„Araber rebellieren ohne Lizenz durch den Westen…“

Veranstaltung mit dem Gegenstandpunkt Verlag München am

Donnerstag, den 24. März 2011   –  19.30 Uhr
in der Max Emanuel Brauerei
Adalbertstrasse / Nähe der Basis Buchhandlung

Eintritt frei

Araber rebellieren ohne Lizenz durch den Westen –
der beauftragt sie mit der Wahrung seiner Interessen:

Tunesien, Ägypten, Libyen: Immer nur „Demokratie gegen Diktatur“?

In Nordafrika und auf der Arabischen Halbinsel entlädt sich verbreiteter Volkszorn über elende Lebensbedingungen und eine brutale Staatsgewalt gegen die obersten Machthaber. Zwar richtet sich der Aufruhr gegen ganz unterschiedliche Herrschaften und fällt ganz verschieden aus. Aber hierzulande steht fest: In allen Fällen sind Diktatoren an der Macht, denen es nur um die geht; die müssen weg.

Der Aufstand in Libyen erfreut sich von Anfang an westlicher Sympathien, genießt doch der libysche Staatschef im Westen ohnehin den Ruf eines wahlweise terroristischen oder einfach nur verrückten Alleinherrschers, der mit seiner innerer und äußerer Politik sowie seiner diplomatischen Attitüde immer schon und noch immer ein unberechenbarer Störenfried „unserer“ Ordnung ist. Der muss jetzt endgültig beseitigt werden, da ist man sich schnell einig. Im Falle Tunesiens und Ägyptens brauchen europäische und amerikanische Politik und Öffentlichkeit dagegen ein paar Tage, bis sie ihre Parteilichkeit sortiert haben, weil diese beiden Länder „uns“ bisher als zuverlässige Verbündete, „Anker der Stabilität“ in einer „unruhigen“ Region, gegolten haben. Aber schließlich wird auch Tunesiern und Ägyptern zu ihrem Aufstand gratuliert, und sie werden aus den Hauptstädten des Freien Westens mit den besten Wünschen für den Aufbau von Freiheit & Demokratie versehen.

In keinem der drei Fälle ist die Verlogenheit des neu erwachten Mitgefühls für verelendete und unterdrückte Araber zu übersehen – genauso wenig wie der Auftragscharakter der humanistischen Grußbotschaften.

Denn erstens sind die von den arabischen Massen für unaushaltbar erklärten Zustände keineswegs neu oder unbekannt. In Tunesien und Ägypten sind sie ja nichts anderes als das Produkt der entschiedenen Westeinbindung dieser Nationen, die damit geschäftlich und machtmäßig vorankommen wollen. Deren Führer haben ihre Völker auf Lebensumstände verpflichtet, die im wahrsten Sinne des Wortes Abfallprodukt der Nützlichkeit der beiden Nationen für ihre westlichen Patronatsmächte waren und sind: Sei es der Export von Öl, Gas, Oliven oder T-Shirts, seien es Lakaiendienste für westliche Tauchtouristen, die Sicherung des Suezkanals oder ähnliches: Was „uns“ der Zugriff auf diese Dienste an Geld wert war, davon haben diese Nationen ihre Ökonomien und die Führungen ihre Gewaltapparate bestritten; daran haben im Land Wenige viel und die Allermeisten wenig bis gar nicht verdient. Den dafür nötigen ‚robusten‘ Einsatz von Staatsgewalt gegen streikende Arbeiter, hungernde Habenichtse, politische Opponenten, religiöse Kritiker haben die jetzt plötzlich so genannten Diktatoren immer aufgebracht – Geld und Waffen haben sie ja aus dem Westen reichlich bekommen.

Zweitens ist unübersehbar, dass die Aufkündigung der Freundschaft mit den arabischen Despoten justament auf den Zeitpunkt fällt, zu dem klar wird, dass sie sich nicht mehr an der Macht halten können. Wenn renitente Völker ihre Gefolgschaft wirklich aufkündigen – ja, dann können „wir“ tatsächlich nichts mehr mit ihren Herren anfangen. Dann wird aus ‚notwendiger Härte zum Kleinhalten islamistischer Tendenzen‘ eine nutzlose ‚Gewaltherrschaft‘; ‚Korruption und Beziehungswirtschaft‘ verliert ihren Ruf als dem arabisch-mediterranen Volkscharakter entspringendes Geben-und-Nehmen, entpuppt sich schlagartig als ‚Ausplünderung des Landes durch den Präsidenten und seine Familie‘. Und wenn schon die westlich gesponserten Führungsfiguren angesichts ihres Machtverlusts bei ihren auswärtigen Förderern den Kredit verlieren, dann erst recht ein Gaddafi, dessen Macht „uns“ ohnehin nie rech war, weil er über eine „unserer“ wichtigsten Energiequellen gebietet, mit den Öldollars aber eine alternative Herrschaft und ganz und gar nicht streng westlich orientierte eigenständige Macht aufzubauen gewagt hat.

Drittens braucht kein westlicher Journalist oder Politiker bei den Aufständischen in Tunis, Kairo oder Bengasi nachzufragen, was die eigentlich wollen, kritisch nachzuprüfen, ob die sich ihre missliche Lage richtig erklären und ob der Führungswechsel, von dem sie sich alles versprechen, ihre Lage irgendwie verbessert: „Demokratie gegen Diktatur“ – das ist, egal wie sehr das die Losung der Aufrührer ist und wie sie von ihnen gemeint sein mag, die einhellige westliche Lesart der dortigen Auseinandersetzungen und eine eindeutige und verbindliche westliche Vorgabe für die Aufständischen: Im Falle Tunesiens und Ägyptens bedeutet das, dass die Machthaber weg sollen, damit alles so bleibt, wie es sich für „uns“ gehört, dass also wieder ‚Stabilität‘ einkehrt – mit Völkern, die wieder auf ihre auswärts genehmen Herren hören, die sie selber gewählt haben. Im Fall Libyen aber soll mit dem ungenehmen Herrscher auch gleich die ganze „uns“ störende, also falsche Herrschaft umgestürzt werden. Deswegen können „wir“ keinesfalls bloß zusehen. Wieviel auswärtige Gewalt da angebracht und nützlich ist und wie man für eine passende Nachfolgeherrschaft sorgen kann, darüber streiten sich die westlichen Aufsichtsberechtigten dann wieder.

Gegen die Vereinnahmung rebellierender Araber durch die westliche Öffentlichkeit und Politik; gegen die dumme Interpretation der Aufstände als Ausdruck einer lobenswerten ‚go west!‘-Gesinnung unter tunesischen Olivenpflückern, ägyptischem Stadtvolk und libyschen Beduinen oder Ölarbeitern, bleibt also einiges aufzuklären über die Herrschaft in diesen Ländern; über Gründe und Charakter des Aufbegehrens gegen sie; aber eben auch über die Ansprüche und Eingriffe auswärtiger Mächte, die sich zur Aufsicht über deren Aufbegehren gegen ihre Herrschaften befugt sehen und den Völkern die ihnen zukommende Lesart von „Demokratie“ und „geordneten Verhältnissen“ vorbuchstabieren.