Die Diktatur des Monetariats
Eine Sendereihe von und mit Buchautor Ulrich Seibert
Sendung am Mittwoch, 17.4.2024 um 21:00 Uhr.
Wiederholungen: Do., 18.4., 06:00 Uhr und 15:00 Uhr (DAB+ und Livestream), Sa., 20.4., 20:00 Uhr und So., 21.4. um 11:00 Uhr (beide nur im Livestream)
Warum sind linke Gruppierungen so oft weniger erfolgreich darin, für ihre Ideen Mehrheiten zu gewinnen als rechte? Könnte es … an der Sprache liegen? Beziehungsweise an gewissen Aspekten des Einsatzes von Sprache? Linke sind gerne gerade heraus, sie kommen gern auf den Punkt. Mag das daran liegen, dass ihnen die Lösung für viele Probleme so offensichtlich erscheint, dass ihnen gar nicht klar ist, dass diese Lösung für Manche ihrerseits ein Problem darstellt? Man denke beispielsweise an das Wort „Sozialismus“. Das steht mit dem an und für sich überflüssigen Zusatz „demokratischer Sozialismus“ (überflüssig deshalb, weil echter Sozialismus per definitionem immer demokratisch ist, sonst wäre er nicht nur undemokratisch, sondern darüber hinaus auch kein Sozialismus) im Parteiprogramm der Linkspartei. Auch Bernie Sanders ist mit dem Begriff in den USA in den Wahlkampf gezogen – letztlich ohne Erfolg. Warum auch nicht? Sozialismus bedeutet doch nichts anderes als die Ausrichtung von Wirtschaft und Politik auf die Interessen der gesamten Gesellschaft, im Gegensatz beispielsweise zum Partikularismus, der vorliegt, wenn die Politik gewissen Partikularinteressen (wie den Interessen des Kapitals) Vorrang einräumt. Und doch … sehr viele Menschen, insbesondere hierzulande, mit den Erfahrungen des sogenannten „real existierenden Sozialismus“, freuen sich nicht gerade wie Schneekönige darüber, wenn jemand „Sozialismus“ einfordert; dann doch lieber Partikularismus, auch wenn der nur einigen Wenigen nutzt. Das Wort Sozialismus wird heute zumeist in Verbindung gebracht mit Mangelwirtschaft, mit der massiven Einschränkung persönlicher Freiheiten wie der Meinungs- oder der Reisefreiheit, mit durchgängiger Überwachung und Denunziantentum, mit unüberwindlichen Grenzen und Schießbefehl oder mit der Tatsache, dass einige dann letztlich doch „gleicher“ sind als der Rest. Alles Zustände, die sich nun wirklich niemand wünscht. Auch nicht von links, übrigens. Der Begriff Sozialismus ist verbrannt, hat in den Köpfen sehr vieler Menschen einen Bedeutungswandel erfahren. Diesen Sachverhalt zu ignorieren, ist politisch wahrscheinlich nicht so klug, denn Mehrheiten lassen sich so nur eher schwierig gewinnen.
Auch bei einem anderen Thema gehen Linke vielleicht nicht ganz so geschickt vor, wie sie das könnten. Spätestens seit Marx gehört die Enteignung von Produktionsfaktoren zum gängigen politischen Repertoire von linker Seite. Ungeachtet davon, ob das eine sinnvolle oder wirkmächtige Lösung darstellt, was hier nicht diskutiert werden kann / soll, passiert im Kopf des Empfängers bewusst oder unterbewusst womöglich folgende Assoziation: „Enteigne“ ich, dann nehme ich jemandem etwas weg, das ihr oder ihm rechtmäßig zusteht, sie oder er ist schließlich Eigentümer der Sache im juristischen Sinne. Jemandem etwas wegzunehmen, das wird als ungerecht empfunden. Ein Mann, der einem Kleinkind den Lutscher wegnimmt, wird sicherlich unter den Umstehenden einen Sturm der Empörung auslösen. Enteignen ist also ein Wort, das tendenziell negativ konnotiert ist. Wahrscheinlich deshalb hören viele (nicht nur) hierzulande das Wort nicht so gern. Warum kann man stattdessen nicht davon sprechen, beispielsweise Wohnungen „wieder in die Sozialbindung zurückzuführen“? Bei diesem Framing bleibt der Inhalt zwar derselbe – Immobilienkonzernen wird die Verfügungsgewalt über Wohnraum entzogen -, die Konnotation ändert sich aber ins Positive. Denn durch die Worte „wieder“ und „zurück“ wird ausgedrückt, dass es früher mal anders war und unterstellt (sicherlich mit Recht, denn der Markt hat das Problem des Mangels an bezahlbarem Wohnraum nachweislich bislang nicht lösen können), dass der jetzige Zustand fehlerhaft ist und somit korrigiert werden sollte. Im ersten Framing („enteignen“) löst derselbe Vorgang Unbehagen aus, im zweiten dagegen wird dem Gerechtigkeitsempfinden des meisten Empfänger entsprochen.
Neoliberale Akteure beherrschen das A-B-C des Framings offensichtlich deutlich besser als linke Gruppierungen, denn es ist den neoliberalen politischen Parteien bis heute gelungen, trotz all der Maßnahmen, mit denen sie seit nunmehr vier Jahrzehnten dafür gesorgt haben, dass die Reichen immer reicher und die Armen immer ärmer wurden, nach wie vor die politischen Mehrheiten zu stellen. Sie haben politisch also die Zustimmung einer breiten Mehrheit dafür bekommen. Gut, mittlerweile nimmt der Unmut gegen diese Parteien, von der SPD über die GRÜNEN bis hin zur Union und der FDP, immer mehr zu, doch erstaunlicherweise profitiert davon ausgerechnet die radikal-neoliberale AfD, von der man also ganz bestimmt mit Recht annehmen darf, dass sie kein Teil der Lösung, sondern vielmehr ein Teil des Problems ist, selbst dann noch, wenn man die ganzen abscheulichen rechtsextremen Tendenzen in dieser Partei einfach ignorieren könnte.
Also! Wie genau haben neoliberale Akteure es geschafft, unsere Zustimmung zu Maßnahmen zu bekommen, die eigentlich en Gros gegen unsere mehrheitlichen Interessen gerichtet waren?
Ein möglicher Erklärungsansatz ist, wie gesagt, die geschickte Ausnutzung von Framings. Was das genau ist und wie die funktionieren, darüber wird Prof. Dr. Alexander Ziem von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf in der Sendung Rede und Antwort stehen.
Dabei werden wir selbstverständlich auf die „Klassiker“ neoliberalen Framings eingehen wie
- „Leistungsträger“
- „Leistung muss sich wieder lohnen“
- „Steuerlast“
- „Sozialschmarotzer“ und die „soziale Hängematte“
- „Sondervermögen“ u.a.
Andere Begriffe haben es aus Zeitgründen leider nicht mehr in die Sendung geschafft, es rentiert sich aber dennoch, sich diese etwas genauer vor Augen zu führen:
- „Schlanker Staat“ – Schlankheit als heutiges Schönheitsideal, reale Bedeutung: Der Staat soll sich mit geringen Steuereinnahmen zufrieden geben, selbst um den Preis, wichtige und nötige Investitionen damit nicht mehr finanzieren zu können; damit eng verknüpft ist auch ein weiteres neoliberales Schlagwort, das es sogar ins Grundgesetz geschafft hat: die „Schuldenbremse“.
- „Reichensteuer“ – der Begriff unterstellt („Steuer für die Reichen“), dass eine Steuer existiert, die nur einer bestimmten Gruppe von Menschen abverlangt wird; wo etwas erscheint als eine Ungleichbehandlung und wird in einer Demokratie tendenziell eher als ungerecht gewertet. Dabei steckt in Wahrheit nur die höchste Progressionsstufe der Einkommensteuer dahinter, die es schon immer gab (und der, nebenbei gesagt, tatsächlich nur die allerwenigsten Reichen und Superreichen unterliegen, denn deren Einkommen stammt in erster Linie aus Einkünften aus Kapitalvermögen, die über die Abgeltungssteuer mit einem Steuersatz von 25%, also weit weg von der höchsten Progressionsstufe, belegt sind). Aus einem Aspekt, der der Steuergerechtigkeit („wer viel Geld verdient, soll auch einen anteilig höheren Solidarbeitrag entrichten als jemand, der nichts oder nur wenig verdient“) dient, haben die kreativen neoliberalen Sprachschöpfer also einen gemacht, der sich ins Gegenteil verkehrt, der also als eine Ungerechtigkeit wahrgenommen wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt?
Die richtigen Frames zu verwenden, ist also essenziell, um die eigene Botschaft angenehm klingen zu lassen und sie als mit dem Wertesystem der meisten Zuhörer konform darzustellen. Nur dann kann der Sender der Botschaft mit Einverständnis rechnen – selbst wenn der eigentliche Hintergrund dieser Botschaft sich bei genauerer Betrachtung gegen die Interessen der Zuhörer richtet. Und genau diese Disziplin beherrschen neoliberale Akteure – wie gezeigt wurde – meisterhaft.