Mit "Fair Trade" die Welt verbessern?! (I)

Aus Bangladesh und ähnlichen Ländern kommen immer wieder Meldungen, dass bei Arbeitsunfällen, Bränden, in zusammenstürzenden Gebäuden usw. viele Menschen zu Tode kommen. Aufmerksamkeit und auch Aufregung verursachen diese Meldungen, weil die – wie es heißt – „unmenschlichen Arbeitsbedingungen“, unter denen die Leute zu leiden haben, in Fabriken herrschen, die für westliche Konzerne arbeiten. Das wird als Skandal behandelt, also als etwas Unerhörtes, Regelwidriges, für das die Verantwortlichen zu ermitteln seien.
Diese Skandalisierung geht an der Sache ziemlich weit vorbei. Festzustellen ist zunächst, dass sich die Interessen der zwei entscheidenden ökonomischen Akteure vor Ort, des Staates Bangladesh und der ausländischen Konzerne decken:

  • Der Staat Bangladesh macht aus der extremen Not seiner Menschenmassen eine Tugend für sich, indem er sie als extrem billiges und williges Arbeitsmaterial zur Ausbeutung durch ausländische Firmen anbietet. Und er verschont die Unternehmen, die dort für die ausländischen Textilmärkte produzieren, weitestgehend vor kostspieligen Sicherheits- und Gesundheitsauflagen für ihre Produktionsstätten. So hofft er, seinen Bevölkerungs-“Reichtum“ wenigstens zu einer Geldquelle auch für sich machen zu können.
  • Die ausländischen Konzerne nehmen dieses Angebot gerne an. Sie nutzen die extrem niedrigen Löhne und die sonstigen Kostenersparnisse, wie fehlende Sicherheitsstandards, für ihre konkurrenzlos billige Lohnproduktion in Bangladesh. Denn dieser Kostenvorteil ermöglicht ihnen, sich im Wettbewerb gegen ihresgleichen besser durchzusetzen, profitabler zu sein.

Beide Parteien bekennen sich ausdrücklich zum „Sachzwang der Rentabilität“, was heißt: Die Armut der Lohnarbeiter wird ausgebeutet für den Reichtum „der Wirtschaft“, also der mächtigen Kapitale, und der Staat ist davon abhängig, weil er davon profitiert.
Der Kapitalismus in Bangladesh ist kein Auswuchs, sondern ein Produkt des hiesigen, das derselben Logik gehorcht: Es sind die Firmen, die man aus den Fußgängerzonen der Metropolen kennt, die dort produzieren lassen. Warum die Textilindustrie ihre Produktion nach Bangladesh und in andere Billigstlohnländer verlagert hat, ist bekannt: Ihre einheimischen Arbeiter sind ihnen zu teuer geworden. Das liegt nicht daran, dass deren Löhne etwa übermäßig hoch gewesen seien. Auch hierzulande gilt schließlich immer schon die kapitalistische Maxime, dass die Arbeit gar nicht billig genug sein kann, jeder Lohn also zu hoch ist und gesenkt werden muss, und dass aus der Arbeit möglichst viel Leistung herausgeholt werden muss. Und zum Vollzug dieser Maxime gehört es für kapitalistische Unternehmen, sich überall in der Welt, die ihnen offen steht, nach billigeren Produktionsmöglichkeiten umzusehen.
Wenn sie dabei auf Länder mit großen, täglich ums nackte Überleben kämpfenden Menschenmassen wie in Bangladesh treffen, dann entdecken sie dort eine einzige Chance – für sich und ihre Gewinne.
Es gilt dieselbeRechnungsweise, die die Firmendaheim praktizieren, sie übertragen sie auf ihre auswärtigen Werkbänke. Hier wie dort setzen sie den Preis der gekauften Arbeit und den Ertrag, der sich aus ihr herausquetschen lässt, ins Verhältnis. Auch im internationalen Vergleich behandeln sie den Lohn, von dem die Leute leben wollen, als einen Kostenfaktor; und in diese Rubrik fällt auch alles, was heutzutage und hierzulande als Sozialstandard gegen die Unternehmen durchgesetzt wurde: Brand- und Gebäudeschutz, Notfall-, Hygiene- und andere Sicherheitsmaßnahmen – all das ist betriebswirtschaftlich nichts als Abzug vom Gewinn. Ein Armutszeugnis im wahrsten Sinne: Kann man etwas Schlimmeres über eine Produktionsweise sagen, als dass in ihr jede Maßnahme zum Schutz von Leib und Leben als Unkost gilt, die den Zweck des Produzierens beeinträchtigt? Denn so wird in einer kapitalistischen Fabrik gerechnet: Alles, was die Arbeit ungefährlicher, womöglich gar bequemer, besser aushaltbar machen würde, schmälert den Profit, also das, wofür produziert wird.
So zeigt sich im Sonderfall Bangladesch der Normalfall kapitalistischen Produzierens. Aus der Gemeinsamkeit der materiellen Zwangslage, die die Leute immer wieder in die Fabrik nötigt, folgt der Unterschied: Überall kann man nur leben, wenn man fürs Kapital lebt; dort aber macht sich das Heer von Hungerleidern, für das jede Art von Arbeit eine Chance ist, der Not zu entfliehen, als zusätzliches Erpressungsmittel geltend. Es ist dasselbe Diktat zur Lohnarbeit, dem die Insassen hiesiger Industrienationen unterworfen sind, woraus die besonderen Formen der Armut dort hervorgehen. Der Maßstab rentabler Arbeit, der jede nationale Arbeiterklasse in Berufstätige und Erwerbslose scheidet, sortiert auch die Völker in weitgehend benutzte Lohnabhängigeund weitgehend ungenutzteÜber-Bevölkerung– und diese Differenz der Lebenslagen an den Wirtschaftsstandorten hier und dort macht sich das Kapital zunutze. Millionen eigentumsloser Leute in der marktwirtschaftlich komplett globalisierten Staatenwelt werden neu verfügbar, und die ökonomischen Subjekte dieser Welt, die Multis, greifen zu: Da hinten gibt es einen Riesenhaufen armer Menschen, die nichts zum Beißen haben – nichts wie hin!
Diese kapitalistische Normalität verwandelt die kritische Öffentlichkeit beim Blick auf Bangladesh in einen Skandal, in einen moralisch zu verurteilenden „Auswuchs“ des ganz normalen Profitmachens. Da ist dann erregt von „Gewissenlosigkeit“ die Rede, die auch im gleichgültigen „Wegschauen“ bestehen kann – und diese moralischen Anschuldigungen sind nur dafür gut, das Offensichtliche nicht gelten zu lassen. Nämlich die in seriösen Geschäftsberichten als Ausweis erfolgreicher Unternehmenspolitik dokumentierte Absicht, mit Billigstarbeit Profit zu machen, die planmäßig exekutiert wird, wenn Länder wie Bangladesch als passender Standort für diesen Zweck entdeckt und hergerichtet werden.
Aufmerksam gemacht wird weiterhin darauf, dass die einschlägig engagierten Konzerne für die Produktion vor Ort Subunternehmen einschalten, und das wird in einer Weise kritisiert , die diese ganz übliche Gepflogenheit kapitalistischer Arbeitsteilung radikal verharmlost:
Viele internationale Firmen tun zu wenig, um für faire Jobs zu sorgen. Wenn es um Praktiken ihrer Subunternehmer geht, drücken sie gern ein Auge zu.“ (SZ)
Eine billige Masche moralischer Entrüstung, die brutalen Konsequenzen eines geschäftlichen Auftrags dem Auftragnehmer anzulasten und für die eigene Kalkulation auf Unschuld zu plädieren.
Diese Kritik will, bei allem Abscheu über die Wirkungen stinknormaler kapitalistischer Geschäftstätigkeit einfach nicht wahr haben, dass es sich dabei um Wirkungen stinknormaler kapitalistischer Geschäftstätigkeit handelt. Eine andere Variante derart verharmlosender Kritik fordert Aufklärung über das Offensichtliche – „ Firmen müssen endlich Rechenschaft ablegen“, fordert die Clean Clothes Campaign (CCC). Auch eine Art, nicht auf die praktizierte Geschäftspolitik der Textilkonzerne loszugehen, sondern stattdessen die Verletzung von Kriterien des geschäftlichen Anstands zu vermuten, deren Aufdeckung den Firmen ein furchtbar schlechtes Gewissen machen würde. Und worüber sollen sie Rechenschaft abgeben?
Firmen wie GAP, Zara oder H&M müssen endlich öffentlich Rechenschaft ablegen, wieso sie jährlich Riesen-Gewinne machen und dennoch den verarmten Beschäftigten ihrer Zulieferer keinen Existenzlohn bezahlen.“ (Clean Clothes Campaign)
Dennoch“?! Die Firmen machen doch ihre Riesen-Gewinne, gerade weil sie Mini-Löhne zahlen. Die menschenfreundlichen Aufklärer von CCC können nicht im Ernst so naiv sein, dass sie den wirklichen Zusammenhang nicht kennen. Aber genau das schlichte Verhältnis von Ursache und Wirkung wollen sie so nicht stehen lassen: Ihre Empörung lebt von der Konstruktion eines Riesengegensatzes zwischen „Riesengewinn“ und dem Elend der Beschäftigten, die ihn erarbeiten. Und weiter entrüstet sich CCC: „Es kann nicht sein, dass Textilarbeiterinnen 12 Std. pro Tag schuften und dennoch vor Hunger kollabieren…“ Genau so ist es doch; und dass man das ‚unmöglich!’ mit drei Ausrufezeichen findet, ist keine Kritik an der Ursache dieser Verhältnisse. Es ist im Gegenteil die Kundgabe eines Vorurteils, das der Sachlage Hohn spricht: Eigentlich hätten die Firmen die Besatzungen ihrer südasiatischen Profitmaschinerie gut zu behandeln – und warum? Weil ihre schlechte Behandlung so gute Erträge abwirft! Mit denen sollen sie dann wieder die schlechte Behandlung reparieren? Unerbittlich halten diese Kritiker das Ideal der versöhnbaren Interessen von Kapital und Arbeit, eines wechselseitigen Gebens und Nehmens hoch; gegen die Realität globaler Marktwirtschaft, in deren fernöstlichen Dependancen von einer solchen Verheißung am allerwenigsten zu merken ist. Und wenn sie die Konsequenzen unternehmerischen Wirkens bemerken, lässt sie das nicht an ihrem Standpunkt irre werden, die Firmen in Fernost könnten doch ein bisschen freundlicher mit ihren Arbeitskräften umgehen. Bestärken lassen sie sich nur in dem Urteil, als Grund des aufgedeckten Elends käme nichts anderes in Frage als ein Verstoß gegen den eigentlichen guten Geist kapitalistischer Profitmacherei.
Da und nur da ertönt dann der Kampfruf „Ausbeuter!“ – wieder mit drei Ausrufungszeichen, die unterstreichen, dass man es hier doch unmöglich mit normalem Kapitalismus zu tun haben kann. Wenn man mit seiner Kritik erstmal da angelangt ist, dann mündet die Anklage folgerichtig in lauter Verbesserungsideen, wie den verarmten Beschäftigten da unten doch noch zu einem Existenzlohn zu verhelfen sei: zum einen durch moralische Gewissensappelle an die westlichen Industriestaaten und ihre großen Kapitale, also ausgerechnet an die Instanzen, die Staaten wie Bangladesh ihren jetzigen nützlichen Platz in der weltweiten kapitalistischen Arbeitsteilung zugewiesen haben. Zum anderen an die hiesigen Verbraucher, die sich durch ihren eigenen Zwang, mit knappem Geld auskommen zu müssen, am Elend in Bangladesh mitschuldig machen sollen.
Damit wird sich dann der nächste Beitrag zu diesem Thema befassen.