgern nämlich geraten sich gegen das Corona Virus zu schützen indem sie mehrmals die Woche in die Sauna gehen und Wodka trinken. So kann dann auch das öffentliche Leben mit vollen Fußballstadien und Eishockey-Spielen weiterlaufen.
Wer in Weißrussland in Jogginghosen zu Hause bleibt hat dann auch beides zugleich: Jogginghosen-Lifestyle und „Fight the Power“
Zum Schluss noch die Hymne dieser Zeit:

Jogging Hosen Lifestyle von DEKZTER & DSM

Teil 7 – Trinken und Amazon (Donnerstag, 02.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 02.04.2020 – 3:37 Min.

Aufatmen. Das scheint gerade das Gefühl der Stunde zu sein. All die social Distel-Dinger beschäftigen sich mit dem Ausblick in der nächsten Zeit. Wer möchte Ernte-Helfer*in werden? Bei wem sind schon alles die staatlich Hilfen eingetroffen? Schon die neusten Konzert-Übertragungen online gesehen oder einen virtuellen Museums-Spaziergang gemacht?
Wir gewöhnen uns an die Situation und einige haben auch schon eine neue Einteilung des Tages gefunden. Social Distel-Dinger bleiben zwar so gut wie immer am gleichen Ort, aber anhand der Getränke lässt sich der Alltag einteilen: Es gibt Kaffee- und Alkohol-Stunden. Bei manchen ist dieser Übergang dank Irish-Coffee schon fließend, aber wie die Angelsachsen so schön sagen: Whatever rocks your boat!
Die Zeit der direkten Panik ist vorbei, wir warten ab, was da denn kommen wird. Und irgendwie wird sich das alles schon zum Guten wenden. Nicht zuletzt weil wir jetzt die Zeit haben auszumisten, umzudekorieren und unsere Wohnräume auf den neusten Stand zu bringen. Ein alltäglicher Begleiter dabei ist Amazon geworden. Der Megakonzern, der sich trotz aller Negativ-Schlagzeilen über Steuervermeidungsstrategien und die Behandlung seiner Arbeitnehmerschaft immer noch als das freundliche Lächeln der globalisierten und individualisierten Konsum-Wirtschaft darstellt, ist der vielleicht größte Krisengewinner. Während die Einzelhändler, die schon von der Ausgangsbeschränkung unter dem Druck des Online-Handels ächzten, jetzt ihre Läden geschlossen halten und als Trostpflaster aktuell keine Mietzahlungen tätigen müssen, brummt das Geschäft von Amazon. Nicht nur der Versandhandel und die Händlerplattform, auch die Online-Unterhaltung über Video und Musik sowie die Cloud-Dienste laufen prächtig. Dank Corona scheint der Amazon-Boss und reichste Mann der Welt, Jeff Bezos, immer mächtiger zu werden. Fassen wir zusammen, woraus seine Macht besteht:
Er ist Arbeitgeber von ca. 800.000 Menschen, er ist der reichste Mensch der Welt, er verwaltet die Daten die über die Amazon-Produkte, von der Website bis zu den großen Lauschangriff-Geräten Echo die uns mit unserer eigenen digitalen Butlerin Alexa das Leben vereinfachen sollen, besitzt eine Produktionsfirma für Filme und Serien inklusive eigener Plattform für deren Verbreitung und bekommt auch dort mitgeteilt, was uns interessiert, vertreibt E-books und die Geräte auf denen sie gelesen und gekauft werden, übernimmt unseren Zahlungsverkehr mit Amazon Pay, hat eine große amerikanische Zeitung in der Hinterhand und…
Tja, trotz aller gefühlten Selbstermächtigung über das One-Klick-Buy-Now System und schneller Lieferung, fühlt sich dieses social Distel-Ding nach dieser Aufzählung ziemlich schwach und ausgeliefert. Vor allem wenn es daran denkt, dass Amazon die neu erworbenen Marktanteile nach der Krise sicherlich nicht kampflos wieder hergeben möchte.
Um nicht machtlos gegen diesen Megakonzern zu sein, sollten wir diesen Kampf eingehen. Ein Vorschlag: Wieso nicht die Mehrwertsteuer im direkten Handel senken und online beim Alten belassen? Das wäre natürlich nur ein erster Schritt, der nicht darüber hinwegtäuschen darf, dass die konsequente Besteuerung von Gewinnen auch für mächtige Konzerne gelten muss. Es kann nicht sein, dass der Einzelhandel stirbt und Menschen, die davor von ihrem eigenen kleinen Laden leben konnten, in Zukunft zu einem Mindestlohn als Aufstocker bei Amazon arbeiten müssen. Davon profitiert nur der Börsenkurs von Amazon und damit Jeff Bezos. Die Gesellschaft dagegen leidet. Also Prost, auf den Getränkehändler und den Buchhandel an der Ecke. Ein guter Wein und ein gutes Buch brauchen zwar etwas mehr Zeit, aber die haben wir ja. Da müssen wir nicht gleich wieder was Neues kaufen.

Teil 6 – ein komischer 1. April (Mittwoch, 01.04.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 01.04.2020 – 2:22 Min.

Es ist der erste April, aber irgendwie lacht niemand so richtig. Wahrscheinlich deshalb weil jeder weiß, dass lustig gemeinte Fake-News aktuell zu falschen Entscheidungen führen können.
Aber wenn schon mal solch ein Tag ist, an dem Mensch Dinge nicht zu ernst nehmen muss, müsste es möglich sein, die Dinge mal aus einer anderen Perspektive zu sehen.
Wenn beispielsweise jemand kommen würde, der keinerlei Ahnung hat was hier eigentlich los ist. So jemanden bietet sich ein einfaches Erklärungsmuster an und er oder sie könnte denken:
Alle Menschen in diesem Land haben massiven Stuhlgang und verbrauchen deshalb sehr viel mehr Klopapier. Das führt dann wiederum dazu, dass alle scheinbar sehr stinken und deshalb einander nicht zu nahe kommen wollen. Einige schützen vor diesem Geruch sogar ihre Nasen und Münder mit Masken.
Nachdem die Menschen nicht mehr vom Klo runterkommen, leeren sich die Straßen und die Tiere kommen zurück. Den Tieren im Zoo wird langweilig weil sie keine Menschen mehr beobachten können. Da haben es die Eichhörnchen und Vögel besser, die durch die Badezimmer-Fenster die Menschen beim Klogang beobachten können.
Zugleich scheinen viele Menschen in elektronischen Geräten ihre neuen Götzen gefunden zu haben und sprechen und winken andauernd in irgendwelche Bildschirme.
Wem das zu abstrakt war um wirklich ein Lachen heraus zu bekommen: Einfach mal daran denken, dass aktuell fast alle Welt auf Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hört und sich dann an unsere Wissenschaftsministerin erinnern.
Anja Maria-Antonia Karliczek kam nach Vermutungen einiger Medien zu ihrem Amt, „weil sie eine Frau und katholisch ist – und aus Nordrhein-Westfalen kommt“. Ihre wissenschaftliche Ausbildung zur Diplom-Kauffrau an einer Fernuniversität dürfte dabei eher wenig Ausschlag gegeben haben. Wohl eher, dass sie der Meinung ist, dass jeder wissenschaftliche Fortschritt sich hinter ein christliches Weltbild einreihen muss. Vielleicht ruft ja der Papst bei ihr an und erinnert sie daran, dass der Vatikan schon seit längerer Zeit keine Wissenschaftler*innen als Ketzer mehr verfolgt und aktuell die Wissenschaft wirklich gefordert ist. Wir beten für sie. Denn wenn der Virus doch noch weiter um sich greift, dann sind irgendwann die hinteren Kabinettsmitglieder in der Kanzlerrolle gefragt. Zum Beispiel Anja Karliczek oder, Gott behüte, Andi Scheuer.
Leider kein April, April.

Teil 5 – eine neue soziale Zeit (Dienstag, 31.03.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 31.03.2020 – 3:33

Langsam gewöhnen wir uns daran social Distel-Dinger zu sein. Letztlich ist der Mensch ein anpassungsfähiges Wesen und als solches hat er jeden Fleck der Erde bevölkert. Wüsten, Regenwälder, Inseln, Berge, Eisflächen… Überall sind Menschen zu finden. Es gibt allerdings ein Problem: Der Mensch ist und bleibt ein soziales Wesen. Ganz egal wie asozial sich Einzelne manchmal verhalten. Menschen brauchen den Kontakt zu anderen Menschen, brauchen einander um zu überleben, brauchen Nähe und Austausch. Und das stellt uns gerade vor Probleme. Die zeigten sich schon in der Frühphase der Corona-Gefahr. Erinnern wir uns nur daran wie schwer es uns gefallen ist auf das Händeschütteln zu verzichten. Von Prinz Charles kursiert ein Video aus dieser Zeit, das zeigt wie er sich immer wieder kurz bevor er eine Hand schütteln wollte daran erinnerte, das er das unterlassen sollte und dann zu einem indischen Namasté-Gruß ausweicht. Als Teil des britischen Königshauses hat er ja einige Erfahrung mit indischen Gebräuchen gesammelt. Allerdings scheint es mittlerweile so, als wäre diese geistige Umschaltung von ur-britische auf koloniale Gewohnheit mindestens einmal zu spät gekommen. Auch Prinz Charles ist an Covid-19 erkrankt.
Natürlich können wir nicht wissen ob die Erkrankung direkt auf ein Händeschütteln zurückzuführen ist, aber irgendeine social distancing Regelung wird auch in diesem royalen Fall nicht eingehalten worden sein. Es könnte also auch daran liegen, dass er sich einmal zu oft ins Gesicht gefasst hat, oder er hat nicht auf genügend Abstand in der Öffentlichkeit zu anderen Menschen geachtet. Ist ja auch schwer.
Denken wir nur an das Einkaufen im Supermarkt. An der Kasse sind zwar die Abstandsmarkierungen angebracht, aber wer achtet tatsächlich darauf eben nicht mal schnell durch eine Lücke zwischen den Regalen und den Einkaufswägen zu schlüpfen? Oder draußen vor der Tür in möglichst großer Entfernung aneinander vorbei zu gehen?
Das fühlt sich komisch an. Komisch, weil wir den anderen nicht das Gefühl geben wollen aussätzig zu sein und uns selbst nicht wie Aussätzige fühlen wollen. So sehr uns andere Menschen im Alltag auch nerven, sind sie doch unser Spiegel, unsere Bestätigung der Realität, der Normalität. Aber das wird immer schwerer. Nicht zuletzt wegen diesen Masken. Ein maskiertes Gesicht ist für uns unglaublich schwer zu lesen. Die blaffenden Geräusche, die darunter herauskommen schwer einzuordnen. Hustet mein Gegenüber gerade, lacht sie oder er, oder werde ich gerade beschimpft?
Nicht so schlimm möchte man meinen, aber was bedeutet das für mein eigenes Verhalten, wenn ich nicht mehr sehe, wie andere Menschen auf mich reagieren. Zur allgemeinen Verunsicherung, die sich bisher aus gesundheitlicher und finanzieller zusammensetzt, kommt auch noch die soziale Verunsicherung hinzu. Wer bin ich und wie finden mich die anderen?
Die Antwort darauf ist recht einfach: Ich bin ein social Distel-Ding, genauso wie alle anderen auch. Und die anderen social Distel-Dinger finden mich gar nicht, weil sie zumeist extrem mit sich selbst und ihren eigenen Problemen und Ängsten beschäftigt sind.
Aber wir kommen da schon noch rein. Letztlich ist der Mensch ein anpassungsfähiges Wesen. Wir werden einen Gruß finden, der uns der Gemeinsamkeit versichert, werden lernen Gesichter auch mit Masken zu lesen und werden uns weiterentwickeln, damit diese generelle Unsicherheit nicht immer das Erste ist, was in unserem Kopf herumschwirrt. Und ganz nebenbei, kommen wir dann irgendwann aus dieser Krise wieder heraus. Hoffentlich gesund und munter.

Teil 4 – Frust mit der Technik (Montag, 30.03.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 30.03.2020 – 4:02 Min.

Und wieder beginnt eine Woche im social distancing. Nach einem ganzen Wochenende ohne direkten Kontakt zu Freunden und Familie. Aber social Distel-Dinger wissen sich ja mit aktueller Technik zu behelfen. Skype, Zoom, Microsoft Teams, Jitsy, Facetime, Messenger Dienste… alles theoretisch tolle Möglichkeiten im Kontakt zu bleiben. Und jede und jeder hat einen persönlichen Favoriten. Bedeutet: Bevor Mensch das andere social Distel-Ding zu Gesicht bekommt, vergeht meist schon eine halbe Stunde in der sich geeinigt wird, noch jemand einen anderen Vorschlag hat und grundsätzlich über die Vor- und Nachteile der jeweilig verwendeten Anwendung diskutiert wird. Wenn dann endlich die Verbindung steht, sitzt man sich gegenüber und versucht miteinander zu sprechen. Nicht sonderlich einfach, da ständige Störungen das Bild einfrieren lassen und das Gespräch verzerrt wiedergeben. In Verbindung mit der Verzögerung durch die lange Leitung kommt es einem letztlich so vor, als wäre die andere Person seit dem letzten Real-Kontakt komplett verdummt. Dieser fragende Gesichtsausdruck während das Gegenüber versucht dem Gespräch zu folgen und dann irgendwie vernuschelt antwortet. Oh, wie schön war das damals, als klar war, dass entweder die mangelhaft entwickelten kognitiven Fähigkeiten oder die Unaufmerksamkeit des Gegenübers die Kommunikation unmöglich machten. Ein kurzer Körperkontakt konnte zumindest letzteres meist beheben.
Heute ist es die Technik die uns hilft aber auch frustriert. Sie erlaubt uns, trotz aller Frustration, einen Blick in die Wohnzimmer der anderen social Distel-Dinger zu werfen. Ein Blick in ihre Gesichter zeigt uns dann auch, dass es eben nicht nur die Technik ist, die uns frustriert. Die ganze Situation ist frustrierend. Frustrierend dynamisch. Dynamisch, dieses Wort erlebt ein neues Verwendungshoch. Mit „dynamisch“ versuchen Politiker und Verantwortungsträger die Situation zu beschreiben, weil sie die Worte: unübersichtlich, unberechenbar, unvorhersehbar, in rasanter Entwicklung… vermeiden möchten.
Und diese dynamische Situation erleben wir social Distel-Dinger auch selbst. Im einen Moment möchte man sich noch streiten. Über was auch immer. Irgendeine Kleinigkeit wie eine falsch eingeräumte Spülmaschine oder andere als grundsätzlich anzunehmende Unfähigkeiten oder gar Ungerechtigkeiten des mit eingesperrten Social Distel-Dings bringen die ganze Frustration an die Oberfläche. Wie soll es gehen mit diesem zu unfähig die Spülmaschine richtig einzuräumenden social Distel-Ding auch nur noch eine Stunde das Dach über dem Kopf zu teilen, fragt Mensch sich in dieser Situation dann vermutlich. Doch dann hustet das Gegenüber zweimal, und zwar trocken. Plötzlich ist die Spülmaschinen-Situation irgendwie nicht mehr wichtig. Vergessen ist der Ärger und die Frustration. Es bleibt nur die Sorge. Nicht einmal Streit ist mehr zu planen. Alles ist in der Schwebe. Alles ist dynamisch.
Allerdings erinnern solche Situationen auch daran, warum Menschen jetzt zu social Distel-Dingern werden und ihre Stacheln weiter ausbreiten um die anderen auf zwei Metern Abstand zu halten.
Es ist anstrengend und frustrierend, aber es ist notwendig. Denn wenn wir uns alle daran halten, können wir bald unsere Freundschaften wieder so pflegen, dass wir wissen ob unser Gegenüber einfach ein bisschen schwer von Begriff oder nur abgelenkt ist. Dann haben wir wieder die Kapazitäten nach Lust und Laune Spülmaschinen-Einräum-Regelungen aufstellen und ihre Einhaltung einzufordern. Und Sorgen wird uns vermutlich die ersten Tage nur die Frage machen, ob wir wirklich den Herd ausgestellt haben.
Also dann los: Auf eine weitere Woche social distancing, ihr social Distel-Dinger! In Bayern jetzt bis mindestens zum 19. April.

Teil 3 – Lernt den Wert von Care-Work kennen (Freitag, 27.03.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 27.03.2020 – 4:16 Min.

Und weiter geht‘s mit social distancing. Plötzlich stellen wir wieder fest, dass on demand nicht besser ist als lineares Radio oder Fernsehen. Netflix, Mediatheken und Podcasts liefern eine riesige Auswahl an Unterhaltung, aber das live-Programm erlebt wieder einen Aufschwung. Denn irgendwie wollen die social Distel-Dinger ja doch noch Menschen hören und sehen, die die gleiche Realität durchleben wie sie selbst gerade. Oder, härter formuliert, von denen sie sicher sein können, dass sie noch leben.
Besonders nachdem heute die Nachricht rumgeht, dass der erste Prominente an Covid-19 verstorben ist. Mark Blum, wie der 69 Jahre alt gewordene Schauspieler heißt, war kein ganz großes Licht in Hollywood sondern eher ein Off-Broadway Schauspieler. Sein Gesicht könnten die meisten dennoch von seinen Nebenrollen wiedererkennen.
Gerade die Fälle von verstorbenen Prominenten zeigen, warum auf diese Krise so viel stärker reagiert wird als auf die Grippe. Es ist eben nicht nur die Verbreitung und die schwere des Verlaufs. Es liegt auch darin begründet, dass Mensch sich nicht schützen kann, egal wie sehr er oder sie möchte. Es gibt noch keine Impfung. Jede und jeder kann an Covid-19 erkranken und potentiell sterben. Ganz egal wie viel Geld oder Macht oder Ansehen man hat. Das erleben auch Boris Johnson und Friedrich Merz. Und wer, wie dieses social Distel-Ding, schon mal kurzzeitig gedacht hat, dass sie oder er selbst an dem Virus erkrankt ist, verkneift sich bei dieser Nachricht auch jegliche Schadenfreude. So sehr Mensch die politischen Äußerungen und Handlungen dieser beiden Machtpolitiker auch verachten mag, in der aktuellen Situation sind sie auf sich selbst zurückgeworfen und mit ihren Ängsten konfrontiert. Einfache Männer im Angesicht einer tödlichen Gefahr. Arme Würstchen.
Wobei, ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht. Schließlich merkt man hier, dass das Virus zwar keinen Unterschied macht, aber das Gesundheitssystem schon. Denn während Boris Johnson und Friedrich Merz wahrscheinlich nicht um einen Test betteln mussten, gibt es überall Menschen die Symptome zeigen und in Telefon-Warteschlangen hängen. Alleinerziehende Mütter die hustend und mit Fieber am Telefon hängen und zugleich Kinder betreuen und beaufsichtigen müssen.
So viel wie gerade über die Überlastung des Gesundheitssystems gesprochen wird, sollte diese Leistung und Überlastung nicht vergessen werden.
Diese Art der Arbeit nennt man neu-deutsch Care-Work. Sich kümmern, pflegen, aufräumen, alles machen was anfällt, damit sich die Probleme zuhause nicht aufstauen. Natürlich unbezahlt. Damit weiter Geld verdient werden kann. Und auch wenn gerade wieder viele social Distel-Dinger die Freude am Putzen wiederfinden, ist diese unbezahlte Arbeit kein Hobby, das aufgenommen und wieder fallen gelassen werden kann. Es ist eine elementare Aufgabe um die Gesellschaft und die Wirtschaft am Laufen zu halten. Und mit dieser Aufgabe sind gerade unzählige allein. Die Großeltern dürfen die Enkel nicht mehr nehmen, die Kitas und die Schulen haben zu, und eventuell gibt es auch noch einen Arbeitgeber, der Urlaubstage abzieht, weil mit Kindern kein produktives Arbeiten im Homeoffice möglich ist.
Natürlich wird gerade sehr viel nach Solidarität gerufen, vom Klatschen und vom Singen gesprochen, aber das hier soll kein Aufruf dafür werden. Viel mehr bitte ich alle social Distel-Dinger, die gerade wieder das Putzen und die Kindererziehung, das sich Kümmern und das für einander da sein, das Wäschewaschen und die Körperhygiene der Kinder wiederentdecken, sich zu überlegen wie viel Arbeit das ist und was sie der Gesellschaft wert sein sollte. Jetzt haben alle social Distel-Dinger die Möglichkeit es mal selbst zu erleben. Bemesst es und gebt dieser Arbeit einen Preis. Diesen sollte die Gesellschaft in Zukunft aufbringen können, damit diese Leistungsträger nicht mehr in Altersarmut und prekärer Beschäftigung landen. Es bleibt ein Dank an alle Eltern, an alle Alleinerziehenden, an alle Pflegekräfte und das medizinische Fachpersonal, an alle unbesungenen Heldinnen und Helden dieser Zeit!

Teil 2 – Zeit für Utopien (Donnerstag, 26.03.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 26.03.2020 – 3:18 Min.

Und weiter geht‘s mit social distancing. Abgeschnitten von der Außenwelt und dennoch immer im Kontakt bis in die hintersten Ecken des Erdballs. Jede Ablenkung scheint zwecklos. Auch wenn wir, die social Distel-Dinger, nicht die aktuellen Nachrichten schauen, nicht wissen wollen wie sich die aktuellen Zahlen entwickeln, nagt es weiter.
Es nagen die Fragen am Weltbild: Was wird aus mir, wenn das hier endlich vorbei ist? Was wird aus mir, wenn Menschen die mir nah sind, sterben sollten? Was wird aus mir, wenn ich meine Miete nicht mehr zahlen kann? Was wird aus mir, was wird aus dir, was wird, wenn die Zukunft plötzlich keinen Fortschritt mehr bringt? Wenn in der Zukunft nicht mehr alles besser wird? Soll ich mich diesen Fragen wirklich stellen?
All diese Fragen versuchen wir zu überlagern. Entweder mit anderen Fragen, nach der Rechtmäßigkeit der Maßnahmen, nach der tatsächlichen Gefahr, nach…?
Oder mit Alkohol und Ablenkung, ständigen Kontakt zu und Kontrolle der anderen, Streit und Versöhnung.
Und doch, wir social Distel-Dinger stehen morgens auf und wissen was Sache ist. Oder besser gesagt was alles in Frage gestellt wird.
Es bleibt uns eigentlich nur noch eins: Das was wir direkt beeinflussen können gut zu machen. Und das machen viele Leute wirklich gut.
Social Distel-Dinger können vieles beeinflussen: Wie es ihren Nachbarinnen und Nachbarn ergeht, die das Haus nicht verlassen dürfen. Wie es den Menschen geht, die alleine sind und die an dieser Einsamkeit und der Angst zu zerbrechen drohen.
Wir können mit einem Lächeln und netten Worten, den Kassiererinnen und Kassierern im Supermarkt ihren Job nicht allzu unerträglich machen. Wir können mit Applaus und Gesang den Häuserblock mit Hoffnung und Verbundenheit mit den Pflegekräften und Ärzten füllen. Wir können mit Verständnis und Aufmerksamkeit die psychische Gesundheit der anderen bewahren und darauf hoffen, dass es uns genauso zurück gegeben wird. Wir können in den sozialen Medien und in unserem direkten Umfeld die Solidarität mit anderen Menschen hochhalten. Wir können lautstark Europa auffordern, die unmenschliche und katastrophale Situation in den Flüchtlings-Lagern an der europäischen Grenze zu beenden….
Wir können uns weiterbilden und daran arbeiten uns eine Welt vorzustellen, wie sie uns gefällt. Wenn es jemals eine Zeit gab, sich Utopien auszudenken, dann jetzt.
Denn jetzt ist die Zeit, in der alle Ziele auf den Kopf gestellt werden. Jetzt ist die Zeit in der das vorherrschende Ziel der Politik sich wandelt und noch weiter wandeln kann. Jetzt gilt nicht mehr Vollbeschäftigung als alles überlagerndes Ziel. Jetzt ist es die körperliche Unversehrtheit der Bevölkerung. Von hier aus ist es nur noch ein großer kleiner Schritt hin zu einer Politik, die den Schutz der Menschenwürde als ihre Aufgabe ansieht.
Social Distel-Dinger sind mehr als ein Produkt ihrer Situation. Sie bilden mit ihren heutigen Gedanken in Zukunft den Zeitgeist. Wenn das kein Grund ist den Kopf nicht in den Sand zu stecken.

Teil 1 – Willkommen im größten sozialen Experiment der Menschheitsgeschichte (Mittwoch, 25.03.2020)

Kommentar von Fabian Ekstedt – 25.03.2020 – 3:45 Min.

Willkommen im größten sozialen Experiment der Welt.
Das sollte eigentlich die erste Schlagzeile sein, die einem gleich beim Aufstehen in‘s Gesicht schlägt. Denn wenn wir die ganzen anderen Schlagzeilen lesen, von Corona Toten und Wirtschaftsabschwung, und schmachtend aus dem Fenster in die „Freiheit“ blicken, sind wir nicht alleine. Wenn wir Angst haben, um uns und unsere Lieben, um unsere Jobs und unsere Pläne, sind wir nicht alleine. Auch wenn wir früher aufstehen um endlich wieder Klopapier kaufen zu können, wenn wir Nachts so lange den Fernseher laufen lassen, bis er sich selbst abschalten will, wenn wir uns mit unseren Mitgefangenen streiten, wenn wir unter dem Druck und der Angst zusammenbrechen und uns mehr schlecht als recht wieder aufrappeln: Wir sind damit nicht alleine.
Aktuell befinden sich auf dieser Welt Millionen, nein, sogar Milliarden Menschen in einer nachfühlbaren Situation. In Indien sind 1.3 Milliarden Menschen unter Ausgangssperre gestellt. In Europa sind alle Menschen dazu aufgerufen zu Hause zu bleiben, in vielen Staaten droht sogar die scharfe Klinge des Infektionsschutz-Gesetzes. In den USA werden in den nächsten Tagen vermutlich immer mehr Staaten dem Beispiel von Kalifornien und New York folgen und ihre Bürger unter Ausgangssperre setzen.
Wahrscheinlich ist es besser die Kontinente zu benennen: Afrika, Amerika, Asien, Europa, Ozeanien. Bis auf in der Antarktis ist das Virus auf allen Kontinenten der Treiber der Zeit. Es sind nicht mehr die Pläne der Menschen, die den Zeitgeist leiten, es ist diese unsichtbare Gefahr und unser Umgang mit ihr bzw. unsere Reaktion auf sie.
Das gilt sowohl auf die Menschheit bezogen als auch auf jede und jeden Einzelnen. Wer sich wie der Sprecher dieser Worte schon über 10 Tage im sogenannten „Social-Distancing“ befindet, also den Kontakt zur Außenwelt nur noch über Fernsprecheinrichtungen und Computer pflegt, weiß vermutlich was gemeint ist. Diese Tage, die man glücklich und zufrieden verbringt, die dann gefolgt werden von Tagen der Angst, der Wut, wieder hin zu einer Ermattung nur um sich dann wieder aufzurappeln. Dann kommt dieser Moment, in dem Mensch früher oder später realisiert: Auch wenn ich wieder raus darf, es ist nichts mehr wie zuvor. Die Pläne die vor der Krise als gesichert durchführbar galten, gehören jetzt bzw. wenn das alles vorbei ist, auf den Prüfstand. Und daran kann in der aktuellen Situation nichts, aber auch gar nichts geändert werden.
Und so befindet sich gerade jede und jeder immer wieder auf einer anderen Stufe der Realisation, Verdrängung oder Sublimierung der aktuellen Lage.
Wir sind zum „social distancing“ verdammt und nehmen seine Form an. Alle werden wir zu einem Social Distel-Ding… Mit Stacheln wie eine Distel, die Menschen verletzt, Distanz sucht und nicht berührt werden möchte.
Wenn wir verstehen, dass uns allen gerade die Decke auf den Kopf fällt, unsere Ängste überhand nehmen, wir auf uns selbst zurückgeworfen sind und den Ausweg aus unserer Situation nicht kennen, dann können wir vielleicht über die Marotten der anderen hinwegsehen. Wir können darüber sprechen, wie es uns geht und unser flaumiges Distelherz offenbaren. Letztlich müssen wir es noch länger aushalten. Wir und all die anderen Social Distel-Dinger in diesem größten sozialen Experiment der Menschheitsgeschichte.

2 Kommentare

  1. Was eigentlich wirklich zu wünschen wäre: Die Politiker der demokratischen Parteien in Deutschland setzen sich für den Datenschutz ein und zwar auch bei facebook oder instagram, bei Microsoft und Vodafone! Früher gab es für’s Telefon ein Fernsprechgeheimnis, jetzt bräuchten wir etwas ähnliches für’s Internet und Handy! Ich weiß, die Firmen sitzen im Ausland, seien ja so schwer zu belangen? Beim Löschen von Hass- und Kinderpornografie-Seiten und -Artikeln hat man doch auch wenigstens einen Anfang gemacht! Da handelte es sich doch auch um ausländische Server! Aber noch schlimmer, die Regierung will sich heimlich gesicherte Daten von facebook, twitter, internet, … selber zunutze machen! Bzw. hat es längst getan!
    Nun, ich will mir eine wichtige App auf’s Handy laden? Das funktioniert nur, wenn ich die Haken unter Zugriff auf mein Adressbuch, meine eigenen Daten usw. für die Firma, die diese App unterhält, setze! Sonst komme ich an meine Emails von T-Online, die Filmchen von YouTube, das Programm um eine Worddatei auf dem Smartphone nur anzuschauen, daran komme ich ohne diese unangenehmen Häkchen sonst nicht ran!!!!!!!

    • Die von Ihnen beschriebene Machtlosigkeit in der digitalen Welt, in der einem auch die Politik nicht mehr hilft, kenne ich gut. Tatsächlich ist es aber schön zu sehen, dass es eine digitale Zivilgesellschaft gibt, die tolle Arbeit leistet. Der CCC (Chaos Computer Club) der Verein Digitalcourage, die Journalisten von Netzpolitik.org, die ganzen FabLabs, Maker-Fairs und Zusammenschlüsse sind konstant daran sich für unsere Rechte einzusetzen und neue Möglichkeiten zu eröffnen. Sie brauchen Unterstützung, finanziell und personell. Aber auch Öffentlichkeit (wie sie LORA versucht zu generieren. Mit Ihrer Hilfe vielleicht noch besser).
      Wir müssen einfach dran bleiben und nicht nur alles abnicken und wegklicken.
      Liebe Grüße,
      das social Distel-Ding (Fabian Ekstedt)

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