Teil 4: „Freihandels“-Abkommen
Die Diktatur des Monetariats
Eine Sendereihe von und mit Buchautor Ulrich Seibert
Sendung am Mittwoch, 16.2.2022, 21:00 Uhr
Umverteilung von unten nach oben ist ein systemimmanentes Prinzip des Neoliberalismus. Es wirkt sowohl auf internationaler wie auf nationaler Ebene. Die Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen hat sich in den letzten Jahrzehnten auf eine schier unglaubliche Weise vervielfacht und historisch wohl bisher ungekannte Dimensionen erreicht. Statistiken und Armutsberichte geben darüber beredte Auskunft. Ein „Betriebsunfall“ der neueren Geschichte oder … Absicht?
Im ersten Teil des Themenkomplexes „Umverteilung von unten nach oben“ sprach ich mit Manuel Schmitt, Referent für soziale Ungleichheit bei Oxfam, über das Ausmaß dieser Umverteilung und die Gefahren, die dieses mit sich bringt.
Im zweiten Teil ging es um das Prinzip „Privatisierung von Gewinnen, Sozialisierung von Verlusten“. Mit diesem Thema startete auch die dritte Sendung der Umverteilungsthematik, die sich auch noch mit anderen Umverteilungsmechanismen beschäftigte.
In der vierten und vorerst letzten Sendung im Komplex „Umverteilung“ geht es in einer kurzen Einlassung zunächst darum, wie Finanzmarktspekulanten Lebensmittelpreise Profiten insbesondere zulasten der Ärmsten des Planeten wegen in die Höhe treiben. Danach stehen die Wunschzettel der neoliberalen Akteure auf der Agenda, die diese den Regierenden in Form von sogenannten „Freihandels“-Abkommen wie beispielsweise C€TA oder TTiP aufs Auge drücken und welche eine internationale Wirkung – teilweise an nationalen Verfassungen und Gesetzen vorbei – entfalten. Somit bietet dieses Thema eine gute Gelegenheit, nahtlos zum nächsten Themenblock überzugehen, dem erlebten bzw. potenziellen Abbau von Sozialstaat, Rechtsstaat und Demokratie durch neoliberale Akteure / Mechanismen.
Freihandel klingt zunächst einmal gut, nicht wahr? Mit meinem Studiogast, dem Wirtschaftsjournalisten und Buchautor Dr. Hermannus Pfeiffer (Hamburg) zeige ich auf, dass Freihandel unter bestimmten Umständen eine für alle Partner durchaus segensreiche Idee sein kann. Doch „Freihandel“ kann auch zur Ausbeutung ganzer Länder eingesetzt werden und dazu, demokratische Strukturen abzubauen bzw. zur bloßen Fassade verkommen zu lassen. Die Profiteure, also diejenigen, die diese Strukturen nicht nur aufbauen, sondern auch für sich nutzen können, sind ausschließlich finanzkräftige, internationale Konzerne.
Hier einige Beispiele, in denen Investoren über in Freihandelsabkommen vorgesehene Schiedsgerichtsverfahren Staaten für politische Entscheidungen abstrafen, die deren Profite verringert haben oder hätten. Und Profite sind immerhin die heilige Kuh des Neoliberalismus, daran darf nie und nimmer gerüttelt werden:
- Pakistan, 2019: das australische Bergbau-Unternehmen „Tethyan Copper“ verklagt Pakistan auf 6 Milliarden US-$ und … gewinnt. Sicher, eine neu gewählte Regierung hat wohl einen Vertrag des Unternehmens mit der alten Regierung nicht umgesetzt. Da ist eine Klage wahrscheinlich berechtigt, denn der Grundsatz „pacta sunt servanda“ gilt i.d.R. auch nach Neuwahlen. Aber dass auch entgangene, erwartete Gewinne eingeklagt und vom Steuerzahler dieses Landes bezahlt werden müssen …
- Ägypten 2012: Die Erhöhung des Mindestlohns von 41 auf 72 US-$ im Monat bringt dem Land eine Klage des französischen Konzerne Veolia ein, denn gleichzeitig weigert die Stadtverwaltung von Alexandria sich, den Vertrag mit Veolia an die gestiegenen Kosten anzupassen, wodurch deren Profite geschmälert werden. Ägypten hat die Wahl: entweder auf die Erhöhung des Mindestlohns zu verzichten – oder ausländische Konzerne (nicht dagegen inländische Unternehmen!) dafür zu entschädigen.
- Deutschland, 2012: Vattenfall klagt wegen der Schließung einiger älterer Atommeiler in gleich zwei Verfahren, einem vor dem Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe und einem vor einem privaten Schiedsgericht. Beide Verfahren enden mit einem gemeinsamen Vergleich; Deutschland verpflichtet sich, 1,4 Milliarden € an Vattenfall und 880 Millionen € an die RWE zu zahlen; hinzu kommen die Verfahrenskosten in Höhe von 9,5 Millionen €; Da Schiedsgerichtsverfahren im Geheimen ablaufen, ist der Öffentlichkeit wenig bekannt über die Gründe, die zu dem Vergleich geführt haben; zahlen darf sie gleich wohl.
- Andere: Peru trifft es besonders hart: Der US-Konzern Renco verstößt gegen Umweltauflagen bei der Bleiförderung in diesem Land, wodurch 99% der ortsansässigen Kinder eine Bleivergiftung erleiden. Als die Behörden die Umweltbestimmungen durchsetzen wollen, wird Peru auf 800 Millionen $ Schadensersatz verklagt … Renco gewinnt.
2020 will Peru im Zuge der Coronamaßnahmen lebenswichtige Transporte in der Pandemie gewährleisten und setzt kurzfristig die Mautpflicht bei privaten Autobahnen aus. Die Investoren drohen mit Schiedsgerichtsverfahren; die Maut bleibt.
U.a. Uruguay will den Raucherschutz auf einen ähnlichen Standard heben, wie er in der EU bereits seit Langem gang und gäbe ist. Der Konzern Philip Morris International verklagt Uruguay daraufhin auf 2 Milliarden US-$. Dieser Klage wird allerdings nicht stattgegeben.
Diese Beispiele zeigen, wie Investoren mittels Freihandelsabkommen gezielt den Spielraum des Gesetzgebers entweder einschränken oder sich alternativ ihre erwarteten, aber nicht realisierten Gewinne aus Steuermitteln auszahlen lassen. Diese Einschränkungen lassen sich auch kaum wieder zurücknehmen. Würde CETA beispielsweise ratifiziert werden, dann unterläge es einer Mindestvertragslaufzeit von 10 Jahren. Danach könnte es theoretisch gekündigt werden, natürlich nicht von einem einzelnen Land wie Deutschland, nur von der gesamten EU. Nach einer Kündigung würde das Abkommen aber dennoch noch weitere 20 Jahre seine Wirkung entfachen. Gnadenlos festzementierter Neoliberalismus …