Zweiter Tag im Prozess gegen einen Aktivisten vom Bündnis gegen die Nato-Sicherheitskonferenz

Das Münchner Gericht hat sehr viel zu tun:
Montag, 13. September 2010
10:00 Uhr
Prozess gegen einen Antifaschisten wegen des Vorwurfs einer „Beleidigung“ gegen einen Nazi
(Gegen den Angeklagten wurde in zweiter Runde verhandelt. Er wurde im Dezember 2009 anlässlich einer Protestaktion gegen einen Infotisch der NPD-nahen  „Bürgerinitiative Ausländerstopp“ durch den Nazi Philipp Hasselbach wegen angeblicher Beleidigung angezeigt. Hasselbach selbst befindet sich momentan in Haft, weil er seiner damaligen Freundin mit einer Bierflasche auf den Kopf geschlagen hat.)
11:30 Uhr
Prozess gegen einen anderen Antifaschisten wegen des Vorwurfs einer angeblichen Aktion gegen einen anderen Nazi  beim Naziaufmarsch am 14. November 2009
(Dieses Verfahren richtet sich gegen einen Antifaschisten, der am 14. November 2009 bei den Protesten gegen den NS- und kriegsverherrlichenden „Heldengedenkmarsch“ festgenommen wurde, den die Nazigruppierung „Freien Nationalisten München“ gemeinsam mit der NPD veranstaltet hatte. Die Anzeige geht auf die Aussage des Nazikaders Roland Wuttke, des stellvertretender Landesvorsitzenden der bayerischen NPD, zurück.)
12:00 Uhr
Prozess gegen Eberl wegen vier Vorwürfen
ep_2Der Prozess gegen Eberl hatte am Donnerstag, den 26. August 2010 begonnen.
Am Montag, den 13. September 2010 sollte es um den sogenannten „Ischinger-Komplex“ gehen. Einer der vier Anklagepunkte lautete: „Protest gegen einen Auftritt des Organisators der NATO-Sicherheitskonferenz Wolfgang Ischinger im EineWeltHaus. Vorwurf: Körperverletzung an Ischinger sowie Verstoß gegen das Versammlungsgesetz durch Störung einer Versammlung.“
Der Zeuge Wolfgang Ischinger wird von der Richterin befragt. W. Ischinger ist Diplomat, Jurist und der Chef der Nato-Sicherheitskonferenz. Er wird gefragt, ob er sich „konkret an den Angeklagten erinnern könne“. Ischingers Antwort: „Ich denke, ja.“. Der Rechtsanwalt fragt, was das genau bedeute. Ischinger: „Das heißt, ja.“. Ischinger spricht über den Abend im EineWeltHaus. Aus der Menschenkette, die versucht hatte, ihm den Zugang zum Haus zu verwehren, hätte ihm jemand einen Schlag versetzt. Es war sicher „nichts Schlimmes“, aber es wäre nicht in Ordnung gewesen. Ja, er hätte sich bedroht gefühlt. Es wäre ein „entsetzliches Getümmel“ gewesen. Er könne nicht „mit allerletzter Sicherheit“ sagen, dass der Angreifer „dieser hier sitzende Herr“ wäre, aber er hält es „für relativ wahrscheinlich“.
Die Richterin verhält sich – gerade im Gegensatz zur Befragung der beiden Zeuginnen der Verteidigung am 26. August 2010 – extremst moderat.
Wolfgang Ischinger spricht über seine „nackte Erinnerung“ an diesen Tag. Der Rechtsanwalt fragt, ob Ischinger an diesem Abend mit jemandem darüber gesprochen hätte, dass er geschlagen worden wäre. (Eine Journalistin der Süddeutschen Zeitung hatte an diesem Abend ein Interview mit W. Ischinger geführt. In diesem Gespräch hatte er keinen Schlag erwähnt.) Ischinger bringt die Richterin zum Lachen. Er hatte gesagt, dass in Zeitungsberichten nicht „die objektive Wahrheit“ stände. Er hätte der SZ-Journalistin nichts darüber gesagt, weil es ihm „peinlich“ gewesen wäre. Die Süddeutsche Zeitung hätte besser über die Nato als solche schreiben sollen und nicht über diesen „unsinnigen Vorfall“. Die veranstaltende Gruppe – Attac – wäre sich in der Einschätzung der Situation sichtlich uneins gewesen. Für die „sehr kritischen Anführer der Gruppe Attac“ wäre das natürlich nichts, die Polizei zu rufen. Das passe nicht zu ihrer „politischen Grundpositionierung“.
Wolfgang Ischinger kann Eberl nicht eindeutig identifizieren. Der Zeuge Ischinger kann gehen und macht keinen Anspruch auf Fahrtkosten und Verdienstausfall geltend.
Danach ziehen sich Richterin, Rechtsanwalt und Staatsanwältin zur Besprechung zurück. Nachdem sie wieder da sind, wird bekannt gegeben, dass dieser Anklagepunkt eingestellt, „vorläufig eingestellt“ wird.
Der zweite Anklagepunkt dieses Tages: „Anti-Lager-Aktionstage des Netzwerks „Deutschland Lagerland“. Vorwurf: Beamtenbeleidigung, da er einem Polizisten wegen der Festnahme eines Flüchtlings aufgrund von Verstoß gegen die „Residenzpflicht“-Landkreisbeschränkung die Durchführung von „rassistischen Maßnahmen“ vorgehalten haben soll.“
Der Polizist, der damals den syrischen Mann beim Verstoß gegen seine „räumliche Beschränkung“ (Verletzung der Residenzpflicht) kontrolliert hatte, wird nach seiner Erinnerung an diesen Tag befragt. Der Polizist teilt als Allererstes mit, dass er nicht wisse, worum es hier heute ginge. Nachdem er weiß, worum er geht, kann er nicht viel sagen. Er kann sich einfach nicht mehr erinnern. Der Polizist erzählt, dass sie oft ausländisch aussehende Menschen „verdachtsunabhängig“ an gefährlichen Orten im Stadtgebiet kontrollieren. Doch noch häufiger werde die Punkszene kontrolliert.
Der letzte Anklagepunkt dieses Tages „Protest gegen das öffentliche Rekrutengelöbnis der Bundeswehr am Marienplatz. Vorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bei der Festnahme“: Ein Video vom Gelöbnis am Marienplatz im Jahr 2009 wird gezeigt. Die Staatsanwältin kommentiert: Es wäre zu sehen, dass sich Eberl bei der Festnahme „mit den Füßen gegen die Laufrichtung gestemmt habe“. Es wäre jedoch „kein Widerstand im oberen Bereich“.
Das Publikum darf das Video nicht sehen. Der Rechtsanwalt beantragt, dass der Film auch den ZuhörerInnen gezeigt wird. Auf das Klatschen im Saal reagiert die Richterin mit „Einen Applaus dahinten gibt es nicht.“ Die Staatsanwältin will prüfen, ob es „ein Recht der Öffentlichkeit“ gibt, das Polizeivideo zu sehen.
Nach 105 Minuten ist der zweite Prozesstag gegen Eberl vorbei. Am 22. September 2010 geht es weiter.
Der Prozess von 10 Uhr endete mit einem Freispruch für den Angeklagten, der Prozess von 11.30 Uhr wurde vertagt.